Neujahrsblatt herausgegeben von der Naturforschenden Gesellschaft auf das Jahr 1871
LXXIII; 51S. 1 Karte, 4Tafeln
Die Wasserverhältnisse der Stadt Zürich und ihrer Umgebung.
Bearbeitet von  Dr. Arnold Escher von der Linth, Professor
und Arnold Bürkli, Stadtingenieur.
Mit einer Karte in Farbendruck und vier Tafeln.
Zürich, Gedruckt bei Zürcher und Furrer.1871

German only.
Geology, groundwater and wells of Zurich.
The theory of Pettenkofer on cholera and typhus, caused by rising groundwater level, which is pushing the putrid air out of the ground, is falsified in this paper for Zurich with anticoincidences. Sewer constructions and building of a safe drinking water system started.
Cholera bacteria were discovered by R. Koch twelve years later. 
 

Inhalt:
Einleitung
I. die geologische Beschaffenheit des Bodens
II Allgemeine Bemerkungen über Quellen und Grundwasser
1. Ursprung des Wassers
2. Bildung der Quellen
3. Grundwasser
III Die Wasserverhältnisse Zürichs
 

 

EINLEITUNG.
Wenn schon im letzten Neujahrsblatt der naturforschenden Gesellschaft das Wasser mit den in ihm lebenden Geschöpfen den Behandlungsgegenstand bildete und es auch diessmal wieder in seinem Verhältniss zum Boden, auf dem wir uns befinden, die Grundlage unserer Betrachtung abgeben soll, dürfte sich diess durch die Bedeutung rechtfertigen, welche dem Wasser in dem grossen Haushalt der Natur sowohl als in dem kleinen der einzelnen Menschen zukömmt. Hört ja einerseits ohne Wasser alles Leben auf, und ermöglicht anderseits nur ein reichlicher Gebrauch des Wassers jene Reinlichkeit, welche so sehr auf die körperlichen und geistigen Eigenschaften der Menschen von Einfluss ist.  Aber selbst über diese mehr directe Wirkung hinaus wird in neuerer Zeit dem im Boden enthaltenen Wasser ein auf die Gesundheit des Menschen und auf seine Empfänglichkeit für verschiedene Krankheiten entscheidender Einfluss zugeschrieben und wird das Auftreten oder das Ausbleiben der in der Gegenwart so viel gefürchteten Krankheiten, der Cholera und des Typhus, mit den Feuchtigkeitsverhältnissen des Bodens, auf dem unsere Wohnungen stehen, in Verbindung gebracht.
In den nachfolgenden Blättern soll nun das Erscheinen und Verhalten des Wassers auf der Erdoberfläche wie es sich in den Quellen, dem Grundwasser und den offenen Wasserläufen der Umgebungen Zürichs darstellt, näher erörtert werden.  Von entscheidender Wichtigkeit dabei ist die geologische Bodenbeschaffenheit, deren Kenntniss der unbedingt nothwendige Ausgangspunkt für die Betrachtung der Feuchtigkeitsverhältnisse einer Gegend ist, daher eine Darstellung des Bodens, auf welchem sich Zürich angesiedelt hat, und der eingreifenden Veränderungen, durch welche dessen Terrain zu seiner jetzigen Gestalt und Beschaffenheit gelangt ist, nothwendig jener der Wasserverhältnisse vorausgehen muss.

1. Die geologische Beschaffenheit des Bodens.
Schon in unserm Neujahrsblatt für 1862 wurde dargethan, dass das Innere des Zürichberg-Pfannenstiel-Zug, und des Uetliberg-Schnabel-Rückens, mit Ausnahme der obersten Uetlikuppe, aus wechselnden Schichten hauptsächlich von Sandstein und Mergeln bestehen, deren übereinstimmender Gesteinscharacter und durchgehends gleichförmige wagrechte oder fast wagrechte Lage bestimmt darauf hinweisen, dass diese Bänke ursprünglich unmittelbar zusammengehangen haben, und dass ihre Oberfläche eine Ebene bildete, welche sich zufolge ähnlichen Beobachtungen in andern Gegenden über das ganze zwischen den Alpen und dem Jura befindliche Land und weit über die Schweiz hinaus nach West-Süd-West und nach Ost-Nord-Ost erstreckte.  Diese Gesteine, Molasse genannt, und der obern, neuem Abtheilung der Tertiär-Periode, dem sogenannten Miocän, angehörig, wurden später, wahrscheinlich zur Pliocän-Zeit, dem jüngsten Abschnitt der Tertiär-Zeit, oder bei Beginn der Quartär-Periode in Folge von mächtigen, andauernden Bewegungen, die in den Alpen und im Jura statt fanden, in der Nähe dieser Gebirgsketten ebenfalls aufgerichtet, theilweise zusammengequetscht; in der mittlern Gegend der jetzigen hügeligen Schweiz blieben sie dagegen ungestört in fast oder ganz horizontaler Lage.
