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II. Geschichte der Blutbuche.
Vielfach ist die Meinung verbreitet, die Blutbuche sei das Erzeugnis
gärtnerischer Kunst. Das ist eine falsche Ansieht! Kein Gärtner
hat es in seiner Gewalt, eine gewöhnliche Buche in eine Blutbuche
zu verwandeln, weder durch Bodenmischungen bei der Aussaat, noch durch
anderweitige Vorkehrungen bei der Kultur; er kann nur eine schon vorhandene
rotlaubige Buche vervielfältigen, sei es durch Samen, sei es durch
Pfropfreiser, Ableger oder Wurzelsprossen. Die erste Entstehung solcher
abweichender Baumformen kann eine verschiedene sein. Entweder sind es Knospen-Varietäten;
das heisst es trat einmal spontan an einem normalen Baume ein Zweig mit
den anders beschaffenen Blättern auf; von diesem Zweig stammen durch
künstliche Vermehrung (Stecklinge oder Veredlung) alle weiteren Exemplare
der Varietät ab. Oder es sind Samen-Varietäten; das heisst ein
Sämling zeigte einmal die betreffende Abweichung. Das kann in einem
Garten bei künstlicher Aussaat geschehen (Garten-Varietät); oder
aber es geschieht in der freien Natur: ein wilder, ohne irgend welches
Zuthun des Menschen aufgegangener Sämling zeigt die Abweichung (spontane
Varietät). Für die Blutbuche gilt das letztere. Nirgends in der
Litteratur findet sich eine Andeutung, dass jemals einem Gärtner oder
Förster bei der Aussaat von Samen normaler Buchen ein rotlaubiger
Sämling aufgefallen sei. Wohl aber sind bis jetzt drei Standorte bekannt,
an denen Blutbuchen spontan aufgetreten sind:
1. Der Stammberg bei Buch am Irchel, Ktn. Zürich.
2. Ein Wald bei Sondershausen in Thüringen.
3. Ein Wald über Castellano bei Roveredo in Süd-Tirol.
Der erste Standort war schon im 17. Jahrhundert bekannt; der zweite
in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; den dritten und jüngsten
endlich kennt man erst seit dem Anfange des gegenwärtigen (19.) Jahrhunderts.
...
Zur Herkunft der Blutbuchen:
Als wir darin die von Duroi zitierte Stelle aufschlugen, waren wir
ganz überrascht und erstaunt, einer Entstellung der allergröbsten
Art auf die Spur zu kommen, welche gerade so aussieht, als wäre sie
absichtlich begangen worden, um der deutschen Blutbuche die Priorität
zu sichern und die schweizerische herunter zu setzen, und welche merkwürdigerweise
bis auf den heutigen Tag niemals aufgedeckt und gerügt wurde. Ott
schreibt nämlich auf pag. 245 des genannten Werkes wörtlich genau
folgendes: «Wir haben in der Schweitz zwei Varietäten von der
Buche: 1. Fagus folus candidis, Scheuchz. lt. alp. VI. pag. 322. 2.Fagus
rubrifolia Buchensis, Wagner Helv. curiosa pag. 266.»
«Diese letztere (die Blutbuche) befindet sich nirgends als bei
dem Dorf Buch an dem Berg Irchel des Kanton Zürich und zwaren in sehr
geringer Anzahl und in einem Garten, allwohin von dorten ein junger Baum
versetzt worden und roth verblieben ist.»
Dem haben wir nichts weiter beizufügen, als dass, wer diese zwei
Stellen (bei Duroi und Ott) miteinander vergleicht, meine obigen Worte:
«Entstellung der allergröbsten Art» vollständig billigen
wird.
Nun kommen wir zu Wagner, den Ott (vide supra) citiert.
J.J. Wagner aus Zürich, (geb. 1641, Med. Dr., Stadtarzt, gest.
1695) publizierte unter anderem: Historia naturalis Helvetiæ curiosa.
Tiguri 1680. In einem eigenen «Articulus: De arboribus» schreibt
Wagner auf pag. 266 des genannten Werkes: «In einem Buchenwald zu
Buch am Irchel, der Stammberg gewöhnlich genannt, stehen drei Buchen
mit roten Blättern, wie ähnliche nirgends anderwärts gefunden
werden.
*) Fagetum Buchense ad Irchelium montem, der Stammberg vulgo dictum,
Fagos tres, foliis rubris præditas habet, quibus similes nullibi
alias reperiuntur.»Wagner loc. cit. pag. 266.
Das ist nun die allerälteste historisch-sichere Nachricht vom
Bestehen der Blutbuche nicht nur in der Schweiz, sondern überhaupt,
und ist also fast hundert Jahre älter als die erste Kunde von den
Blutbuchen in Deutschland bei Duroi. Aber Wagner sowohl als Ott wurden
von Duroi, wie wir gesehen haben, entweder totgeschwiegen oder entstellt
...
S.28:
Der höchste Punkt des sanft gewölbten Rückens liegt
bei 516 m. Der Wald ist ein sogenannter Niederwald (Mischwald) und wird
ungefähr alle fünfundzwanzig Jahre abgeschlagen. Die Verjüngung
des Forstes wird einfach dem Stockausschlag und der zufälligen Besamung
überlassen. Der gegenwärtige Bestand mag zwanzig bis fünfundzwanzig
Jahre alt sein, soll nun aber wieder in Hochwald umgewandelt werden, wie
er vor 1834 bestanden hat, zu welcher Zeit die damals vorhandenen grossen
Bäume, meist Buchen, bis auf die Blutbuche alle gefällt worden
sind.
