Neujahrsblatt der NGZH Nr. 125 auf das Jahr 1923; 15S. mit 4 Tafeln und 4 Bildern.(Format des Hefts: 22.5 x 29.2 cm)
Die Reblaus und unser Weinbau.
von
O. Schneider-Orelli.

Neujahrsblatt

herausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
auf das Jahr 1923.
125. Stück.

Die Reblaus und unser Weinbau.
von 

O. Schneider-Orelli.
 

mit 4 Tafeln und 4 Textbildern
 
 

Beer & Cie. in Zürich

 

German only

 

 Inhalt:
1. Einleitung   4
2. Herkunft und Entwicklungsgang der Reblaus 4
3. Wie entstehen neue Reblausherde?   7
4. Der Kampf gegen die Reblaus   9
5. Die Reblaus und die Amerikanerreben 11
   Ausblick 13
   Literatur 14
   Tafeln 
   Erklärung der Tafeln 15

Für das Internet wurden die Kapitel 2, und Teile der Kap. 4 und 5 ausgewählt.

Reblaus, vine killed by vine louse
Absterben der Reben bei Tegerfelden 1920

2. Herkunft und Entwicklungsgang der Reblaus.
Die Reblaus wurde im Jahre 1854 durch den Entomologen Asa Fitch in Nordamerika an einer dortigen Rebenart in der blattbewohnenden Form entdeckt. In jener Zeit hatte man von der praktischen Bedeutung dieses Insektes noch keine Ahnung.  In weitern amerikanischen Reblausfunden, die ebenfalls die blattbewohnenden Generationen betrafen, handelte es sich insbesondere um die dortigen Wildreben Vitis riparia und Vitis cordifolia aus den Missisippiwäldern, und um Vitis caribaca aus dem tropischen Mittelamerika als Reblausnährpflanzen. Genauer lokalisieren lässt sich allerdings zur Zeit die engere Heimat der Reblaus noch nicht, da dieser Frage bisher von den amenkanischen Entomologen nicht die gleiche Aufmerksamkeit zugewendet wurde wie diesseits des Ozeans. Schon die bisherigen Funde lassen aber erkennen, dass die oberirdische Entwicklung, d. h. der Befall der Rebenblätter in Amerika, eine viel bedeutendere Rolle spielt als es später in den europäischen Weinbergen der Fall war. Der deutsche Reblausforscher BÖRNER vermutet sogar, dass der Entwicklungsgang der Reblaus im tropischen amerikanischen Urwalde sich noch heute ausschliesslich auf den oberirdischen Rebenteilen abspielen könnte.
Es darf als sicher angenommen werden, dass die Reblaus kurz nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts mit bewurzelten Amerikanerreben in die europäischen Rebberge eingeschleppt wurde. Man importierte damals, besonders in Frankreich, solche fremden Reben teils als Zierpflanzen, in der Hauptsache aber in der Erwartung, dass sie dem kurz vorher eingeschleppten echten Rebenmehltau besser widerstehen würden als die einheimischen.
Im August 1868 legte PLANCHON seine erste Mitteilung vor, nach welcher er die Reblaus, Phylloxera vastatrix, verantwortlich machte für eine verheerende Krankheit, die in Südfrankreich in kurzer Zeit Tausende von Hektaren Rebland in "einen Kirchhof vertrockneter Reben" verwandelt hatte. Später stellte es sich heraus, dass die von PLANCHON festgestellte Art mit der von FITCH beschriebenen amerikanischen Peritymbia vitifolii identisch sei, nur waren es in Frankreich nicht die blattbewohnenden, sondern die an den Wurzeln saugenden Generationen des Insektes, welche das Unheil anstifteten.  Mit einer Schnelligkeit von 20 und mehr Kilometer pro Jahr rückte in der Folge die Verseuchung in Frankreichs Weingelände vor, so dass man bald auch in der Schweiz auf das Erscheinen der Reblaus gefasst sein musste. Fraglich blieb vorerst nur, ob das Eindringen in unser Land aktiv durch das Tier selber oder passiv durch Verschleppung mit angesteckten Reben erfolgen würde. Im Jahre 1874 entdeckte man den ersten schweizerischen Reblausherd, und zwar in der Nähe von Genf. Von importierten amerikanischen Gewächshausreben aus hatte hier die Verseuchung in einen anstossenden Weinberg hinübergegriffen; auch andernorts, z. B. in den Kantonen Zürich und Thurgau, erfolgten später die ersten Reblausfunde in der Nähe oder direkt an importierten amerikanischen Reben.
Der vollständige Entwicklungsgang der Reblaus, wie er sich auf reblausempfänglichen amerikanischen Rebensorten in Südeuropa nach frühern französischen Forschern und nach den neuem
