An die Zürcherische Jugend auf das Jahr 1835, XXXVII. Stück ;  10S., 1 Litho

Die Ratten

H.R. Schinz zugeschrieben
 
Wanderratte, Hausratte, R. norvegicus, R.rattus Jedermann bei uns kennt die Ratte; was die Hausmaus im Kleinen, das ist die Ratte im Großen und Groben,   Die Farbe ist dunkel schiefergrau, das Haar sehr grob, der Schwanz lang und schuppig, aber nichts weniger als kahl. Die Schuppen liegen in Ringen und der ganze Schwanz ist mit kurzen, steifen Haaren, zwar nicht dicht, bedeckt, wodurch er ganz rauh wird, so daß man nicht ohne Widerstand von der Schwanzspitze gegen den Leib hin mit den Fingern fahren kann. So unbedeutend dies beim ersten Anblick scheinen mag, so wichtig ist diese Bildung für die Lebensart des Thieres; denn durch diese Steifigkeit der Haare können die Mäuse, und besonders die Hausratten, an Mauern, unebenen Hölzern und Stricken, ziemlich schnell klettern und so in die Höhe gelangen; verlieren sie den Schwanz, so müssen sie am Boden bleiben.
Man findet nicht ganz selten, doch seltener als bei den Hausmäusen, ganz weiße Ratten, mit rothen Augen, welche aber nichts sind, als von der Weißsucht befallene Thiere, wie man sie bei fast allen Arten von Säugethieren und Vögeln, ja selbst bei Menschen findet.  Da die Hausratte sich an unreinlichen Orten, neben Abtritten, Miststätten, in Kellerlöchern und feuchten Mauergängen aufhält, so verbreitet sie einen unangenehmen, moderigen Geruch, der an den Händen hängen bleibt, wenn man eine Ratte berührt. Vielleicht rührt dieser Geruch auch von dem Urin her, welcher fast bey allen Gattungen der Nagethiere sehr stark und widerlich riecht.
Ein ganz anderes Thier ist die braune Wanderratte; sie ist viel größer als die Hausratte, auch viel gefräßiger und kühner daher auch viel schädlicher. Diese Ratte ist wandernd, daher ihr Name, und man kann ihre Wanderungen geschichtlich nachweisen. Ihr wahres Vaterland ist höchst wahrscheinlich Persien oder Indien. Erst im vorigen Jahrhundert wurde sie in Europa bekannt, Linneus kannte sie noch nicht. Sie kamen wahrscheinlich über Sibirien nach Rußland, und verbreiteten sich langsam, aber immer vorwärts wandernd, über Europa. Im Jahr 1738 bis 1740 hat man sie zuerst in Paris bemerkt; man glaubte, sie seyen durch ein Schiff nach der Provence gebracht worden, In England bemerkte man sie 1730, in Pommern erst 1784. Ihre Wanderungen m Deutschland giengen vom Harz aus nach Osten an die Saale und Elbe. Seit wenigen Jahren sind sie auch in die Schweiz eingewandert, und in den Kantonen St. Gallen, Thurgau und Schaffhausen angekommen und so hart an unseren Gränzen. Wo sie hinkommen, wandern die schwarzen Hausratten vor ihnen aus, und verschwinden. Daher ist die Hausratte in einem großen Theile Deutschlands gänzlich verschwunden, und ihre Bälge werden für Sammlungen bereits ziemlich theuer verkauft. Wo die Wanderratte hinkommt, bemerkt man bald ihre Verwüstungen durch ihre Gefräßigkeit.
Man sieht sie oft des Nachts bei Mondenschein über die Dächer nach den Kornböden ziehen. Sie fressen nicht bloß das Korn, sondern tragen es auch in ihren Haaren weg. Sie sträuben nämlich unter einem Haufen Korn oder Hafer das Haar, und lassen die Körner hineinfallen, schließen dann das Haar wieder, laufen in ihre Löcher und schütteln sich. In Pferdeställen fressen sie den Hafer aus der Krippe und beißen oft die Pferde vom Fressen ab. Man hat gesehen, daß sie den Pferden den Huf annagten und den Schweinen Löcher in den Speck fraßen. In Kellern und Vorratskammern fressen sie Milch, Fleisch, Speck, Butter, Käse, Wurzeln, Obst, besonders Unschlitt und Oel. Man hat mehrere Beispiele, wo Brände in Häusern und Ställen dadurch entstanden, daß die Ratten brennende Lichter, die man hatte stehen lassen, fortschleppten. Sie wissen das Oel aus den Gefäßen, auch wenn sie enge sind, sehr gut zu bekommen:  sie strecken die Schwänze hinein und ziehen sie dann durch den Mund.
– Dann wird es noch viel Schrecklicher mit einer Schilderung der Rattenplage in Paris. – Nach Schilderungen in Grzimek's Tierleben haben sie sogar den Tod von Hagenbeck'schen Elefanten verursacht. Als versöhnlicher Schluss folgt (schliesslich soll es eine Gabe an die zücherische Jugend sein): Die Hausmaus ist gleichsam nur eine verkleinerte Hausratte, ihr in der Lebensart gleich, aber viel niedlicher, zarter und zärtlicher, als sie. Reinliche nette Thiere sind besonders die weißen Mäuse, welche blendend weiß sind, und rothe Augen haben, und oft zum Vergnügen in Zimmern gehalten werden. Sie werden sehr zahm, vermehren sich im Zimmer, und wären noch viel anmuthiger, wenn nicht der fatale Geruch ihres Harns sie unangenehm machte.

Im Text wird eine gezähmte Wanderratte als Haustier erwähnt, welche mit Hund, Katze und Vogel aus demselben Napf frass.

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Beim Vergleich mit dem Biber von 1842, entstehen Zweifel an der Autorschaft.
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