Neujahrsblatt der NGZH Nr. 121 auf das Jahr 1919; 43S. mit 14 Fig.(Format des Hefts: 22.5 x 29 cm)
Die Schwefelbakterien
von M.Düggeli
Druck von Aschmann & Scheller in Zürich, in Kommission bei Beer & Cie. in Zürich
Umschlag1913
herausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
auf das Jahr 1919.
121. Stück.

Die Schwefelbakterien.

von 

M. Düggeli
 

mit 14 Abbildungen im Text
 
 

Beer & Cie. in Zürich

 

German only

 
 
 
 

Inhalt:
Einleitung      3 -5
Die Bildung und die Anhäufung von Schwefelwasserstoff in der Natur 6-14
Schwefelwasserstoff verarbeitende, farblose,
          zu Zellfäden vereinigte Schwefelbakterien                  14 - 23
Schwefelwasserstoff verarbeitende, farblose, 
          nicht-fädige Schwefelbakterien                                   23 - 29
Schwefelwasserstoff verarbeitende, rot gefärbte Schwefelbakterien 29 - 34
Die Thionsäurebakterien                                                       34 - 36
Denitrifizierende Schwefelbakterien                                     36 - 38
Übersicht über die physiologischen Eigenschaften autotropher Bakterien 39
Literaturverzeichniß                                                             40 - 43

 

EINLEITUNG.
Die kleinsten und dabei niedrigst organisierten unter den bekannt gewordenen Lebewesen sind die Bakterien oder Spaltpilze. Trotz der geringen Differenzierung der Zellformen, ist die Ernährungsweise bei den einzelnen Spezies der Schizomyceten doch eine sehr verschiedenartige. Ein Großteil der näher studierten Bakterienarten sind Saprophyten oder Fäulnisbewohner. Sie bauen die in den abgestorbenen Körpern der Pflanzen und der Tiere enthaltenen meist recht komplizierten Verbindungen ab und führen sie in einfacher zusammengesetzte Stoffe über. Dabei gewinnen die Saprophyten Nährstoffe und Energie zur Auslösung ihrer Lebensvorgänge.
Eine solche Lebensweise nennen wir eine heterotrophe, da Stoffe für die Ernährung herangezogen werden, die erst von anderen Organismen gebildet werden mußten. Die Tätigkeit der Fäulnisbewohner mag uns Menschen oft unangenehm sein, indem sie beispielsweise wertvolle Lebensmittel verderben; aber in seiner Gesamtheit betrachtet, ist der Abbau zweifellos sehr willkommen, indem durch ihn die in den Körpern der Organismen enthaltenen Stoffe anderweitig verwendbar werden und eine Anhäufung von Pflanzen- und Tierleichen an der Erdoberfläche, oder in den obern Bodenschichten verhindert wird. Diese heterotroph lebenden Saprophyten verwenden als Baustoffe für ihre Zellen, sowie als Atmungs- und Gärmaterial die organischen Verbindungen des Pflanzen- und Tierkörpers. Dabei werden die von den Sonnenstrahlen unserem Planeten zugeführten Energiemengen, die seinerzeit von den grünen Pflanzen bei der Photosynthese, oder der Kohlensäureassimilation festgelegt wurden, benutzt.
Außer der heterotrophen kennen wir noch eine zweite Art und Weise der Ernährung, die autotrophe, wie sie beispielsweise von den grünen Pflanzen durchgeführt wird. Für die Ernährung kommen dabei nur anorganische Bestandteile in Betracht. Es ist allgemein bekannt, wie die grünen Gewächse mit ihrem Wurzelwerk aus dem Boden nicht bloß Wasser, sondern auch die darin gelösten zahlreichen Salze aufnehmen. Mit Hilfe der Sonnenstrahlen und des Chlorophylls wird das in der Atmosphäre enthaltene Kohlendioxyd von den Pflanzen zerlegt und der dadurch gewonnene Kohlenstoff zur weiteren Verarbeitung zurückbehalten. Aus dem Wasser, sowie den Mineralstoffen des Bodens und dem Kohlendioxyd der Luft, baut die Pflanze alle jene Stoffe auf, die ihren Körper zusammensetzen, so die Stärke, den Zucker, die Zellulose, die Pflanzensäuren, die Fette, die Öle, das Eiweiß des Plasmas u. a. m. Da unsere Kulturpflanzen ihre Leibessubstanz aus den einfachsten ursprünglichen Rohstoffen der umgebenden Natur aufbauen, ist ihre Ernährung eine selbständige, von andern Organismen unabhängige, eine autotrophe.
Durch eingehende Untersuchungen sind unter den Bakterien neben den zahlreichen heterotroph lebenden Spezies auch Arten bekannt geworden, die sich autotroph ernähren, so die Salpeter bildenden Organismen, die Wasserstoff oxydierenden Schizomyceten, die Methan-Spaltpilze, die Eisenbakterien und die näher zu besprechenden Schwefel- oder Thiobakterien. Zwar macht sich in der Lebensweise der grünen Pflanzen und der autotrophen Bakterien sofort ein wichtiger Unterschied bemerkbar, indem die ersteren unbedingt des Sonnenlichtes bedürfen, also photosynthetisch tätig sind, während die autotrophen Bakterien, als lichtscheue Lebewesen, in der Oxydation geeigneter anorganischer Stoffe sich selbst eine Energiequelle schaffen, mithin auf chemosynthetische Weise wirken.
Ein Bild von der Bedeutung dieser autotroph lebenden Mikroorganismen, die mit anorganischem Material ihr Nähr- und Energiebedürfnis zu befriedigen vermögen, wobei sie Körpersubstanz von mehr oder weniger komplizierter Zusammensetzung bilden, können wir uns durch das Mikroskopieren von Rohkulturen machen. Nicht selten schwimmen zwischen den in ungeheurer Menge sich vorfindenden, durch primitive Ernährungsweise sich auszeichnenden Bakterienzellen Infusorien und Flagellaten lebhaft hin und her, auf ihren Raubzügen reiche Ernte haltend; oder es durchkriechen Amöben vorsichtig diese Jagdgründe und verspeisen die wehrlosen Spaltpilze in Masse. In diesen Fällen sind die autotrophen Bakterien die Urnahrung für niedrig organisierte, mikroskopisch kleine Tiere, die ihrerseits wieder höheren Organismen zum Opfer fallen. In allen jenen Fällen aber, in denen die Bakterienzellen den genannten gefräßigen