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italienischen Beobachtungen von GRASSI und seiner Mitarbeiter abspielt, umfasst recht mannigfaltige Entwicklungsformen.  Auch mit lothringischem Reblausmaterial konnte BÖRNER die vollständige Generationenfolge an Europäerreben nachweisen, allerdings nicht durch ausschliessliche Freilandzuchten, sondern unter Benutzung eines Gewächshauses.
An den Wurzeln saugen während des Sommers die aufeinander folgenden Generationen flügelloser, parthenogenetisch entstandener und parthenogenetisch sich fortpflanzen der Wurzelrebläuse. Durch ihre Saugtätigkeit erzeugen sie au den jungen unverholzten Rebenwurzeln gelblichweisse Anschwellungen, die sogenannten Reblausnodositäten.  In seichten Vertiefungen, immerhin an der Oberfläche der Nodositäten, sitzen die Wurzelläuse, die sich wenigstens im ausgewachsenen Zustande von blossem Auge noch erkennen lassen. Bei der Untersuchung der Wurzeln fallen dem Beobachter die Nodositäten durch ihre helle, mit der dunklen Erde kontrastierende Farbe und durch ihre Dicke von meist 2-4 Millimeter viel leichter auf als die meist 1 Millimeter Länge nicht überschreitenden Wurzelläuse selber.  Besonders an europäischen Reben geraten diese Nodositäten mit den benachbarten unverdickten Wurzelteilen bald in Fäulnis, so dass das feinere Wurzelwerk bei stärkerem Befall mit der Zeit empfindlich leidet.  An länger befallenen Reben siedeln sich die Wurzelläuse auch an den schon verholzten Wurzelpartien an und erzeugen hier schorfige Missbildungen, selbst deutliche Gallen, die als Tuberositäten bezeichnet werden.  Im Laufe der Jahre führen diese Wurzelbeschädigungen schliesslich zum Absterben des befallenen Rebstockes.
Ausgewachsene Wurzelläuse mit ihren abgelegten Eierhäufchen und daneben junge Tiere in allen Häutungsstadien finden sich im Sommer in buntem Durcheinander auf den Nodositäten und den Tuberositäten und zuweilen sogar, auf der Rinde selbst fingerdicker Wurzeln vor. Dazwischen treten bei uns in der Hauptsache im August und September, im Süden schon früher, auch schlankere Tiere auf, mit dunkeln Flügelansätzen auf beiden Körperseiten. Diese Reblausnymphen gehen aus den Eiern gewöhnlicher Wurzelrebläuse hervor und stellen die Vorstadien der geflügelten Rebläuse dar. Die Nymphen wandern an die Oberfläche und häuten sich hier zu geflügelten Reblausweibchen. Die folgenden Entwicklungsstadien nun sind gegen die Witterungsumschläge des Spätsommers und Herbstes viel empfindlicher als die im Boden geborgenen Wurzelläuse.  Wir können deshalb die Weiterentwicklung bei uns wohl in Zuchtgefässen oder im Gewächshaus gelegentlich verfolgen, während sie sich in südlichen Gebieten auch im Freien Vollzieht.  Aus den Eiern, welche die geflügelten Rebläuse ablegen, gehen die ungeflügelten rüssellosen Geschlechtstiere hervor, die ohne Nahrung aufzunehmen nach einiger Zeit geschlechtsreif werden. Das begattete Weibchen legt ein einziges Ei, das Reblauswinterei. Unter günstigen äussern Verhältnissen schlüpft aus dem letztern im folgenden Frühjahr eine berüsselte weibliche Reblaus, die zu ihrer Weiterentwicklung ein junges, eben im Entfalten begriffenes Rebenblatt aufsucht, auf dessen Oberseite sie sich festsaugt und eine beutelförmig nach unten vorspringende Blattgalle erzeugt. Im Innern dieser Galle wächst die Laus, die als Stammutter (Fundatrix) bezeichnet werden kann, heran und legt hier schliesslich sehr zahlreiche Eier ab.  Die daraus hervorgehenden jungen Blattrebläuse erzeugen an benachbarten jungen Blättern neue Gallen, in denen sie sich ebenfalls parthenogenetisch weiter vermehren. Die Stammutter selber ist nach den Feststellungen von GRASSI und BÖRNER nie imstande, anstatt an Rebenblättern an Wurzeln heranzuwachsen und sich hier zu vermehren. Dagegen finden sich unter ihren Nachkommen in den Blattgallen, und zwar mit jeder folgenden Generation in vermehrter Zahl, Junge, die nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei die Blätter verlassen und an die Rebenwurzeln übersiedeln. Sie verhalten sich hier gleich wie richtige Wurzelläuse und können in der Folge auch nach ihrem Aussehen nicht von den letzteren unterschieden werden.
