Neujahrsblatt der NGZH Nr. 122 auf das Jahr 1920; 28S. mit 1 Tafel und 10 Textbildern (Format des Hefts: 21 x 29 cm)
Geschichte des Erdöls.  Bilder aus der Vergangenheit unseres Planeten.
von Ernst Blumer.

 

Geschichte des Erdöls.

Bilder aus der Vergangenheit unseres Planeten.

von

Ernst Blumer
 
 
 
 
 
 
 

Druck von Gebr. Fretz A.G. in Zürich

 

German only

 
 
 
 
 

      Inhalt: 
    Einleitung 3
  I. Das Meeresleben. - Ursprung des Erdöls 5
 II. Meeresablagerung. - Festlandsbildung 7
III. Gesteinsverfestigung. - Erdölentstehung 9
IV. Faltung. - Erdölwanderungen . ,. 13
 V. Abtragung des Festlandes. - Entleerung der Öllager 18
     Schlusswort. - Vergänglichkeit . 26
 

Seiten 3,7, 22-25
Aus der Einleitung:
Siebentausendmal hat sich die Erde um die Sonne bewegt, seit Menschen Geschichte schreiben, um darin ihre Taten und Schicksale einer fernen Zukunft zu überliefern. Es erscheint aber als eitle Vermessenheit und Selbstüberhebung sondergleichen, diese Aufzeichnungen „Weltgeschichte“ zu nennen! Handelt es sich doch dabei nicht im entferntesten um die Vergangenheit des Weltganzen, ja auch bei weitem nicht um die der ganzen Erde oder auch nur aller ihrer Bewohner und selbst nicht um die des ganzen Menschengeschlechtes, sondern nur um die Vergangenheit jenes Teiles der Menschheit, der, vor wenigen Jahrtausenden aus Duft und Nebel der Urzeit auftauchend, sich seither unter vielen Leiden und Hindernissen und unaufhörlichen brudermörderischen Kämpfen über den ganzen Erdkreis ausgebreitet hat.
Die ganze Vergangenheit des Menschengeschlechtes reicht aber viel weiter zurück als die „Universalgeschichte“ und dahinter steht eine vielhunderttausendmal längere Vergangenheit anderer, einfacherer Lebewesen und dahinter liegt erst die Vergangenheit des noch öden Planeten, der selbst wieder bloss einen winzigen Punkt und einen flüchtigen Augenblick im nach Raum und Zeit unendlichen Weltall darstellt.
In der überaus kurzen historischen Zeitspanne hat sich im Antlitz der Erde nicht vieles geändert. Die Festländer, die Meere, die Berge, die Täler, die Klimate, ja selbst die meisten Pflanzen und Tiere sind dieselben geblieben.
In der unendlich viel längeren vorhistorischen Zeit hat sich das alles geändert. Denn im Herzen der Kontinente und auf den höchsten Gipfeln finden wir heute alte Meeresablagerungen, die einst am Grunde des Ozeans entstanden sind.  Die Verteilung von Land und Meer, von Berg und Tal war eben in diesen längeren Zeiträumen nicht weniger wechselvoll, als später die Geschichte der Völker. Auch die Tier- und Pflanzenwelt hat sich langsam und stetig geändert. Nur die grossen Naturvorgänge sind auch durch diese frühere Vergangenheit hindurch dieselben geblieben; denn dieselben „ewigen, ehernen, grossen Gesetze“ leiteten durch alle Zeiten hindurch die Bewegungen des Erdballs, wie die seiner Lithosphäre, Hydrosphäre und Atmosphäre. Die Naturvorgänge der Gegenwart bilden daher einen Spiegel der früheren Zeiten und erhellen uns in gleicher Weise Vergangenheit und Zukunft. Indem wir beobachten, wie heute das Künftige wird, lernen wir erkennen, wie das Heutige früher geworden.  Auf diese Weise werden wir auch in den folgenden Darlegungen die Erscheinungen der Gegenwart mit denen der Vergangenheit verknüpfen.
