Neujahrsblatt der NGZH Nr. 114 auf das Jahr 1912; 10S. mit 3 Tafeln.(Format des Hefts: 22.4 x 28.4 cm)
Aus der Wolkenwelt.
von Alfred de Quervain
Umschlag1913
herausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
auf das Jahr 1912.
114. Stück.

Aus der Wolkenwelt.

von 

Alfred de Quervain
 

mit 3 Tafeln nach photographischen Originalaufnahmen
 

Zürich
In Kommission bei Beer & Cie.

 

German only
Cumulus transition to cumulo-nimbus
Paris, France
...

„Was muss der Gebildete heutzutage von der Wolkenwelt wissen?“ Ich meine, dass dieser unglückliche Gebildete von heutzutage weder von meiner Wolkenwelt, noch sonst von irgend etwas Bestimmtem etwas Bestimmtes wissen muss.
Aber gerade bei so alltäglichen Erscheinungen, wie die, über welche wir uns jetzt unterhalten werden, lohnt es sich vielleicht am ehesten, im Vorbeigehen freiwillig dies und das mitzunehmen, was unsere Beziehungen zu diesem Alltäglichen vertiefen kann.
Und wenn irgend ein Gebiet der Meteorologie alle anziehen wird, die mit der Natur fühlen, dann ist es das Kapitel von den Wolken!
Besonders an diese Gebilde denkt der grosse Ästhetiker Ruskin, wenn er von unserer meteorologischen Wissenschaft die begeisterten Worte sagt: „Ihre Gedanken sind inmitten der Lieblichkeit der Schöpfung; sie führt die Seele wie das Auge zum Morgennebel, zur Mittagsglorie und zur Abendwolke; es ist ein Wissen, welches wie wir unwillkürlich empfinden voll ist von der Seele der Schönheit. Sein Interesse ist unerschöpflich, unverringert an jedem Ort, zu jeder Zeit. Der, dessen Reich der Himmel ist, kann nie die Erscheinungen einer Stunde aus schöpfen; er ist in einem Reich beständigen Wechsels - ewiger Bewegung - endlosen Geheimnisses.“
Ich muss dem Ästhetiker vollkommen zustimmen, schon deshalb, weil er die Poesie, die Seele der Schönheit auch ausserhalb der üblichen, stellenweise öden Pfade der literarischen Zünftler zu finden weiss. Der ästhetische Genuss ist zwar nicht das Ziel unserer Fachwissenschaft; aber es ist doch erfreulich, dass das reine, unmittelbare Naturempfinden, das ich künstlerisch nenne, durch wissenschaftliche Forschung, durch sachliche Kenntnis nicht etwa, wie man gemeinhin behauptet, gestört oder unmöglich gemacht werden muss, sondern im Gegenteil bedeutend entwickelt und vertieft werden kann. Ein gedankliches, tiefes Eindringen in die Dinge, ein Wissen um ihr Werden und Vergehen ist ein Quell des intensivsten sich Vertraut- und Einsfühlens mit dem Naturgeschehen um uns her - soweit dieses Einssein überhaupt unser Wesen erschöpft.
Sobald wir beginnen die Wolken zu studieren, so finden wir, dass Wolkenstudium und Wolkenbenennung, Wolkenklassifikation sehr nahe zusammenfallen.
Wenn ich von Wolkenklassifikation spreche, mögen Ihnen allerdings zwei zweifelnde Fragen nahe liegen: Ist es nicht von vornherein ein hoffnungsloses
 
 

