Neujahrsblatt der NGZH Nr. 89 auf das Jahr 1887; 12S. mit 1 Tafel.(Format des Hefts: 21 x 26.6 cm)
Der Japanische Riesensalamander und der fossile Salamander von Oeningen
von G. Mösch
UmschlagsKopf1887
herausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft
 
 

auf das Jahr 1887.
 
 

LXXXIX
 
 
 

Druck von Zürcher & Furrer in Zürich
 

 

German only

 

Der japanische Riesensalamander (Cryptobranchus japonicus)
und der
fossile Salamander von Oehningen (Andrias Scheuchzeri).

Inhalt:
1. Der Japanische Riesensalamander
   Vorkommen
   Fang
   Beobachtungen Siebolds über den Riesensalamander
   Beschreibung des Riesensalamanders
   Das Skelet des Riesensalamanders
   Die Stellung des Riesensalamanders im zoologischen System
II Der fossile Salamander
III Der lebende japanische Riesensalamander in der zoologischen Sammlung im eidgen Polytechnikum

 

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Fang
Gefangen werden die Riesensalamander, indem man entweder das Wasser ableitet und sie dann unter den Steinen und aus den Löchern hervorzieht, oder aber sich der Angel bedient.  Letztere besteht aus einem gewöhnlichen Fischhaken, welcher an einem dünnen Seile befestigt und mit einem Regenwurme beködert wird; die freibleibende Spitze des Hakens wird in das offene Ende eines etwa anderthalb Meter langen Bambusstockes gesteckt und das Seil mehrmals locker um denselben gewunden, die auf diese Weise zugerichtete Angel sodann unter langsamem Hin- und Herbewegen vor alle Löcher und Gruben geschoben, in denen man Salamander vermuthet. Schnappt ein solcher nach dem Wurme, so fällt der Haken vom Stocke und bleibt in seinem Rachen hängen.  Man fängt den Salamander ebenso wegen seines wohlschmeckenden Fleisches, dem man auch arzneiliche Wirkungen zuschreibt, als um ihn zur Reinhaltung des Wassers in Brunnen zu setzen, ganz ebenso wie man in Norddeutschland mit den einheimischen Molchen verfährt*). Die grössten Stücke bringt man nach Kioto, Osaka und Kobe, wo sie in Thierbuden häufig zu sehen sind.
Ihr Versandt im eigenen Lande geschieht wie der der Aale in mit Laubwerk überdeckten und zeitweise angefeuchteten Körben.
...
*) Bemerkung des Uebertragers: wobei die Molche die Stechmückenlarven verspeisen.