Als wir zur Stelle kamen und mitten im Walde der Blutbuche ansichtig
wurden, waren wir, da wir einen Baum von riesigen Dimensionen anzutreffen
gehofft hatten, etwas enttäuscht; denn der Baum imponiert gar nicht
durch seine Grösse. Die Messung ergab folgendes:
a) Umfang des Stammes bei 45 cm. über dem Erdboden: 2,91 m; in
der Höhe von 3,5 m. über dem Erdboden: 2,16 m; im Mittel: 2,5
m; Durchmesser im Mittel: 80 cm.
b) Höhe des Stammes bis zur Verästung: 5,46 m.
c) Durchmesser der Krone von Nord nach Süd: 20 m.
d) Ungefähre Höhe des Baumes: 20 m.
Die Rinde des Baumes ist in Brusthöhe über und über
mit alten, zum Teil bis zur Unkenntlichkeit vernarbten und ausgewitterten
Namenszügen, Buchstaben und Jahreszahlen bedeckt. Rings um den Stamm
ist der Boden im Umkreis der Krone geebnet und gesäubert. Der umgebende
Niederwald erzeugt durch sein Hineinragen in die untern Äste der Blutbuche
ein dichtes Laubwerk, durch welches die rotgefärbten oberen Partieen
des Baumes nur durch kleine Lücken wahrzunehmen sind und die Form
der Krone den Blicken des Beschauers ganz entzogen bleibt.
Infolge dessen war es auch unmöglich, den Baum photographieren
oder überhaupt abbilden zu lassen. Das ist mit ein Grund, warum das
Neujahrsblatt der naturforschenden Gesellschaft diesmal ohne Tafel erscheint.
Zudem haben die untern und innern, im tiefen Waldesschatten stehenden
Äste nur eine kaum merkliche rote Färbung, so dass jemand, der
von der Nähe der Blutbuche nichts weiss, leicht daran vorbeigehen
kann, ohne etwas von dem roten Laube zu bemerken.
Die erste Frage, die sich uns nach längerer Betrachtung aufdrängte,
war: Wie alt mag der Baum sein? Ist er noch einer von den dreien, die Wagner
und Scheuchzer sahen, oder ist er jünger? Darauf eine sichere Antwort
zu geben, ist sehr schwierig. Im Gemeinde-Archiv von Buch ist darüber
nichts zu finden, und ebensowenig, wann die zwei andern Blutbuchen, die
noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts vorhanden waren, in Abgang gekommen
sind.
Der Gemeindeschreiber von Buch versicherte uns des bestimmtesten, dass
selbst die ältesten der jetzt lebenden Einwohner weder aus eigener
Anschauung und Erfahrung, noch durch Überlieferung von ihren Eltern
und Grosseltern, etwas von einer andern Blutbuche als der noch jetzt bestehenden
wissen. Die alte Handschrift, die wir früher kennen gelernt haben
und die aus dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts stammt, erzählt,
dass von den drei alten Buchen wegen öfterer Beschädigung zwei
abgestorben seien und sich nur noch eine erhalten habe, die Niemand mehr
anzutasten wage. Da die jetzige Blutbuche ohne Zweifel weit in's vorige
Jahrhundert zurückreicht und gegen Ende desselben nur eine solche
vorhanden war und zwar eine von den frühern dreien, so darf man annehmen,
dass diese eine und dieselbe sei, welche in der fraglichen Handschrift
als die von den drei alten einzig noch existierende erwähnt wird.
Darnach müsste der Baum über zweihundert Jahre alt sein und wäre
also wohl die jüngste der drei Buchen, die schon Wagner und Scheuchzer
gesehen haben.
Jedenfalls ist der Baum älter als man nach den Grössenverhältnissen
annehmen sollte; für's erste steht er auf trockenem magerem Boden.
Der Untergrund besteht aus oberer Süsswassermolasse mit anscheinend
wenig Gletscherablagerung. Ferner ist der Baum seit Decennien hohl; denn
in der Höhe von fünf Metern befinden sich gegen Ost und Süd
sechs Spechthöhlen - sämtliche im Mittelpunkte von Rudimenten
abgehauener Äste. Dies alles hat jedenfalls seit Jahren das Wachstum
des Baumes beeinträchtigt. In älterer und neuerer Zeit hat man
wiederholt auf dem Stammberge junge Blutbuchen beobachtet; aber sie gingen
immer wieder durch Beschädigung zu Grunde oder wurden ausgegraben
und anderswohin verpflanzt. .....
Bemerkenswert sind Zahlen zur Vererbung der roten Blätter: Bechstein 1821 20%, A. de Candolle 1855 etwas weniger als ein Drittel (25%), Fröbel ca. 1893 50% und Jäger & Benary 1887 maximal 75%. Die wurzelechten Blutbuchen mendeln vorbildlich. Dies war eine Zeit, als die Arbeit von Pater Gregor (Johann) Mendel vergessen, und noch nicht wieder entdeckt war; zitiert wird hingegen Darwin. Im «The Guide to Trees of Canada and North America» von Alan Mitchell (1997 Prospero/Chapters) steht: Fagus sylvatica var. «Purpurea was first noted near Zurich Switzerland, in 1680. ... and disfigure so many garden landscapes. A few superior forms are grafted e.g. Swat Magret 1895.»