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II. Meeresablagerung. - Festlandsbildung.
Biogene Sedimente. - Terrigene Sedimente. - Der blaue Kontinentalschlamm.
Alles Leben vergeht! Wo viel Leben, da ist viel Sterben; denn mit dem Tod wird das Leben bezahlt.
Die weltweite Schwebefauna, die das Meer in allen Tiefen bevölkert, sinkt nach dem Absterben, soweit sie nicht anderen Tieren zur Nahrung dient, langsam auf den Meeresgrund. Tagtäglich und stündlich und in jedem Augenblick fällt daher ein äusserst langsamer, aber ununterbrochener Regen toter Organismen, namentlich mikroskopisch kleiner planktonischer Wesen auf den Boden der Ozeane und häuft sich dort gleich einer allmählich wachsenden Schneedecke Schicht auf Schicht. Wie das Weltmeer der grösste Tummelplatz des Lebens, so ist sein Boden die grossartigste Stätte des Todes, eine Grabstätte von wahrhaft riesenhafter Ausdehnung!
Dort entstehen jene biogenen Schlamme, die, wie der Globigerinenschlamm, der Radiolarienschlamm, der Diatomeenschlamm, fast ganz aus den Kalk- oder Kieselskeletten kleinster, einfachster, einzelliger Lebewesen zusammengesetzt sind. Solche Ablagerungen bedecken in gewaltiger Ausdehnung die meisten tieferen Böden der heutigen Ozeane.
In den Küstenregionen, den Golfen, den Binnenmeeren dagegen mischen sich, durch die Flüsse herbeigeführt, grosse Massen von Festlandstrümmern mit den Organismenresten. Letztere erscheinen nun bloss noch als eine meist sehr untergeordnete Beimengung von Sedimenten festländischer Herkunft, terrigenen Geröllbänken, Sanden und Schlammen, von denen die ersten gewöhnlich am küstennächsten, die letzten am küstenfernsten abgelagert werden und zugleich weitaus die grösste Verbreitung haben; das ist der blaue Kontinentalschlamm, der manche Golfe und Binnenmeere vollständig erfüllt und dem gegenüber Sande und Konglomerate vorwiegend bloss als untergeordnete Einschaltungen, als Linsen und Bänke erscheinen.
Denn es ist namentlich feiner Schlamm, den die grossen Festlandströme unaufhörlich ins Meer hinaus spülen. Etwa vierhundert Millionen Tonnen werden vom Mississippi jährlich in den mexikanischen Meerbusen hinaus verfrachtet, wodurch, wie man geschätzt hat, sein Sammelgebiet in zehntausend Jahren um einen Meter, in sieben Millionen Jahren bis auf den Meeresspiegel erniedrigt würde. Langsam wachsen auf diese Weise durch die Abtragungsprodukte des Festlandes die Deltas hinaus ins Meer; allmählich füllen sich die Golfe, die Binnenmeere, und Festland tritt an die Stelle der Meereswogen. Das ist der Wechsel von Land und Meer im Laufe der Zeiten. Er vollzieht sich heute vor unseren Augen; er hat sich aber von jeher abgespielt, seit rinnendes Wasser unseren Planeten belebt.
So erfüllte noch in der Tertiärzeit, jener geologisch sehr nahen Vergangenheit, da in der Schweiz Palmen im tropischen Windhauch spielten und der vielstimmige Chor ungeschwänzter Affen jeden Morgen durch den Urwald tönte, ein Meeresarm das Gebiet zwischen Alpenfuss und Jurarand, umspülte ein Meeresarm den Aussenfuss der Karpathen. Die Kaspisee war noch doppelt so gross wie heute; die mesopotamische Tiefebene bildete einen Teil des persischen Meerbusens, wie das Tal des Irawadi einen Teil des Golfes von Pegu. Der Golf von Mexiko war etwa zweimal so gross wie heute und reichte nordwärts bis gegen St. Louis; der Golf von Kalifornien fand seine Fortsetzung im heutigen San Joaquin Tale. Gegenwärtig sind alle diese alten Meeresgebiete verlandet; wo einst der Ozean geflutet, entstanden später die Kulturen von Niniveh und Babylon und dehnt sich heute die fruchtbare schweizerische Hochebene.