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Lebewesen entrinnen und nach Ablauf ihrer beschränkten Lebenszeit zu Grunde gehen,. werden ihre Leiber zersetzt und die darin enthaltenen organischen Stoffe abgebaut. Die dabei resultierenden Verbindungen dienen wieder anderen, anspruchsvolleren Lebewesen zum Körperaufbau. Wohl verfügen die autotrophen Bakterien, wie die Spaltpilze überhaupt, nur über äußerst bescheidene Körperdimensionen und die von der einzelnen Zelle geschaffene Menge organischer Substanz ist winzig klein; aber die unermessliche Zahl von tätigen Individuen und ihre rastlose, nie ermüdende Tätigkeit, lassen doch in größeren Zeiträumen erstaunliche Mengen von kompliziert zusammengesetzten Stoffen aus den einfachen Ausgangsmaterialien entstehen.
Die autotroph lebenden Spaltpilze stellen behufs gedeihlicher Entwicklung an die Umgebung recht verschiedene Ansprüche. Eine am Schluß dieser Abhandlung gebotene Übersicht über die physiologischen Eigenschaften autotropher Bakterien gibt einen Einblick in diese komplizierten Verhältnisse. Die in dieser Übersicht auch angeführten Schwefelbakterien benutzen größtenteils Schwefelwasserstoff, dann aber auch Schwefel, Thiosulfat und Tetrathionat zu ihren biologischen Zwecken. Die genannten Schwefelverbindungen werden entweder mit Hülfe des Luftsauerstoffes, oder aber auf Kosten des gebundenen Sauerstoffes im Salpeter oxydiert und dabei jene Energiemengen gewonnen, welche die Thiobakterien zur Auslösung ihrer Lebensvorgänge bedürfen. Diese rein anorganische, in der Oxydation von Schwefel und mancher seiner nicht mit Sauerstoff gesättigten Verbindungen beruhende Energiequelle macht die Schwefelbakterien, im Gegensatz zu den meisten andern Spaltpilzen, unabhängig von den organischen Verbindungen des Pflanzen- und Tierkörpers  Die Großzahl der bekannten Bakterienarten vermag den Schwefel und seine Verbindungen nicht zu verwerten, sondern ist darauf angewiesen durch die Oxydation von mehr oder weniger kompliziert zusammengesetzten organischen Stoffen ihr Leben zu fristen.
Alle darauf hin geprüften Bakterienspezies bedürfen zwar zum Aufbau ihres Körpers kleinster Mengen geeigneter Schwefelverbindungen. Der Schwefel ist also ein unentbehrliches Element zum Aufbau des Bakterienleibes. Manche Spaltpilze verarbeiten aber viel größere Mengen von Schwefelverbindungen, als sie zur Bildung von Körpersubstanz direkt brauchen und diese Bakterien faßt man zur Gruppe der Schwefelbakterien oder der Thiobakterien zusammen. Diese biologische Bakteriengruppe besitzt das charakteristische Vermögen, gewisse anorganische Schwefelverbindungen zu oxydieren.
Die Gruppe der Schwefelbakterien nimmt in der Geschichte der Mikrobiologie einen hervorragenden Platz ein, da bei ihrem Studium eine Reihe für die Morphologie und Biologie der Bakterien wichtiger Fragen gelöst wurde.
Die Großzahl der zu den Schwefelbakterien gehörenden Mikroorganismen sind in Tümpeln, Gräben und verschmutzten Gewässern sehr verbreitet. Meist finden sie sich aber nicht in so bedeutender Menge, daß ihre Anwesenheit makroskopisch wahrnehmbar wäre; nur da, wo die gesamten Existenzbedingungen für diese merkwürdigen Mikroben recht günstige sind, wie dies in manchen Schwefelquellen der Fall ist, entwickeln sie sich so üppig, daß sie auch dem unbewaffneten Auge auffallen. In vielen Schwefelquellen bilden die Thiobakterien weiße, zierliche Netze, oder dann feine Rasen, die den Boden der Quellen vollständig auskleiden. Lange Zeit galten diese Gebilde als tote Niederschläge organischer Natur. In Frankreich pflegt man diese Depots als barégine oder glairine zu bezeichnen, nach dem Namen der Schwefelquelle zu Barège (französische Pyrenäen). Nicht selten sind farblose Schwefelbakterien mit in verschiedenen Nuancen von rot oder rotviolett gefärbten Thiobakterien vermengt und bilden dann unweit des Ausflusses der Schwefelquellen an ihrem Grunde oder in Tümpeln einen farbenprächtigen Teppich.
Die günstigsten Jahreszeiten für das reichliche Auftreten von Thiobakterien in der Natur sind der Spätherbst und das zeitige Frühjahr, weil dann größere Mengen von Pflanzen- und Tierresten im Wasser zersetzt werden, wobei Schwefelwasserstoff frei wird. Die Bildung dieses Gases und die Vermehrung der Schwefelbakterien verläuft dann besonders lebhaft, wenn das Wasser reich an Sulfaten, beispielsweise an Gips ist. So erklärt sich das massenhafte Auftreten von Schwefelbakterien in stillen Meeresbuchten, in denen verschiedenartige Pflanzen- und Tierreste angehäuft werden, wie dies Warming für die dänische Küste und Eng1er für die Kieler Förde schildern. In Meeresbuchten längs der dänischen Küste, wo große Mengen von faulendem Seegras sich ansammeln, häufen sich bestimmte Thiobakterien nach Warming so intensiv an, daß dadurch das Wasser auf weite Strecken hin rot gefärbt wird und der Schwefelwasserstoffgeruch sich in der Umgebung sehr lästig bemerkbar macht.
An den bisher reinzüchtbaren Schwefelbakterienarten, vorab bei den Gattungen Beggiatoa und Thiothrix und dem Natriumthiosulfat verarbeitenden Thiobacterium thioparum Beij. ist das Vermögen, das

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Kohlendioxyd der Luft als Kohlenstoffquelle zu benutzen, einwandfrei nachgewiesen, während bei anderen Thiobakterien der gleiche Schluß bezüglich Kohlenstoffversorgung naheliegt, der zwingende Beweis aber erst noch erbracht werden muß. Die zur Reduktion des Kohlendioxyds notwendige Energie gewinnen diese Arten, wie schon erwähnt, durch Oxydation der nicht mit Sauerstoff gesättigten anorganischen Schwefelverbindungen wie Schwefelwasserstoff, Thiosulfat und Tetrathionat und durch Verbrennen von elementarem Schwefel.
Die meisten und überdies die am besten studierten Schwefelbakterien verarbeiten Schwefelwasserstoff unter Zuhilfenahme von Luftsauerstoff; es sind das die Schwefelwasserstoff verarbeitenden Thiobakterien. Ihre Bedeutung liegt in dem Umstande begründet, daß sie den für die grünen Pflanzen nicht verwertbaren Schwefelwasserstoff in gut aufnehmbare schwefelsaure Salze überführen und so ein regelmäßiges Produkt der Fäulnis toter Organismen zum Aufbau neuen Lebens befähigen.
Manche hierher gehörende Arten sind farblos und ihre Zellen sind zu langen, fadenartigen Gebilden vereinigt; es ist das die Gruppe der Schwefelwasserstoff verarbeitenden farblosen, zu Zellfäden vereinigten Schwefelbakterien, die an erster Stelle besprochen sei.
Andere Schwefelwasserstoff verarbeitende Thiobakterien sind zwar auch farblos aber ihre Zellen kommen einzeln, nicht als zu Verbänden vereinigte Gebilde vor; es ist das die an zweiter Stelle zu behandelnde Gruppe der Schwefelwasserstoff verarbeitenden farblosen, nicht fädigen Schwefelbakterien.
Wir finden unter den Schwefelwasserstoff oxydierenden Spaltpilzen aber auch Formen, deren gesamtes Innere von einem purpurroten Farbstoff durchtränkt ist. Es sind die im dritten Abschnitt zu besprechenden rot gefärbten Schwefelbakterien, oder die Thiobakterien unter den Purpurbakterien. Damit ist die Besprechung der Schwefelwasserstoff oxydierenden Schwefelbakterien erledigt.
Wir kennen aber bei den Schwefelbakterien noch Organismen, welche die Oxydation von Thiosulfaten zu Tetrathionsäure und Schwefelsäure, oder zu Sulfaten, unter Abspaltung von Schwefel vollziehen. Es sind das die kurz Thionsäurebakterien genannten Thiobakterien.
Zum Schlusse sei dann noch eine Gruppe von Schwefelbakterien behandelt, die geeignete Schwefelverbindungen mit Hilfe des im Salpeter gebunden vorkommenden Sauerstoffes zu Schwefelsäure oxydieren. Wir nennen sie die d e n i t r i f i z i e r e n d e n  S ch w e f e l b a k t e r i e n.
So bieten uns die verschiedenen Ansprüche, welche die einzelnen Thiobakterien hinsichtlich Ernährung und Energiebeschaffung erheben die Grundlage für die Einteilung der Schwefelbakterien nach biologischen Gesichtspunkten, welche in der vorliegenden Besprechung gewählt wurde.
Bevor die genannten biologischen Gruppen von Schwefelbakterien einzeln besprochen werden, sei die Bildung und die Anhäufung von Schwefelwasserstoff in der Natur erörtert; als Grundlage für die gedeihliche Entwicklung der Schwefelwasserstoff verarbeitenden Thiobakterien. Dabei verzichten wir auf eine Erörterung der Frage nach Entstehung der Schwefelquellen in der Natur, weil dies zu weit führen würde, obwohl manche Thiobakterien in den Schwefelquellen und ihren Abwässern günstige Standorte finden.

