Mensch und Natur

Festschrift zur 250-Jahr-Feier der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
1746-1996


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Umschlagbild: Wald mit Bauholz Herausgegeben von der Redaktionskommission der NGZ
Der Druck wurde durch die Julius Bär-Stiftung Zürich ermöglicht.
In der folgenden Zusammenstellung sind ausser den Autoren und den Titeln der Arbeiten nur die Abstracts zusammengestellt.
Die Festschrift kann mit dem Bestellformular bestellt werden .
Hermann Lübbe Frieden mit der Natur? Ökologische Probleme im kulturellen Wandel 9-19
  Die moderne Zivilisation ist eine sich selbst historisierende Zivilisation. Historisiert ist längst auch die Geschichte unseres kulturellen Verhältnisses zur Natur einschliesslich der kulturbedingten ökologischen Krisen. Wir wissen inzwischen: Auch in vorindustriellen Geschichtsepochen war das Ausmass der selbstverursachten Schädigungen naturaler Kulturbedingungen schon beträchtlich - von den antiken Wüstenbildungen im mediterranen Raum bis hin zur energiebedingten Übernutzung europäischer Mittelgebirgswälder noch im 18. Jahrhundert. Das bedeutet: Die Geschichte unseres kulturellen Naturverhältnisses ist nicht eine Geschichte des Verfalls guter Naturgesinnung. Insoweit trifft eher das Gegenteil zu: Die ästhetische Feier der Natur ist ganz modern. Der Naturschutz entfaltet sich als Bewegung komplementär zum lndustrialisierungsprozess. Nationalparks gab es vor dem 19. Jahrhundert nicht. Kurz: Unser Naturverhältnis moralisiert sich modernitätsabhängig. Was hat sich geändert? Die naturale Eingriffstiefe unseres technisch instrumentierten Handelns hat zugenommen. Nicht an gutem Willen fehlt es, eher an kausalanalytisch, technisch, auch organisationstechnisch konsolidierten Antworten auf die Frage, was wir denn tun müssten, um jene Katastrophen abzuwenden, die unsere Wissenschaftler für den Fall prognostizieren, dass nichts geschähe, sie abzuwenden.  
Peter Schaber Wieviel Risiken dürfen wir eingehen? Ethische Überlegungen zum Umgang mit der Technik 20-26
  In fast allen Lebenslagen gehen wir Risiken ein. Gewisse Risiken halten wir aber für inakzeptabel. Wie lässt sich die Klasse der inakzeptablen Risiken bestimmen? Der Autor argumentiert in diesem Aufsatz dafür, dass man sich in dieser Frage nicht an Schadens-Nutzen-Bilanzen, sondern an dem orientieren sollte, was informierte Personen zu akzeptieren bereit sind. Dabei sollten die Interessen der zukünftigen Generationen in die Überlegungen der gegenwärtig Lebenden einbezogen werden. 
Susette Biber-Klemm Recht und natürliche Umwelt. Zur Entwicklung des Verhältnisses Mensch - Natur im Spiegel nationalen und internationalen Rechts 27-39
  Historische Rechtstexte zeigen, dass der Mensch im Umgang mit den Ressourcen seiner natürlichen Umwelt immer in einem ökonomischen, wirtschaftenden Verhältnis stand. Themen waren Schutz vor den Bedrohungen der Natur und ihre Besitznahme, Sicherung von Nutzungs- und Vermögensrechten, Lösung von Verteilungskonflikten. Rechtliche Regelungen dienten in erster Linie einer besseren oder längeren Ausbeutung der Ressourcen und entspringen nicht einem ökologisch motivierten Naturschutz-Gedanken. Die Naturschutz-Idee, die um die Jahrhundertwende aufkam, widerspricht diesem Befund nicht. Sie erlaubte, die Notwendigkeit von Schutz und Erhaltung auszugrenzen und die Nutzung der anderen Bereiche freizugeben.
Das internationale Recht nimmt anfänglich die Entwicklung des nationalen Rechts auf. Die Wahrnehmung des Planeten Erde von aussen (Raumschiff Erde) bringt ein neues Bewusstsein, das sich im internationalen Recht in einer raum-zeitlichen Ausweitung niederschlägt. Im Zentrum steht immer noch der wirtschaftende Mensch. Dieser wird aber als Teil der sich abspielenden Prozesse wahrgenommen. Er hat die Macht, die natürlichen Prozesse unwiderruflich zu verändern und letztlich sogar zu zerstören. Dadurch hat er die spezielle Verantwortung, die natürlichen Ressourcen im Bewusstsein auf die Zusammenhänge und ihre Endlichkeit zu nutzen.