Sedimentation und Verlandung, Ablagerung von Organismenresten und Festlandstrümmern sind in weiten Meeresteilen vor sich gehende Naturvorgänge von grösster Allgemeinheit und Stetigkeit. So ist es heute, so ist es früher gewesen. Darum ist Gehalt an organischer Substanz und darum die daraus hervorgegangene Erdölführung eine der allgemeinsten Eigenschaften der Sedimente. In der Tat sind Erdöllager über die ganze Erde verbreitet und haben sich zu allen Zeiten gebildet, seit organisches Leben auf unserem Planeten besteht.  Es gibt keine Stufe der sedimentären Schichtreihe, die nicht irgendwo Kohlenwasserstoffe enthielte; es gibt keine Stufe zwischen Silur und Tertiär, die nicht irgendwo reiche, ausbeutbare Ölanhäufungen geliefert hätte.
Wenn demgegenüber immerhin Meeresablagerungen eines bestimmten Zeitalters bei weitem nicht überall Reste organischer Substanz und Kohlenwasserstoffe enthalten, so hängt dies zunächst damit zusammen, dass zu allen Zeiten nur ganz bestimmte Sedimente zur Einbettung und Erhaltung von Protoplasmaresten. besonders geeignet waren.
So geht in der küstenfernen Tiefsee die Sedimentation nur mit äusserster Langsamkeit von statten; in Zusammenhang damit fallen die zu Boden gesunkenen Tierleichen räuberischen Bewohnern des Meergrundes oder verwesend dem stets von oben sich erneuernden Sauerstoff des Meerwassers zur Beute; die organische Substanz verschwindet; nur die Schalen oder Skeletteile bleiben. Tiefseesedimente sind daher wie die Oberfläche des Festlandes arm an Protoplasmaresten, selbst dann, wenn sie erfüllt sind von unzähligen Schalentrümmern, oder sogar ausschliesslich aus solchen entstanden sind.
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V. Abtragung des Festlandes.   -  Entleerung der Öllager.
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Nachdem ein offenes Öl- und Gaslager sein Öl und Gas gänzlich verloren hat, erinnern häufig noch Salzwasser- und Schwefelquellen an den ursprünglichen Gehalt; beide sind daher für Schenkelgebiete von Ölantiklinalen bezeichnend. Schliesslich fallen auch sie der gänzlichen Aussüssung durch das atmosphärische Wasser zum Opfer, das nimmermüde die offenen Ölhorizonte aufs gründlichste durchspült. Wenn auf diese Weise die natürliche Abtragung des Festlandes und die Arbeit des atmosphärischen Wassers im Laufe der Zeiten die Ölvorräte des Erdinnern vernichten, so beteiligt sich seit einem halben Jahrhundert auch das Menschengeschlecht an diesem Zerstörungswerke der Natur. Denn es hat seit dem Jahre 1857 gelernt, mit künstlichen Bohrlöchern von Bruchteilen eines Meters Durchmesser und von bis über fünfzehnhundert Metern Tiefe die undurchlässigen Hüllschichten zu durchstechen, die die Öllager des Erdinnern bedecken und beschützen, und auf diese Art früher ungeahnte Schätze mit spielender Leichtigkeit zu heben. Seither sind in den verschiedensten Ländern und Erdteilen Hunderte und Hunderte von Ölfeldern, Hunderttausende von Ölbohrungen entstanden.