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Die Bildung und die Anhäufung von Schwefelwasserstoff in der Natur.
In der Natur ist die Bildung des durch charakteristischen Geruch sich auszeichnenden Schwefelwasserstoffes eine weit verbreitete Erscheinung, die sowohl wissenschaftliches wie auch praktisches Interesse beansprucht. Den Geruch des Schwefelwasserstoffes vergleicht man gewöhnlich mit dem Gestank der faulen Eier, d.h. von solchen, in denen unter der Einwirkung der in ihr Inneres eingedrungenen Mikroorganismen sich Fäulnisvorgänge abgespielt haben: Faule Eier müssen aber keineswegs den penetranten Geruch immer aufweisen und es ist auch nicht stets Schwefelwasserstoff in ihnen nachweisbar.
Biologisch von Interesse ist das Vorkommen einer artenreichen Flora und Fauna von solchen Mikroorganismen im schwefelwasserstoffhaltigen Wasser, die an das vorhandene übelriechende Gas spezifisch angepaßt sind. Eine bunte Gesellschaft von Infusorien, Flagellaten und Bakterien, vermengt mit grünen oder andere Farbstoffe besitzenden Algen, siedelt sich an. Die Großzahl der Vertreter dieser Schwefelwasserstoff ertragenden, in manchen Fällen auch Schwefelwasserstoff benutzenden Kleinlebewelt findet sich im Brack- und Meerwasser, während in unsern süßen Gewässern nur eine bescheidene Zahl von Repräsentanten gefunden wird. Von geologischem Interesse ist die Schwefelwasserstoffbildung aus dem Grunde, weil sie zur Produktion von Schwefeleisen Veranlassung gibt und dadurch das Vorkommen von schwarzem Schlamm am Grunde mancher Gräben, Flüsse, Tümpel, Teiche, Seen und Meere erklärt. In den holländischen Ästuarien, die dort "Wadden" genannt werden, ist der Schlamm oft mehrere Meter tief schwarz gefärbt zufolge Vorhandenseins von Schwefeleisen, während die farblose, oxydierte Oberfläche nur wenige Zentimeter oder Millimeter dick ist. Zuerst wies Braconnot (1852) auf die Anwesenheit von Schwefeleisen im schwarzen Kloakenschlamm der Stadt Nancy hin. Die Schwefelwasserstoffentstehung nimmt aber auch das Interesse des Hygienikers in Anspruch, da es sich um die Produktion eines übelriechenden, für die höhern Organismen stark giftigen Gases handelt.
Die Schwefelwasserstoffbildung kann entweder auf rein chemische oder aber, was in der Natur die Regel bildet, auf biologische Vorgänge, meist ausgelöst durch bestimmte Spaltpilzarten, zurückgeführt werden.
Die biogene Bildung des Schwefelwasserstoffes erfolgt auf drei verschiedene Arten, die entsprechend ihrer Bedeutung entweder nur kurz, oder aber etwas eingehender besprochen werden sollen. Nach unserer Ansicht ist dieser Abschnitt über die Produktion von Schwefelwasserstoff durch Mikroorganismentätigkeit ein integrierender Bestandteil einer Besprechung der Schwefelbakterien, da durch diese Vorgänge die eine Voraussetzung für das gute Gedeihen vieler Thiobakterien geschaffen wird, nämlich das Vorhandensein von Schwefelwasserstoff und gleichzeitig ein wichtiges Glied im Kreislauf des Schwefels behandelt werden kann.
Die eine Möglichkeit der Entstehung von Schwefelwasserstoff ist das Ergebnis der Vereinigung von freiem Schwefel mit Wasserstoff; man spricht in diesem Falle von einer Hydrogenisation des Schwefels. M i q u e l  isolierte im Jahre 1879 aus Abwässern ein nur bei Luftabschluß gedeihendes, 1 µm, dickes, bewegliches Stäbchen, welches Eieralbumin unter Bildung von Schwefelwasserstoff zersetzt. Die Entbindung des gleichen Gases kann aber auch beobachtet werden, wenn der Ferment sulfhydrique genannte Mikroorganismus auf Nährsubstraten gezüchtet wird, die freien Schwefel, oder vulkanisierten schwefelhaltigen Kautschuk enthalten.
Auf einen ähnlich Wirkenden Mikroorganismus dürfte ein hie und da auftretender Milchfehler zurückzuführen sein, wobei das Eutersekret nach dem Passieren von neuen Gummischläuchen an der Melkmaschine einen geradezu entsetzlichen Geruch und Geschmack nach faulen Eiern annimmt, wenn die Aufbewahrung bei relativ hoher Temperatur stattfindet.
Die Hydrogenisation des Schwefels geht mit reduzierend wirkenden Fäulnisprozessen Hand in Hand. So beobachtete Winogradsky im mikroskopischen Präparat die Bildung von Schwefelwasserstoff bei der fauligen Zersetzung abgestorbener, Schwefeltröpfchen enthaltender Beggiatoa - Fäden. Das Präparat roch umso stärker nach Schwefelwasserstoff, je mehr die toten Beggiatoa-Fäden von ihrem Schwefel einbüßten.