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Beginnen, in dem endlosen Vielerlei des Wolkenhimmels Ordnung zu schaffen?
Kann man diesem Chaos von ineinander übergehenden Gebilden Namen geben?
Bei näherer Beschäftigung mit den Wolken erkennt man, dass eine. solche Ordnung tatsächlich zu schaffen ist, weil sie in der Natur existiert. Es kommt für den Wolkenkenner ein Zeitpunkt, wo er in der Hauptsache alle Formenmöglichkeiten kennt; und dabei sieht und meint nicht etwa der eine Beobachter dieses und der andere etwas ganz anderes; sondern es ist eine Erfahrungstatsache, dass die, welche ihre Wolkenkenntnis nicht aus Büchern haben, sich gegenseitig sogar über Einzelheiten sehr gut verständigen.
Nun kann man aber die zweite Frage aufwerfen, ob nicht in verschiedenen Erdgegenden die Wolkenformen so verschieden seien, dass doch keine allgemein gültige Klassifikation möglich sei. Zur Beantwortung dieser Frage sind von einem englischen Meteorologen besondere Weltreisen unternommen worden, und das Ergebnis war, dass nicht nur für eine bestimmte Gegend die Zahl der Wolkentypen beschränkt ist, sondern dass auf dem ganzen Erdenrund in der Hauptsache eben dieselben Formen wiederkehren. Kennen Sie die launischen Gestalten zu unsern Häuptern einmal, so werden Sie dieselben am Nordkap ebenso gut wiederfinden, wie am Kap der guten Hoffnung.
Um die Aufstellung der Grundformen der Wolken hat sich zuerst der durch Göthes Schriften nicht unbekannte Luke Howard vor ungefähr 100 Jahren durch seine klassische Schrift „On the modifications of clouds“ verdient gemacht. Diese Grundformen, deren Kenntnis fürs erste genügt, sind so wenig zahlreich, dass man sie an den Fingern herzählen kann. Zur bessern internationalen Verständigung werden lateinische Wolkennamen gebraucht, für welche aber meist auch gute deutsche Namen vorhanden sind.
Man unterscheidet da, um mit den höchsten Wolken anzufangen: zweierlei Arten von Federwolken, den Cirrus und den Cirrostratus in 8000 bis 10,000 Metern Höhe; dann zweierlei Arten von Schäfchenwolken, feine und grobe, die Cirrocumulus und Altocumulus, zwischen 6000 und 4000 m Höhe, und in letztem Höhen auch eine durchgehende Schichtwolke, den Altostratus, dann zwei tiefere Schichtwolken, die regnende Nimbus und die gutmütige Stratocumulus genannte, dann auch zweierlei Haufenwolken, die gutartige Cumulus, die bösartige Cumulonimbus benannt, schliesslich noch zwei ganz tiefe Winterwolken, den Hochnebel und den Nebel, Stratus und Nebula in der lateinischen Benennung.
Auf diese Formen wollen wir später näher eingehen, wenn wir ihre Entstehung besprechen; hingegen sind hier noch einige allgemeine Bemerkungen über die Klassifikation am Platz.
Es wäre wohl vom wissenschaftlichen Standpunkt am besten, wenn man die Wolken nach ihrer Entstehung und physikalischen Beschaffenheit einteilen würde; aber da man zur Zeit, als die Wolkennamen festgesetzt wurden, noch sehr wenig von ihren Entstehungsumständen wusste, wurden sie nach ihrer äussern Form,
 