Wenn ein unterirdisches Öllager, in dem Öl und Gas unter einem bis zu hundert Atmosphären steigenden Drucke hermetisch eingeschlossen sind, angebohrt wird und damit Öl und Gas urplötzlich von dem schweren auf ihnen lastenden Drucke befreit werden, so geschieht im grossen, was bei einem Heronsball im kleinen. Öl und Gas drängen durch die geschaffene Öffnung ungestüm an die Erdoberfläche, und da gleichzeitig unter dem verminderten Drucke die Löslichkeit des Erdgases im Erdöl sich gewaltig vermindert, entweicht der grösste Teil des bisher im Erdöl gelösten Gases schäumend und spritzend. Eine gewaltige Säule von Öl, Gas und mitgerissenem Sand steigt unter betäubendem Getöse, gelegentlich bis über hundert Meter, in die Luft empor, wobei die Öl- und Sandteilchen durch das Gas zerstäubt und über die ganze Umgebung ausgestreut werden.
Das ist das glänzende Schauspiel der Ölspritzer, das namentlich für die Anfangsperiode aller grossen Ölfelder bezeichnend ist. Diese Spritzer entwickeln beim Anbohren oft explosive Heftigkeit; Bohrröhren werden ausgeblasen, schwere gusseiserne Klappen im Bohrloch zertrümmert; neben Öl und Sand werden selbst grössere Steine aus dem Öllager mitgerissen und in die Luft geschleudert. In manchen Gebieten, so auf Apscheron, kann die ausgeworfene Sandmasse der Ölmenge gleichkommen. Alle paar Minuten wird dann das Bohrloch durch Sand verstopft, wodurch eine kurze Pause entsteht, auf die nach Beseitigung des Widerstandes ein um so heftigerer Ausbruch folgt! Ja, bei sehr sandreichen Brunnen wird oft die Bohrmaschine begraben unter dem ausgeworfenen Sande; das Dach des Bohrturmes stürzt unter der Sandlast zusammen, und um die Austrittsöffnung häuft sich ein Kegel von weichem, fliessendem, öligem Schlamm, in dem alles verschwindet. Das durch solche Ausbrüche erzeugte Getöse kann meilenweit vernommen werden und der Untergrund im Umkreis von einem halben bis einem ganzen Kilometer erzittern.
Wenn aber in der Folge immer neue Bohrungen auf dasselbe Öllager niedergebracht werden und so schliesslich die bedeckende Hüllschicht wie ein Sieb durchlöchert ist und durch alle diese Öffnungen fortwährend Gas und Öl entweichen, so nimmt selbstverständlich der in der. Lagerstätte herrschende Druck immer mehr ab und wird der Öl- und Gasvorrat immer kleiner. Darum sind die ersten Brunnen eines Feldes gewöhnlich die grössten Spritzer; später werden die Brunnen schwächer und schwächer; schliesslich hört im Felde das Spritzen, ja selbst das selbsttätige ruhige Ausfliessen auf; nun müssen die Bohrungen gepumpt werden. Aber auch das hat einmal ein Ende; es kommt die Zeit, wo man selbst durch Pumpen keinen befriedigenden Ertrag mehr erzielt. Nunmehr ist das Öllager erschöpft; dieser Moment erscheint einmal, früher oder später, unausbleiblich bei jedem einzelnen Brunnen wie bei jedem ganzen Ölfelde.
Jeder Brunnen wie jedes Ölfeld hat also eine bestimmte Lebensdauer, die vom Reichtum, der Konzentration und dem Drucke der Lagerstätte, sowie von der Intensität der Ausbeute abhängt. Die längste mir bekannte Lebensdauer einer Ölbohrung ist drei bis vier Jahrzehnte. Alle Brunnen, die über ein Jahrzehnt gut produziert haben, sind sehr langlebige Brunnen. Unzählige haben nur einige Monate, einige Wochen, ja selbst nur einige Tage Öl geliefert. Die durchschnittliche Lebensdauer der Ölbrunnen dürfte auf Bruchteile eines Jahres bis mehrere Jahre angegeben werden. Die Lebensdauer ganzer Felder ist natürlich grösser, oft eine Anzahl Jahrzehnte.