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Diese Schwefelhydrogenisation kann nach Beijerinck in Bakterienkulturen leicht makroskopisch nach-gewiesen werden. Zu dem Zwecke füllen wir zwei Erlenmeyerkölbchen, von denen das eine etwas Schwefelblumen birgt, das andere aber dieses Zusatzes entbehrt, mit ausgekochtem Fleischwasser, das eine Zugabe von 0,1 % Ferrolaktat erhalten hat, impfen mit etwas Gartenerde oder einigen Tropfen Grabenwasser und stellen zu 30° in den Thermostaten. Eine Reduktion von Sulfat kann in diesen Kölbchen nicht stattfinden und. doch tritt schon nach 24 Stunden zufolge Schwefeleisenbildung eine deutlich wahrnehmbare Schwärzung des Inhaltes ein. Während im Kölbchen ohne Schwefelzusatz die Schwärzung bald nicht mehr weiterschreitet, färbt sich die schwefelführende Flüssigkeit tiefschwarz, unter Ausscheidung eines reichlichen schwarzen Niederschlages. Alle diese Beobachtungen weisen darauf hin, daß die Hydrogenisation des Schwefels ein sekundärer Prozeß ist, der sich im Gefolge von Reduktionsvorgängen abspielt. Petri und Maaßen erklären die Hydrogenisation des Schwefels durch die Einwirkung des von bestimmten Mikroorganismen produzierten Wasserstoffes in statu nascendi.
Die gleiche Eigentümlichkeit der Reduktion freien Schwefels soll auch dem sog. Phi1othion innewohnen, einer von Rey-Pai1hade aus dem Hefepreßsaft durch Ausschütteln mit 86 prozentigem Äthylalkohol ausziehbaren Substanz.
Der Schwefelwasserstoff kann aber auch bei der Zersetzung der Proteinkörper entstehen. Der organisch gebundene Schwefel kommt mit den Mikroorganismen sehr häufig im Eiweiß und in dessen Abkömmlingen, dem Zystin, dem Taurin, der Taurocholsäure u. a. in Berührung. Eiweißkörper können bis zu 11% Schwefel enthalten. Die Zahl der Mikroorganismen, welche eine Zersetzung der Eiweißkörper unter Abspaltung von Schwefelwasserstoff hervorzurufen vermögen, ist eine sehr große. Früher schrieb man den Fäulnisbakterien allein diese Fähigkeit zu. Die meisten der auf eiweißreichen Nährböden gedeihenden Spaltpilzarten zersetzen bei geeigneter Beschaffenheit des Substrates und beschränktem oder fehlendem Luftzutritt die Proteinkörper unter Abscheidung von Schwefelwasserstoff; so ist dies bei folgenden Bakterienspezies nachgewiesen: Bacillus putrificus Bienstock, Bacillus oedematis maligni Koch, Bacillus chauvoei Aut. gallic., Bacterium typhi Eberth, Bacterium coli Escherich, Bacterium enteritidis Gärtner, Bacterium Proteus Kruse, Bacterium rhusiopatiae suis Kitt, Corynebacterium mallei Flügge, Staphylococcus pyogenes aureus Rosenbach und sämtlichen geprüften Vibrionen;
Bei der Käsereifung kann sich der beim Eiweiß-Abbau in Freiheit gesetzte Schwefelwasserstoff' gelegentlich dadurch sehr unangenehm bemerkbar machen, daß der Geschmack nachteilig beeinflußt wird und durch die Bildung von Metallsulfiden eine Mißfärbung des Käseteiges erfolgt.
Die Menge des von verschiedenen Organismen aus den Eiweißkörpern abgespaltenen Schwefelwasserstoffes schwankt sehr stark; offenbar ist das Vermögen der Schwefelwasserstoffbildung bei den einzelnen Arten verschieden intensiv ausgebildet, dabei veränderlich und, abhängig von der Zusammensetzung der gebotenen Nährlösung, dem Sauerstoffzutritt usw. Weniger entscheidend dürfte die herrschende Temperatur sein, indem auch noch bei 0° Schwefelwasserstoffentwicklung beobachtet wurde.
Die Ausscheidung des durch Mikroorganismentätigkeit entstandenen Schwefelwasserstoffes kann auf folgende einfache Weise nachgewiesen werden. Man hängt im obern Teile des Gefäßes, in dem die Eiweißzersetzung stattfindet, ein Stück Bleipapier auf, das unter der Einwirkung von Schwefelwasserstoff sich erst bräunt und dann schwärzt. Man kann auch den Nährsubstraten, die für die Züchtung der Spaltpilze in Betracht kommen, Eisensalze zufügen, die dann mit Schwefelwasserstoff schwarzes, leicht wahrnehmbares Schwefeleisen bilden. Zur raschen Erkennung der Schwefelwasserstoffbildner auf Plattenkulturen eignet sich Fleischwasserpeptongelatine mit Zusatz von 3 % Eisentartrat oder Eisensaccharat. Die entstehenden Kolonien der Schwefelwasserstoffbildner umgeben sich dann mit einem schwarzen Hof von Schwefeleisen.
Die Produktion von Ammoniak, die oft, aber nicht regelmäßig die Schwefelwasserstoffbildung begleitet, kann die Entstehung von Schwefelammon veranlassen und dadurch die Schwefelwasserstoffproduktion verdecken. Wenn Eisenverbindungen vorhanden sind, so kann durch Schwefeleisen eine bedeutende Schwärzung des Materials vor allem dann eintreten, wenn durch gleichzeitiges Auftreten von Ammoniak für eine bestimmte Alkaleszenz gesorgt ist.
Bei der Bildung von Schwefelwasserstoff aus Eiweißkörpern und ihren Abkömmlingen, liegt offenbar eine spezifische Wirkung der Mikroorganismen vor, die sich vergleichen läßt mit der Bildung von Ammoniak und andern Reduktionsprodukten aus Eiweiß. Vollständige Klarheit über die sich dabei abspielenden Vorgänge kann erst dann erreicht werden, wenn wir über die Art und Weise, wie der Schwefel