Es ist nun nicht unwahrscheinlich, dass bei diesen Bewegungen, namentlich von den Alpen her Spalten entstanden, welche, vorherrschend von Süd-Ost gegen Nord-West gerichtet, sich mehr und minder weit in das Gebiet der Molasse hinein erstreckten und, verbunden mit der allgemeinen Bodensenkung gegen die Aare und den Rhein hin, den von den Alpen abfliessenden Gewässern die Hauptrichtung für ihre erodirende oder wegfegende und ausgrabende Thätigkeit bezeichneten.
Durch solche vereinigte Wirkung von Spalten und Erosion wären also die als Thäler sich darstellenden Lücken zwischen unsern Molasse-Bergen und -Hügeln, den stehen gebliebenen Ueberresten der ehemaligen Hochfläche, entstanden, so auch das Thal des Zürichsees und der Limmat.
Erschrickt nun auch die Phantasie vor einem Processe, der sämmtliches Molasse-Material wegführte, welches zwischen dem Albis- und dem Pfannenstiel-Zuge vorhanden gewesen sein muss, bis zur oder vielmehr bis unter die Sohle des Zürichsees hinab, da das Senkblei gerade an den tiefsten Stellen kein Molassegestein, sondern nur neuen Schlamm erreicht hat, so ist anderseits zu bedenken, dass wir die Dauer dieser Erosions-Periode durchaus nicht bestimmen können und wollen uns in dieser Hinsicht an das alte, der Natur-Beobachtung entnommene Sprichwort erinnern «der Tropfen höhlt den Stein aus». Jedoch stossen wir auch bei Annahme dieser Erklärung gerade beim Zürichsee doch noch auf eine Schwierigkeit; seine grösste 142 Meter betragende Tiefe befindet sich nämlich zwischen Herliberg und Thalweil d. h. in einer Gegend, in welche alpine Spalten sich wohl nicht erstreckt haben; der Tropfen aber höhlt den Stein nur bis auf diejenige Tiefe aus , von der das Wasser noch abfliesst. Hat das Wasser aber kein Gefäll mehr, so hört seine erodirende Kraft auf.  Nun wissen wir allerdings nicht, in welcher Tiefe unter der Sohle des See's und unter der Oberfläche der Limmat gegen Baden hinab das Molasse-Gestein vorhanden ist. Theils das zu Tagegehen von ganz normal wagrecht liegender Molasse im Burghölzli, im Nebelbach und in der Karthüs im Riesbach, im Hombach bei der Seidenzwirnerei und vom Drahtzug an aufwärts, in der Klus, auf der Fläche des Polytechnikums und im Abhang gegen den Hirschen- und Seilergraben und den Weinberg, am Limmatufer selbst, gerade thalauf vom Drahtschmidli (entblösst gewesen im Jahr 1860), deren Zusammenhang nur verdeckt ist durch die anderwärts vorhandene Schuttdecke, theils die allmälige und regelmässige Tiefenabnahme des See's (s. die topogr. Karte) von seiner tiefsten Stelle zwischen Herliberg und Thalweil bis zum Ausflusse der Limmat sprechen aber nicht gerade dafür, dass thalab von dieser Stelle der ursprüngliche Boden des See's durch herbeigeschwemmten Schlamm in ansteigendem Maasse um mehr als 142 Meter d.h. um den Betrag der grössten Seetiefe erhöht worden sei; der mittlere Wasserspiegel des See's befindet sich nämlich nach der topogr. Karte 408,6 Meter, der tiefste Punkt des See's 266 Meter ob dem Meere.