Während der Ertrag einer natürlichen Ölquelle von Bruchteilen eines Liters bis auf höchstens mehrere hundert Liter im Tage steigen kann und gewöhnlich nur einige Liter beträgt, ist die grösste Produktion in vierundzwanzig Stunden, die je durch eine Bohrung erzielt worden ist, fünfundzwanzigtausend Tonnen, das heisst fünfundzwanzig Millionen Kilogramm oder etwa achtundzwanzig Millionen Liter. Das ist eine Ölmenge, die zu ihrem Transporte hundert Eisenbahnzüge von je fünfundzwanzig Wagen benötigen würde, die bei einer Mächtigkeit des Ölsandes von zehn Metern und einem Porenraum von dreissig Prozent ein Quadrat von hundert Metern Kantenlänge oder einen Kreis von sechzig Metern Radius bedecken würde. Es ist nicht verwunderlich, dass solche Erträge höchstens einige Tage anzuhalten pflegen.
Alle Brunnen, die einmal über tausend Tonnen in vierundzwanzig Stunden gegeben, können als sehr reiche, alle, die hundert Tonnen gegeben, als gute Brunnen bezeichnet werden. Man beutet aber gelegentlich noch Bohrungen aus, die nur ein Fass, das heisst hundert bis zweihundert Liter im Tage liefern. Als Durchschnittsertrag der Ölbohrungen könnte man vielleicht einen Bruchteil einer Tonne bis mehrere Tonnen angeben.
Die Gesamterträge einzelner Brunnen können bis auf mehrere Millionen Tonnen steigen; das sind dann allerdings ungeheure Produktionen, die der gesamten Jahresproduktion von Galizien oder Hinterindien gleichkommen.
Die totale Jahresproduktion an Erdöl erreichte vor dem Weltkrieg fünfzig Millionen Tonnen und wird damit an Wert nur noch von Kohle und Eisen übertroffen. So gross diese Zahl anmutet, so steht sie doch mit unserer ganzen bisherigen Darstellung in Einklang. Denn da allein der jährliche Ertrag der Seefischerei schon viele Millionen Tonnen beträgt, so muss die Gesamtmasse der jährlich absterbenden Fische noch viel grösser sein, steht also mit der jährlichen Ölproduktion in derselben Grössenordnung. Wie viel mehr muss die demgegenüber noch weit bedeutendere, ja unerschöpfliche Mikrofauna der Meere genügen, um die Erdölmengen des Erdinnern zu erklären.
Die gesamte bisher, das heisst in den vergangenen sechs Jahrzehnten gewonnene Ölmenge beträgt rund siebentausend Millionen Fass oder über eine Billion Liter oder über tausend Kubikkilometer. Diese Menge würde also einen Würfel von zehn Kilometern Kantenlänge ausfüllen. Und doch scheint selbst eine solche Masse klein, sobald wir sie mit dem ganzen Planeten ins Verhältnis setzen; denn auf die Erdoberfläche verteilt, würde sie um den Erdball nur eine dünne Haut von zwei Millimetern Dicke bilden.
Von dieser Menge sind gegen zwei Drittel durch Nordamerika, beinahe ein Drittel durch Russland geliefert worden. Alle übrigen Länder beteiligten sich bisher nur mit einigen Prozenten oder gar nur mit Bruchteilen eines Prozentes an der Weltproduktion. Während aber die amerikanische Produktion auf weite Gebiete verteilt ist, stammt der russische Ertrag fast ausschliesslich von einem kleinen Fleck Erde auf der Halbinsel Apscheron. Von dort, von einer Fläche von fünfundzwanzig Quadratkilometern in der Umgebung von Baku, stammt nahezu ein Drittel der bisherigen Weltausbeute. Das ist der grösste Bodenschatz, der je von Menschen gehoben, die grösste Energiekonzentration, die menschlicher Ausbeute zugänglich geworden. Nicht Gold und nicht Diamanten können mit solchem Reichtum wetteifern!