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im Eiweißmolekül gebunden ist, unterrichtet sind. Maaßen wies darauf hin, daß auch Preßsaft von Mikroorganismen zur Schwefelwasserstoffbildung Veranlassung geben kann, indem mit Sand zerriebene Acetondauerpräparate von Bacterium Proteus und von Vibrio phosphorescens aus Pepton innerhalb 1-2 Stunden bei 45° dieses Gas in deutlich nachweisbaren Spuren entwickelten.
Einige Schwefelwasserstoff erzeugende Mikroorganismen bilden aus den sich zersetzenden Eiweißstoffen auch Merkaptane; es sind Verbindungen, die sich durch ihren penetranten, sehr unangenehmen Geruch lästig bemerkbar machen Die Merkaptane entstehen entweder direkt aus den Proteinkörpern oder werden durch bestimmte Spaltpilze, z. B. durch das Bacterium esterificans synthetisch aus Alkoholen und Schwefelwasserstoff aufgebaut. Karplus isolierte aus Harn eine merkaptanbildende Form des Bacterium coli Escherich, während Morris die entsprechende Fähigkeit bei Bacterium Proteus Kruse nachzuweisen vermochte.
Die dritte biogene Möglichkeit der Entstehung von Schwefelwasserstoff liegt in der R e d u k t i o n von sauerstoffhaltigen, anorganischen Schwefelverbindungen. Schwefelsaure Salze können sowohl von Mikroorganismen wie von höhern Pflanzen als Schwefelquelle zu Ernährungszwecken Verwendung finden. Die genannten Verbindungen können aber auch als Sauerstoffquelle für gewisse Spaltpilzarten in Betracht kommen. Die Entstehung von Schwefelwasserstoff aus Sulfaten, Sulfiten und Thiosulfaten als Ergebnis der reduzierenden Wirkung von Mikroben kann in recht einfacher Weise nachgewiesen werden. Bejerinck empfiehlt für die Versuche an Sulfaten folgendes Vorgehen. In dicht schließenden Flaschen wird Grabenwasser unter Zusatz von Sulfat und etwas organischer Substanz bei 25-30° aufgestellt. Schon nach 12-24 Stunden werden aus dem Sulfat beträchtliche Mengen von Schwefelwasserstoff entwickelt. Selinsky und Brussilowsky machten entsprechende Beobachtungen an Reinkulturen des Vibrio hydrosulfureus und des Bacterium hydrosulfureum ponticum die sie aus dem Schlamm des Schwarzen Meeres isoliert hatten. Ebenso beschrieb Nadson die Reduktion von Sulfaten bei Gegenwart von Peptonen und unter anaeroben Lebensbedingungen durch Reinkulturen des BacteriumProteus Kruse und des Bacillus mycoides Flügge.
Holschewnikoff hat im Jahre 1889 zuerst darauf hingewiesen, daß bestimmte Bakterien die Thiosulfate unter Bildung von Schwefelwasserstoff reduzieren können. Er beobachtete die Zersetzung von Natriumthiosulfat nach dem Beimpfen einer geeigneten Nährlösung mit dem von ihm aus dem Schlamm der Wiesbadener Kläranlage gezüchteten Bacterium sulfureum Holschewnikoff. Eine entsprechende Reduktion rufen der Vibrio hydrosulfureus Seim. et Bruss. und das Bacterium  hydrosulfureum ponticum  Seim. et Bruss. in nur anorganische Schwefelverbindungen enthaltenden Nährsubstraten hervor. Nach den Beobachtungen von Beijerinck werden Thiosulfate sowohl wie Sulfite unter Bildung von Schwefelwasserstoff reduziert, wenn man sie zu einer Hefenzucht auf Würzegelatine oder in einem gewöhnlichen Gärkölbchen zu gärender Zuckerlösung gibt.
Man könnte leicht versucht sein, aus diesen Beobachtungen den Schluß zu ziehen, daß die im Reiche der Mikroorganismen so weit verbreitete Fähigkeit, aus sauerstoffhaltigen Schwefelverbindungen durch Reduktion Schwefelwasserstoff abzuspalten, der reduzierenden Wirkung des Protoplasmas aller Mikroben, oder doch bestimmten Stoffwechselprodukten, wie Wasserstoff oder Methan, die öfters auftreten, zuzuschreiben sei. Da aber einerseits Bakterienarten, die keinen Wasserstoff bilden, auf Thiosulfate reduzierend wirken, andererseits Spezies, wie die Angehörigen der Gruppe des Bacterium coli Escherich, die reichlich Wasserstoff produzieren, nicht entsprechend tätig zu sein vermögen, so ist der Schluß gestattet, daß die reduzierende Wirkung von Bakterien bei der Desulfuration als ein spezifisches Merkmal einzelner Arten aufzufassen ist. Diese Eigentümlichkeit dürfte von besonderen Eigenschaften des Protoplasmas. abhängig sein.
Als eigentliche Ursache der Sulfatreduktion in unsern Gewässern hat Beijerinck im Jahre 1895 das kleine Spirillum desulfuricans kurz beschrieben, aber noch nicht in Reinkultur übergeführt und eingehend studiert. Erst 9 Jahre später gelang es van Delden an Hand von Reinkulturen die Wirkungsweise des vom Autor Microspira desulfuricans genannten Spaltpilzes allseitig befriedigend aufzuklären. Zur Gewinnung von Rohkulturen kann eine Flüssigkeit mit folgender Zusammensetzung empfohlen werden: Leitungswasser 100, Dikaliumphosphat 0.05, Natriumlaktat 0.5, Asparagin 0.1, Magnesium- oder Calciumsulfat 0.1 und eine Spur Ferrosulfat. In dicht schließenden Stöpselflaschen bei 28° aufgestellt, färbte sich die geimpfte Flüssigkeit nach Verlauf von 4-5 Tagen schwarz, zufolge Eintretens der Sulfatreduktion und gleichzeitig ließ sich die

