Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich auf das Jahr 1866, Nr. 68.
(54S., 2 Lithos., 19 x 23.6cm, Druck: Zürcher und Furrer, Fraktur)
Die Pflanzen der Pfahlbauten
von Oswald Heer.

Seiten 1-5 vollständig
Seit der Veröffentlichung der Untersuchungen des Hrn.Dr.Ferdinand Keller über die Pfahl-
bauten dürfte es Jedermann bekannt sein, daß die ältesten, bis jetzt bekannten Bewohner
unseres Landes an den Seen gelebt und in einiger Entfernung vom Ufer im seichten Grunde
ausgedehnte Bauten ausgeführt haben. Mögen auch diese Wasserdörfer nicht die alleinigen
Wohnstätten, sondern vielleicht nur Seefestungen gewesen sein, welche gegen Menschen und
Thiere ein mehr gesichertes Unterkommen darboten, so unterliegt hoch keinem Zweifel, daß sie für
längere Zeit bewohnt waren, daher keineswegs nur zu Aufbewahrung der Vorräthe gedient
haben können. Es geht dieß aus der großen Masse von Küchenabfällen hervor, welche man im
Schlamme zwischen den Pfählen gefunden hat. Außerdem entdeckte man auf dem alten See-
boden eine Menge Gegenstände, welche theils zufällig, theils bei Zerstörung dieser Dorf-
schaften in den Schlamm des See's gelangten und später durch Bildung eines mehrere Fuß
dicken Torflagers, welches nun die Kulturschicht überkleidet, vor dem Verschwemmen geschützt
wurden. Aus diesen mit großer Sorgfalt gesammelten und untersuchten Resten wurden die
alten Pfahlbauten geistig wieder aufgebaut, so daß wir ein deutliches Bild von denselben uns

verschaffen können. Wir können die Pfähle, welche zu Tausenden noch zu sehen sind, in Ge-
danken wieder mit dem Holzboden überziehen, denn es liegen uns an verschiedenen Stellen noch
einzelne Muster vor; wir können auf dieselben die Hütten errichten, von deren geflochtenen
und mit Lehm überzogenen Wänden einzelne Reste aus dem Schlamme gezogen wurden.
Wie die Möbel dieser Holzhäuser ausgesehen haben, wissen wir freilich nicht genauer (wir
kennen erst hölzerne Bänke und Haken zum aufhängen der Kleider), doch zeigen die schön ge-
flochtenen, aus Bast und Stroh gefertigten Matten, welche wahrscheinlich zur Bekleidung der
Stühle, vielleicht auch der Wände und des Fußbodens gedient haben, daß ihnen ein gewisser
Comfort nicht gefehlt hat.  Waren auch den Pfahlbauern der ersten Zeit die Metalle noch
unbekannt, so wußten sie sich doch aus Stein, Horn, Knochen und Holz mannigfache Geräthe
und Waffen zu verfertigen, welche zur Vertheidigung und zu Beschaffung und Aufbewahrung
der Nahrung, zum Bau der Wohnung und zu Herstellung ihrer Kleider gedient haben. Hat
man ja selbst von den Webstühlen, welche zur Fertigung der leinenen (Gewebe dienten, einzelne
Bestandtheile aufgefunden. Die Anfänge unserer Industrie reichen daher bis in diese fernen
Zeiten hinauf. Diese setzen Viehzucht und Ackerbau voraus, von denen uns die Pflanzen- und
Thierreste unzweifelhafte Kunde brachten, Wohl mag das Land noch großentheils mit Urwald
bedeckt gewesen sein, doch weideten an ausgerodeten Stellen zahlreiche Herden von Hornvieh,
von Ziegen und Schafen. Die Wohnung bewachte schon damals der treue Haushund, doch
ertönte noch kein Hahnenruf auf diesen Wasserdörfern und den einsamen Gehöften des Landes,
denn das Federvieh war noch nicht bekannt.
Es ist diese Thierwelt von Hrn. Prof. Rütimeyer aus den zahlreichen Knochenresten
in meisterhafter Weise ermittelt worden *), während die ausgezeichneten Arbeiten des Hrn. Dr. F.
Keller**) durch Darstellung einer überraschenden Fülle von Gegenständen aller Art uns mit
der Kultur und Lebensweise dieses merkwürdigen Volkes bekannt gemacht haben. So wichtig
und umfassend auch diese Arbeiten sind, bleiben doch noch viele Fragen ungelöst. So wissen
wir noch nicht, woher dieses Volk gekommen, mit welchen Völkern es in Verkehr gestanden und
in welche Zeitepoche seine Entwicklung einzureihen sei.  Es müssen daher alle Dokumente,
welche dazu dienen können, Licht in dieses Dunkel zu bringen, sorgfältig gesammelt werden,
indem man durch ein umsichtiges Zusammenstellen derselben nach und nach der Lösung
dieser schwierigen Fragen näher kommen wird.  Ein solches Document, welches zur Zeit noch

