Neujahrsblatt auf das Jahr 1889,100. Stück ;  54S., 1 Tafel S/W
Das Opium als Genussmittel
Carl Hartwich

3.Chinesische Opiumpfeife, das Rohr mit Schildpatt überzogen; 7.Nadel zum Herausnehmen des Rauchopiums aus der Büchse (Aus Java)

Aus dem Inhalt:
Nach einer Einleitung über die Genussmittel Kaffee, Thee, Cacao, Maté, der Kolanuss und Tabak und einer geschichtlichen Betrachtung des Mohnanbaus, von den Pfahlbauern in Robenhausen, den alten Aegyptern, Griechen und Römern folgt die neuere Zeit:
......
Nächst den Arabern und Türken sollen später die Portugiesen und die Holländer Opium nach China importiert haben.  Der Anbau  von Mohn zur Gewinnung von Opium war in Indien Monopol der muhamedanischen Herrscher Indiens, die Kulturen befanden sich in der Gegend von Allahabad, Agra und Ghazipore und die jährliche Produktion wird auf 60 000 Kilo geschätzt.
Im 17. Jahrhundert setzte sich die englisch-ostindische Kompagnie in Indien fest und langsam aber sicher nahm sie einen Teil des Landes, ein Stück des Handels nach dem andern an sich. Dass sich unter den Gegenständen des Handels auch Opium befunden haben wird, darf als sicher angenommen werden, indessen blieb der Anbau in den Händen der Muhamedaner. Erst als 1757 durch den Sieg Clives bei Plassey die Besitzungen des Grossmoguls in die Hände der Engländer gelangten, fiel ihnen damit auch das Opiummonopol zu, doch noch nicht sofort oder doch nicht vollständig.  Es hat nämlich den Anschein, als seien die oben genannten Kulturen allmählich in Verfall geraten und dafür solche weiter östlich in der Gegend Patna emporgeblüht, die noch eine Zeit lang unter dem Einfluss der Holländer blieben, die damals vielleicht Pächter des Monopols waren.
1767 wurden 1000 Kisten Opium (à 1 Picul = ungefähr 60,5 Kilo) in China eingeführt und die Importeure sollen vorwiegend Portugiesen gewesen sein.
1773 machte die englisch-ostindische Kompagnie ihr erstes grösseres Geschäft in Opium nach China und hiemit beginnt der sehr merkwürdige und interessante, wenn auch recht unerfreuliche, indisch-chinesische Opiumhandel.
Die Entwicklung war in kurzen Zügen folgende: Das erste Geschäft, das die Kompagnie machte, ist offenbar nicht schlecht ausgefallen, denn 1750 stellte sie zwei kleine Fahrzeuge als ständige Depots für Opium in der Larks Bai südlich von Macao auf. Das Opium wurde als Arzneimittel deklariert und die chinesische Regierung scheint dem ganzen Handel keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Zu Anfang wollte das Geschäft nicht recht in Gang kommen, offenbar nahm jetzt in Indien die Kultur und damit die Ausfuhr zu, ohne dass sich in China zunächst genügend Abnehmer fanden, ein Beweis, dass der Verbrauch über das medizinische Bedürfnis hinaus etwas Fremdes war. Die chinesische Regierung erhob einen mässigen Eingangszoll von 3 Taël (1 Taël ungefähr 6 Franken) für die Kiste, die ein Picul wog, eine Abgabe, die schon 1662 erhoben war und 1687 erhöht wurde, so dass damals der Zoll etwa 6 % des Wertes der Ware ausmachte.  Allmählich wuchs aber die eingeführte Menge und es wurden (1793) Klagen laut über die Niederlage in Larks Bay, die desshalb nach Whampoa (nördlich von Macao) verlegt wurde.
1799 und 1800 erfolgten seitens der chinesischen Regierung strenge Verbote der Einfuhr und des Opiumrauchens.  Letzteres wurde mit Stockschlägen, Pranger, Deportation, Abschneiden der Oberlippe, Erdrosselung u. s. w. bestraft.
Damit hörte für lange Zeit die offene Einfuhr nach China auf, aber eben nur die offene, an ihre Stelle trat umfangreicher Schmuggelhandel, die Mohnkulturen in Ostindien nahmen zu und nach wie vor wanderte das hier gewonnene Opium zu allergrössten Teile nach China. Die Depotschiffe wurden von Whampoa nach der Insel Lin-tin zwischen Macao und der Mündung des Cantonflusses und später nach einer westlich davon gelegenen Bucht hinter der Insel Kitau verlegt und von hier der Schmuggel im grossartigsten Masstabe betrieben, bei dem die niederen und höheren chinesischen Beamten reichlich bestochen wurden.
Ungefähr seit der Mitte der dreissiger Jahre begannen sich in China die Stimmen zu mehren, die ein energisches Vorgehen gegen diesen Schmuggelhandel forderten und von kleineren Reibereien abgesehen wurden endlich 1839 die Schiffe aufgefordert, ihr Opium den Chinesen auszuliefern. Den englischen Kaufleuten, die nun den Schutz ihrer Regierung anriefen, wurde derselbe natürlich verweigert, da man nicht Leute schützen könne, um sie in den Stand zu setzen, die Gesetze des Landes zu verletzen, mit dem sie Handel trieben. Nach anfänglichem Zögern von beiden Seiten und darauf erfolgten Gewaltmassregeln der Chinesen wurden über 20 000 Kisten (à 1 Picul) Opium abgeliefert und diese, durch Versenken ins Meer vernichtet. Im Dezember desselben Jahres wurde aller Handel mit der englischen Nation verboten.