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Anwesenheit von Schwefelwasserstoff nachweisen. Als Impfmaterial ist dunkler Grabenschlamm am empfehlenswertesten. Aus Gartenerde sind Sulfatspirillen nur dann auf die eben angegebene Weise gut züchtbar, wenn auch etwas Natriumsulfit zugesetzt wird. Die gemachten Beobachtungen berechtigen zu dem Schlusse, daß im Juli, August und September die sulfatreduzierenden Organismen im Schlamm des Süßwassers optimale Bedingungen antreffen und deshalb sich dann am zahlreichsten nachweisen lassen.
Bedingend für das Angehen der Rohkulturen sind absoluter Luftabschluß und das Vorhandensein von genügend und geeigneter organischer Substanz. Die viel Energie erfordernde Reduktion des Sulfates ist nur dann möglich, wenn zugleich organische Verbindungen geboten werden, die von den reduzierend wirkenden Bakterien erst oxydiert werden müssen, um über die notwendige Energie zu verfügen.
Um zu eruieren, ob die Desulfuration durch Spaltpilze bei Vorhandensein leicht oxydierbarer organischer Substanzen überhaupt möglich, d.h. exotherm sei, hat Jensen die Wärmetönung für den einfachsten Fall, in welchem Gips mittels Alkohol reduziert wird, ausgerechnet und dabei die Gleichung aufgestellt:
 3 Ca SO4 + 2 C2 H6 O = 3 H2 S+ Ca CO3  + CO2 + 3 H2 O + 28 Cal
Der Prozeß ist also wohl möglich, aber die dadurch gewonnene Energiemenge ist eine recht bescheidene.
Die kräftige Entwicklung von Schwefelwasserstoff in Gewässern, die stark mit organischen Stoffen verunreinigt sind und die zugleich Sulfate enthalten, ist durch die Tätigkeit dieser Microspira desulfuricans leicht erklärlich. Die meisten der in verunreinigten Gewässern vorkommenden organischen Verbindungen können den sulfatreduzierenden Organismen als Nähr- und Energiequelle dienen. Am geeignetsten sind von den organischen Salzen die Laktate, die Malate und die Succinate, von Stickstoffverbindungen Asparagine, Peptone und Ammonsalze. Die Zuckerarten sind als Energiequellen nicht geeignet, da die einsetzende Säurebildung die Tätigkeit der Mikroorganismen alsbald störend beeinflußt. Nicht selten macht man bei sulfatreichen Rohkulturen die Beobachtung, daß die Schwefelwasserstoffentwicklung zufolge Mangel an Energiematerial bald zum Stillstand kommt, lange bevor alles Sulfat zersetzt ist; nach Zusatz von organischen Stoffen erfolgt prompt neue Schwefelwasserstoffentwicklung. Gegenüber dem Produkt ihres Stoffwechsels ist die Microspiradesulfuricans relativ wenig empfindlich, indem 246 mg Schwefelwasserstoff pro Liter Nährflüssigkeit noch ertragen werden.
Zur Gewinnung von Reinkulturen der Microspira desulfuricans wurde die oben angeführte Nährlösung mit 10 Gramm Gelatine versteift, wobei an Stelle von Ferrosulfat eine Spur Mohr's Salz (Fe SO4 +(NH4)2 SO4 + 6 H2O) als Schwefelquelle und Indikator gereicht wurde. Der in Reagensgläser abgefüllte Nährboden wird während des Abkühlens mit etwas Natriumkarbonat versetzt und dann ein Tropfen der Rohkultur zugefügt. Nach 3-6 Tagen entstehen bei Zimmertemperatur kleine Kolonien der Microspira desulfuricans in Form schwarzer Pünktchen. Die Anhäufungen wachsen rasch und erhalten einen schwarzen Hof von Schwefeleisen. Vier oder, fünf Kolonien genügen schon, um den ganzen Gläscheninhalt zu schwärzen.
Die Kolonien der Spirillen zeichnen sich auf festen Nährböden dadurch aus, daß sich in ihnen zwischen den Bakterienzellen Schwefel ablagert, eine Erscheinung, die wir später bei bestimmten Schwefelbakterien auch feststellen werden. Da die Microspira im Gegensatz zu den unten zu besprechenden Spaltpilzen streng anaerob ist, so kann es sich um keine Oxydation von Schwefelwasserstoff handeln, sondern nur um eine beschränkte Reduktion des Sulfats, die auf halbem Wege Halt macht. In Kulturen, die längere Zeit fortgezüchtet werden, soll diese Fähigkeit der Schwefelbildung verloren gehen.
Die Microspira desulfuricans ist eine ca. 1 µm dicke und 4 µm lange, sehr lebhaft bewegliche Spirille, die nur bei Sauerstoffabschluß gedeiht, also streng anaerob ist: Sobald dem Sauerstoff der Zutritt ermöglicht wird, hört die Bewegung der Zellen auf. In der künstlichen Zucht wird man durch Zufügen von Schwefelwasserstoff oder von Natriumsulfit (bis 1/20 Prozent) zum Nährsubstrat den Sauerstoff fernhalten, während in den Rohkulturen durch aerobe Begleitbakterien, speziell durch eine Aërobacter coli var. infusionum genannte Spaltpilzart dafür gesorgt wird, daß der eventuell zutretende Sauerstoff rechtzeitig anderweitige Verwendung findet.
Die mit Reinkulturen von Microspira desulfuricans eingeleiteten Sulfatreduktionen waren sehr kräftige, indem pro Liter Nährlösung 51 bis 238 mg Schwefelwasserstoff gebildet wurden. Bei diesen Reinzuchten stellte sich auch heraus, daß die Mikrobe leicht eine höhere Konzentration der organischen Stoffe erträgt, als man nach den Befunden an Rohkulturen hätte vermuten können. So wurde in einer 2% Laktat
...