*) Rütimeyer Untersuchung der Thierreste aus den Pfahlbauten der Schweiz, Zürich 1860. Die
Fauna der Pfahlbauten der Schweiz. 1861.
**) Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft. IX. II. 3. 1854. XII. 3. 1858. XIII. 3.
1860. XIV. 1. 1861. XIV. 6. 1863.
Diesen Arbeiten reihen sich an: Fr. Troyon, habitations lacustres. Lausanne 1860 und zahl-
reiche Abhandlungen von Morlot, Desor, Lubbock, Gastaldi, Strobel, Pigorini u. a.

 nicht genügend berücksichtigt worden ist, bilden die Pflanzen der Pfahlbauten, daher wir eine
Schilderung derselben versuchen wollen, so weit sie sich aus den Resten beurtheilen lassen, welche
uns aufbewahrt wurden.
Sie liegen theils im Seeschlamme, theils unter einer mehrere Fuß mächtigen Torfschicht
begraben. Hier müssen sie aus einem weichen, dunkelfarbigen Schlamme, welcher den alten
Seeboden (die sogenannte (Culturschicht) bildet, hervorgesucht werden. Steine und Scherben,
Hausgeräthe und Holzkohle Getreidekörner und Knochen liegen hier bunt durcheinander. Doch
sind sie keineswegs über den Boden gleichmäßig vertheilt, sondern finden sich nicht selten nester-
weise beisammen. Die Stellen, wo viele Knochenreste, wo die Samen von Himbeeren und
Brommbeeren, die Fruchtsteine von Schlehen und Kirschen zu ganzen Haufen beisammen sind, be-
zeichnen wahrscheinlich die Stellen, wo Oeffnungen im Holzboden sich befanden, durch welche
die Abfälle in den See gelangten, während die Punkte, an welchen verkohlte Früchte, Brod,
Geflechte und Gewebe sich fanden, auf Vorrathskammern weisen, welche an jener Stelle der
Pfahlbaute sich befanden, als sie durch Brand zerstört wurde und dort in's Wasser fielen. Die
verkohlten Früchte und Samen rühren daher unzweifelhaft aus der Pfahlbautenzeit und sind
zum Theil vortrefflich erhalten, indem der Verkohlungsprozeß ihre Form nicht wesentlich
verändert hat. Es gilt dieß von den Aepfeln, wie den Getreidearten, bei welch'  letztern die
Rindenschicht meistens weder aufgesprungen, noch zusammengeschrumpft ist. Viele Pflanzen-
reste sind indessen auch im unverkohlten Zustande uns erholten worden. Da aber beim Heraus-
ziehen derselben aus dem Schlamm der Kulturschicht leicht Pflanzenreste und Gesäme des um-
gebenden Ufers sich beimischen können, bedürfen dieselben einer  sorgfältigen Sichtung.
Glücklicher Weise haben wir ein Mittel, um die alten Samen und Früchte von denen der
Ortzeit zu unterscheiden. Das innere des Samens (Keim und (Eiweiß) ist nämlich bei den
erstern verschwunden und nur die aus verholzten Zellen gebildeten Samenschalen oder Frucht-
gehäuse sind geblieben, daher alle Versuche, sie zum keimen zu bringen, nutzlos sind. So
sind die Samen der Himbeeren, Melden, Seerosen n. s. w. inwendig hohl und nur ein braunes
Pulver bezeichnet zuweilen noch die Reste des frühem Inhaltes; dasselbe gilt von den Frucht-
steinen der Kirschen und Schlehen, von den Haselnüssen, dem Cornel, den Laichkräutern u.a.m.