Nun wurde an China der Krieg erklärt, der unter dem Namen ,,Opiumkrieg" eine traurige Berühmtheit erlangt hat und der im Jahre 1843 nach völliger Niederlage der Chinesen, durch den Frieden von Nangking beendigt wurde. Abgesehen von anderen uns nicht interessierenden Bestimmungen mussten die Chinesen 105 Millionen Franken (darunter 30 Millionen Schadenersatz für das 1839 vernichtete Opium) bezahlen. Die mir zu Gebote stehende Litteratur geht über die Bestimmungen des Vertrages, die den Opiumhandel betreffen, auseinander, wenn auch der schliessliche Effekt derselbe sein musste. Nach Wiselius wurde bestimmt, dass bei einer täglichen Einfuhr von 66 000 Dollars (330 000 Fr.) der Zoll 11 % des Wertes der Ware bis zur Höhe von 7 Millionen Taëls betragen sollte.  Danach hätte etwa während einem Dritteil des Jahres Opium eingeführt werden dürfen. Hongkong wurde an England abgetreten, hier und in den Häfen von Canton, Amoy, Foochow-foo, Ningpo und Shanghai wurde Handel gestattet mit Ausnahme einer Anzahl verbotener Waren  Nach den ausführlichen Mitteilungen des Basler Missions-Magazin gehörte Opium zu diesen verbotenen Waren, der Handel damit wurde danach also nicht freigegeben, aber der chinesischen Regierung überlassen, sich nach dieser Richtung vorkommenden Falles selbst ihr Recht zu schaffen, wenn sie nach der Erfahrung, für die sie soeben 30 Millionen gezahlt hatte, dazu Lust verspüren sollte.  Von einer Einschränkung der Opiumgewinnung und Ausfuhr in Indien war keine Rede. Ich glaube, dass diese Darstellung die richtige ist und dass Wiselius sich irrt (Im Wortlaut des Friedensvertrages vom 26.Juni 1843 spricht nichts von Opium). Nach Christlieb sind die Anstrengungen des Sir H. Pottinger, der den Auftrag hatte, wenn irgend möglich die Legalisierung des Opiumhandels durchzusetzen, vergeblich gewesen; die Chinesen machten vielmehr den Vorschlag, die Engländer möchten sich in Indien mit ihnen vereinigen, den Opiumhandel zu unterdrücken.
Im Jahre 1856 kam es zum zweiten Kriege mit England, dem sich Frankreich und auch Nordamerika anschlossen und der zunächst 1858 durch den Vertrag von Tien-tsin beendigt wurde.  In Folge verräterischer Handlungen der Chinesen, welche glaubten, an die Gebote des internationalen Rechtes nicht gebunden zu sein, brach der Krieg von neuem aus und der Vertrag wurde nun erst 1860 nach der bekannten Zerstörung des Sommerpalastes in Peking ratifiziert. Durch diesen Vertrag, der nach 10 Jahren revidiert werden sollte, wurde die Einfuhr von Opium nach China geregelt. China hob das von den Engländern nur offiziell respektierte Verbot auf und gestattete die Einfuhr ohne Beschränkung der Quantität, erhob aber einen Einfuhrzoll von 30 Taël (150-180 Franken) von einer Kiste = 1 Picul.  Die ursprüngliche chinesische Forderung von 60 Taël war von den Engländern nicht zugestanden worden. Das Opium durfte von den Engländern nur im Hafen verkauft werden, und wurde von den Chinesen weiter ins Innere geschafft, wo der chinesischen Regierung freistand, nach Gutdünken weitere Zölle zu erheben.
Es ist nicht zu vergessen, dass diese Legalisierung des Opiumhandels nicht mehr von der ostindischen Kompagnie durchgesetzt wurde, sondern von der englischen Regierung, die das Besitztum der Kompagnie, welche sich in der 1856 ausgebrochenen indischen Meuterei den an sie gestellten Aufgaben nicht mehr gewachsen gezeigt hatte, an jene übergegangen war.
Im Jahre 1876 wurde dann in Chefoo (am Busen von Petschili) wieder ein Vertrag zwischen England und China verabredet, der den Opiumhandel neu regeln sollte und besonders darauf gerichtet war, dem Schmuggel in China selbst entgegenzutreten. Dasselbe hatte nämlich den Binnenzoll (Li-kin) bisher möglichst hoch geschraubt und damit den Schmuggel im eigenen Lande gross gezogen.
Schätzungen  der Menge des wirklich aus Indien nach China exportierten und dort verkauften Opiums in Tonnen:
1767 60 1865 4630 1882 4992
1781 169 1866 4920 1883 5031
1800 242 1867 5234  1884 4816
Von jetzt ab Verbot des Handels und Fortführung desselben durch Schmuggel: 1868 4207 Chefoo Agreement:
1869 5353 1885 4967
1870 5365 1886 5363
 1805  181 1871 5171 1887 5857
1825 730 1874 5732 1888 5501
1830 1028 1875 5285 1889 5503
1835  1815 1876 5860 1890 4972
 1.Krieg:   1877 5616 1891 5553
1850  4235 1878 5518 1892 5504
2. Krieg   1880 5859 1893 5282
1860:  4840 1881 4916 1894 4981