Sehen wir ferner beim Seminar Wettingen, etwa 365 Meter ob Meer, beide Ufer und das Bett der Limmat aus Molasse-Fels bestehen, der ohne Zweifel ohne Unterbrechung unter dem Wettingerfelde durch in die Grundlage des Sultberges fortsetzt, so ergibt es sich als unmöglich, dass jemals ein Stromschlund existirt habe, der bei Zürich um mehr als 140 Meter unter das jetzige Niveau der Limmat hinabgereicht hätte, bei Wettingen unter das Felsenbett der Limmat um 99 Meter, selbst ganz abgesehen vom nöthigen Gefälle, das gegenwärtig zwischen Zürich und Wettingen ungefähr 43 Meter beträgt.
Wir könnten freilich auch annehmen, dass der Zürichsee einst bis zum Felsenbett bei Wettingen hingereicht und letzteres damals sammt seiner Umgebung um 99 Meter tiefer gelegen habe, seither aber um diesen Betrag aufwärts gestiegen sei, oder wir könnten, was auf das Gleiche herauskömmt, voraussetzen, dass der Boden des Zürichsee's um diesen Betrag gesunken sei, oder dass diese 99 Meter sich auf eine Hebung bei Wettingen und auf ein Einsinken des Zünchseebodens vertheilen. In allen diesen Fällen wäre der See durch die jüngeren, in der Folge zu betrachtenden, Alluvionen um die Strecke von Wettingen bis Zürich hinauf verkürzt und sein Niveau um die nöthigen 142 Meter aufgestaut worden. (99 Meter und 43 Meter Gefäll, welch letzteres die Alluvionen sich selbst gegeben hätten.)
Da es aber gegenwärtig an andern, directen Beweisen fehlt, dass solche Bodenschwankungen seit der hier in Betracht kommenden Periode stattgefunden haben, so lassen sich auch die Ursachen nicht mit Bestimmtheit angeben, die neben und ausser der Wasser-Erosion bei der Bildung des Zürichseethals mitgewirkt haben; im höchsten Grade unwahrscheinlich ist aber die namentlich von englischen Naturforschern aufgestellte Ansicht, dass das Seebecken durch Gletscherwirkung ausgewühlt worden sei.

.Jüngere oder quartäre Ablagerungen. - Ist es obigen Angaben zufolge unmöglich, dass die Limmat als Strom bei Zürich in einem 140 Meter tiefern Bett geflossen ist, und ungewiss, ob der See sich in einem wesentlich tiefern Niveau bis Wettingen hinab erstreckt habe, so weist doch das Grien des Silfeldes, dessen Mächtigkeit jedenfalls 10 Meter überschreitet, da Sodbrunnen von annähernd dieser Tiefe sich ganz in ihm befinden, darauf hin, dass das ursprüngliche Molassebett sich noch etwas tiefer befunden haben muss.  Ist dieser Schluss unabweislich, so drängt sich die Frage auf, wie es denn möglich sei, dass die dem aus Molasse bestehenden Kamme aufgesetzte oberste Uetlikuppe (Fig. 1) aus einem früher löchrige Nagelfluh genannten Conglomerat bestehen könne, das bestimmt jünger zu sein scheint als die Entstehung des Zürichsee-, des Reppisch- und des Reussthals. Dieses Conglomerat weicht nämlich in seiner Beschaffenheit wesentlich ab von der eigentlichen, der Molasse untergeordneten, Nagelfluh der Balderen Burgruine und des alten Uetliberghauses wie schon im Neujahrsheft 1862 auseinander gesetzt ist. Dagegen stimmt es sammt den begleitenden sandigen Schichten vollständig und namentlich auch hinsichtlich zahlreicher kleiner Schichtunregelmässigkeiten und des Vorkommens vieler eckiger und wenig abgerundeter Geschiebe vollständig überein mit den Conglomeraten von Alt-Wädenschweil, der Au, des Aathals, welche sämmtlich zwischen Molassebergen eingeschlossen als Ablagerungen sich darstellen, die jünger sind als die Bildung dieser Thäler. Wir werden daher darauf geführt auch das Conglomerat der Uetlikuppe als ein Gebilde zu betrachten, das ...
