Neujahrsblatt der NGZH Nr. 121 auf das Jahr 1918; 23S. mit 1 Titelbild und 3 Textfiguren (Format des Hefts: 22.7 x 29.5 cm)
Dr. David Friedrich Wiser.
(1802-1878.)
Lebensbild eines Züricher Mineralogen
von U. Grubenmann
Druck von Zürcher & Furrer in Zürich, in Kommission bei Beer & Cie. in Zürich
Umschlag1913
herausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
auf das Jahr 1918.
120. Stück.

Dr. David Friedrich Wiser.
(1802-1878)
Lebensbild eines Züricher Mineralogen

Von 
U. Grubenmann.
 

mit einem Titelbild und drei Textfiguren
 
 

Beer & Cie. in Zürich

 

German only

David Friedrich Wiser war erst Eisenhändler und dann Privatgelehrter in Zürich.
Das Titelbild besteht aus einer Lithographie einer Brustbildes (Bleistift?) des David Friedrich Wiser durch J. Notz 1849. (Format 20 x 25.5cm)

Dr. h.c. David Friedrich Wiser

Einleitung, Verdankung
David Friedrich Wiser.
Die Abfassung des nachfolgenden Lebensbildes wurde veranlasst durch den Umstand, dass im Laufe des verflossenen Jahres die Wiser'sche Mineraliensammlung aus dem engen Raume im alten Hauptgebäude des Polytechnikums in das neue Naturwissenschaftliche Institut der Eidg. Techn. Hochschule verlegt werden und dort eine besondere Aufstellung finden konnte. Bei dieser Gelegenheit schien es dem Verfasser eine dankbare und pflichtgemässe Aufgabe zu sein, das Lebensbild und Lebenswerk des Mannes, dem wir so viel Schönes und Kostbares zu verdanken haben, der Mitwelt vor Augen zu führen.
Manche wichtige Mitteilung oder wertvolle Mithülfe verdanken wir dabei seinem nächsten noch lebenden Anverwandten, Herrn Dr. F. O. Pestalozzi-Junghans, ferner Herrn Fr. Amberger, den Herren Professoren A. Heim, H. Schinz,
F. Rudio und Universitätssekretär Rüegger in Zürich, sowie Herrn Georges Claraz in Lugano und Professor P. von Groth in München. Für gütige Überlassung der Originale zur Herstellung des Titelbildes und Frauenbildes sind wir Herrn Dr. F. O.Pestalozzi-Junghans, für das Bild aus den späteren Tagen Herrn Prof. H. Schinz und für den Sammlungsplan Herrn Prof. G. Gull zu besonderem Danke verpflichtet.
Der Verfasser.

als Auszug, die Seiten 11-13
...
Alljährlich pflegte er auch eine Reise in die Berge zu machen und dabei die „Straler“, die Mineralienhändler und Mineraliensammlungen zu besuchen. Seine häufigste Route war die neu angelegte Gotthardstrasse bis Airolo und Faido, wobei er unterwegs in den Dörfern nach Mineralien fragte.  Aber auch ins Tavetsch und Bedretto, ins Binnenthal und Berneroberland zog er wieder-