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ihrer Erscheinung klassifiziert; daran hat die Klassifikation festgehalten. Nun hat aber auch die Einteilung nach der äusseren Form ihre innere Bedeutung Die Form der Wolke hängt ganz eng mit ihrer Bildungsursache zusammen. So viel verschiedene typische Wolkenformen wir unterscheiden, welche immer wieder kehren, so viel verschiedene Entstehungsumstände gibt es in der Atmosphäre; die Wolke ist also eine sichtbare Ankündigung eines sonst unsichtbaren Vorgangs von bestimmtem Charakter. Die verschiedenen Wolkenformen bilden zusammen die Elemente einer Hieroglyphenschrift am Himmel, und wenn man diese Hieroglyphen zu lesen versteht, dann sind sie wertvolle Wetterzeichen; von diesen Wolken-Wetterhieroglyphen werden wir später noch einige kennen lernen.
Es schwebt jede Form in einer besondern Höhe; allerdings kommen im Einzelfall bedeutende Abweichungen vom Mittelwert vor. Aber daran ist doch festzuhalten, dass mehrere Wolkenarten, wenn sie zugleich am Himmel stehen, relativ zu einander eine ganz bestimmte Höhenfolge innehatten, mit Ausnahme der Cumuluswolken, die wie ein Lift alle Wolkenetagen durchbrechen. Es seien z. B. zugleich Federwolken, Schäfchen und sogenannte Stratocumuluswolken am Himmel: dann schwebt unter allen Umständen die Federwolke am höchsten, dann folgen die Schäfchen und zu unterst der Stratocumulus. Es ist leicht einzusehen, dass ein solches Gesetz bei der Wolkenklassifikation sehr wichtig ist.
Dadurch, dass man den Himmel häufig längere Zeit beobachtet, erlangt man eine gewisse Fähigkeit, die dem Anfänger noch abgeht, sich die Wolkengebilde und die sie trennenden Räume richtig plastisch vorzustellen; das bringt grossen Genuss. Es handelt sich darum, auf den ersten Blick richtig zu erfassen, welche Teile einer Wolke wirklich in die Höhe ragen, und welche sich nur in der Perspektive so darstellen, und tatsächlich einfach horizontal nach vorn oder hinten verlaufen. Der Eindruck wird dadurch oft ein ganz anderer. Es ist nicht gleich gültig, ob wir nur ein Wolkenband vor uns sehen, das wenige hundert Meter Mächtigkeit hat, und nur perspektivisch in die Höhe ragt, oder ob es in Wirklichkeit eine Wolkenburg ist, die sich zu doppelter Montblanc-Höhe türmt.
Aus was bestehen die Wolken? Ohne Zweifel aus Wasser! Es interessiert uns aber, in welcher Form dies Wasser besteht. Da ist nun zu unterscheiden zwischen Wolken der höchsten Regionen, die aus ganz feinen Eisnädelchen zusammengesetzt sind, und tieferen Wolken, die aus Wassertröpfchen bestehen. Diese Tröpfchen sind so klein, dass es ihrer etwa 250 Millionen braucht, bis sie zusammen nur ein Gramm wiegen. Ein so leichtes Tröpfchen fällt in einer Stunde nicht mehr als 30 - 40 m; so begreifen wir, wie eine Wolke sich schwebend in der Luft halten kann.
Es ist zu der Frage des Schwebens der Wolken noch daran zu erinnern, dass eine Wolke ja gar nicht fortwährend aus den gleichen Teilchen besteht; manche gehen ab und verdunsten, andere kommen immer neu dazu, die Wolke bleibt nur scheinbar dieselbe.