Das internationale Recht übernimmt klar eine innovative Steuerungsfunktion, die es gilt auf nationaler Ebene umzusetzen. Innovatives Recht muss, um wirksam zu werden, eingefahrene Gewohnheiten und überlieferte Werte verändern. Dazu bedarf es der Überzeugungskraft von fundierter Forschung und Lehre. 
Heidi Schelbert Wertvolle Natur. Was kann die Ökonomie zur Erhaltung der natürlichen Mitwelt beitragen? 40-47
  Es besteht kein Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie, beide handeln vom haushälterischen Umgang mit den knappen Ressourcen. Die Übernutzung der natürlichen Mitwelt ist ein grober wirtschaftlicher Fehler. Schuld am unökonomischen Verschleiss der wertvollen Natur sind jedoch nicht dumme Produzentinnen und Konsumenten - schuld sind die externen Effekte. Externe Effekte verhindern die Kostenwahrheit und führen so die Marktkräfte in die Irre. Die Therapie lautet deshalb: konsequente Durchsetzung des Verursacherprinzips. Wer externe Kosten verursacht, soll dafür bezahlen; wer externe Erträge erbringt, soll dafür entschädigt werden. Die Durchsetzung des Verursacherprinzips bringt einen doppelten Ertrag: Die Natur wird nicht mehr zerstört, sondern nachhaltig genutzt, und die wirtschaftliche Produktion erfolgt effizienter, was Wohlstandsgewinne ermöglicht. Für die Internalisierung ist eine (grobe) Erfassung des Naturwertes notwendig. Die Ökonomie hat dazu eine Reihe von direkten und indirekten Methoden entwickelt. Für die konkrete Durchführung ist interdisziplinäre Zusammenarbeit unumgänglich. 
Ruth Durrer Zur Ideengeschichte des Kosmos. Kosmologie als moderne Naturwissenschaft 48-61
  Im 20. Jahrhundert entwickelte sich die Kosmologie zu einer modernen Naturwissenschaft. Es hat sich ein kosmologisches Standardmodell, das Urknallmodell, durchgesetzt (1-4). In diesem Aufsatz werden die wichtigsten Beobachtungen, die dieses Modell stützen, diskutiert. Aber auch auf offene Fragen und Grenzen des Urknallmodells wird eingegangen. Anhand der Problemkreise Inflation und dunkle Materie wird das Zusammenspiel zwischen Teilchenphysik und Astrophysik aufgezeigt, das in der Kosmologie immer wichtiger wird. Komplementär zu Beschleuniger-Experimenten werden uns in Zukunft vielleicht kosmologische Beobachtungen Aufschluss geben über die Struktur der Materie bei sehr hohen Energien. 
Albert Eschenmoser Zur Frage nach dem Ursprung des Lebens 62-72
  Die natürliche Entstehung des Lebens auf unserer Erde ist eine evolutionswissenschaftliche Hypothese; ihre experimentelle Bearbeitung ist Aufgabe der synthetischen organischen Chemie. Vorrangiges Ziel einer experimentellen aetiologischen Chemie ist nicht so sehr zeigen zu wollen, auf welchem Wege das uns bekannte («natürliche») Leben auf der Erde hätte entstanden sein können, als vielmehr durch die Verwirklichung von Modellsystemen («künstliches chemisches Leben») den experimentellen Nachweis zu erbringen, dass Leben durch Organisation organischer Materie entstehen kann. 
Richard R. Ernst Die Kernspins, unsere vielseitigen Informanten in der Natur 73-82
  Die Kernspins, die durch die Natur grosszügigerweise in fast alle Materialien eingebaut wurden, eignen sich ausserordentlich gut als praktisch unsichtbare Spione zur Erkundung der innersten Geheimnisse der Natur. Die Kernspinresonanz ist eine hervorragende analytische Methode, um die Struktur von Biomolekülen aufzuklären, Werkstoffe zu studieren und für die bildgebende medizinisch-klinische Diagnostik. Bezüglich ihrem detaillierten und vielseitigen Informationsgehalt ist sie zurzeit unschlagbar 
H. Rohrer Die Nanowelt: Herausforderung und Chance 83-93
  Wir stehen an der Schwelle einer neuen wissenschaftlichen und technischen Epoche mit dem Nanometer, dem Milliardstel eines Meters, als Massstab. Getragen wird diese Entwicklung zunächst von der fortschreitenden Miniaturisierung; später wird der Aufbau komplexer Funktionseinheiten aus kleinsten Bestandteilen von zentralem Interesse sein. Die Herausforderung und Chance bestehen darin, dank Nanometerdimensionen neue Möglichkeiten auszuschöpfen, die Nano- mit der Makrowelt zu verknüpfen sowie neue Methoden und Konzepte für den Umgang mit einer grossen Zahl von Nanoobjekten zu erarbeiten und damit komplexe Probleme im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu lösen. 