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holt, reiche und seltene Schätze sammelnd.  Dabei kam er mit vielen Kristallgräbern in persönliche Berührung, machte sie, die vorher fast nur die Bergkristalle ihrer Aufmerksamkeit gewürdigt hatten, auch auf die anderen Schweizermineralien aufmerksam und lehrte sie dieselben kennen.  Mit vielen derselben stund Wiser in einem gewissen Vertrauensverhältnis, und sie boten ihm stets gern als erstem ihre Funde an. Damit erhielt er überall die ersten Stücke, und diese waren oft auch die besten und konnten gegenüber heute zu recht billigen Preisen erworben werden. Stücke und Stufen, denen er nicht traute, behielt er sich vor, eine Zeitlang ins Wasser zu legen.  Durch solch engen Verkehr mit den Stralern wurde Wiser im Verlaufe der Jahre eine wahre Fundgrube von Wissen über Schweizermineralien; besondere Mühe hat er sich gegeben, die Mineralfundorte möglichst genau zu eruieren und den spezifisch lokalen Charakter der einzelnen Vorkommnisse und Fundstellen festzulegen.
Er war und blieb stets ein begeisterter Sammler; in den Bergen selber herumzusteigen und die eigentlichen mineralischen Fundstellen zu besuchen, wie z. B. J. Königsberger in der Neuzeit mit so schönem Erfolge es getan hat, das erlaubte ihm seine zarte Konstitution und schwache Gesundheit nicht. Aber durch sein nahezu 50 Jahre lang fortgesetztes eifriges und kritisches Sammeln und Sichten schuf er sich nach und nach unter grossen Kosten eine wundervolle und einzigartige Sammlung von zuverlässigsten Objekten aus der Schweizermineralwelt von allen ihm bekannt gewordenen Fundstellen. Einzelne Mineralien sind in derselben in ungewöhnlich grosser Zahl und Mannigfaltigkeit der Stufen vertreten, so namentlich die Bergkristalle, Brookite, Anatase, Rutile, Flusspate, Apatite, Eisenrosen und Titanite.  Aber auch die Turmaline, Feldspäthe, Epidote, Byssolithe, Aragonit und Magnesit, unter den Zeolithen die Stilbite, Desmine, Chabasite und Laumontite hatten es ihm angetan und liegen darum jetzt in geradezu wundervollen Stufen vor. In der Untersuchung seiner Objekte hielt Wiser sich besonders an die Löthrohrprobe, in deren Handhabung er mit allen Details praktisch aufs gründlichste vertraut war; er benutzte aber auch die Winkelmessungen mittelst Anlegegoniometer oder durch Ausschneiden der zu messenden Kristallwinkel in Kartonstreifen, die stets den Objekten beigefügt wurden. Auf den immer höchst sauber geschriebenen, meist recht ausführlichen Etiketten der Stücke notierte er gerne auch das Urteil von Fachgelehrten über die betreffende Stufe, ferner den Preis und immer auch die französische Bezeichnung nach R. J. Hauy, was einen einstigen Aufenthalt in Paris vermuten lässt.
In seiner Wohnung im Münsterhof 12 hatte Wiser ein eigenes Sammlungszimmer; rings an der Wand standen die Sammlungskästen, gegen das Fenster hin in der Mitte ein Tisch mit Stühlen ringsum und oben an demselben, mit dem Rücken gegen das Fenster, ein Fauteuil für den „Steinhauptmann“, wie Arnold Escher von der Linth seinen Freund scherzweise zu nennen pflegte. Für längere Sitzungen stunden auf einem kleinen Nebentisch stets einige Gläschen

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für Marsala, sowie „Hüpen“ bereit.  Der liebenswürdige und bescheidene Gelehrte hatte eine grosse Freude, Kennern oder Liebhabern seine Sammlung zu zeigen, sich an ihrem Staunen, ihrer Freude oder ihrem Neid zu weiden. Kaum je zeigte er die ganze Sammlung, sondern immer nur Teile derselben, in späteren Jahren unter Anwesenheit und Mithülfe seiner Haushälterin, welche auf Besuche von Interessenten und deren Behandlung genau eingeübt war.  Sie war es, welche die von Wiser bezeichneten Schubladen herauszog und auf den Tisch stellte, eine nach der andern, niemals eine neue, bevor die vorangegangene wieder an ihrem Platze war.  Bei Besuchern, deren Sachkenntnis Wiser nicht bekannt war, erschien immer zuerst eine bestimmte Schublade, in welcher verschiedenwertige zur Prüfung dienende Stücke lagen, Scheinstücke, neben unscheinbaren sehr interessanten auch „kuriose Käuze“, und Wiser beobachtete nun von seinem Lehnstuhl aus, wie der Gast sich die Dinge ansah, auf welche er zuerst losging, welche er näher, welche flüchtiger betrachtete, und daraus bestimmte er für sich, welche weiteren Schubladen er nun diesem Gaste zeigen wolle, und für welche derselbe hingegen nicht reif genug war, um ihre Bedeutung würdigen und geniessen zu können.  Das Allerbeste liess er immer zuletzt aufmarschieren. - Die Wiser'sche Sammlung genoss mehr und mehr eines hohen Rufes, und unter den mineralogischen Fachleuten des In- und Auslandes galt es gewissermassen als Ehrensache, sich bei Wiser einführen und die Sammlung zeigen zu lassen; weitaus die meisten waren ein- oder mehreremal bei ihm zu Gaste.  Daraus entwickelten sich für den Genannten wieder manche wertvollen freundschaftlichen Beziehungen, die ihn mit Freude und Genugtuung erfüllen mussten; stand er doch mit schier allen zeitgenössigen Mineralogen in mehr oder weniger engem Verkehr!  Auch den Studierenden der Geologie, welche für Mineralien Interesse zeigten und von Freund Escher ihm empfohlen wurden, demonstrierte er seine Sammlung mit bekannter Liebenswürdigkeit und machte sie dabei auf vieles Wesentliche aufmerksam; dafür sind ihm die meisten ihr Leben lang dankbar geblieben.  Dem Privatdozenten G. H. O. Volger von der Universität Zürich stellte er einzelne seiner Objekte (Granate, Epidote, Talke, Glimmer etc.) für seine privaten Untersuchungen mit grösster Liberalität zur Verfügung.
Dass Wiser immer mehr zu internationaler Bedeutung heranwuchs, hat er neben seinem Sammlergeschick insbesondere auch seinen zahlreichen Publikationen zu verdanken, über welche den Leser im Anhang eine detaillierte Zusammenstellung einlässlich orientiert. Er benutzte dazu fast ausschliesslich Leonhard's Jahrbuch für Mineralogie, welchem er zwischen 1838 und 1872 fast jedes Jahr einen oder zwei Beiträge zukommen liess, entweder in Gestalt von eigentlichen „Abhandlungen“ oder aber als „briefliche Mitteilung“, die sich in den ersten Zeiten weitaus vorwiegend über schweizerische Mineralien verbreiteten, welche Wiser auf seinen Reisen erworben hatte, in denen er in späteren Jahren aber auch allgemeiner

