Neujahrsblatt der NGZH Nr. 105 auf das Jahr 1903; 25S. mit 1 Tafel (Photolitho) und 8 Fig. im Text
(Format des Hefts: 22.5 x 28.2 cm)
Die elektrischen Wellen und ihre Anwendung zur drahtlosen Strahlentelegraphie nach Marconi.
von Prof. Dr. A.Weilenmann
Druck von Zürcher & Furrer in Zürich, in Kommission bei Fäsi & Beer in Zürich
 
Umschlag1913
herausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
auf das Jahr 1903.
105. Stück.

Die elektrischen Wellen
und ihre Anwendung zur drahtlosen Strahlentelegraphie 
nach Marconi.
 

von 

Prof. Dr. A.Weilenmann
 

mit 1 Tafel und 8 Figuren im Text
 

Zürich
In Kommission bei Fäsi & Beer.

 

German only

 
 
 
 

Inhalt:
Einleitung
Wellencharakter des Lichts
Elektromagnetische Lichttheorie von Maxwell
Der Kohärer
Nachweis der Reflexion und Beugung von elektromagnetischer Strahlung
Beschreibung eines Senders und eines Empfängers 
Versuche von Marconi

 

...
Als Einblick die Seiten 16-19
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in welche ein Telegraphenstromunterbrecher eingeschaltet war. Die Korrespondenz gelang mit dem nähern Flat Holm vollständig, dagegen nicht mit dem entfernteren Steep Holm.  Auch mit Dampfbooten wurde Verständigung mittelst der gleichen Einrichtung versucht, gelang aber nur, wenn die Kabel an die Wasseroberfläche gezogen wurden. Nach demselben Prinzipe mit auf mehrere Kilometer verlängerten Leitungen konnte man in Schottland auf 2 km. sowohl telephonieren als auch telegraphieren.  Bei einer bestimmten Zahl von Stromwechseln in der Sekunde war die Korrespondenz am deutlichsten, und nahm die Wirkung sowohl mit der Vermehrung als auch der Verminderung der Stromwechsel ab.  Die Leiter an beiden Stationen mussten jeweilen parallel geführt werden.
Die Wirkung beruht auf der Tatsache, dass, wenn in einem Leiter wechselnde Stromstösse erfolgen, solche in gleicher Häufigkeit in einem parallel gezogenen Leiter entstehen, und zwar um so intensiver, je näher die beiden Leiter aneinander liegen, je länger sie sind und je stärker der Strom ist.  Man nennt dies die Induktion.  Je weiter die Drähte von einander abstehen, um so intensivere Ströme sind notwendig, um eine merkliche Induktion zu erzielen.  Daher musste Preece verhältnismässig grosse parallele Drahtlängen und starke Ströme benutzen.
W. und E. Rathenau arrangierten im Verein mit H. Rubens im Jahre 1894 neue Versuche auf dem Wannsee bei Potsdam. Am Ufer stand eine Batterie von 75 Akkumulatoren, also mit 150 Volt Spannung. In 500 m. Abstand von einander wurden zwei Zinkplatten von je 15 m² Oberfläche in dem See versenkt und mit den beiden Polen der Batterie verbunden.  Zugleich wurde ein Telegraphenunterbrecher (Morsetaster) und ein Regulierwiderstand in die Leitung eingeschaltet, ebenso ein automatischer Stromunterbrecher mit 150 Unterbrechungen per Sekunde. Von zwei Booten in Abständen von 40 bis 300 m. wurde ebenfalls je eine Zinkplatte von 4 m² Oberfläche versenkt und durch ein Kabel verbunden, in welches zwei Hörtelephone eingeschaltet waren.  Durch Niederdrücken des Morsetasters entstanden länger oder kürzer dauernde Stromstösse in der Akkumulatorenleitung. Durch Induktion wirkten sie auf die Leitung zwischen den Schiffen und wurden sie in den Telephonen durch ebenfalls längere oder kürzere Geräusche bemerkbar. Man konnte so, entsprechend dem telegraphischen Alphabete, verschieden lange Zeichen geben und derart die Buchstaben zusammensetzen.  Die Verständigung gelang bis auf 4½ km.  Eine zwischenliegende Insel verursachte keine Störung.
Nun trat bald der seither sehr bekannt gewordene Italiener Marconi mit seinem System der drahtlosen Telegraphie auf den Plan, welches allerdings sowohl in Bezug auf Einfachheit der Hülfsmittel als Wirksamkeit die bisherigen Methoden weit übertraf.
Gegen Ende des Jahres 1896 berichtete Preece in einem Vortrage darüber, aber  allerdings  wegen patentrechtlichen Interessen noch sehr geheimnisvoll. Während des Vortrages wurden sogar einige Versuche mit den Marconischen