In unsern ostschweizerischen Lagen erklärt aber das Vorhandensein der vom Vorjahre her im Boden überwinterten gewöhnlichen Wurzelrebläuse die Weiterführung des Zerstörungswerkes im folgenden Sommer genügend. Wenn auch die Zahl der Wurzelläuse durch die äussern Verhältnisse, vor allem durch die Bodennässe während des Winters stark reduziert wird, so kann der erlittene Verlust bei ausschliesslich parthenogenetischer Vermehrung schon in der ersten oder zweiten Generation im folgenden Sommer wieder ausgeglichen sein.
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Bisher sind die Blattrebläuse mit ihren Gallenbildungen in den Rebbergen der Ostschweiz nie beobachtet worden, während diese Entwicklungsstadien im Süden durchaus nicht selten sind. In Lothringen ist es BÖRNER, der in seinen schon erwähnten Zuchtversuchen mit Reblausmaterial aus den dortigen grossen Herden mit Zehntausenden von Reblausgeflügelten experimentieren konnte, nur ein einziges Mal gelungen, aus einem Winterei, das zudem im Gewächshaus überwintert wurde, die folgenden blattgallenbildenden Generationen zu züchten. Die einmal erhaltene Gallenrebläuse konnte der genannte Forscher vom Jahre 1910 bis 1917 durch 67 Generationen hindurch ununterbrochen im Gewächshaus weiter züchten, indem er ihnen immer wieder frische Reben mit Blättern im geeigneten Infektionsstadium darbot. Im Freien dagegen muss die oberirdische Generationsfolge mit dem herbstlichen Laubfall erlöschen.
Im waadtländischen Weinbaugebiet traten schon vor Jahren gelegentlich Blattgallen in Sortimenten amerikanischer Reben auf. Wie mir Herr Dr. Faes mitteilte, handelte es sich dabei fast immer um solche Rebenpflanzen, die kurz vorher aus Südfrankreich importiert worden waren. Es ist demnach anzunehmen, dass die Geschlechtsgeneration und das Winterei sich daran schon in Südeuropa entwickelt hatten, so dass nach der Ankunft in der Westschweiz die Stammutter nur aus dem Ei auszuschlüpfen brauchte. Im September 1922 wies mir Herr Oberregierungsrat Dr. BÖRNER in seinen Reblausversuchsfeldern bei Naumburg an der Saale, also in einem noch bedeutend nördlicher gelegenen Gebiete zahlreiche frische Reblausblattgallen vor.  Diese aus seinen neuesten Infektionsversuchen stammenden Blattgallen standen aber in keinem Zusammenhang mit der Geschlechtsgeneration und dem Winterei der Reblaus. In Fortführung früherer Beobachtungen anderer Forscher war es BÖRNER gelungen, in seinen Naumburger Gewächshauszuchten durch Überdecken der Versuchsreben mit Gläsern und somit durch Erzeugung einer hohen Luftfeuchtigkeit gewöhnliche junge Wurzelrebläuse zur Ansiedlung auf Rebenblättern zu veranlassen. Nicht nur entstanden so typische Blattgällen, sondern auch die Versuchstiere selber nahmen in den spätem  Häutungsstadien die morphologischen Merkmale der Blattrebläuse an und schritten in den Blattgallen zur Eiablage.  Mit derartigen experimentell erzeugten Blattrebläusen konnten dann weitere reblausempfängliche Reben nicht nur im Gewächshause, sondern auch im Freien angesteckt und zur Bildung weiterer Blattgallen veranlasst werden, von denen aus dann auch spontane Wurzelinfektionen erfolgten.
Andere Abweichungen, bewirkt durch die ungleichen äussern Verhältnisse in Südeuropa und bei uns, ergeben sich auch in bezug auf die Zahl der jährlichen Wurzellausgenerationen. In unsern zürcherischen Reblausherden treten im Laufe eines Sommers durchschnittlich vier solche Generationen auf. In Südfrankreich müssen es nach den Literaturangaben deren doppelt bis dreifach so viele sein. Rechnen wir mit einer Eiablage von 30 bis 50 Stück pro Wurzellaus, so lässt sich die ungleich grössere Vermehrungsfähigkeit der Reblaus im Süden leicht ausdenken. Die befallenen Reben müssen deshalb dort nach kürzerer Zeit absterben. Man nahm früher für unsere Lagen an, dass spätestens im siebenten Jahre des Befalls die einheimische Rebe abgestorben sei.  Es fällt aber nicht leicht,