Ernst Brun Vom Zufall, Zwang und Chaos 94-106
  Am Beispiel eines NMR-Lasers wird gezeigt, wie aus Unordnung Ordnung entsteht, der blinde Zufall durch einen determinierenden Zwang überspielt wird, wie Ordnung strukturiert und sogar Chaos eine besondere Form der Ordnung sein kann. Ein dynamisches Lasermodell wird vorgestellt, das zu einer bemerkenswerten Übereinstimmung zwischen den Experimenten und den Computersimulationen führt, womit das beobachtete Laserchaos vorwiegend deterministische Züge annimmt 
Jean-Pierre Blaser Energie. Schicksalsfaktor für die Menschheit 107-118
  Energie ist eine Basis unserer heutigen Zivilisation, wobei die Elektrizität eine zunehmende Schlüsselrolle spielt. Der Verbrauch wird wegen des explosiven Bevölkerungswachstums weiter zunehmen. Fossile Energien, vor allem das Erdöl, sind jetzt die dominierende Quelle. Beim heutigen Raubbau an den fossilen Ressourcen werden diese, gemessen an den Kulturepochen, in sehr kurzen Zeiten versiegen: in Jahrzehnten bis Jahrhunderten. Alternativen, regenerierbare oder praktisch unerschöpfliche Quellen gibt es nur zwei, die Sonnen- und die Kernenergie. Die «sanfte» Nutzung der Sonne kann nur sehr wenig bringen. Ein grosser Beitrag setzt Speicherung und Transport voraus. Die Sonnenenergie würde dadurch auch zu einer Grosstechnologie. Die Kernenergie könnte nur mit Brütern oder Fusion einen wesentlichen Beitrag liefern. Sie stellt hohe Anforderungen an die Stabilität der Gesellschaft. Der Energieverbrauch an sich, aber insbesondere die fossilen Energien belasten zunehmend die Umwelt Die Erwärmung des Klimas durch Kohlendioxid ist unvermeidlich. Die Beeinflussung des Verbrauchs durch Sparen oder Steuern ist wenig wirksam. Wissenschaftlich und technisch sind die Probleme klar, die Energiepolitik stösst aber an irrationale Denkweisen. Verstärkt durch die Medien, werden fiktive Gefahren zelebriert, und gleichzeitig stürzt sich die Menschheit blindlings in dramatische Situationen. 
K. Alex Müller Kürzliche Fortschritte im Bereich der Hochtemperatur-Supraleitung 119-126
  Fortschritte in den letzten drei bis vier Jahren auf dem Gebiet der Hochtemperatur-Supraleitung werden vorgestellt. Neben fundamentalen Themen der Grundlagenforschung wie Symmetrie der Paarwellenfunktion, Phasenseparation und magnetisches Phasendiagramm werden auch aktuelle Probleme der Materialherstellung sowie interessante Perspektiven in den technischen Anwendungen im Bereich Hochstromtechnik und Mikroelektronik beleuchtet. Dabei wird besonders Bezug auf Forschungsarbeiten von Zürcher Gruppen genommen, welche vor allem in der Grundlagenforschung und Materialherstellung wesentliche Beiträge geliefert haben. 
Peter F. Meier Der Einsatz von Computersimulationen in den Naturwissenschaften 127-136
  Computersimulationen ermöglichen die Untersuchung von mathematisch formulierbaren Modellsystemen, die analytisch nicht lösbar sind und bei denen herkömmliche Näherungsverfahren versagen. Aufgrund des exponentiellen Wachstums der Leistungsfähigkeit von Computern haben numerische Verfahren in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Dies wird aufgezeigt anhand von Berechnungen der Elektronenstruktur von Molekülen und Festkörpern und von Monte-Carlo-Simulationen. 
Daniel Vischer & Stephan Müller Naturgefahren - Schutzkonzepte Hochwasser und Erdbeben als Beispiele 137-155
  Die Jahre 1990 bis 1999 wurden von den Vereinten Nationen als Dekade zur Verminderung von Naturkatastrophen («International Decade for Natural Disaster Reduction») bezeichnet Was geht das die Schweiz an? - Hier wird eine kurze Übersicht über die Naturgefahren und die entsprechenden Schutzkonzepte vermittelt. Dazu werden zwei Beispiele aus schweizerischer Sicht geschildert Den Fachgebieten der Autoren entsprechend beziehen sie sich auf Hochwasser und Erdbeben. 