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Warum bildet sich aber eine Wolke? Dies geschieht aus dem gleichen Grund, weshalb sich Nebel bildet. Es ist Ihnen bekannt, dass die Luft immer eine gewisse Menge von Wasser enthält, aber in unsichtbarer Gasform. Je wärmer es ist, um so mehr Wasserdampf kann die Luft unsichtbar in sich aufnehmen; bei den Sommertemperaturen unserer Gegenden bis zu etwa 25 g im Kubikmeter. Umgekehrt muss die Luft, wenn sie unter eine gewisse Temperatur abgekühlt wird, einen Teil des Wassergases in Form von flüssigen Tröpfchen kondensieren. Nur beiläufig sei bemerkt, dass diese Wassertröpfchen sich mit grösster Vorliebe an die in der Luft vorhandenen feinsten Staubteilchen ansetzen.
Also Wolkenmaterial bildet sich immer, wenn feuchte Luft sich genügend abkühlt. Je nachdem die besonderen Umstände dieser Abkühlung beschaffen sind, darnach gestaltet sich auch die Wolkenform. Die uns sonst geläufigen Abkühlungsvorgänge sind: Abkühlung durch Wärmeausstrahlung oder Wärmefortleitung; diese beiden spielen aber in der Atmosphäre eine untergeordnete Rolle; eine sehr grosse Rolle dagegen folgender Vorgang, der speziell den gasförmigen Körpern eigen ist: Wenn eine Luftmasse unter geringem Druck kommt, als sie vorher war, so wird sie notwendig auch kälter, als sie vorher war, und dies aus keinem andern Grund, als weil sie sich bei dieser Verminderung des Druckes ausdehnen und da bei Arbeit leisten muss. Wenn z. B. das Barometer sehr schnell fällt, wird schon wegen dieser Druckabnahme die Luft ein bisschen kälter; allerdings ist es nicht merklich.
Nun ist bekannt, dass der Luftdruck in dem Masse, wie man sich in die Höhe erhebt, sehr schnell abnimmt. In 2500 m Höhe besteht bloss etwa 2/3 des Drucks am Erdboden. Es wird sich darum eine Luftmasse, die in die Höhe steigt, verhältnismässig stark abkühlen. Auf je 100 m Steigens macht es zufällig genau einen Grad Abkühlung aus, diese Art von Abkühlung (adiabatische Abkühlung genannt) ist bei der Wolkenbildung sehr häufig, ja geradezu der wichtigste Faktor.
Wir können jetzt an die Besprechung der Entstehung einzelner Wolkenformen gehen, und ich will den Versuch machen, Ihnen das Entstehen dieser Formen hier, vielleicht zum erstenmal, von einem einheitlichen Gesichtspunkt aus zu entwickeln.
Versetzen wir uns in den frühen Morgen eines klaren Septembertages. In der langen Nacht hat die Wärmeausstrahlung gegen den Weltraum die Erdoberfläche stark abgekühlt, und damit auch die dem Boden nahen Luftschichten. Diese werden so kalt, dass der Taupunkt erreicht wird; es scheiden sich Nebeltröpfchen aus und höher und höher steigt die Nebelschicht, an ihrer Oberfläche sich weiter abkühlend und deshalb weiter in die Höhe wachsend.
Nun ist aber die Sonne aufgegangen und die Wärmestrahlen haben durch den Nebel hindurch den Boden etwas erwärmt; so sind auch die untersten Luftschichten in Berührung mit dem Boden wärmer geworden, und der Nebel hat sich unten aufgelöst. Nur oben schwebt, einige hundert m über uns, noch eine