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genaue Zahlenangaben zu gewinnen, weil die einheimischen Reben in der Regel im gleichen Jahre, in dem man ihren Befall feststellt, durch die Reblausbekämpfungsmassnahmen beseitigt werden müssen. Als mir im Jahre 1914 durch Vermittlung des Rebbaukommissariates des Kt. Zürich und der Schweizerischen Versuchsanstalt in Wädenswil ein Reblausversuchsfeld in einem abgelegenen Teile des zürcherischen Seuchengebietes zur Verfügung gestellt wurde, benützte ich deshalb gerne die Gelegenheit, auch dieser Frage näher zu treten.  Es konnte damals in das Versuchsfeld auch eine Parzelle mit 45 alten einheimischen Reben, die den letzten Rest eines von der Reblaus zerstörten Rebstückes darstellte einbezogen werden.  Die Reblaus blieb hier in der Folge sich selber überlassen, wobei die Fortschritte der Verseuchung durch regelmässige Bodenuntersuchungen festgestellt wurden. Von diesen 45 Reben erwiesen sich zu Versuchsbeginn im Jahre 1914 drei Stück als reblausbefallen. Ob sie schon im Vorjahr angesteckt waren, liess sich nicht mehr feststellen. Jahr für Jahr nahm die Zahl der befallenen Reben zu: Im Sommer 1917 waren es schon 28, 1920 wiesen 44 und 1921 alle 45 Stöcke Rebläuse auf.  Noch im Herbst 1920 waren jedoch in dieser Parzelle an den oberirdischen Rebenteilen keine Schädigungen erkennbar; der Traubenertrag konnte als normal taxiert werden. Erst 1921 blieben einige Reben in ihrer Entwicklung deutlich zurück; der Rückgang verstärkte sich bis zum Herbst 1922 soweit, dass jetzt 16 Stöcke keine Trauben mehr trugen, 18 nur noch 1 bis 3 während 11 Reben mit 4 bis 10 Trauben noch ein normales Aussehen aufwiesen. Abgestorben war aber auch jetzt, nachdem die ersten Ansteckungen mindestens um 9 Sommer. zurücklagen, noch keine dieser Reben, abgesehen von einem Stocke, der im Vorjahre versehentlich bei der Bodenuntersuchung abgehauen worden war.  Wir sehen daraus, dass in Reblausherden, in denen zur Zeit der Entdeckung der Verseuchung schon zahlreiche Reben abgestorben sind, der Zeitpunkt der ersten Ansteckung um 10 oder mehr Jahre zurückliegen kann. Nach einem so langen Zeitraume muss es in vielen Fällen unmöglich sein, nachträglich festzustellen, wie die erste Ansteckung erfolgte.
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4. Der Kampf gegen die Reblaus.
Durch die internationale Reblauskonvention und die Bundesbeschlüsse vom Jahre 1878 wurden die Richtlinien, die bei der Reblausbekämpfung einzuschlagen sind, vorgezeichnet. Leider ist noch keine chemische Methode bekannt geworden, welche uns eine zuverlässige Vernichtung der Reblaus unter Erhaltung der Rebe ermöglichen würde.  Das gebräuchliche Vernichtungsverfahren, bei welchem in den verseuchten Böden grössere Mengen von Schwefelkohlenstoff eingebracht werden, der sich rasch verflüchtigt, tötet nicht nur die Rebläuse, sondern auch die Reben ab. In geringeren Dosen verwendet ist die Wirkung auch gegen die Reblaus keine vollständige. Die besten Erfolge lassen sich mit dem Schwefelkohlenstoffverfahren da erzielen, wo einzelne kleinere Reblausherde frühzeitig entdeckt und behandelt werden.  Schwieriger, ja unhaltbar gestaltet sich die Situation in solchen Fällen, wo zur Zeit der Entdeckung die Verseuchung schon grosse Flächen erfasst hat, oder wo sie sich in Form sehr zahlreicher Einzelherde über ein grosses Rebgelände erstreckt.  Da ist es oft nicht mehr möglich, mit Schwefelkohlenstoff der Reblaus völlig Herr zu werden und die strenge Anwendung des Vernichtungsverfahrens beschleunigt geradezu den Untergang des Rebenbestandes, weil nach den geltenden Vorschriften nicht nur die angesteckten Reben selber, sondern auch die angrenzenden, im sogenannten Sicherheitsgürtel stehenden mit vernichtet werden müssen. ...