Mathias Rotach Zum Klima der Stadt Zürich. Auf dem Weg zu einer verbesserten Schadstoffmodellierung 156-164
  Das Interesse am besonderen Klima einer Stadt wird zunächst im Zusammenhang mit älteren stadtklimatologischen Untersuchungen diskutiert und typische Erscheinungen werden kurz vorgestellt. Insbesondere die «städtische Wärmeinsel», d.h. die Tatsache, dass eine städtische Umgebung oft einige wenige Grad wärmer ist als das Umland, haben die Forschung im Bereich der Stadtklimatologie über lange Zeit geprägt. Das zweite wichtige Charakteristikum des städtischen Klimas ist das Abbremsen des Windes durch den besonderen «rauhen» Charakter der Oberfläche. Das Hauptgewicht dieses Beitrags liegt auf einem neueren Untersuchungsgegenstand, nämlich der Schadstoffausbreitung in der städtischen Atmosphäre. Anhand der Ergebnisse einer klimatologischen Untersuchung in der Stadt Zürich zur Strömungs- und Turbulenzstruktur der städtischen Atmosphäre wird die besondere Problematik der Schadstoffausbreitung vorgestellt. Die Hauptergebnisse der Studie werden unter besonderer Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Schadstoffausbreitung zusammengefasst. Modellrechnungen zeigen, dass diese Ergebnisse einerseits nicht nur spezifisch für die Stadt Zürich gelten dürften (einzelne der Messungen wurden bisher in keiner anderen Stadt durchgeführt) und dass andererseits die neuen Erkenntnisse eine nicht zu vernachlässigende Verbesserung von Schadstoffprognosen in städtischen Gebieten ermöglichen. 
René Hantke Die Veränderungen in der Zürcher Naturlandschaft und der Wandel in ihrer Deutung seit dem Bestehen der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 165-175
  Landschaftsgeschichtliche Veränderungen verlaufen sehr langsam, doch zeichnen sich solche schon seit dem Bestehen der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich mehrfach ab: im Verlanden von Seen, im Verschwinden von Riedflächen, in der Veränderung von Bachläufen, im Niedergang von Bergstürzen, Sackungen und Rutschungen.
An den Veränderungen ist der Mensch massgebend beteiligt Das Abholzen von Steillagen liess der Erosion freieren Lauf und führte zu Überschwemmungen. Das Wachstum der Bevölkerung rief nach Anpassungen im Fluss- und Stadtbild, die Rohstoffbeschaffung nach Steinbrüchen, Kies- und Lehmgruben, der Energiehunger nach Stauseen.
Weit stärker als die Landschaft haben sich in den letzten 250 Jahren die Vorstellungen um ihre Entstehung gewandelt Das Zürichseetal, zunächst fluvial als altes Sihltal gedeutet galt lange Zeit als glazial ausgeräumt bis die Tektonik in verschiedenen Ansätzen widerspruchsfreiere Lösungen anbot. Diese konnten durch Tiefbohrungen und Überprüfung alter Thesen und Erkenntnisse aus Nachbarwissenschaften bestätigt werden. Sie dürften auch künftig das erdgeschichtliche Weltbild um Zürich verändern und präzisieren helfen. 
Klaus C. Ewald Schlaglichter auf 250 Jahre Wandel der Kulturlandschaft im Kanton Zürich 176-189
  In der Kulturlandschaft vergangener Jahrhunderte fanden viele Tier- und Pflanzenarten Platz, die in der heutigen Landschaft auszusterben drohen, weil ihre Lebensräume fehlen. Für einen fundierten Schutz der bedrohten Arten ist es deshalb unerlässlich, Landschaft und Lebensräume vergangener Zeiten zu kennen. - Der vorliegende Abriss von 250 Jahren Landschaftsgeschichte im Kanton Zürich zeigt die wichtigsten Veränderungen der landschaftsprägenden Elemente Viehwirtschaft, Ackerbau, Wald, Obstbau, Siedlungen und Verkehr Im 18. Jahrhundert dominiert im ganzen Kanton der Ackerbau; Grünland, und damit Vieh und Düngen, gibt es nur wenig. Mit dem Ancien Regime verschwinden zunehmend auch die mittelalterlichen Agrarstrukturen; Kartoffelanbau und Viehwirtschaft breiten sich aus. Gleichzeitig dehnt sich der Obstbau über die ganze Fläche aus und bestimmt bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts das Bild der Landschaft. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Lebensräume flächendeckend zerstört: durch den Bauboom einerseits und durch eine mechanisierte, rationalisierte und übersubventionierte Landwirtschaft andererseits. - Möglichkeiten zur Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse werden am Schluss des Artikels diskutiert. 