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Apparaten ausgeführt, aber deren innere Einrichtung nicht gezeigt. Preece erklärte, er habe Vertrauen in die Sache, und die englische Postbehörde interessiere sich für die Erfindung und werde keine Kosten scheuen, um eingehende Versuche anzustellen.
Dann allerdings brachte Preece in einem neuen Vortrage den 4. Juni 1897 nähere Details über die Erfindung Marconis, und wurde so die Strahlen- oder Funkentelegraphie, auch Wellentelegraphie, welche, wenn schon nicht ganz gerechtfertigt, drahtlose Telegraphie genannt wird, näher bekannt.  Die letztere Benennung ist deshalb nicht absolut richtig, weil freilich Drähte gebraucht werden, nur keine Verbindungsdrähte zwischen den beiden korrespondierenden Stationen.
Es ergab sich, dass eigentlich alle Apparate, die Marconi notwendig hatte, schon vorhanden gewesen.  Der Sender war genau der Righi-Sender in Fig. 1, der Empfänger der durch Fig. 4 dargestellte. Nur wurde anstatt der Klingel K1 in letzterer ein Telegraphenschreibapparat (Morseapparat) T eingesetzt, wie es Fig. II der Tafel zeigt.  Allerdings hat er den Fritter F wesentlich empfindlicher gemacht und erst in der Art konstruiert, wie er hier beschrieben wurde. Auch das Relais R, welches man sonst beim gewöhnlichen Telegraphieren benutzte, war nicht zuverlässig genug und wurde dasselbe durch Marconi ebenfalls verfeinert.
Sein Hauptverdienst bestand darin, das vorhandene Material in genialer Weise zusammengestellt und gezeigt zu haben, dass die vom Righi-Sender G ausgehenden Wellen auf sehr weite Distanz wirksam genug sind, wenn die angewendeten Induktionsapparate J (Fig. I der Tafel) genügend gross gewählt werden. Preece hat in seinem Vortrage erwähnt, dass bis 6½ km. Distanz Induktorien von 15 cm. Funkenstrecke genügen, für grössere Entfernungen aber solche bis 50 cm. Funkenstrecke erforderlich seien.
Die ersten grössern Versuche wurden 1897 über den Bristolkanal auf 14 km. Distanz mit gutem Erfolge ausgeführt.  Die grossen Kugeln des Righi-Senders G (Fig. 1) wurden in der Grösse von 10 cm. Durchmesser gewählt und tauchten in Vaselinöl.  Den 14., 15., 16. und 18. Juli 1897 leitete Marconi Versuche in Spezzia von der Küste nach einem Schiffe. Bis 16½ km. gelang die Korrespondenz gut.  Gestört wurde sie durch elektrische Spannungen in der Atmosphäre, durch Berge, Inseln, Landvorsprünge oder durch die Masten und Schornsteine des Schiffes, wenn sie sich im Wege der Strahlen befanden.
Sehr gut gelingt die Zeichengebung auch durch die Anordnung, wie sie in Fig. I der Tafel dargestellt ist, und wie ich dieselbe sofort gebraucht habe, als mir 1897 die nähern Details des Marconischen Verfahrens bekannt wurden.  Ich sagte mir, es gehören zur Entwicklung kräftiger Wellen hohe Frequenz, hohe Spannung und Funken, welche weniger Licht und Schall, dafür aber mehr elektrische Energie ausstrahlen, und dazu seien wohl die Funken der sogenannten Teslaströme sehr geeignet, was auch die Versuche bestätigten. Ich hatte also gar