Am Ende des Kapitels sind Schätzungen zur Erosion: etwa 1 m pro 10000 Jahre. + chemische Erosion.
Das nächsteKapitel behandelt Niederschlagsmessungen (Zürich Sternwarte 1.053m,  Kuppe Uetliberg 0.885m, Messreihe 49Jahre) Lysimeter für die Versickerung. Geschwindigkeit des Grundwassers.

3. Grundwasser.
Hatten wir es in den Quellen mit dem wieder an die Oberfläche tretenden versickerten Wasser zu thun, so müssen wir es auch da betrachten, wo die Terraingestaltung derart ist, dass es in unmittelbarer Nähe nicht wieder zu Tage tritt, sondern seinen Weg unterirdisch bis zu irgend einem noch tiefer liegenden Ausflusspunkt fortsetzt. In diesem Falle versinkt das Wasser durch die obern Schichten bis auf eine gewisse Tiefe, in der es auf dort schon vorhandenes Wasser trifft, alle Poren des Bodens füllt und so ein unterirdisches Reservoir bildet, in welchem das Wasser wie iii einem See sich langsam fortbewegt.  Auch bei scheinbarer Ruhe findet immer eine Bewegung nach einer Ausflussstelle statt, da sonst bei dem fortwährenden Zufluss von versickertem Wasser der unterirdische Wasserspiegel immer steigen müsste. Dieser Wasserspiegel ist der in neuerer Zeit so vielfach genannte Grundwasserstand. Oberhalb desselben ist der Boden durch das auf der Oberfläche versickerte Wasser mehr oder weniger feucht, enthält jedoch in seinen Poren immerhin noch viel Luft; unterhalb des Wasserspiegels sind alle Poren mit Wasser erfüllt, das die Luft ausgetrieben hat. Bei seiner Bewegung nach der untersten Ausflussstelle findet das Grundwasser im Boden durch die Reibung bedeutenden Widerstand, der durch das Gefäll im Wasserspiegel überwunden werden muss. Je nach der Beschaffenheit des Bodens ist dieses Gefäll verschieden und kann dasselbe ebensowohl stärker wie schwächer sein als jenes der Boden-Oberfläche.  Dasselbe wächst mit der Wassermenge, welche letztere durch das Quantum des versickernden Wassers bestimmt wird, daher einem Steigen der Versickerungsmenge ein Steigen des Grundwassers folgen muss, das um so grösser ist, je weiter die Entfernung von der untersten Abflussstelle.
Der Stand des Grundwassers lässt sich am einfachsten durch den Wasserstand der Sodbrunnen bestimmen. Letzterer wird ziemlich jener Höhe entsprechen, wo die Poren des Bodens ganz mit Wasser gefüllt sind, allerdings um so viel tiefer liegen, als die Capillarität das Wasser in den feinen Poren des Bodens hebt.  Die Schwankungen des Wassers im Brunnen entsprechen ganz jenen des Grund-Wasserspiegels, sofern der Zufluss hinlänglich stark ist, um die Einwirkung des zufälligen Wasserschöpfens zu überwiegen.  Sofern man Sodbrunnen zu Grundwasserbeobachtungen benutzen will, muss man in der Auswahl allerdings vorsichtig sein, und sich hüten, in ziemlich wasserdichtem, einzelne Wasseradern enthaltenden Boden den Wasserstand eines durch eine solche Ader gespeisten Brunnens als Grundwasserstand anzusehen. In einem solchen Fall braucht nämlich der umgebende Boden durchaus nicht ganz mit Wasser erfüllt zu sein, sondern es findet von dem Brunnen wie von der wasserführenden Schicht aus eine langsame Filtration nach einem möglicher Weise viel tiefer liegenden Grundwasserspiegel statt.
War das Vorhandensein eines Grundwasserspiegels früher hauptsächlich nur durch die Möglichkeit der Erstellung von Sodbrunnen wichtig, so würde in neuerer Zeit nach der berühmten Pettenkofer'schen Grundwassertheorie in der relativen Höhe der Bodenoberfläche zum Grundwasserspiegel und namentlich in den Schwankungen der letztem  die Existenzbedingung für das epidemische Auftreten verschiedener Krankheiten namentlich der Cholera und des Typhus gesucht.