Elias Landolt Änderungen in der Pflanzenwelt von Zürich und Umgebung 190-203
  Der Einfluss des Menschen auf die Pflanzenwelt hat sich in Mitteleuropa seit etwa 6000 Jahren stets verstärkt. Bis etwa vor 150 Jahren führte das infolge der Schaffung von neuen Strukturen in der Landschaft zu einer starken Erhöhung der Artenvielfalt. Die Mechanisierung und Rationalisierung in der Land- und Forstwirtschaft seit dieser Zeit die flächige Anwendung von Pestiziden und hohen Düngergaben und der Nährstoffeintrag durch Luft und Wasserverschmutzung hatten zur Folge, dass heute im Mittelland etwa die Hälfte der Pflanzenarten ausgestorben oder bedroht ist. In der Stadt sind die Verhältnisse unterschiedlich. Die strukturelle Vielfalt und das verbesserte Naturverständnis erlauben der spontanen Natur sich zu entfalten und vielen sonst bedrohten Arten ein Refugium zu finden. Das grosse Samenpotential in den Gärten und die wärmeren Sommer und milderen Winter der letzten Jahre geben vielen bisher nicht beobachteten Arten die Möglichkeit sich auszubreiten und so die Artenvielfalt auf Stadtgebiet zu erhöhen. 
Hansruedi Wildermuth Änderungen in der Tierwelt im Kanton Zürich 204-213
  Zum natürlichen evolutionären Wandel in der Tierwelt kommen seit dem Neolithikum anthropogene Vorgänge, die zu markanten Veränderungen in der zürcherischen Fauna geführt haben. Während die Anzahl der Tierarten zunächst anstieg, begann sich ab dem 19. Jahrhundert eine rückläufige, in den letzten vier Jahrzehnten beschleunigte Entwicklung anzubahnen. Im Verlauf dieses Jahrhunderts starben im Kanton Zürich 13 Brutvogel-, 29 Tagfalter- und 6 Libellenarten aus. 35 weitere Vogel-, 45 Tagfalter- und 31 Libellenarten gelten heute als gefährdet. Betroffen sind damit 34%, 70% bzw 54% der drei Tiergruppen. Hauptursache dafür ist die Zerstörung der artspezifischen Lebensräume als Folge der intensivierten Landnutzung. Eine Trendwende ist nur unter grossen Anstrengungen im Naturschutz zu erwarten und damit eine Frage des politischen Willens und der Akzeptanz in der Bevölkerung. 
Andreas Speich Naturlandschaft Sihlwald Haben oder Sein in der Waldnatur 214-225
  Der im mittleren Sihltal auf den Gemeindegebieten von Horgen, Oberrieden, Langnau a.A., Hausen a.A. und Hirzel gelegene, 1000 ha umfassende Waldbesitz der Stadt Zürich wird nicht mehr bewirtschaftet. In diesem Wald, mit über 1000 jähriger Geschichte (das Fraumünsterkloster in Zürich, dessen Äbtissin Herrin von Zürich war, erhielt schon im Jahre 853 von König Ludwig II., dem Deutschen, Rechte im Sihlwald, der später mit seinem Buchenholz bis ins 19. Jahrh. den Energiebedarf der Stadt Zürich sicherstellte), geht es nicht mehr primär um das Haben-Wollen, sondern um das Sein-Lassen. Die Idee der Naturlandschaft Sihlwald beinhaltet in diesem Wald die Eigendynamik der natürlichen Prozesse möglichst ohne Einflussnahme des Menschen wirken zu lassen. - Anfang 1994 nahm die Stiftung Naturlandschaft Sihlwald ihre Tätigkeit auf, und kurz danach genehmigten der Stadtrat von Zürich und der Regierungsrat des Kantons Zürich den ersten Zehnjahresplan für das «Seinlassen» im Sihlwald. - Im Sihlwald wurden 54 der 67 im Kanton Zürich bekannten Wald-Pflanzengesellschaften kartiert und heute kann erst erahnt werden, dass Zehntausende verschiedene Arten von Lebewesen in diesem Naturwunder leben. Mit der Zeit wird fast ein Urwald entstehen. Die Voraussetzungen sind im bereits relativ naturnahen Laubmischwald günstig. 