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Decke, der Hochnebel oder Stratus. Bald aber steigt vom Boden wärmere Luft auch dorthin, die Decke zerreisst, es schwimmen nur noch einzelne niedrige Fetzen herum, die Fractostratus. Dann verschwinden auch diese. (Der Stratus bedeutet als Wetterzeichen trockenes Wetter; wenn schnell aus Osten ziehend, eventuell ganz schwache Regen.) Die Sonne wärmt jetzt den Boden und die ihm aufliegenden Luftmassen immer mehr; die warme Luft wird leichter und fängt deshalb an, in einzelnen unsichtbaren Luftsäulen in die Höhe zu steigen; dabei wird sie aber bei je 100 m Aufsteigens um 1 Grad kälter, wie wir schon wissen; und schliesslich sehen wir, nach dem, was wir früher besprochen, den Augenblick kommen, wo diese aufsteigende Luft nicht mehr allen Wasserdampf in unsichtbarer Form in sich behalten kann, sondern anfängt, einen Teil davon auszuscheiden. In diesem Augenblick erscheint an dem vorher blauen Himmel das erste formlose Wölkchen, Fractocumulus genannt. Bald bekommt es eine bestimmte Gestalt, unten eine flache Basis, oben einen runden Gipfel; es ist ein richtiger kleiner Cumulus; seine Höhe über dem Boden lässt sich annähernd berechnen aus dem Feuchtigkeitsgrad, den die Luft beim Verlassen des Erdbodens hatte; je trockener diese Luft war, desto höher oben bildet sich die Wolke; meistens schwebt sie 1000 bis 2000 m über dem Boden. Oft kommt es an einem Tag nicht weiter als bis zur Bildung vieler kleiner neben einander liegender Cumuli (Fig. 1, Taf. II); gegen Abend vergehen sie wieder, was sich zuerst an den zerfransten Umrissen erkennen lässt; oder dann stossen sie immer mehr mit ihren Rändern aneinander, es bleiben nur kleine Lücken, die Gipfel der einzelnen Cumuli werden flach; es entsteht eine einheitliche Wolkendecke in 1500 bis 2000 m Höhe, Stratocumulus genannt, und von einem für das kommende Wetter günstigen Charakter. Für diese Wolkenform gibt es noch andere Entstehungsweisen; ich führe nur diese an.
Oft bleibt aber der Cumulus nicht so klein, sondern wenn die Zufuhr von Luft von unten her sehr gross ist, steigt sein Gipfel hoch empor, vielleicht 2000 bis 3000 m über die Basis, und man bemerkt ein gewaltiges Wallen und Arbeiten in der Wolkenmasse. Was die Wolke immer höher hinauftreibt, ist ihr Überschuss an Wärme gegenüber der umgebenden Luft in gleicher Höhe Und diese relative Erwärmung rührt her von der Kondensation des Wasserdampfs, bei welcher bekanntlich immer Wärme frei wird. Je dampfreichere Luft also in der Wolke aufsteigt, desto stärker wird sie in die Höhe streben. Noch hat die Wolke einen gutmütigen Charakter und in den meisten Fällen wird sie ihren Gipfelpunkt erreichen, indem sie in einer Höhe von ca. 4000 m an eine Luftschicht mit anderer Temperatur und Strömungsrichtung stösst, in welche sie nicht eindringen kann. Ihr Gipfel läuft dann oft in einen flachen Kuchen auseinander; diese flachen, hochschwebenden Decken verschiedener Wolkenindividuen vereinigen sich, und die untern Teile der Cumulussäulen verschwinden; so entsteht eine hoch schwebende Wolkenschicht, etwa in 4000 m Höhe, welche ganz analog sich ge-

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bildet hat, wie der schon erwähnte Stratocumulus; nur dass diese hier in einem viel höhern Niveau schwebt. Diese Decke, die dem entspricht, was man in der Wolkenkunde Altostratus nennt, zerteilt sich nun immer mehr in einzelne Flocken und Ballen, in die Altocumulus-Wolken (Fig. 1, Taf. III). Dies ist eine Entstehungsart des Altostratus und der Altocumulusformen; nicht die häufigste, aber diejenige, die sich am leichtesten erklären lässt. Es kommen in dieser Höhe von 4000 m noch manche andere Schäfchenwolken vor, die sich dadurch auszeichnen, dass sie ihre Gestalt sehr schnell wechseln und von einer Varietät in die andere übergehen. Bald sind es grobe Ballen, bald feine, zarte Bällchen, oder es ordnen sich auch die Schäfchen zu eigentlichen Reihen, wie Wasserwogen an. Man hat es hier auch tatsächlich mit Luftwogenbildungen zu tun, die ganz den Wasserwogen entsprechen. Diese Luftwogen bilden sich dann, wenn zwei Luftströmungen mit verschiedener Bewegung und verschiedener Temperatur scharf abgegrenzt übereinander weglaufen; es treten dann die gleichen physikalischen Bedingungen ein, die bewirken, dass der Wind eine glatte Wasserfläche in Wellen legt.
Die Luftwogen haben je nach den Umständen Längen bis zu mehreren tausend Metern. Im Wellenkamm kann dann die Luft um einige hundert Meter gehoben werden. War die Grenzschicht schon vorher ziemlich feucht, so genügt die Abkühlung, welche, wie wir wissen, bei einer solchen Hebung eintritt, um den Wassergehalt zur Kondensation zu bringen; so wird der Kamm der Luftwoge als Wolkenstreifen sichtbar. Andere Vorgänge können auch zur Hebung und Kondensation der ganzen feuchten Grenzschicht führen.
Das Auftreten solcher Schäfchenwolken ist kein gutes Wetterzeichen; der Volksmund sagt, es seien Wölfe in Schafskleidern. In der Schweiz treten gewisse Formen von ihnen speziell vor F ö h n auf; ganz gleiche Formen sah ich auch als Begleiter des grönländischen Föhns erscheinen. Eine andere Form von Schäfchenwolken, die sog. Altocumulus castellatus, sind wichtige Gewittervorboten; sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sich über das Niveau der Schichtwolken kleine weisse Köpfchen wie Cumuli erheben (in ungewöhnlich starker Ausbildung in Fig. 3, Taf. III); oder es kommt auch vor, dass eine eigentliche flache Schicht ganz fehlt und sich nur viele kleine Köpfchen zu einer Schicht aneinander reihen. Nach meinen eingehenden Beobachtungen traten fast ausnahmslos in einer Gegend Gewitter ein etwa 10 bis 20 Stunden, nachdem solche Wölklein sich gezeigt hatten. Die am meteorologischen Institut in Zürich ausgeführten Ballonmessungen haben den Zusammenhang zwischen diesen Wolken und dem Auftreten von Gewittern in jüngster Zeit aufgeklärt, durch den Nachweis, dass sie sich immer bei ungewöhnlich starker Temperaturabnahme in höhern Schichten bilden, welche ja Gewitter begünstigt.
Kehren wir zu der Cumuluswolke zurück, von der wir ausgegangen sind, und die wir verlassen haben, als ihr Gipfel etwa 4000 m Höhe erreicht hatte,