(Max Pettenkofer 1818-1901, 1883 von Pettenkofer)
In bewohnten Ortschaften fliessen dem Boden mit dem versickernden Wasser mancherlei Unreinigkeiten zu und versinken theilweise mit letzterem zum Grundwasserstand hinab; sie gehen dabei durch die noch theilweise mit Luft erfüllten Poren der oberen Schichten, welche bleibend über dem Grundwasserstand liegen, gelangen dann in eine Zone, welche zwischen den verschiedenen Grundwasserständen liegt, also bei hohem Wasserstand ganz mit Wasser, bei niedrigem dagegen theilweise mit Luft erfüllt ist, und mischen sich schliesslich unter dem niedrigsten Stand des Grundwassers letzterem bei.
Die für das Auftreten der Krankheiten bestimmende Ursache wird nun in dem Zersetzungs-und Fäulnissprocess dieser Verunreinigungen des Bodens und zwar in jener bald mit Luft bald mit Wasser erfüllten Zone gesucht.  In dem obern, beständig Luft enthaltenden Theil geht unter Mitwirkung der Luft eine ziemlich schnelle unschädliche Verwesung von Statten.  In der Tiefe unter dem Wasserstand, wo die Luft abgeschlossen ist, findet ein anderer Process statt, es geht die Zersetzung viel langsamer vor sich, was sich namentlich in Kirchhöfen beobachten lässt, in denen die Leichen unter Wasser liegen.  Dazwischen liegt nun jene Schicht, welche bald wassererfüllt bald nur feucht ist, und es lässt sich vermuthen, dass in dieser Schicht der stärkste Process vor sich gehe,  wie ja beispielsweise das Holz sich da lange erhält, wo es ganz trocken oder ganz nass ist, dagegen bei einem Wechsel dieser Zustände sehr schnell fault.  Diess gilt namentlich für die Zeit des fallenden Grundwassers, wo durchfeuchtete Theile neu der Zersetzung ausgesetzt werden, während bei einem Steigen das Wasser die Oberhand gewinnt, und die Zersetzung hindert. Dieser Zersetzungsprocess im Boden, wie er durch die Bodenfeuchtigkeit und namentlich durch deren Schwankungen bestimmt ist, wird nun als bedingendes Moment für das epidemische Auftreten der genannten Krankheiten angesehen.  Wie die Pflanzen im einen Klima gedeihen, im andern nicht, wie für sie die verschiedenen Jahreszeiten maassgebend sind, so soll gewissermassen der Grad der Bodenfeuchtigkeit, die Tiefe des Grundwassers, ähnlich dem Klima, die locale Empfänglichkeit bedingen, während die Schwankungen in der Feuchtigkeit oder im Grundwasser ähnlich den Jahreszeiten die zeitliche Empfänglichkeit bestimmen.  Es sind keineswegs die im Boden vor sich gehenden Zersetzungen selbst, welche die Krankheiten bilden, sie bereiten bloss das Feld für solche vor.  Es brauchen auch die Unreinigkeiten, welche als Träger der Gifte jener Krankheiten angesehen werden, keineswegs in die Tiefe des wechselnden Wasserstandes, ja überhaupt nicht in den Boden zu gelangen, sondern es braucht das eingeführte Gift nur günstige örtliche und zeitliche Grundwasserverhältnisse zu finden, um ein epidemisches Auftreten der Krankheit zu gestatten.
Es ist hier nicht der Platz, im Allgemeinen ein Urtheil über diese Theorie abzugeben; doch werden wir uns später fragen, ob sich dieselbe in unserer Gegend bisher bestätigt habe und gelangen dann allerdings zu dem Schlusse, dass diess nicht der Fall sei.
Grundwasser neben Flüssen. Noch bleibt uns übrig von dem Auftreten des Grundwassers längs der Flüsse, namentlich längs hochliegender eingedämmter Flüsse, zu sprechen.  Man dürfte verniuthen, es sei der ganze Boden bis auf die Höhe des Wasserspiegels mit Wasser durchdrungen, und stimme also der Grundwasserspiegel und der Wasserspiegel im Flusse überein, doch es ist diess keineswegs überall der Fall.