Frank Klötzli Wohin führen uns die Renaturierungen? 226-239
  Renaturierung heisst Rückführung von Ökosystemen in naturnähere Zustände unter Schaffung von neuen Lebensmöglichkeiten für schützenswerte Organismen, unter Zurückdrängung von atypischen Organismen auf gestörten Flächen. Dabei ist das Endziel, wo immer möglich, die Regeneration, also die erfolgreiche Wiederherstellung typischen, natürlicher Verhältnisse in gefährdeten Ökosystemen (z. B. Hochmoore, Auen). Somit ist eine Renaturierung im allgemeinen kurzfristig zu erreichen; eine Regeneration dagegen ist ein säkularer Prozess, vor allem für komplizierte, gereifte Ökosysteme wie Hochmoore. Auch die Regeneration von Grünland kann von langer Dauer sein.
Dem Ziele einer Regeneration stehen veränderte Umweltbedingungen häufig im Weg, wie etwa Eutrophierung oder Entwässerung, Aufforstungen, Siedlungen, Landwirtschaft oder allenfalls die politische Situation. Auch «nur» renaturierte Flächen haben in einer veränderten Umwelt einen hohen Schutzwert wie z. B. renaturierte Kiesgruben, Bäche, Böschungen oder Auenkomplexe.
Renaturierung umfasst verschiedene Eingriffe in die Bewirtschaftung und in die Umwelt Ihr Erfolg hängt ab von der Art und Wirkung von Umweltfaktoren und der Grösse der Fläche, aber auch von den Verjüngungsbedingungen. Aktuell besteht in der Naturschutzpolitik eindeutig Vorrang für die «Sicherung der Natur aus erster Hand». Gleichzeitig besteht der Trend, alles daran zu setzen, «Natur» zusätzlich zu gewinnen. 
Bernhard Nievergelt Naturschutz als Daueraufgabe. Der Weg zu einem Naturschutz-Gesamtkonzept für den Kanton Zürich 240-248
  Mit dem Naturschutz-Gesamtkonzept werden klare Ziele für den Naturschutz im Kanton Zürich formuliert. Erfordernisse und Massnahmen beschrieben und fachliche, zeitliche und räumliche Prioritäten gesetzt. Im vorliegenden Beitrag werden Erfahrungen während der Projektarbeit für die Akzeptanz des Naturschutzes beschrieben. Von besonderer Bedeutung ist es, die mit dem interdisziplinären Charakter der Naturschutzaufgabe verbundenen Anforderungen bewusst wahrzunehmen. Mit überlagernden Zuständigkeiten oder andern geeigneten Randbedingungen gilt es, zielorientiertes, gemeinsames Denken und Handeln in Forschung, Verwaltung und im praktischen Naturschutz zu fördern und zu sichern. 
Hans Richner Der Mensch im Einflussbereich von Wetter und Klima 249-259
  Wetter und Klima können durch relativ wenige physikalische Grössen beschrieben werden. Für einige dieser Parameter ist klar, wie sie den menschlichen Organismus beeinflussen (z. B. Temperatur), bei anderen kennt man zwar ihre Effekte, weiss aber nicht genau, wie diese zustande kommen (z. B. Druckänderungen). Schliesslich gibt es physikalische Grössen, deren Wirkung auf unseren Organismus wissenschaftlich umstritten ist (z. B. elektrische Parameter). Die Disziplin, die sich mit diesen Aspekten befasst ist die Human-Biometeorologie, eine interdisziplinäre Wissenschaft, die es nicht ganz leicht hat: Einerseits wirkt sich immer der komplexe Wetter- oder Klimaakkord - also die Elemente in ihrer Gesamtheit - auf den Menschen aus, und andererseits wirken gleichzeitig eine grosse Zahl anderer Einflussgrössen auf ihn ein. Es ist deshalb schwierig, naturwissenschaftlich gesicherte Zusammenhänge zwischen einzelnen Elementen und unserem Befinden nachzuweisen. Dies gilt insbesondere für die Wetterfühligkeit unter der man im allgemeinen eine Vorfühligkeit versteht. 
Peter Niederer & Peter Boesiger Biomedizinische Technik: Minimal- und nichtinvasive Verfahren als technische Voraussetzung für neue Formen der Diagnostik und Therapie 260-271
  Minimal- und nichtinvasive Verfahren für die Diagnostik und Therapie haben in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung erfahren. Nebst besserer medizinischer Versorgung verspricht man sich längerfristig davon auch eine Verlangsamung des Anstiegs der Kosten im Gesundheitswesens. Zunächst wird exemplarisch gezeigt wie sich mit Hilfe der (nichtinvasiven) Magnetresonanztechnik neue diagnostische Ansätze bei Herz- und Kreislaufkrankheiten und bei der Untersuchung der Magenfunktionalität ergeben. Die Endoskopie ist sodann eine wichtige Voraussetzung zur Durchführung minimal invasiver Eingriffe, beispielsweise im Auge. Schliesslich werden zukünftige Entwicklungen der biomedizinischen Technik diskutiert. 