Die meisten Früchte und Samen hat Robenhausen (am Pfäffiker See) geliefert. Wir
verdanken dieselben sämmtlich den eben so eifrig als einsichtig und gewissenhaft betriebenen
Nachgrabungen des Hrn. Jakob Messikomer in Wetzikon*), welchem die Wissenschaft
viele wichtige Funde zu verdanken hat. Aus der Pfahlbaute Moosseedorf bei Münchenbuchsee,
Kanton Bern, hat mir Hr. Dr. Uhlmann eine sehr werthvolle Sammlung von Pflanzen-

*) Eine vollständige Sammlung solcher Pflanzenreste besitzt das botanische Museum des Poly-
technikums

resten zur Untersuchung anvertraut, aus den Niederlassungen vom Bieler- und Murtnersee und
von Wangen sind mir von den HH. Oberst Schwab, Gillieron und Löhle gesammelte
Gegenstände zugekommen.
Moosseedorf, Wangen und Greing (am Murtnersee) gehören der ältesten, der sogenannten
Steinzeit an; Robenhausen wird ebenfalls noch zu dieser gerechnet, doch liegt die oberste
Niederlassung (es werden daselbst drei übereinanderfolgende unterschieden) an der Grenze des
Bronze-Zeitalters, dem Meilen, Montelier (am Murtnersee) und die meisten Pfahl-
bauten am Neuchâtellersee, wahrscheinlich auch die Fundstätte der Getreidearten der Petersinsel,
ferner Castione bei Parma angehören. Die Pfahlbaute von Marin (am Neuchâtellersee) wird
als die jüngste betrachtet, indem sie durch ihr Eisengeräthe und gebrannten Ziegel auf eine
spätere Zeit weist und zeigt, daß in der westlichen Schweiz an einzelnen Stellen die Gewohnheit,
die Wohnungen über dem Wasser aufzuschlagen, sich viel länger, vielleicht bis in die helvetisch-
römische Zeit hinab, erhalten hat.
Im Ganzen sind bis jetzt 115 Pflanzenarten aus den Pfahlbauten uns bekannt geworden,
welche wir nach ihren Beziehungen zum Menschen zusammenstellen wollen.
1. Die Getreidearten und der Kornbau der Pfahlbauern.
Verkohlte Getreidekörner gehören zu den häufigsten Vorkommnissen der Pfahlbauten. Die
Weizenkörner sind frei, wogegen die Gerste meist noch von den innern Spelzen umgeben ist.
Selten sind die Körner noch in den Aehrchen vereinigt und noch seltener haben ganze Aehren
sich erhalten. Doch haben wir von den meisten Arten so große Aehrenstücke bekommen, daß
wir die Form der ganzen Aehren daraus ermitteln können. Der vorliegende Holzschnitt stellt
die wichtigsten Getreidearten unserer Pfahlbauten in dieser Weise vervollständigt .und in halber
natürlicher Größe dar. Wir erblicken da zwei Sorten Gerste, drei Weizen und zwei Hirsearten ;
fügen wir denselben noch das Einkorn, den Binkelweizen und die zweizeilige Gerste hinzu, so
erhalten wir ein vollständiges Bild der schon zur Steinzeit angebauten Getreidearten. Es ist
gewiß sehr beachtenswerth, daß  schon in so früher Zeit zehn verschiedene Formen von Brod-
früchten in unserm Lande angebaut wurden und läßt uns nicht zweifeln, daß der Ackerbau schon
damals in großem Umfang und mit Sorgfalt betrieben wurde. Die beiden Hauptgetreidearten
sind die kleine sechszeilige Gerste (Fig. 3) und der kleine Pfahlbauweizen (Fig. l). Wir finden
diese in fast allen Pfahlbauten theils in einzelnen Körnern, theils zu großen Klumpen vereinigt.
Trotz der Kleinheit der Körner müssen sie sehr beliebt gewesen sein, denn wir treffen sie nicht
allein in den ältesten Pfalbauten der Steinzeit, sondern auch im Zeitalter der Bronze, und den
kleinen Pfahlbauweizen, selbst bis in die gallo-römische Zeit, während sie später verschwunden
sind. Wahrscheinlich hat der Mehlreichthum der Körner ihre geringe Größe aufgewogen, denn
wir wissen, dass in der Jetztzeit der ähnlichste kleine Sommerweizen ein sehr hartes und Mehl-
reiches Korn giebt.

Getreidearten Steinzeit
Getreide-Arten der  Pfahlbauten aus der Steinzeit
½  natürlicher Größe.
1. Kleiner Pfahlbauweizen (Triticum vulgare antiquorum). 2. Dichte sechszeilige Gerste  (Hor-
deum hexastichum densum). 3. kleine sechszeilige Gerste (H. hexastichum sanctum). 4. Aegyptischer
Weizen (Triticum turgidum L.). 5. Emmer (Tr. dicoccum Schr.) 6. Rispenhirse (Panicum milia-
ceum L.) 7. Kolbenhirse, Fennich (Setaria italica).