II. Der fossile Salamander
Andrias Scheuchzeri, Tschudi.
(Homo diluvii testis, Sch.)
Vergleicht man den japanischen Riesensalamander mit den Resten des fossilen Andrias Scheuchzeri, aus den Steinbrüchen von Oeningen, soweit man sie kennt, so bemerkt man zwischen beiden eine grosse, ja beinahe vollständige Uebereinstimmung in der Gestalt und Organisation.  Die Wirbelkörper entsprechen einander in jeder Hinsicht, wahrscheinlich auch in der Anzahl; nur der Schädel des fossilen ist mehr abgeplattet, also mehr dem des Menopoma ähnlich, während die Anordnung der Knochentheile mit dem japanischen Salamander vollkommen übereinstimmt.
Die unvollständigen Reste des fossilen Thieres können uns freilich keinen Aufschluss darüber geben, ob ihm die Kiemen bis in seinen ausgewachsenen Zustand geblieben seien oder nicht.
Der fossile Salamander von Oeningen wurde zuerst durch eine Abhandlung des züricher Professors Joh. Jakob Scheuchzer (starb 1753) bekannt, der sich grosse Verdienste durch die Pflege naturwissenschaftlicher Studien erwarb.
Als eifriger Sammler trat er mit vielen Besitzern von Steinbrüchen in Verbindung und erhielt um 1723 von Oeningen eine Platte, welche ein ziemlich vollständiges, beinahe drei Fuss langes Skelet einschloss.  Er machte seinen Fund in den philosophischen Transactionen für 1726 bekannt, beschrieb die Skelettheile sehr oberflächlich und erklärte sie für die eines vorweltlichen Menschen, eines "Zeugen der Sündfluth", wie er sich ausdrückte, eines Gliedes jenes von Gott verfluchten und unter den Gewässern begrabenen Volkes".  Dass er den menschlichen Bau ganz aus dem Gesichte verloren und mindestens durch vorgefasste Lieblingsmeinungen sich habe blenden lassen, wies ihm schon Gessner nach, der 1755 eine andere Platte des Oeninger Mergels mit gleichen Knochen erhielt.  Ein Theil der Naturforscher sagte sich nun von Scheuchzer's bisher allgemein angenommener Meinung los und pflichtete Gessner bei, der indessen eben auch fehlte, indem er in jenen Resten einen Wels erkennen wollte.  Erst im Jahr 1787 erklärte Camper, dass das fragliche Skelet einer Eidechse angehört habe, fand aber keinen rechten Glauben.  Endlich gelangte ein drittes, besser erhaltenes Exemplar in die Hände Ammann's, eines züricher Arztes.  Es gehört jetzt dem britischen Museum an und ward ,1805 von Karg, einem schwäbischen Naturforscher wiederum als Wels beschrieben.  Endlich entdeckte Cuvier, und zwar auf den ersten Blick, dass hier ein molchartiges Thier vorliege; er erhielt 1811 Erlaubniss, das in das Harlemer Museum gewanderte Original Scheuchzer's der Bearbeitung zu unterwerfen, legte einem geschickten Steinmetzen die Abbildung eines Salamanderskeletes vor und hatte die Genugthuung, das Knochengerüst eines Molches immer deutlicher hervortreten zu sehen, je mehr Stücke der steinigen Umhüllung unter dem Meisel absprangen. Aus der genauen Beschreibung Cuviers und der Untersuchung späterer Paläontologen geht die nahe Verwandtschaft mit dem japanischen und dem nordamerikanischen Riesensalamander hervor.
Man kennt gegenwärtig wohl fünfzehn sämmtlich von Oeningen stammende, in grossen Sammlungen zerstreute Platten, welche mehr oder minder vollständige Skelete, jüngere oder ältere Individuen enthalten.
In der geologischen Sammlung im eidgen. Polytechnikum befinden sich zwei Exemplare nebst dem von Tschudi beschriebenen Schädel eines ganz ausgewachsenen Thieres aufgestellt, von welchem letzteren wir eine verjüngte Abbildung auf der beigefügten Tafel geben.
Gegenüber dieser Aufstellung in der Sammlung hängt das ideale Bild des Oeninger See's von dem vortrefflichen Kunstmaler Professor Holzhalb gemalt.  Dort sehen wir den riesigen Wassersalamander (Andrias Scheuchzeri) sich in Gesellschaft seiner Zeitgenossen tummeln.  Auf dem Stamme eines Feigenbaumes sitzt ein Gibbonaffe mit seinen Jungen; ein anderer trinkt aus der klaren Fluth und noch zwei andere hüpfen durch das Schilf.  Ein Riesenfrosch, verschiedene Schildkröten, Schlangen, Gänse und Fischreiher beleben die üppige Landschaft.  Ein Viverra-artiges Raubthier späht am Ufer nach Beute und auf der schmalen Landzunge schreitet das riesige Mastodon.
Die Bildungen der Süsswasserablagerungen der Ober-Miocenzeit liegen hunderttausende von Jahren hinter uns.  Man findet ihre Gesteine nicht nur in Oeningen, sondern auch in den Kantonen Thurgau, Zürich, St. Gallen, Aargau, Bern, Solothurn, Neuchâtel, Waadt u. s. w.
Auch weit über unsere Landesgrenze hinaus und an vielen Stellen mit ähnlichen paläontologischen Einschlüssen, wie sie Oeningen bietet, nur keine Andrias Scheuchzeri, wohl aber bei Büttikon im Aargau den Schädel eines Krokodils.  Bald bestehen die Niederschläge aus Sandstein (Molasse), bald aus mehr oder weniger dicken Kalkschieferlagen, in welchen sich die wohl-erhaltenen Pflanzenabdrücke (Blätter, zum Theil auch Blüthen) und Insekten finden, die auf ein viel wärmeres Klima schliessen lassen als das heutige der sogenannten gemässigten Zone es ist.
 
Cryptobranchus japonicus, Andrias Scheuchzeri, Homo diluvii testis
Erklärung der Tafel.
1. Cryptobranchus japoniens Y. de Hoev.  (Japanischer Riesensalamander.) Nach einer Photographie gezeichnet, in etwas mehr als 1/3 der natürlichen Grösse.
2. Skelet des Cryptobranchus japonicus.
A. Vorderarm und Hand.
H. Humerus.
R. Radius.
U. Ulna.
C. Carpus. (Die Carpale sind wegen Mangel an Raum nicht eingezeichnet.)
II. III. IV. V. Metacarpalea.
ph. Phalanges.
B. Rechter Hinterfuss.
F. Fibia.
T. Tibia.
Ta. Tarsus. (Die Tarsale sind nicht eingezeichnet.)
I. II. III. IV. V. Metatarsalia.
ph. Phalanges.
3. Rechte Hälfte des Unterkiefers des Cryptobranchus japonicus, von der innern Seite gesehen.
4. Mehrere Zahne dieses Thieres in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung, in dreimaliger Vergrösserung.
5 .Schädel, von Andrias Scheuchzeri, in halber natürlicher Grösse.
Originalgrösse: 35.2 x 22.3 cm (Rahmen)
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aus dem Kap. Salamander am Poly:
Noch nie hat er den Versuch gemacht sein nasses Element zu verlassen, in seiner grossen Trägheit kreist er höchstens einmal, wenn sich Zuschauer einstellen, seinen Behälter.  Lebhafter wird er wenn die Sonne ihn bescheint, er rückt dann mit dem Kopfe an die Oberfläche des Wassers und zeigt unverkennbares Behagen an deren Wärmestrahlen.
Diese Beobachtung widerspricht den Angaben Siebolds, nach welchen sich der Salamander der Tageshelle zu entziehen suche.
Der Salamander ist sehr gutmüthiger Natur, sein Pfleger darf ihn aus dem Wasser heben ohne dass er unartig wird; er lässt sich streicheln und scheint diese sanfte Berührung mit Wohlbehagen hinzunehmen; dagegen schnappt er gerne nach einer fremden Hand, die solches versucht.  Aehnliches haben wir bei dem Salamander im Museum zu Mailand gesehen; jenes Thier, von derselben Grösse wie das hiesige, zeigte sich eigentlich boshaft, indem es den fremden Berührer mit einem wohlberechneten Schlage des Schwanzes auf das Wasser über und über bespritzte, es ist also nicht gar so dumm wie man es dafür zu halten geneigt ist.
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