Klares Wasser bewegt sich frei und ununterbrochen durch die Poren des Bodens namentlich durch lockeren Kiesboden, nicht so das mehr oder weniger trübe Wasser.  Letzteres wird auf diesem Wege filtrirt.  Die in solchem schwebenden Unreinigkeiten werden bei der langsamen Bewegung des Wassers zurückgehalten und verstopfen schnell die Poren.  Diese Verstopfung geschieht sofort beim Eintritt in die filtrirende Schicht, so dass sich an der Oberfläche mit der Zeit eine annähernd wasserdichte Schicht bildet, welche ein ferneres Eindringen des Wassers verhindert.  Ein solches wird nur dann wieder stattfinden, wenn eine stärkere Strömung die wasserdichte Decke wegschwemmt und den reinen Boden blosslegt, oder wenn eine Bewegung in umgekehrter Richtung stattfindet, welche die Decke abhebt und auswischt.
Bei den künstlichen Filtern der neueren Wasserversorgungen muss aus diesem Grunde die Oberfläche, welche sich nur wenige Millimeter tief mit Schlamm füllt, von Zeit zu Zeit abgehoben und ausgewaschen werden; es wird ein solches Auswaschen der Oberfläche auch bei dem gegenwärtig im Bette der Limmat oberhalb der Münsterbrücke in Ausführung begriffenen Filter nothwendig werden und ist die Lage desselben so gewählt, dass die Strömung des Wassers den durch Aufrühren der Oberfläche auszuwaschenden Schlamm fortführt, ohne den Sand selbst wegzureissen.  Wo die sogenannte natürliche Filtration, das heisst die Filtration durch natürlichen Kiesboden benutzt wird, tritt gewöhnlich, trotz des ungemein starken anfänglichen Wasserzudranges mit der Zeit eine fortgesetzte Wasserabnahme ein, indem eine ununterbrochene, nach der gleichen Richtung gehende Filtration oder Reinigung eines trüben Wassers ganz undenkbar ist.

Quellen von Zürich, rechtes Limmatufer, Total 6 Leitungen mit zusammen 116 Quellen, Links:2 Leitungen mit 30 Quellen. ... "Diese Quellverhältnisse sind derart, um die in Ausführung begriffene Wasserversorgung jede Hoffnung auf Gewinnung eines ausreichenden Quantums Quellwasser in der Nähe der Stadt zu zerstören." ... "Man hat sich daher nur für das geringere Quantum Trinkwasser für die vorhandenen Quellen, im Uebrigen aber für die Benutzung des Seewassers entschieden."

Was das Auftreten von Typhus betrifft, so liegen genauere Aufzeichnungen nur für die innere Stadt während der Jahre 1865 und 1866 vor. Seither war von einem stärkern Auftreten keine Rede mehr, und entzogen sich daher die vereinzelten Falle der Registrirung.  Ob diese Abnahme, wie Viele hoffen, eine Folge der seither durchgeführten Reformen im Kloakenwesen sei oder ob sie in andern, vielleicht nur vorübergehenden Verhältnissen liege, lässt sich nicht entscheiden; jedenfalls hat solche mit den Grundwasserverhältnissen nichts zu thun.  In dieser Richtung bleibt nur das auffallende Auftreten des Typhus in der Kaserne im Frühjahr 1865 bemerkenswerth.  Durch die Trockenlegung des Schanzengrabens wurde damals der Grundwasserstand im Thalacker und Bleicherweg in solcher Weise gesenkt, dass die meisten Brunnen dieser Gegend ihr Wasser ganz verloren.  Gerade während dieser Zeit eines ausserordentlich tiefen Grundwasserstandes trat in der Kaserne, wie erwiesen zu sein scheint, durch das schlechte Trinkwasser auf dem Exerzirplatz, das aus einem Brunnen unmittelbar neben den grossen Jauchebehältern geschöpft wurde, veranlasst eine heftige Typhusepidemie auf, welche zu einer Aufhebung des betreffenden Kurses führte.  Trotz des nach der Theorie für die Ausbreitung ausserordentlich günstigen Grundwasserstandes, der in hohem Grade Besorgnisse erregen musste, trat keinerlei weitere Verbreitung der Epidemie ein, und spricht hernach auch diese Erfahrung gegen einen Zusammenhang beider Erscheinungen in unserer Gegend.