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und nicht mehr höher steigen konnte, sondern in jener Höhe flach sich ausbreitete. Nehmen wir jetzt an, jene störende Schicht, die den Cumulusturm am Steigen hinderte, sei nicht vorhanden gewesen, oder das Zuströmen und Aufquellen in der Wolke sei so stark gewesen, dass jene Schicht durchbrochen worden sei. Dieses Durchbrechen macht sich oft durch die Bildung von kleinen seideglänzenden Schleiern und Käppchen oben auf dem Scheitel der Cumuluswolke geltend, das sehr charakteristisch ist, und ein ziemlich sicheres Gewittervorzeichen ist (siehe Taf. III, Fig. 4). Nun kann der Wolkenturm noch tausende von Metern hinaufwachsen, wahrhaft gigantische Dimensionen annehmend. Noch hat die Wolke einen gutmütigen Charakter, der sich aus ihren runden, vollen Formen erkennen lässt. Aber der Gipfel ist jetzt so hoch gestiegen, dass er sich weit unter Null Grad abgekühlt hat; jetzt naht der grosse Moment im Leben der Wolke. Mit dem Scheitel des Gebildes geht binnen weniger Minuten eine überraschende Veränderung vor sich: die bisher scharfen, runden Umrisse der Kuppen verflachen sich und fasern in seitlich ausfliessende, weisse Massen aus, die nun nicht mehr aus Wassertröpfchen, sondern aus Eisnadeln bestehen.
Mit dieser äussern Umwandlung hat sich zugleich der ganze Charakter der Wolke verändert; denn jetzt prasseln auch schon die ersten schweren Tropfen aus der Unterseite der Wolke, und rollt der erste Donnerschlag. Der Cumulus ist zum Cumulo-Nimbus, zur Gewitterwolke geworden. Und nun kann die Wolke ins Masslose zunehmen. Aus ihrem Haupt wächst der Eisnadelschirm schnell hervor, meist in charakteristischer Ambossform, wie Fig. 3, Taf. II zeigt. Bald reckt sich dieser Wolkenschirm viele Stunden weit, gespenstisch drohend, über das Land, die Sonne verschleiernd und das Unwetter verkündend. Der Körper der Wolke selbst ist jetzt der Schauplatz der wildesten Wirbelbewegungen; wir wissen das von Luftschiffern, die wider ihren Wunsch in das Chaos einer Gewitterwolke hinein gerieten: Ihr Fahrzeug wurde wild geschüttelt, das Gas aus der Hülle gequetscht und das schwere Schleppseil in den heftigsten Bewegungen bis zum Korb hinauf gewirbelt.
Beim Abziehen der Gewitterwolke zeigt sich die untere Seite der Wolke nicht selten mit halbkugeligen Gebilden wie mit Guirlanden bedeckt; der Engländer nennt sie deshalb festoon cloud, die Wissenschaft Busenwolken oder Mammato-cumulus.
Die untern Wolkenpartieen der Gewitterwolke verschwinden schliesslich, nachdem sich das Gewitter ausgeregnet hat, die obern in 6000-9000 m Höhe schwebenden aber ziehen weiter, zunächst noch als ziemlich kompakte aber weisse Masse, wie das Bild 4, Taf. II zeigt, im Laufe der Stunden und sogar der Tage aber von den verschiedenen Luftströmungen zu immer feineren Locken und ganz langsam sinkenden Streifen ausgesponnen. So entstehen die meisten Federwolken, die Cirrus oder Cirrostratus. Es gibt aber noch weitere Cirrusformen, die auf eine etwas andere Weise entstanden sein dürften, wie ich zum Schlusse noch kurz an deuten möchte.