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über seinen Sammlungszuwachs Bericht erstattete. Wir müssen es uns natürlich versagen, an dieser Stelle spezieller auf die vielen Arbeiten näher einzugehen; jeder Fachmann wird beim aufmerksamen Durchlesen derselben den Eindruck erhalten, dass in diesen vielen Veröffentlichungen ein ausserordentlich reiches und vielseitiges mineralogisches Tatsachenmaterial in überaus bescheidener und anspruchsloser Art der Mitwelt zur Kenntnis gebracht wird unter geschickter Anlehnung an bereits Bekanntes und mit öfteren Hinweisen auf die einschlägige Literatur. Besonders zahlreich vertreten sind in seinen Mitteilungen sorgfältigste Beschreibungen einzelner Mineralvorkommnisse von bestimmten Lokalitäten, fast ausnahmslos unter Angabe der Begleitmineralien und des „Muttergesteins“ der bezüglichen Stufen und verbunden mit wertvollen kritischen Bemerkungen über charakteristische Eigentümlichkeiten des spezifischen Habitus eines gegebenen Minerals in den Vorkommnissen aus den einzelnen Lokalitäten. Es mag im besonderen verwiesen werden auf seine derartigen Angaben über die verschiedenen Vorkommnisse der Apatite, Flusspäthe, Titanite, Eisenglanze, Stilbite, Anatase, Brookite etc. In den späteren Jahren verbreitete er sich sehr gerne über gegenseitige Verwachsungen von Mineralien, über Einschlüsse und andere paragenetische Verhältnisse in der Mineralwelt; auch die Pseudomorphosen beschäftigten ihn namentlich im letzten Jahrzehnt seiner wissenschaftlichen Tätigkeit, und unschwer kann ersehen werden, wie Wiser immer mehr dazu kommt, sich nicht zu begnügen mit der blossen Beschreibung eines gegebenen Objektes, sondern dass er sich dazu gedrängt fühlt, Anhaltspunkte darüber zu suchen, aus welcher genetischen Grundlage heraus sich die bezüglichen Erscheinungsformen entwickelt haben mussten.  Damit näherte er sich unbewusst den Richtlinien, nach denen die heutige Zeit die Naturobjekte aufzufassen pflegt. Für kristallographische Mitteilungen bediente sich Wiser der damals herrschenden Naumann'schen Bezeichnungsweise; es ist aber interessant zu sehen, wie er fast immer auch Bezug nimmt auf die bestimmten Typen nach Hauy, über dessen Auffassungen er sehr gründlich orientiert war.  Über jedes Mineral hatte er sich ein Verzeichnis seiner Fundorte angelegt; daneben besass er auch ein Register aller Fundorte mit einer Zusammenstellung aller Mineralien, die an jedem einzelnen Orte gefunden worden waren.
Wiederholt war aus den mineralogischen Fachkreisen, besonders aber von seite seines Freundes und Mitarbeiters Escher von der Linth, Wiser dringlichst aufgefordert worden, sein so überaus wertvolles und einlässliches Wissen über die schweizerischen Mineralien, die er ja kannte wie kein zweiter, in einem ausführlichen Werke gedruckt niederzulegen und der Nachwelt zu erhalten.  In Leonhard's Jahrbuch findet sich 1846 (S.456) darüber die erfreuliche Mitteilung, dass er „über wiederholte Aufforderung von Escher von der Linth und anderen nun begonnen habe, an einer ausführlichen Beschreibung der „schweitzischen Mineralien“ zu arbeiten, dass aber wegen der leider immer angegriffenen Ge-

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sundheit die Sache nur langsam vorrücken werde“. - Zum grössten Schaden für die schweizerische Mineralogie ist aber Wiser leider nicht dazu gekommen, den gefassten Entschluss auch wirklich zur Ausführung zu bringen.  Übergrosse Bescheidenheit und wiederholte Kränklichkeit hinderten ihn an der Lösung der vorgenommenen Aufgabe; er sei kein Gelehrter, pflegte er zu sagen, und möge auch nicht als solcher sich ausgeben.

Als Anhang folgt eine vierseitige Publikationsliste.
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