5. Die Reblaus und die Amerikanerreben.
Abschnitte über Lothringische Versuche und Vorversuche im Kanton Zürich fehlen hier.
Die zürcherischen Versuche zur Nachprüfung der Frage begannen im Jahre 1914 und bestätigten das Vorhandensein solcher immuner Unterlagssorten auch für unser Gebiet. Es wurden im Versuchsfeld zuerst 56, später noch mehr Töpfe mit 9 für unsere Verhältnisse in Betracht kommenden amerikanischen Unterlagssorten eingegraben und die Topfpflanzen in vielen Parallelversuchen mit reichlichem Material von Wurzelrebläusen aus verschiedenen zürcherischen Herden versehen. Junge Topfreben sind zu solchen Infektionsversuchen besonders geeignet, weil die neuen Nodositäten in der Mehrzahl an der Peripherie des Wurzelballens entstehen und durch einfaches Herausheben der Pflanze aus dem Topfe nach Belieben kontrolliert werden können, ohne dass die Weiterzucht dadurch ungünstig beeinflusst wird.  Vergleichsweise bezog ich auch junge Topfpflanzen einheimischer Rebensorten (Räuschling, Gutedel, Burgunder), sowie zwei amerikanische Direktträgersorten in den Versuch mit ein.
Das Infektionsergebnis war folgendes: Stark befallen von der Reblaus wurden natürlich vor allem die einheimischen Topfpflanzen. Bei den Topfreben mit amerikanischen Unterlagssorten waren weitgehende Unterschiede im Verhalten nicht zu verkennen. 5 Sorten (Riparia Gloire de Montpellier, Riparia x Rupestris 3309, Berlandieri x Riparia 420 A, Aramon x Rupestris Nr.1 und Mourvèdre x Rupestris 1202) wiesen nie eine Ansteckung auf; man kann sie demnach für unser Gebiet als immun bezeichnen.  Bei einer weitern Sorte, Riparia Grand glabre fand ich ein einziges Mal eine saugende Wurzellaus vor, ohne dass es dabei zur Nodositätenbildung kam. An Riparia x Rupestris 3306 waren gelegentlich vereinzelte Nodositäten zu beobachten, während wieder andere Topfpflanzen der gleichen Sorte dauernd reblausfrei blieben. Stärker erwies sich der Befall an Riparia x Rupestris 10114, bei der alle in Töpfen stehenden Versuchspflanzen mehr oder weniger zahlreiche Nodositäten entwickelten. Am stärksten befallen war regelmässig die Unterlagssorte Solonis x Riparia 1616.  Hier traten kaum weniger zahlreiche, mit Wurzelrebläusen besetzte Nodositäten auf
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als bei den europäischen Kontrollpflanzen, ohne dass jedoch die genannten Amerikanerreben dabei irgend welche Wachstumsstörungen erkennen liessen.
Die Topfpflanzen von zwei geprüften Direktträgersorten verhielten sich zu unserm Reblausmaterial ebenfalls ungleich. Riparia x Gamay 595 blieb immun, trotzdem diese Oberlinsche Züchtung aus einer Kreuzung von Amerikaner- und Europäerreben hervorgegangen ist. Dagegen wies die Amerikanersorte Taylor-Sämling Blankenhorn ziemlich viele Nodositäten auf, was insofern nicht unbegreiflich erscheint, als diese im Ausland schon viel angebaute Direktträgersorte ein Kreuzungsprodukt darstellt, an dem die reblausempfindliche amerikanische Vitis Labrusca stark beteiligt ist.