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Die Kenntnis des Aufbaus der Gewitterwolke gibt uns nämlich unmittelbar das Verständnis für einen noch viel ausgedehntem Wolkenkomplex; denken Sie sich die horizontalen Dimensionen einer Gewitterwolke verhundertfacht, und Sie bekommen die Wolkenbedeckung jener grössern Gebiete niedrigen Luftdrucks, der barometrischen Depressionen, die uns von Westen her schlechtes Wetter zu bringen pflegen. Die der Depression voraneilenden Federwolken mit ihren Ringen um Sonne und Mond sind Ihnen ja als Vorboten eines Wetterumschlages wohlbekannt. Ihnen folgen in unserm Lande zunächst meist Föhnschäfchen, dann erst die geschlossene graue Decke des Altostratus, und bald auch die tiefere regenbringende Nimbusdecke. Steigt dann das Barometer wieder, so treten oft grosse Cumulus und Cumulo-Nimbus mit wechselndem böigen Wetter auf, die besonders für das „Aprilenwetter“ charakteristisch sind.
Vergessen wir aber jetzt Wolkenzeichen und Wetterregeln, lateinische Namen und die Wissenschaft, und behalten wir nur den Eindruck, dass wir nicht in einem Reich toter Formen geweilt haben, auch nicht in einem Chaos, sondern in einer Welt lebendiger, organisch wachsender und vergehender Gebilde. Und bevor wir uns ganz von unserm Gegenstand trennen, betrachten wir noch einmal, nun nicht mehr vom Erdboden, auch nicht nur vom Ballonkorb aus, sondern aus der weiten Ferne des Weltraums unsern Planeten, unsere Erde, mit ihren rötlichen Land massen, ihren grünen Meeren, wie sie umschwebt ist von einem Strahlenband silberhell glänzender Schleier; da werden wir die Majestät der kosmischen Intuition des uralten Dichters nachempfinden, der zum Weltenschöpfer spricht:

Du hast die Erde in das Nichts gehängt;
In Wolken hüllst du sie, wie in ein Kleid!
 
 
Alto-Cumulus Tafel III: Abb. 1
Bild 1. Schäfchenwolken, in etwa 4000 m Höhe schwebend (Altocumulus), besonders in den dem Horizont nähern Partien den Charakter der Föhnwolken zeigend; die Alpenkette ist sichtbar, wie dies bei Föhnsituation der Fall zu sein pflegt. Aufnahme des Verfassers vom Zürichberg nach Süden. 

Photo:
E 8° 33' 56", N47° 22' 41", 560 masl, direction 180°
Switzerland, Zurich 

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