Neujahrsblatt der NGZH Nr. 76 auf das Jahr 1874; 35 S. mit 2 Figurentafeln. (Format des Hefts: 18.5 x 23.5 cm)
Einiges über die
Verwitterungsformen der Berge
von Albert Heim, Professor
 
UmschlagsKopf1873
herausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft
 
 

auf das Jahr 1874.
 
 

LXXVI.
 
 
 

Druck von Zürcher & Furrer in Zürich
 

 

German only

 
 

Inhalt: 
Inhalt
Einleitung  3
Verwitterung 4
Karren oder Schratten 9
Felsmeere und Blockgipfel 12
Formen der Gehänge 13
Abtrag 20
Schutthalden 21
Bergstürze 23
Stadien der Verwitterung 25
gesteigerte Maximalböschungen 26
verminderte Maximalböschungen 26
Schutthaldenböschungen 29
Flussschuttkegelböschungen 30
Ausblick 32
 

Eine Probe aus dem Inhalt S. 16 bis 19
...
Die Gesteinsbeschaffenheit ist freilich eine sehr mannigfaltige, und wollte man alle Unterschiede in Betracht ziehen, so verlöre man sich in Eintheilungsspitzfindigkeiten ohne allen praktischen Werth.  Dabei ist die Gefahr immer nahe, einer unerklärten Sache nicht mehr tiefer nachzuforschen, weil der hochklingende Name, den man dem Ding nun gibt, aussieht, als wäre es erklärt.  Wir wollen hier nur drei auffallend verschiedene Typen aufstellen und gleich sagen, dass Zwischenformen sie verbinden können:
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1. Das Gestein kann massig ausgebildet sein, d. h. es ist gleichfest in allen Richtungen, die Spalten, die es durchsetzen, theilen es in Stücke von ungefähr gleich grossen Dimensionen nach allen Richtungen, in keiner Richtung herrscht eine Schieferung oder leichtere Spaltbarkeit vor.  Da wirkt die Verwitterung gleichförmig in allen Richtungen, und ist das Gestein leicht verwitterbar, so haben wir nie scharfe kühne Gipfelformen, sondern konische, oben rundliche Kuppen.  Manche Eruptivgesteine, denn diese sind vorwiegend massig ausgebildet, liefern solche Formen (manche Porphyre, Granite, Gabbros etc.). Felsenmeere und Blockkuppen sind hier häufig, freilich liegt der Verwitterung nicht selten schon von Anfang an eine Kuppenform vor.  Schöne runde Gabbrokuppen gibt es im Appenin nördlich und westlich von Genua, in den Alpen ist dieser Typus äusserst selten.  (Siehe Fig. 6).
Dem Typus 1 stehen die beiden andern gegenüber, indem bei diesen eine Schieferung, Absonderung oder Schichtung des Gesteines der Bergform ihren Charakter aufprägt.  Unsern Formentypus II bilden diejenigen Gesteine, deren Lagen, Schiefer oder Platten von ungefähr gleicher Resistenzfähigkeit sind, und dies ist fast immer bei den »krystallinischen Schiefern« (Gneiss, Glimmerschiefer, Urthonschiefer, Hornblendeschiefer, Talkschiefer, Granatenschiefer etc.) der Fall.  Unser II ist also fast gleichzusetzen den Formen der Berge, die aus krystallinischen Schiefern  bestehen.  Unserm Formentypus III gehören Berge an, wo die verschiedenen Gesteinsplatten, oder zum  Theil mächtigen Schichten, verschieden leicht verwittern.  Diese Bedingungen sind fast immer und am besten erfüllt, wenn der Berg aus Sedimentgesteinen (Kalksteine, Mergel, Dolomit, die meisten Conglomerate, Sandsteine, auch manche Thonschiefer) besteht.  Die Schichtung der Sedimente (Wasserabsatzgebilde) ist durch einen Unterbruch oder eine Veränderung in der Ablagerung hervorgebracht worden, und so sind die verschiedenen Schichten dieser Gesteine besonders grösserer Schichtengruppen niemals ganz gleich beschaffen, niemals gleich leicht verwitterbar. Die Plattung und Schieferung der »krystallinischen Schiefer« hingegen bezeichnet wahrscheinlich keine Unterbrüche in der Bildung. Die verschiedenen Platten und Schiefem mögen selbst gleich alt sein.  Der Grad der Verwitterbarkeit der krystallinischen Schiefer wie der Sedimentgesteine hängt, ausser von der mineralogisch chemischen Beschaffenheit, hauptsächlich von der Feinheit der Schieferung oder Schichtung ab, und besonders von der Zahl von Klüftchen,  welche die Schieferungs- oder Schichtungsrichtung schneiden.  Wir besprechen zuerst unsern dritten Formentypus:
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III. Je resistenzfähiger gegen die Verwitterung eine Felsmasse ist, desto grösser ist die höchst mögliche Böschung, die sogenannte Maximalböschung, die dies Gestein annehmen kann; je verwitterbarer, desto geringer ist die Maximalböschung.  Denken wir uns einen Berg ans Schichten aufgebaut, die sehr ungleich rasch verwittern. Da wird sich meistens auch der Fall vorfinden, dass resistenzfähigere Schichten von leichter verwitternden unterteuft werden. Diese letzteren treten am Profil des Abhanges rascher zurück, die festeren werden dadurch untergraben, und sobald dies ihnen zu stark werden will, brechen auch sie nach, aber nur bis sie das überhängende Vorstehen wieder in die ihnen eigene Maximalböschung reducirt haben.  So müssen alle höher liegenden Felsschichten wenigstens gleich schnell zurückweichen wie die tiefste der leicht verwitterbaren, und dabei werden sie sich jede in die ihr eigene Maximalböschung einstellen.  So wechselnd die Verwitterbarkeit der Schichten ist, so wechselnd ist diese Böschung, und die Profillinie solchen Gehänges wird eine gebrochene sein.  Die Gehänge der aus Sedimentschichten zusammengesetzten Berge sind daher terrassenförmig. Das terrassenförmige Profil, das von den Schichten gebildet wird, die über einer am leichtesten verwitterbaren Schichte liegen, wird bei fortdauernder Verwitterung mit sich selbst parallel in der Richtung der Schichten bergeinwärts getrieben, und zwar gleich rasch wie diese leichtest verwitterbare Schicht zurücktritt.
Die flacheren Terrassen der Gehänge werden um so leichter mit Vegetation überzogen, da in ihrem verwitterbaren Material die Pflanzen leichter Fuss fassen.  Diese glänzend grünen »Rasen-Bänder« ziehen sich oft zwischen steilen, kahlen, grauen »Felsbändern« entlang, und schon aus grosser Ferne kann man an ihrem Verlauf den Verlauf und die Lage der Felsschichten ablesen.  Manchmal kann man auf einem Rasenband rings um den ganzen Berg herumwandern.  Wenn Schnee die Terrassenflächen bedeckt, während an den Terrassenabstürzen er nicht haften kann, so wird der schichtige Treppenbau des Berges noch auffälliger, und so können wir von den meisten Alpengipfeln, die wir von Zürich oder vom Uetliberg aus sehen, bei guter Beleuchtung und besonders im Winter schon aus dieser Entfernung sagen, welche aus Sedimentgesteinen und welche nicht aus solchen bestehen.  Die inneren Alpenketten bestehen meistens aus krystallinischen Schiefem, südlich und besonders nördlich folgen die Zonen der »Kalkalpen« oder Alpen aus
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Sedimentgesteinen in vielfachen Ketten auf der ganzen Länge der Alpen sich hinziehend.  Fast alle Formen dieser sedimentären Gebirge gehören unserm Typus III an.  Als Beispiele mögen gelten: Rigi, Sentis, Pilatus, Leistkamm, Rautispitz,  Calanda, Glärnisch, Urirothstock; den krystallinischen Massen näher folgen: Tödi, Windgällen, Titlis etc. etc.  (Siehe Fig. 7).
Die Faletsche am Uetliberg ist ein Beispiel von einem Gehänge, das jetzt so rasch zurückwittert, dass Vegetation nicht die sanfter geneigten Bänder überziehen kann.  Das ist aber nicht der allgemeine Fall.  Meistens geht das viel langsamer.  Da fällt heute ein Stein, morgen löst sich dort ein anderer, und bis von der gleichen Stelle ein zweiter fällt, hat das grüne Pflanzenleben die alte Wunde bereits vernarben gemacht. So ununterbrochen die Verwitterung geht, so kann es doch sein, dass der Pflanzenteppich dadurch nur local, und vorübergehend aber im Ganzen wenig zerrissen wird.