Sollen wir dieses für unsere Gegend verneinende Resultat, welchem wir übrigens keineswegs eine allgemeine Gültigkeit zuschreiben wollen, bedauern und die zahlreichen Beobachtungen, welche dazu führten, als verlorene ansehen? Im Gegentheil darf man sich befreuen, nicht unter dem drückenden Gefühle stehen zu müssen, dass die durch die Natur bestimmten, der Einwirkung der Bewohner entzogenen Localverhältnisse für die Gesundheit der Gegend unbedingt maassgebend seien.  Wie wurden sich die ungeheuren Kosten für Kanalisation und bessere Wasserversorgung rechtfertigen, wenn dadurch doch gegenüber dem Auftreten der eingreifendsten Krankheiten, der Cholera und des Typhus, wenig geholfen wäre und solches nur von den ausser unserm Bereich liegenden Feuchtigkeits-Verhältnissen bedingt würde? Durch jenes verneinende Resultat wird man zu der zuerst von England ausgegangenen Ueberzeugung geführt, dass eine Gegend in dem Maasse von Cholera und von typhösen Fiebern frei werde, als solche von der Zersetzung der Abfallstoffe in den Häusern befreit und mit reinerem Wasser verseben wird. Trockenheit in und um die Wohnungen, reine Luft und reines Wasser werden damit Hauptbedingungen für die Gesundheit.  Von dieser Anschauung ausgehend ist unsere Stadt mit einem vollständigen Dolennetz zur schnellen Ableitung alles Schmutzwassers und zur Entwässerung des Bodens bis unter die durchschnittliche Kellertiefe versehen worden, durch die Vermehrung der Abtrittkübel nimmt die Masse des in Abtrittgruben aufgespeicherten, im Innern der Stadt faulenden Unrathes immer sehr ab; die Stadt erhält endlich durch die neue Wasserversorgung in die Häuser reines und reichliches Brauchwasser und an den Brunnen kühles Trinkwasser.  Schon folgen auch verschiedene Ausgemeinden in gleichem Sinne nach, indem Riesbach diese Anlagen schon besitzt und Hottingen ohne Zweifel ebenfalls bald damit beginnen wird.  Wenn namentlich auch die in ihren ökonomischen Verhältnissen eingeschränkte Gemeinde Aussersil in neuerer Zeit mit einer die Gemeinde und deren Behörden sehr ehrenden Weise mit Energie vorgeht, darf man hoffen, es werde auch die noch im Rückstand begriffene Gemeinde Enge nicht länger zögern und ebenfalls zu der Ansicht gelangen, dass ein Vertrauen auf eine bevorzugte, günstige Lage, welche ohne eigenes Zuthun gesundheitsschädliche Einflüsse auf die Dauer fern halten werde, trügerisch sei.
Es kann auf solche Art gerade das für die Grundwasser-Theorie verneinende Resultat unserer Beobachtungen einen Sporn zur Thätigkeit bilden.