Man hat zur Erklärung derartigen Ölreichtums immer wieder und noch bis in die neueste Zeit zur Annahme rätselhafter Massenmorde in den Meeren der Vorzeit gegriffen; doch wäre das nur ein neu auftauchender Sonderfall der alten, abgetanen Katastrophentheorie. Wir haben demgegenüber auf den vorangegangenen Blättern zu zeigen versucht, dass die Erdölbildung einen über grosse Flächen und lange Zeiträume ausgedehnten, allgemeinen, anhaltenden und stetigen Naturvorgang darstellt. Die ungeheuren Anhäufungen mancher Öl- und Gaslagerstätten, die vor allem den Menschen in Erstaunen versetzen, haben wir dann weiter geschildert als entstanden durch zweimalige Anreicherung, erstens durch eine vermutete beschränkte Anreicherung gegen die Ölhorizonte hinaus den darüber und darunter liegenden Hüllschichten zur Zeit der Gesteinsverfestigung, zweitens durch sicher nachgewiesene weite Wanderungen und bedeutende Anreicherungen innerhalb der Ölhorizonte nach der Gesteinsverfestigung und besonders während der Gebirgsfaltung, wodurch, was einst ausgebreitet lag über Hunderte von Quadratkilometern, nunmehr aufgespeichert ist innerhalb einer Fläche von einigen wenigen Quadratkilometern!
Allverbreitet wie Leben und Sterben auf Erden ist das Erdöl innerhalb der grossen Grabstätte unseres Planeten, der sedimentären Erdkruste. Das heutige Vorhandensein wäre ein noch unvergleichlich viel allgemeineres, wenn nicht die oberflächennahen Gesteinsschichten durch den Kreislauf des Wassers grossenteils entleert wären, so dass die gegenwärtigen Vorkommen nur äusserst lückenhaft und fragmentarisch sind, verglichen mit dem ursprünglichen Verbreitungsgebiet. Denn das atmosphärische Wasser ist der Todfeind aller Öllagerstätten. Wie es alle Kalilager und alle Kochsalzvorkommen vernichtet, die es einmal erreicht hat, so gibt es, wo es einmal in eine Öllagerstätte eingedrungen ist, keine Rast und Ruhe, bis Gas und Öl gänzlich ausgetrieben, das Salzwasser gänzlich ausgesüsst ist; dann erst tritt wieder Gleichgewicht ein. Eine offene Lagerstätte ist daher eine Lagerstätte ohne Gleichgewicht; sie ist in beständiger Zerstörung begriffen. Allein in einem geschlossenen Öllager herrscht Gleichgewicht und Ruhe.
Die sedimentäre Erdkruste zerfällt nach diesen Gesichtspunkten in zwei grosse Sphären, die ich in neuer Verwendung älterer Namen als die vadose und die profunde Sphäre bezeichne.
Die vadose Sphäre ist vom atmosphärischen Wasser durchtränkt und durchflossen. Ihre obere Grenze ist die Erdoberfläche; ihre untere Grenze bilden undurchlässige Schichten. Ihre geothermische Tiefenstufe ist normal. Das Grundwasser kommuniziert mit der Erdoberfläche und steht unter deren hydrostatischem Drucke. Ihre Gesteine sind entsalzt; ihre Öl- und Gaslager sind verarmt, verwässert oder gänzlich entleert und verschwunden. Sie ist das Gebiet der offenen Öl- und Gaslagerstätten, die reich an Ölfundstellen, aber ohne bedeutenden Gehalt und ohne Gasdruck sind. Am besten haben sich hier noch die Asphaltkalke und Asphaltsande erhalten, sowie die ölhaltigen Thon- und Mergelmassen, die gerade wegen ihrer Schwerdurchlässigkeit ihre Ölführung bewahrt haben und darum auch noch häufig Ölfundstellen liefern.