Walter Schaffner Möglichkeiten der Gentechnik 272-281
  Die Erbanlagen aller lebender Organismen sind in den Chromosomen als fadenförmige Moleküle (DNA) angelegt. Die DNA des Menschen z. B. enthält in 2 x 23 Chromosomen insgesamt 100 000 funktionelle Einheiten (= Erbfaktoren oder Gene). Seit über zwanzig Jahren ist es möglich, kleine definierte DNA-Abschnitte, z. B. ein einzelnes Gen, von höherentwickelten Organismen einschliesslich des Menschen, auf Bakterien zu übertragen. Diese sog. Gentechnik ist dabei, die Biologie und die Medizin zu revolutionieren. Die Diagnostik einer Vielzahl von infektiösen und anderen Erkrankungen ist bereits entscheidend verbessert worden. Zudem ist es gelungen, pharmazeutisch wichtige Proteine wie menschliches Wachstumshormon, Interferon und Impfstoffe in Bakterien oder Hefen in grossem Massstab herzustellen. Auch in höhere Organismen lassen sich mittlerweile Gene einbauen; dies resultiert in sog. transgenen Tieren und Pflanzen. In transgenen Mäusen werden menschliche Stoffwechselkrankheiten modellhaft rekonstruiert, was zu einer starken Reduktion der Versuche an grösseren Tieren führt Weitere Anwendungen der Gentechnik zeichnen sich bei der Verbesserung von Nutzpflanzen ab. Beim Menschen schliesslich sind hohe Erwartungen an die Gentherapie, d. h. die Behandlung von Krankheiten mittels definierter Gene, geknüpft. Dabei steht die sog. somatische Gentherapie im Vordergrund, bei welcher neue Gene in einen Teil der Körperzellen des Patienten eingeführt werden. Damit sollen vor allem Erbkrankheiten und Krebserkrankungen behandelt werden. Weltweit sind Hunderte von Vorversuchen im Gange, doch dürfte es noch 5-10 Jahre bis zur routinemässigen Anwendung der somatischen Gentherapie dauern. 
Hans Halter Zum Grundsatzstreit um die Gentechnologie 282-292
  Die Gentechnologie sah und sieht sich nach wie vor grossen Akzeptanzproblemen ausgesetzt, die auf ethische Einwände zurückgehen. Sie basieren auf der Überzeugung, dass Gentechnologie einem falschen Menschen- und Weltbild bzw Naturverständnis sowie fragwürdigen Interessen verpflichtet ist und aufs Ganze gesehen mehr Probleme schafft als lösen wird. Damit ein vernünftiges Gespräch zwischen Befürwortern und Kritikern der Gentechnologie zustande kommen kann, ist es wichtig, dass hüben und drüben auch selbstkritisch über die unterschiedlichen weltanschaulichen Voraussetzungen - besonders das Verständnis von und das Verhalten zur Natur - reflektiert wird, die für die Wertung der Gentechnologie und der Wissenschaft und Technik überhaupt vorentscheidend sind. Gegenüber der Gentechnologie ist nach einer nüchternen Reflexion der grundsätzlichen Pro- und Contra-Argumente als ethische Grundhaltung weder Glorifizierung noch Verteufelung, sondern eine kritische Befürwortung angemessen, die nach einer differenzierten ethischen Beurteilung der Forschungsziele und der verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten mitsamt ihrer Vermarktung. ruft 
Christian Kind Lebensfähigkeit kleiner Frühgeborener: Technische, ethische oder ökonomische Grenzen? 293-304
  In den letzten Jahrzehnten wurde die Grenze der Lebensfähigkeit kleiner Frühgeborener zu immer tieferen Schwangerschaftsaltern verschoben. Aufgrund der neuesten technologischen Fortschritte ist ein spontanes Ende dieser Entwicklung nicht abzusehen. Befürchtungen bezüglich hoher Behinderungsraten, zunehmender Technisierung des Lebensanfangs, Traumatisierung der Eltern und horrender Kosten lassen allerdings eine Begrenzung wünschbar erscheinen. Eine solche lässt sich auch auf verschiedenen Ebenen ethisch rechtfertigen. Im Einzelfall kann auf die Durchführung einer Therapie verzichtet werden, wenn bei sorgfältigem Abwägen die unvermeidlich damit verbundenen Schmerzen und Belastungen im Vergleich zum möglichen Gewinn an Lebensdauer und Lebensqualität unverhältnismässig hoch erscheinen. Eine strikte Begrenzung der neonatalen Intensivtherapie nach dem Gestationsalter scheint dagegen nicht adäquat. Der Verzicht auf die Einführung aufwendiger Therapieformen, die nur wenigen zu Gute kommen, kann ethisch sinnvoll sein, wenn dadurch die Mittelverteilung im Gesundheitswesen gerechter wird. Auf die Entwicklung und Einführung neuen, aufwendiger Verfahren, um noch wesentlich unreifere Frühgeborene am Leben zu erhalten, sollte verzichtet werden. Dagegen sollte die Forschung in der Neonatologie intensiver daraufabzielend, die Lebensqualität für die unter heutigen Bedingungen Überlebenden zu verbessern, statt noch kleinere Kinder zum Überleben zu bringen. 