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...
Als das Ergebnis der Reduktion von Sulfaten durch bestimmte Mikroorganismen könnte man im Meerwasser bedeutende Mengen von Schwefelwasserstoff erwarten. In Wirklichkeit ist dies jedoch nur unter gewissen günstigen, in der Natur sehr selten zusammentreffenden Bedingungen der Fall. Mit Bestimmtheit ist das Vorkommen von Schwefelwasserstoff bisher nur im Schwarzen Meer nachgewiesen worden. Die russische Tiefsee-Expedition vom Jahr 1891 konnte im Schwarzen Meer überall, bei einer Tiefe von 200 bis 400 Metern angefangen, eine Verunreinigung des Wassers mit Schwefelwasserstoff nachweisen. Die höheren Tiere gehen nur bis zu solchen Tiefen, während der Gehalt an diesem Gase mit fortschreitender Tiefe ständig zunimmt. Nach dem Bericht von Lebedinzeff enthielt ein Liter Wasser aus dem Schwarzen Meer:
Tiefe      H2S
  m        mg/l
 213    0.50
 427    3.38
2026   8.45
2528   9.98
Die dem Grunde des Schwarzen Meeres aufliegende Wasserschicht enthält also zwanzigmal mehr Schwefelwasserstoff, als das Wasser in 213 m Tiefe.
Der Reichtum des Wassers an Schwefelwasserstoff aus den tiefern Schichten ist eine charakteristische Eigenschaft des Schwarzen Meeres und breitet sich nach den Beobachtungen von Lebedinzeff weder auf. das benachbarte Marmarameer noch, wie die Ergebnisse der österreichischen Expedition erkennen lassen, auf den östlichen Teil des Mittelmeeres aus. Darum könnte das Schwarze Meer, das sich durch diese Eigenschaft von sämtlichen übrigen Meeren unterscheidet, mit vollem Recht als "Schwefelwasserstoff-Meer" bezeichnet werden.
Zweifellos ist die Entwicklung von Schwefelwasserstoff in der Tiefe des Schwarzen Meeres das Ergebnis der Sulfatreduktion durch bestimmte Mikroorganismen und der Fäulnis der am Meeresgrunde abgelagerten organischen Substanzen. In der Tat haben Selinsky und Brussilowsky die Bakterien, welche Sulfate und Thiosulfate zerlegen, im Schlamm des Schwarzen Meeres nachgewiesen. Der Grund weshalb sich dieser Vorgang nur im Schwarzen Meer und nicht auch in anderen Meeren in so hohem Grade geltend macht, ist nach Andrussow darin zu suchen, daß in diesem Wasserbecken, dank dem nach der Tiefe zu rasch anwachsenden spezihschen Gewichte des Wassers, ein vertikaler Wasserkreislauf in den untern Schichten fehlt. In anderen Meeren, in denen das rasche Anwachsen des spezifischen Gewichtes mit zunehmender Tiefe fehlt und Strömungen vorkommen, kann allfällig sich auch entwickelnder Schwefelwasserstoff in den tieferen, immer wieder frisch mit Sauerstoff versehenen Schichten, nicht angehäuft werden. Als untere Grenze des vertikalen Kreislaufes ist im Schwarzen Meer eine Tiefe von 170 Metern anzusehen. In größeren Tiefen liegt die ganze Wassermasse still und ermöglicht so die Anhäufung von Schwefelwasserstoff, da der Sauerstoff nur zufolge Diffusion tiefer einzudringen vermag. Die Diffusion geht aber, wie bekannt, nur sehr langsam vor sich und vermag nicht weit vorwärts zu schreiten. Höhere Lebewesen werden denn auch nur in den obern, mit Sauerstoff versehenen Wasserschichten des Schwarzen Meeres angetroffen.
Auch bei uns treffen wir Gewässer an, die in ihren untern Schichten Schwefelwasserstoff in nicht unbedeutenden Mengen enthalten. So ließ das Wasser des Ritomsees im Val Piora, Kt. Tessin, von 12,6 m an abwärts bis zum Grunde, verschiedene Mengen von Schwefelwasserstoff nachweisen. Nach den Untersuchungen von Me11et waren am 22. Oktober 1913 im Liter Wasser enthalten:
Der Ritomsee enthielt also schon in 25 m Tiefe annähernd die dreifache Menge Schwefelwasserstoff wie das Wasser des Schwarzen Meeres in 2528 m Tiefe.
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Ritomsee 22.Oktober 1913 Analyse: Mellet Ritomsee Schwyzer September 1916
Tiefe mg H2S/l Tiefe mg H2S/l
12 0 12.5 0
13 6.1 12.7 1.34
13.5 19.4 13 9.08
20 26 19 15.78
25 28 21 22.6
30 30.5 25 28.6
In den Wasserschichten von 13 Metern an abwärts gelang es nie, Sauerstoff nachzuweisen.
Die Hauptursache der Schwefelwasserstoffentstehung im Ritomsee dürfte in der Sulfatreduktion zu suchen sein, indem nur bescheidene Mengen organischer Stoffe diesem Becken zugeführt werden. Zufolge des geologischen Aufbaues des Gebietes ist es dagegen sehr wahrscheinlich, daß Gipsschichten in unmittelbarer Nähe des Sees vorkommen, vielleicht auch den Seegrund stellenweise berühren. Das höhere spezifische Gewicht des am Seegrunde sich anhäufenden Wassers sorgte dafür, daß keine Zirkulationsströmungen das Durchmischen der sciiwefelwasserstofführenden mit den sauerstoffreichen Schichten vollziehen konnten.
In der Grenzzone des normalen, schwefelwasserstoffreien aber sauerstoffhaltigen und des schwefelwasserstoffhaltigen aber sauerstoffreien Wassers der Tiefe, also von ca. 12.6 m an, fand sich eine zu den roten Thiobakterien gehörende Chromatiumart in solcher Monge, daß das heraufgeholte Wasser schwach violettrot erschien. Dieses Chromatium bildete eine Bakterienplatte, ein Phänomen, auf dessen Entstehung und Bedeutung später eingetreten werden soll. Die durch den Verfasser ausgeführte bakteriologische Untersuchung der verschiedenen Wasserschichten mittels verschiedener Kulturarten und Nährsubstrate ergab, daß die oberen Wasserschichten des Ritomsees bis zu einer Tiefe von ca. 12.6 m von ziemlich zahlreich vorkommenden, verschiedenen Bakterienarten bewohnt waren. Je höher der Schwefelwasserstoffgehalt im Wasser mit zunehmender Tiefe vorwärts schritt, desto stärker trat die bakterielle, auf den gebräuchlichen Nährböden gedeihende Mikroflora zurück und schließlich blieben die auch mit zwei Kubikzentimeter Wasser beschickten Kulturen steril. Diese schwefelwasserstoffreichen Zonen waren zwar nicht gänzlich frei von Spaltpilzen, indem sich Chromatium im zentrifugierten Wasser noch direkt mikroskopisch nachweisen ließ, sondern es fehlten nur die züchtbaren Bakterienarten gänzlich. Daß an diesem Phänomen nur das Vorkommen von Schwefelwasserstoff allein, nicht aber andere Faktoren ursächlich beteiligt waren, ließ sich durch folgendes Experiment leicht beweisen. Die in schwefelwasserstoffreiches Ritomseewasser eingesetzten gewöhnlichen Wasserbakterienarten gingen darin in kurzer Zeit zu Grunde, nahmen aber darin keineswegs Schaden, wenn das Einsetzen erst erfolgte, nachdem das Wasser durch kräftiges Schütteln mit Luft seines Schwefelwasserstoffgehaltes beraubt worden war. Heute findet sich, wie die Untersuchungen des Jahres 1918 ergaben, auch am Grunde des Ritomsees kein Schwefelwasserstoff mehr vor, da zufolge teilweiser Entleerung des Seebeckens und nachherigem Stauen ein gründliches Durchmischen der verschiedenen Wasser-schichten und damit die Oxydation des Schwefelwasserstoffes durch das zuströmende sauerstoffhaltige Wasser erfolgte. Dagegen ist im nicht weit entfernten Lago di Cadagno das Phänomen, wenn auch in bedeutend beschränkterem Umfange, heute noch zu konstatieren.
Im Sommer 1918 beobachtete der Verfasser im Rotsee bei Luzern schon vier Meter unter der Oberfläche das Vorkommen des durch seinen penetranten Geruch sich leicht verratenden Schwefelwasserstoffes im Wasser. Nach den von Schwyzer am 6. September ausgeführten Prüfungen enthielt ein Liter Wasser aus dem Rotsee:
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 In einer Tiefe von
  4 m 2.36 ccm  =   3.6 mgr H2S
  5 m 3.02 ccm  =   4.6 mgr
  6 m 3.22 ccm  =   4.9 mgr
  8 m 3.81 ccm  =   5.8 mgr
  10 m 4.93 ccm =  7.5 mgr
  13 m 4.91 ccm =  7.48 mgr
  15 m 3.97 ccm =  6.04 mgr