Weitere Angaben sind:
Chinesische Handelsbilanz 1893: Gesamtimporte 950 Mio. Fr. wovon das offiziell importierte Opium ca. ein Viertel.
ab 1842 wurde auch in China Opium produziert (1890 ca. 13000 Tonnen), 1894 Tendenz stark steigend.
Eine von der französischen Regierung seit 1882 in Saigon betriebene Fabrik für indisches Opium, Jahresgewinn 8 Mio Fr.; oder der Verbrauch von Opium in Java von 420 Gramm pro niedergelassenem Chinesen im Jahre 1870.
Gladstone betrachtete schon 1840 den Opiumkrieg als eine Schande für Grossbritannien und protestierte im Parlament. Was umso bemerkenswerter ist, da er noch 1830 die Sklaverei in Westindien verteidigte.
Zwecks Erhaltung des Britischen Opium Monopols bezahlte die britische Regierung Frankreich und Portugal Entschädigungen dafür, dass sich diese verpflichteten, den Anbau in ihren Besitzungen (Pondichéry und Goa) nicht zu gestatten.
Nach der offiziellen britischen Lesart (1830 ff.) gehört der Opiumkonsum zum chinesischen Volksgut, was den Vorwand zum Opiumkrieg lieferte.

Volltext als PDF-File 1243kB, Zum Hundertsten Neujahrsblatt von Ferdinand Rudio; Das Opium als Genussmittel von Carl Hartwich

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