Walter H. Hitzig Transplantationsmedizin 305-315
  Seit knapp 40 Jahren können Organe von einem Menschen auf den anderen übertragen werden. Früher hoffnungslos Kranke können dadurch neue aktive Lebensjahre gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, waren zwei Hindernisse zu überwinden: chirurgische Techniken mussten die präzise Einfügung des Organs in seine neue Umgebung ermöglichen, und man musste die natürliche immunologische Abstossung des fremden Gewebes teils durch Auswahl des Spender-Empfänger-Paars vermeiden, teils mit Medikamenten unterdrücken.
Die neuen technischen Möglichkeiten haben vielfältige neue juristische und ethische Probleme geschaffen. Bis die dringend erwünschten Gesetze geschaffen sind, können «Richtlinien» der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften eine nützliche Hilfe bieten.
Do not try to live for ever You will fail B. Shaw: The doctors dilemma, 1912 
Brigitte Woggon Psychopharmaka. Therapie oder Manipulation? 316-324
  Psychopharmaka sind Medikamente, die zur Therapie psychiatrischer Erkrankungen verwendet werden. Nach einer allgemeinen Übersicht über Definition und Wirkungsweise der Psychopharmaka wird am Beispiel der Depressionsbehandlung die im Titel gestellte Frage erläutert. Dabei zeigt sich, dass nicht die Anwendung von Antidepressiva, sondern ihre Nicht- und Falschanwendung als Manipulation der Patienten bezeichnet werden muss. Als wichtigste «Manipulations-Instrumente» werden das Vorenthalten richtiger und Geben falscher Informationen über vorhandene Therapiemöglichkeiten und deren Wirksamkeitsnachweis identifiziert. 
H.B. Stähelin Die alternde Gesellschaft. Demographische Konsequenzen des Fortschritts 325-335
  Zur Zeit der Gründung der Naturforschenden Gesellschaft Zürich erreichten nur 6 von 100 Personen ein Alter von über 60 Jahren. Mit der Entwicklung der Naturwissenschaften, der Industrialisierung und der sich daraus ergebenden technischen und sozialen Bedingungen nahm vor allem die Kindersterblichkeit, aber auch die Sterblichkeit im mittleren Erwachsenenalter zunehmend ab. Mehr und mehr Personen erleben ein hohes Alter. Die biologische Begrenzung der Lebensspanne - beim Menschen bei ca. 100 bis 120 Jahre - führt dazu dass der Tod mehr und mehr im letzten Lebenszyklusabschnitt, dem eigentlichen Senium, eintritt, das zudem durch Involution und chronische Krankheiten belastet wird. Hauptfaktoren dieser Entwicklung sind wachsendes Einkommen der Bevölkerung, Fortschritte der Medizin und Verbesserungen im öffentlichen Gesundheitswesen, der Hygiene und Kenntnisse in der Bevölkerung. Mit der rasch wachsenden Zahl alter und sehr alter Personen wächst die Nachfrage nach entsprechenden Dienstleistungen bei Krankheit und Hilfsbedürftigkeit. Ziel der medizinischen Bemühungen ist der Erhalt der individuellen Autonomie durch präventive, kurative und rehabilitative Massnahmen. Aus der Tatsache, dass der Mensch heute die ihm gegebene biologische Lebensspanne auch auslebt, zu schliessen, dass die Welt einer Überalterung zustrebt, ist indessen falsch. Die Verschiebung zwischen jung und alt ist Folge des Rückgangs der Geburtenrate und der höheren Lebenserwartung. Für einen ökologisch tragbaren Fortbestand der Menschheit stellt das Bevölkerungswachstum die grösste Gefahr dar. Durch äussere Massnahmen die Lebensspanne des einzelnen zu verkürzen, widersprechen unserem humanistischen Erbe, in dessen Geist wir auch die Naturwissenschaften entwickelt haben. Voraussetzung für die heute mögliche ökonomische und soziale Freiheit des alten Menschen ist aber seine Gesundheit. 

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