Schwankungen in der Härte des Wassers.  Nach der frühern Erklärung der Grundwassertheorie kommt bei derselben die mehr oder weniger starke Verunreinigung des Wassers selbst nicht in Betracht, sondern die Zersetzung der Unreinigkeiten in der den Schwankungen des Wasserspiegels ausgesetzten  bald  Luft, bald mit Wasser erfüllten Bodenschicht.  Diese Unreinigkeiten kommen theils durch die Versickerung von oben, theils aus dem Wasser selbst her, und schien daher eine Beobachtung der Schwankungen in den fremden Bestandtheilen des Wassers möglicher Weise von Werth zu sein.  Bei den zu Gebot stehenden Mitteln konnte es sich nicht um eine genaue Analyse  namentlich geht um Bestimmung der organischen Bestandtheile handeln , sondern musste versucht werden auf ganz einfachem Wege, wenn auch auf Kosten der Genauigkeit, vor zugehen. Aus diesem Grunde wurde die Härte des Wassers, das heisst dessen Gehalt an erdigen Salzen, der sich mit der Seifenprobe äusserst leicht bestimmen lässt. als Maassstab gewählt. Man war sich wohl bewusst. hieran nur einen sehr einseitigen Massstab zu besitzen, glaubt aber doch annehmen zu dürfen, dass in vielen Fällen, namentlich bei schnell erfolgenden Veränderung des Wassers in demselben Brunnen, einer Vermehrung der Verunreinigung durch aufgelöste erdige Salze auch eine Vermehrung der übrigen Unreinigkeiten entspreche und umgekehrt. Die diessfälligen Beobachtungen  sind  ebenfalls graphisch aufgetragen, auf Tabelle  4 enthalten.  Aus den bis jetzt vorliegenden Beobachtungen kann noch kein Zusammenhang der Schwankungen der Wassermengen und der Härte gefunden werden.  Das Wasser im See ist sehr constant, ebenso in den von ihm direkt beeinflussten Sodbrunnen des Kiesbodens der kleinen Stadt, obgleich hier die Härte theilweise bedeutend grösser.  Stärker sind die Schwankungen in den Brunnen von Aussersil, wohl des hier vom Berge zufliessenden Grundwassers wegen, noch stärker endlich an den verschiedenen Quelleitungen und an den Sodbrunnen im Zeltweg und am Zürichberg.

In den vorstehenden Blättern ist eine Uebersicht der Erfahrungen, Beobachtungen und Untersuchungen gegeben worden, welche einem richtigen Urtheile über die Wasser-Versorgung unserer Stadt vorausgehen mussten.  Die Verhältnisse gestalteten sich der Art, dass die vorhandenen Quellen auch bei bester Benutzung und möglichster Vermehrung nur für Trinkwasser genügen können, dass dagegen die weit grössere für den Hausverbrauch, sowie für polizeiliche und industrielle Zwecke nöthige Wassermenge in der Limmat gefunden wurde, deren chemische relative Reinheit gerade für diese Verwendungen sehr vortheilhaft ist.  Diess veranlasste das grossartige hydrotechnische Unternehmen, welches unter unsern Augen seine Arme polypenartig durch alle Gassen und in alle Häuser ausstreckt und nun bald zur Vollendung gelangt.  Welche, zum Theil eigenthümlichen und sinnreichen, technischen Mittel bei der Ausführung zur Anwendung kamen, gehört nicht in den Bereich der gegenwärtigen Blätter, und hat überdiess bereits im XIV. und XV. Band der Schweiz. Polytechnischen Zeitschrift eine übersichtliche Darstellung gefunden.
Uns muss es genügen, die Seite der für unsere Stadt so wichtigen Angelegenheit näher beleuchtet zu haben, welche mit den Naturverhältnissen Zürichs in unmittelbarer Beziehung steht.

Erläuterung:
Der experimentelle Beweis für krankheitsverursachende Bakterien wurde durch Robert Koch (1843-1910) anhand von Anthrax erst fünf Jahre später erbracht (1876). Seine Ideen waren bahnbrechend. Er entdeckte 1882 auch den TB-Erreger und schliesslich 1883 den Erreger von Cholera (Nobelpreis 1905 (Mycobacterium tuberculosis, TB)).
Max von Pettenkofer war derart von seiner Theorie überzeugt, dass er eine Reinkultur von Vibrio colerae schluckte, um zu beweisen, dass er Recht hatte. (Er überlebte den Versuch.)
Mit diesem Neujahrsblatt wurde Pettenkofers Theorie falsifiziert, was Einiges der Kompliziertheit der Argumentation erklärt. Im Jahre 1871 handelten Bürkli und der Stadtrat von Zürich zwar richtig, aber gegen den Stand des anerkannten, neuesten Wissens. Inzwischen sind Koch's Arbeiten Allgemeingut und es ist schwer verständlich, dass man die Zusammenhänge nicht früher begriff.
Geologie Stadt Zürich, 1871
Blau: Seeschlamm und Torf;
Rot: Moräne; Rosa: Grundmoräne;
Beige: "Zürichboden" Moränetrümmer + Molasseschutt mit Geschieben;
Gelb: Molasse; Grau: Ablagerungen der Sihl und des Hornbachs.

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