Die schwefelwasserstofführenden Wasserschichten des Rotsees waren ebenfalls von einer roten Schwefelbakterienart, einem Chromatium, in so großer Menge bewohnt, daß das Wasser einen hellroten Farbenton besaß. Durch die bakteriologische Prüfung des Wassers stellten wir in diesem Falle aber fest, daß der Schwefelwasserstoffgehalt die Mikroflora der untern Wasserschichten nicht zu eliminieren vermochte, indem außer dem mikroskopisch direkt nachweisbaren Chromatium noch verschiedene Bakterienspezies in bedeutender Individuenzahl auf den angelegten Plattenkulturen von Nährgelatine und von Heydenagar, sowie in der Zuckeragar hohen Schicht-Kultur zu Kolonien angingen.
Beim Rotsee ist der Verfasser geneigt, die Hauptursache der Schwefelwasserstoffbildung im Abbau der durch Abwässer reichlich zugeführten organischen Substanz, speziell von Proteinkörpern zu suchen und die Reduktion von Sulfaten erst in zweiter Linie für die Erklärung heranzuziehen.
Die Bereicherung des Wassers mit Schwefelwasserstoff ruft stets einer Verminderung des Sauerstoffgehaltes fast bis auf Null, weshalb ein bedeutender Einfluß auf die gesamte Lebewelt des betreffenden Wasserbeckens ausgeübt wird. In schwefelwasserstoffhaltigem Wasser verschwindet die gewöhnliche Flora und Fauna der oberen sauerstoffhaltigen Schichten fast ganz. Es finden sich nur noch solche Lebewesen vor, die den besonderen Lebensbedingungen angepaßt sind, so z. B. von den Algen grüne Oscillarien, Cyanophyceen, Chroococcaceen und Diatomeen und daneben Anguilluliden, Infusorien, Rädertierchen u. a. m. Besonders charakteristisch sind die Infusorien, welche sich nicht bloß in den oberflächlichen, sondern auch in den tiefern Schichten dieses Wassers aufhalten, in denen der Sauerstoffgehalt ein äußerst geringer ist, oder aber wo dieses Gas gänzlich fehlt. Man trifft hier auch eine Reihe von Bakterienarten an, welche in stark nach Schwefelwasserstoff riechenden Flüssigkeiten ganz gut gedeihen und sich vermehren. Es gehören hierher nicht bloß solche unten zu besprechende Arten, die den Schwefelwasserstoff zu Schwefelsäure oxydieren, sondern auch manche obligat anaerobe, sauerstoffscheue Bakterien, für die eine schwefelwasserstoffhaltige Umgebung infolge ihrer reduzierenden Wirkung angenehm ist.
Durch diese Ausführungen ist uns klar geworden, daß die Schwefelwasserstoffbildung in der Natur sehr häufig ist und deshalb Ansammlungen dieses Gases oft beobachtet werden können. Bedeutende Anhäufungen des auf Pflanzen und Tiere stark giftig wirkenden Schwefelwasserstoffes müßten bedenkenerregend sein, so daß es sehr zu begrüßen ist, wenn dieses Gas durch Oxydation zu Schwefelsäure, deren Salze, die Sulfate, einen unentbehrlichen Bestandteil der mineralischen Pflanzennahrung bilden, unschädlich gemacht wird. Diese Oxydation findet überall als rein chemischer Prozeß unter Einwirkung des Luftsauerstoffes statt. Der in Wasser gelöste Schwefelwasserstoff bildet unter dem Einfluß freien Sauerstoffes ein feines Schwefelpulver, das sodann, besonders lebhaft bei Anwesenheit poröser Körper zu Schwefelsäure oxydiert wird. In der Natur geht jedoch dieser Oxydationsprozeß viel kräftiger und umfassender unter der Einwirkung der Schwefelwasserstoff verarbeitenden Bakterien vor sich, deren erste Untergruppe, die durch Farblossein der Zellen und ihre Anordnung zu fadenartigen Gebilden charakterisiert ist, nun besprochen werden muß.

Schwefelwasserstoff verarbeitende, farblose, zu Zellfäden vereinigte Schwefelbakterien.
Diese Gruppe von Schwefelbakterien ist am längsten bekannt und in ihren biologischen Eigentüm-lichkeiten am besten erforscht. Beim mikroskopischen Betrachten der hierher gehörenden Formen fällt auf. daß die Zellen nur ausnahmsweise einzeln angetroffen werden und in der Regel zu langen, fadenartigen Gebilden vereinigt, entweder an Fremdkörpern festsitzen, oder langsame Ortsveränderungen vollziehen. ...
...

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Übersicht über die physiologischen Eigenschaften autotropher Bakterien
  Energiequelle Wirkung organischer Stoffe Bedeutung des Sauerstoffs Bedeutung des Kohlendioxyds Stickstoffquelle Temperaturwirkung Name des Autors
Salpeterbildende Bakterien Nitritbakterien Ammoniumsalze (NH4) verb. hemmend, nie ernährend Zur Ernährung ist der freie Sauerstoff der Luft unbedingt notwendig Fast sicher einzige Kohlenstoffquelle Ammoniumsalze Grenzen 5-55°
Optimum 34°
Winogradsky
Nitratbakterien Nitrite (NaNO2, KNO2) nie ernährend, werden aber ziemlich gut vertragen Wahrscheinlich einzige Kohlenstoffquelle Nitrite Grenzen 5-55°
Optimum 34°
Winogradsky
Eisenbakterien Leptothrix ochracea Eisenbikarbonat (FeH2(CO3)2) org. Stoffe sind wahrscheinlich nicht notwendig Als Kohlenstoffquelle verwendbar Nitrate Grenzen 5-40°
Optimum 24°
Winogradsky
Spirophyllum ferrugineum Eisenbikarbonat (FeH2(CO3)2) ohne Einfluss auf das Wachstum, in kleinen Mengen nicht schädlich Notwendig Nitrate Kälteliebend
Grenzen 0-22°
Lieske
Wasserstoffbakterien Hydrogenomonas vitrea Wasserstoff (H2) Sie können Wasserstoff vertreten Als Kohlenstoffquelle verwendbar Salmiak, vielleicht auch org. Stickstoffverbindungen Optimum 30-35° Niklewski
Hydrogenomonas flava Wasserstoff (H2) Sie können Wasserstoff vertreten Als Kohlenstoffquelle verwendbar Salmiak, vielleicht auch org. Stickstoffverbindungen Optimum 30-35° Niklewski
Methanbakterien Bacillus methanicus Methan (CH4) nicht untersucht   Der Kohlenstoff wird aus CH4 verarbeitet Magnesiumammonphosphat Optimum 30°-37° Söhngen
Schwefelbakterien Beggiatoa-Arten Schwefelwasserstoff (H2S) ohne Einfluss auf die Ernährung, in schwachen Konzentrationen unschädlich   Einzige Kohlenstoffquelle Ammoniumsalze Grenzen 0-45° Optimum 30° Winogradsky u. Keil
Thiotrix-Arten Schwefelwasserstoff (H2S) ohne Einfluss auf die Ernährung, in schwachen Konzentrationen unschädlich   Einzige Kohlenstoffquelle Ammoniumsalze Grenzen 0-37° Optimum 30° Winogradsky u. Keil
Thiobacterium thioparum   weder fördernd noch schädlich   Einzige Kohlenstoffquelle Salpeter oder Salmiak Optimum 28-30° Nathansohn u. Beijerink
Thiobacterium denitrificans Schwefelwasserstoff (H2S) nicht notwendig für die Ernährung, wirken aber nicht hemmend wächst anaërob, bedarf aber des Sauerstoffs aus Salpeter in Karbonat- und Bikarbonatform geeignete Kohlenstoffquellen Nitrate Optimum 30° Beijerink und Lieske

 
Beggiatoa alba et B. media, Winogradsky Fig. 1
Beggiatoa alba Win. Wirrer Fadenknäuel, dessen Zellen ganz mit Schwefeltröpfchen gefüllt sind. Nach der Natur gezeichnet. Vergrößerung 1000 fach.

Fig. 2
Beggiatoa media Win. Der Fadenknäuel zerfällt stellenweise in seine kurzen, sich abrundenden Glieder. Nach der Natur gezeichnet. Vergrößerung 1000 fach.
 

Prof. Dr. M. Düggeli war Direktor des ETH-Instituts für Gärungsbiologie (nachmals Mikrobiologie). Der Ritomsee wurde in dieser Zeit in die Dienste der Eisenbahn gestellt. Es wird kolportiert, dass erst seither Silberbesteck im Bedretto auch anlaufe (ein sehr empfindlicher Nachweis für Schwefelwasserstoff). Es existiert auch eine Arbeit von M. Düggeli über Leuchtbakterien im Rotsee. Diese führte er auf das Waschen von Meeresfischen in den umliegenden Hotelküchen zurück.

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