Die Sedimentschichten liegen in Gebirgen wie Alpen und Jura nur selten horizontal.  Meistens liegen sie mehr oder weniger steil aufgerichtet, oft sind sie stark gebogen und verquetscht.  Wenn auch dadurch die Bergformen vielfach modificirt werden, so bleiben doch die Erscheinungen ziemlich die gleichen.  An der Biegung und Lage des Rasenbandes und Felsbandes erkennt man dann die Biegung und Lage der Schichten.  (Siehe Fig. 7, c & d). Schichten in steiler Stellung sind im Allgemeinen leichter zu kühnen Formen geneigt, zu solchen, die die Namen »Spitz«, »Nadel«, »Horn«, »Pizzo«, »Aiguille« etc. verdienen. (Siehe Fig. 7, d).  Die mehr horizontalen hingegen bilden öfter breitere Formen, sogenannte »Stöcke«, »Köpfe«, »Kuppen«, »Tafeln«.  Die Kühnheit der Formen nimmt mit der Resistenzfähigkeit einzelner Schichten zu.  Die verschiedenen Formen der Berggipfel spiegeln sich vielfach in ihren Namen.
II.  Die krystallinischen Schiefer bilden im grossen Ganzen betrachtet Gehänge von viel gleichmässigerem Gefälle.  Hier, wenn auch keine absolute Gleichförmigkeit der Platten und Schiefem  da ist, haben wir keinen auffallenden Wechsel von sehr leicht und sehr schwer verwitternden Massen und somit auch keine Terrassenprofile.  Die in den Alpen gewöhnliche steile, oft fast senkrechte Stellung der Schiefer und Platten begünstigt dies noch mehr. Da gibt es Berge, die vom Gipfel bis zur Thalsohle eine nahezu constante Böschung haben.  Der Bristenstock ist eine der reinsten Formen dieses Typus (siehe Fig. 8, a).  Auf eine Verticaldistanz von 2550 Meter ist die eine Kante
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der herrlichen Pyramide vom Gipfel bis an den Fuss nach Amstäg mit Ausnahme einer leichten Einbiegung in der Region der Schneelinie fast ununterbrochen 36 Grad steil.  Schon aus grosser Ferne charakterisirt die Gipfel der krystallinischen Schiefer ihr scharfkantiges, pyramidales Wesen frei von irgend welcher  deutlichen Terrassenstructur.  Von den vom Uetliberg sichtbaren Gipfeln sind für Typus II charakteristisch: Gruppe des Bristenstock, Düssistock, Sustenhorn, Oberaarhorn, Finsteraarhorn, Schreckhörner (siehe Fig. 5, b).  Die Alpengipfel der krystallinischen Schiefer haben wohl niemals eine eigentliche Scheitelfläche, es sind alles scharfe Schneiden, über die man oft nur mit grosser Mühe, meistens gar nicht wegkommen kann.  Hier ist das Deckengewebe der Vegetation in den milderen Regionen ein lückenmaschiges, aber ein sehr allgemeines.  Wir finden nicht das dichte saftige Grasband der Kalkgebirge, aber auch nicht deren absolut kahle Wand.  Nach den höheren Regionen verläuft das Grün sich ganz allmälig, es hat keine so ausgesprochene obere Grenze, und es steigt bis auf die Schneiden der Kämme, wenn diese nicht gar so hoch sind.  Ein guter Kletterer kann seine Wege in den Gebirgen der krystallinischen Schiefer meistens freier wählen, es wird ihn nirgends ein sanft geneigtes »Band« wie auf vorgeschriebener Strasse so bequem zum Ziele geleiten, aber auch nicht so leicht eine absolut unerkletterbare, langgestreckte, nicht zu umgehende Wand alles Vorwärtskommen unmöglich machen.  ...
 
Gipfelformen Albert Heim
gezeichnet und gestochen von Albert Heim auf 1874
Bemerkungen:
Die Abbildung ist so gross geraten, weil sich A. Heim in der Einleitung über die übertrieben schrecklichen Abbildungen in Lehrbüchern mockiert.
Zürifuss etwa 30.087 cm, offiziell waren 30 cm bereits gültig.
Die normative Kraft der Landestopographie, bezüglich der Schreibweise von Namen, war noch im Gang.
Inzwischen hat nicht nur die Geologie, sondern auch die Kletterei Fortschritte gemacht.

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