Erwähnte Pflanzen ohne den Begleittext
Getreidearten:
1. kleine sechszeilige Gerste (H. hexastichum sanctum).
2. dichte sechszeilige Gerste  (Hordeum hexastichum densum).
3. zweizeilige Gerste (Hordeum distichum L.)
4. Kleiner Pfahlbauweizen (Triticum vulgare antiquorum).
5. Binkelweizen (Triticum vulgare compactum muticum)
6. Aegyptischer Weizen (Triticum turgidum L.).
7 Spelt (Triticum Spelta L.)
8. Phalbauer-Emmer (Triticum dicoccum Schrank.)
9. Einkorn (Triticum monococcum L.)
10. Roggen (Secale cereale L.)
11. Hafer (Avena sativa L.)
12. Rispenhirse (Panicum miliaceum L.)
13. Kolbenhirse, Fennich (Setaria italica).
Unkräuter: Giftloch (Lolium temulentum L.), Weisse Melde (Chenopodium album L.), vielsamige Melde (Ch. polyspermum L.), rothe Melde (Ch. rubrum L.),  gestreiftsamige Melde (Ch. sp.), grosse Klette (Lappa major L.), Kornrade (Agrostemma githago L.) , Lychnis vespertina, Silene cretica, Stellaria media, Spergula pentandra, Arenaria serpyllifolia, Galium Aparine, Ranunculus repens, Medicago minima, Centaurea cyanus (alle Linné).
Nach Brockmann-Jerosch, Neujahrsblatt 1921, ist allerdings die Melde zu den Gemüsen zu zählen.
Gemüse: Pastinak (Pastinaca sativa L.), Möhre (Daucus carota L.), keltische ZwergAckerbohne (Faba vulgaris Mch var. celtica nana), Erbse (Pisum sativum L. var.), Linse (Ervum Lens L.),
Obst und Beeren: Aepfel (Pyrus malus L.) (kleiner Holzapfel und runder Pfahlbauapfel), Birne (Pyrus communis L.) sehr selten, Mehlbeere (Pyrus aria L.), Kirsche (Prunus avium L.) zwei Sorten Süsskirschen, Pflaumen (Prunus institia L.)  etwa  spp. avenaria, Schlehe (Prunus spinosa L.), Traubenkirsche (Prunus padus L.), inkl. petrea, Felsenkirsche (Pr. Mahaleb L.), Weinrebe (Vitis vinifera L.) Parma!, Him-, Brombeeren (Rubus idaeus, R. fructiosus L.), Erdbeere (Fragaria vesca), Hagenbutten (Rosa canina), Hollunder (Sambucus nigra), Attich (Sambucus Edulis),  Heidelbeeere, Preisselbeere (Vacc. myrtillus und V. vitis idaea)
Nüsse: Haselnuss (Corylus avellana), Buchnüsse (Fagus sylvatica), Baumnuss (Juglans regia) Parma, Eisenzeit, Wassernuss (Trapa natans).
Oelpflanzen: Gartenmohn (Papaver somniferum var. antiquum),  Hartriegel (Cornus sanguineum) evt. für Oel.
Bast- und Gespinnstpflanzen: Flachs (Linum angustifolium Huds.), Linden (Tilia grandifolia, T. parvifolia).
Farbpflanzen: Wau (Reseda lutea L.) wird vermutet für Gelb.
Waldbäume und Sträucher: Pinus sylvestris, Pinus montana, Fichte, Weisstanne, Wachholder, Eibe, Quercus robur, Hainbuche, Schwarzerle, Salix repens, S.cinera?, Esche, Mistel, Stechpalme, Paffenkäppchen, Ramnus frangula, Acer sp., Sorbus aucuparia.
Moose und Farne: Antitricha curtipendula Dill. sp., Neckera complanata und C. crispa Dill., Thuidium delicatum, Anomodon viticulosus, Leucodon sciuroides, Hyclomonium brevirostre.  Pteris aquilina
Pilze zum Feuermachen: Polyporus igniarius, Daedalia quercina.
Wasser und Sumpfpflanzen: Chara vulgaris foetida, Phragmites communis, Scirpus lacustris, Carices, Scheuchzeria palustris, Iris pseudacorus, Potamogeton perfoliatus, P. compressus, P. natans, P. fluitans, Ceratophyllum demersum, Alisma Plantago, Polygonum Hdropiper, Galium palustre, Menyanthes trifoliata, Pedicularis palustris, Hydrocotyle vulgaris,  Peucedanum palustre, Nympaea alba, Nuphar luteum, N. pumilum?, Ranunculus aquatilis, R. flammula, R. lingua.

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