Die profunde Sphäre ist vom atmosphärischen Wasser gänzlich abgeschlossen; denn ihre obere Grenze wird von undurchlässigen Schichtmassen gebildet; ihre untere Grenze fällt zusammen mit dem Eintritt in die porenlose latentplastische Zone in einer Tiefe, die schon auf zwanzig bis dreissig Kilometer geschätzt worden ist. Ihre geothermische Tiefenstufe ist abnorm klein, da infolge des Abschlusses nach oben und infolge des Fehlens abkühlender durchspülender Wassermassen von oben die Temperatur rascher steigt als in der vadosen Sphäre. Ihr Wasser steht nicht unter hydrostatischem Druck in Zusammenhang mit der Erdoberfläche. Sie ist die Region der geschlossenen Öl- und Gaslager. Hier haben die Gesteine noch ihren ursprünglichen Inhalt; hier führen sie noch das alte Meerwasser, in dem sie entstanden sind; hier enthalten sie noch die organische Substanz, die einst in ihnen begraben wurde. Sie sind daher Salzwasserdurchtränkt, bitumendurchsetzt, öl- und gashaltig. Durch weite und eigentümliche unterirdische Wanderungen haben sich dann Öl und Gas an einzelnen Punkten angereichert zu Lagerstätten von unerhörtem Reichtum.
Es ist kein Zufall, dass mehr als die Hälfte der bekannten Öllagerstätten aus der Tertiärzeit stammen, also geologisch sehr jung sind. Wohl ist Erdöl entstanden, seit organisches Leben unseren Planeten belebt. Aber je weiter die Entstehung der Ölvorräte zurückliegt, um so grösser war auch die Gelegenheit zu ihrer Zerstörung. In harmonischem Einklang damit liegen die uralten und reichen paläozoischen Lagerstätten im Innern des nordamerikanischen Kontinentes in weitem Tafellande, dessen Mangel an Störungen die erhabene tektonische Ruhe spiegelt, die dieser Teil der Erdrinde durch alle Zeitalter hindurch bewahrt hat. Bei solcher Ruhe konnten sich auch Erdöllager durch ungezählte Jahrmillionen erhalten. Dagegen gehören fast alle die gefalteten Ölregionen jungen und namentlich tertiären Gesteinsschichten an. Und dabei sind es immer die einfacher gefalteten Teile, die Vorländer der Gebirge, die ölreich sind. Im hohen Gebirgsinnern sind Störungen wie Abtragungen zu bedeutend gewesen, um viel an Ölvorräten übrig zu lassen; die Hochgebirge gehören daher in der Regel zur vadosen Sphäre.
 
Oil Deposit LA Ca, US Fig. 9
Ausstreichende und auskeilende Schenkellager
Los Angeles Kalifornien
nach Ralph Arnold

Kommentar:
Vor dem Ersten Weltkrieg war die Produktion zirka 1000 Barrel pro Tag (252 l/s), was 1920 als gewaltige Menge empfunden wurde. Heute (2005) hat  Rohöl eine Tagesproduktion von zirka 70 Mio Barrel à 158.98 l, also vergleichbar der Wasserführung der Limmat.
Während Jahrzehnten wurde postuliert, dass die Grünalge Botryococcus braunii Kütz. (Chlorophyta/Chlorococcales) allein für die Erdölbildung verantwortlich sei (Begründung: B.braunii speichert Energie als Fett, viele andere Grünalgen als Stärke). Ich bevorzuge Blumers Hypothese, sie berücksichtigt auch den Rest der Lebensgemeinschaften und ihre Physiologie.
In einem Detail irrt Blumer: es gibt sehr wohl Erdölbildung aus Süsswasserseen.

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