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nichts Neues anzuschaffen als einen nach Marconis Vorschrift selbst angefertigten Fritter für 50 Cts.  Alles andere war schon da.  Allerdings war das Relais, welches mir anfänglich zur Verfügung stand, ein gewöhnliches Telegraphenrelais, System Hipp, welches nicht zuverlässig genug arbeitete.  Nach Anschaffung des polarisierten Relais Fig. 3, beziehungsweise R in Hauptfigur II, funktionierte alles tadellos.
In Hauptfigur I sehen wir bei B eine Akkumulatorenbatterie; R ist ein Stromregulator.  Der Strom geht min vom einen Batteriepole zum Regulator R mit dem hochgebogenen Drahte ganz links,  dann vom Regulator mit nahe kreisförmigem Drahte zum Morsetaster K, von diesem durch einen kurzen in scharfer Ecke nach oben gekrümmten Draht zur einen Hauptklemme des Induktors J.  Von der andern Klemme des letztem  läuft ein langer Draht unterhalb der obersten Biegung des vorher genannten fast kreisförmigen Drahtes zurück zur Batterie B.  Wird also der Morsetaster K längere oder kürzere Zeit heruntergedrückt, so entsteht Stromschluss und der Induktor setzt sich in Funktion. Gerade hinter dem Induktor J stehen zwei Leidnerflaschen L, deren innere Belegungen Stangen nach oben besitzen, welche durch einen dickem Querdraht verbunden sind. Die äussern Belegungen haben gleichfalls leitende Verbindung, indem die Flaschen auf einer Metallunterlage stehen. Von den zwei oben stehenden Sekundärklemmen des Induktors ist diejenige rechts direkt mit der innern Belegung der Flasche, die links mit der äussern verbunden.  Der Draht links geht nämlich zum Querstabe oben auf der Säule Q links von den Flaschen, von wo ein starker lotrechter Draht zur Metallunterlage führt. Ziemlich in der Mitte des Bildes steht nun ein zweiter Induktor oder Transformator (Umformer) T, System Elster und Geitel.  Zwischen diesem und dem Regulator R bemerkt man ein Gestell F, das oben eine regulierbare Funkenstrecke von wenigen Millimetern zwischen zwei kurzen Zinkstäben trägt. Am Transformator T erkennt man leicht die weite primäre Wicklung, bestehend aus nur fünf Windungen dicken Drahtes, welche durch darüber gezogenen Gummischlauch gut von einander isoliert sind. Im Innern steht, ohne Verbindung mit der primären Wicklung, aufrecht eine längere und dünnere Säule aus Glas, welche mit dem ebenfalls dünnern sekundären Drahte in zahlreichen Windungen bewickelt ist. Das eine Ende der primären Spule von T steht nun mit dem linken Stabe der Funkenstrecke F, das andere Ende mit der innern Belegung der Leidnerflaschen L in Verbindung. Der erstere Draht führt in scharfem Bogen gerade vor den Akkumulatoren vorbei, der andere vor der rechten Kugel 5.  Vom zweiten Stabe der Funkenstrecke F geht eine Leitung nach der Säule auf der Metallunterlage der Flaschen L.  Endlich stehen hinter den letztem  zwei Hartgummisäulen, welche die ziemlich grossen Messingkugeln S an zwei verschiebbaren Stäben tragen. Diese sind einerseits mit dem obern, anderseits mit dem untern Ende der innern sekundären Spule des Transformators T verbunden. Der Vorgang ist nun folgender:

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Wird der Morsetaster K (Fig. I) heruntergedrückt, so ist der Stromkreis der Batterie B durch die innere Spule des Induktors J geschlossen.  Der Selbstunterbrecher des letztem  kommt in Gang und es entstehen wechselnde Induktionsströme in der äussern Spule von J.  Diese gehen durch die innere Belegung der verstärkenden Leidnerflaschen L, die fünf groben Windungen des Transformators T, die Funkenstrecke von F, die äussere Belegung der Flaschen L zurück zum zweiten Pole der äussern Spule des Induktors. Bei F entstehen glänzende, sehr geräuschvolle Funken.  Dieser infolge des Selbstunterbrechers wechselnde Strom wirkt induzierend auf die innere lange Spule von T, so dass in dieser wegen der grössern Windungszahl eine erhöhte Spannung, und zwischen den beiden Enden derselben durch die Kugeln S hindurch ebenfalls ein Wechselstrom entsteht, so dass bei S Funken überspringen.  Es entstehen also beim Sender Fig. I im ganzen drei Funken, einer beim Selbstunterbrecher des Induktors J, ein zweiter bei der Funkenstrecke von F und der dritte zwischen den Kugeln 5.  Der erste, einer sehr geringen Spannung entsprechend, ist nur sehr klein und bloss auf die allernächste Umgebung wirksam.  Der zweite ist weiss glänzend, verursacht sehr starkes Geräusch. Aber man kann hier auch sagen „viel Lärm um nichts”; denn trotz seines Gepolters, oder vielmehr gerade deswegen reicht seine Strahlenwirksamkeit nur auf eine kurze Strecke.  Er verpufft seine Energie in der Hauptsache in Lärm und Licht.  Der letzte Funke bei S von hoher Spannung und grosser Frequenz ist sehr wenig leuchtend und nur schwach tönend.  Er ist es, welcher die weittragenden Wellen aussendet.  Man kann sich davon leicht überzeugen, wenn man die Kugeln S mit einem Drahte verbindet. Der Empfänger spricht dann nicht an, obschon die zwei ersten Funken noch vorhanden sind.
Der Empfänger in Hauptfigur II ist bereits beschrieben worden.
Je nachdem der Morsetaster K, Fig. I, längere oder kürzere Zeit heruntergedrückt wird, entstehen auf dem Papierstreifen des telegraphischen Schreibapparates T, Fig. II, auch längere oder kürzere Zeichen, aus welchen die Buchstaben zusammengesetzt werden.
Übrigens ist zu erwähnen, dass in Wirklichkeit die erste Zeichenübertragung mit elektrischen Wellen, und zwar auf telephonischem Wege von Prof. E. Hughes, dem Erfinder des Drucktelegraphen und des als telephonischer Sender gebrauchten Mikrophons, im Jahre 1879 ausgeführt wurde.  Er hatte dazu schon im Prinzipe einen Fritter (Kohärer) als Empfänger gebraucht. Leider hatte er seine Versuche nicht veröffentlicht; aber durch das glaubwürdige Zeugnis berühmter englischer Gelehrter wie Preece, Crookes, Spottiswoode, denen er seine Experimente zur genannten Zeit vorführte, ist die Tatsache unzweifelhaft erwiesen.  Hughes gibt in einem längern Briefe an J. J. Fahie in London vom 29. April 1899 nähere Auskunft über sein Verfahren, konnte sich aber 1879 und noch später über die Ursache der Wirkung auf Distanz keine Rechenschaft geben, weshalb er nichts veröffentlichte.
Telegraphen-Sender
Schaltbild
Anmerkung: Vor einem Nachbau wird gewarnt, es kann lebensgefährlich werden!
Righi-Sender arbeiteten mit bis zu ca. 5 GHz. Der Kohärer (oder Fritter) war damals die einzige Möglichkeit, solche Wellen nachzuweisen. - Um die Abhörsicherheit zu erhöhen, wird vorgeschlagen, regelmässig die Sendefrequenz zu wechseln. Die Partikel/Wellendualität des Photons war zugunsten der Welle entschieden. Die Maxwell-Gleichungen werden mit der Aethertheorie verknüpft und als spekulativ behandelt.

Das Schlusswort ist prophetisch: „Wenn einmal die Zeit sein wird, wo Jeder seinen Strahlenapparat hat, wie jetzt das Telefon, und ein guter Geschäftsfreund ihm durch die reinen Aetherwellen eine Quittung mit der eigenen Handschrift unterschrieben übersendet, ohne dass er staatliche Drahtleitungen zu Hülfe zu nehmen braucht, so findet man dann die Sache gewiss sehr nützlich und angenehm.”

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