Man könnte einwenden, dass derartige künstliche Topfversuche doch nicht die gleichen äussern Verhältnisse wiedergeben, wie sie die Reblaus an den frei im Weinbergboden wurzelnden Reben vorfindet.  Deshalb wurden Infektionsversuche im zürcherischen Reblausversuchsfeld auch an frei ausgepflanzten amerikanischen Reben, sowohl im ungepfropften als auch im gepfropften Zustande durchgeführt.  Keine einzige der vorher im Topfversuch befallenen Unterlagssorten liess sich aber mit unserm Reblausmaterial anstecken, wenn sie frei im Weinbergboden wurzelte. Selbst jene Topfpflanzen von Solonis x Riparia 1616 und Riparia x Rupestris 10114, die im Innern der Töpfe zahlreiche Nodositäten gebildet hatten, blieben an den aus dem Topf in den Boden frei hinauswachsenden Wurzeln reblausfrei, ja sie verloren späterhin sogar den Reblausbefall im Topfinnern. Beschränkte ich dagegen die gesamte Wurzelentwicklung dauernd auf das Topfinnere, indem alle aus dem Topf herauswachsenden Wurzeln regelmässig beseitigt wurden, so blieben Solonis x Riparia 1616 und Riparia x Rupestris 10114 durch viele Jahre hindurch reblausbefallen. Eine solche im Jahre 1915 infizierte Solonis x Riparia 1616 wies noch im Sommer 1922 zahlreiche frische Nodositäten mit lebenden Wurzelläusen auf.  Die Topfversuche geben demnach gewissermassen die Maximalwerte der Reblausanfälligkeit an.
Diese Ergebnisse konnten dann auch ausserhalb des Versuchsfeldes in andern zürcherischen Seuchengebieten nachgeprüft und bestätigt werden. Stehen veredelte Reben an steilen Hängen, so kann es nach starken Regengüssen oder infolge unsorgfältiger Bodenbearbeitung geschehen, dass bei einzelnen die Veredlungsstelle mit Erde zugeschüttet wird. Kommt die Basis des europäischen Edelreises aber mit Erde in Berührung, so bildet sie mit Leichtigkeit aus dem Überwallungswulst Wurzeln. Der gleiche Rebstock kann dann gleichzeitig amerikanische, aus der Unterlage entstammende, und europäische, vom Edelreis entspringende Wurzeln aufweisen.  An etwa 60 derartigen Reben fanden sich bei den Reblausuntersuchungsarbeiten frische Nodositäten vor, so dass sich hier gute Gelegenheit bot, das Verhalten der amerikanischen Unterlagen auch im spontan verseuchten Boden nachzuprüfen. In allen diesen Fällen sassen die Rebläuse ausschliesslich auf den Edelreiswurzeln, wogegen am Wurzelsystem der zugehörigen amerikanischen Unterlagen nie eine Reblausansteckung festgestellt werden konnte. Und doch handelte es sich dabei vorwiegend um die Unterlagssorte Riparia x Rupestris 10114, welche in den Topfversuchen zahlreiche Nodositäten gebildet hatte.
Diese Beobachtungen im spontan verseuchten Weinbergsboden, zusammengehalten mit den direkten Infektionsversuchen im Versuchsfeld zeigen, dass auch jene Unterlagssorten, die im Topfversuch mehr oder weniger von der Reblaus angesteckt wurden, im freien Weinberg doch reblausfrei blieben. Damit soll freilich nicht gesagt sein, dass auch alle andern, hier nicht geprüften Amerikanersorten bei uns reblausfrei bleiben würden.  Besonders für Vitis Labrusca und ihre Abkömmlinge wäre eine solche Annahme recht unwahrscheinlich. Dagegen kann gegen die Verwendung der von den Praktikern sehr geschätzten Riparia x Rupestris 10114 nach den vorliegenden Ergebnissen kaum ein ernstlicher Einwand erhoben werden, da sie sich zumindest im Freiland bei uns als reblausfrei erwies.
Wollen wir aber sichere Gewähr haben, dass die Wiederanpflanzungen mit veredelten Reben keine Ansteckungsmöglichkeiten für benachbarte unveredelte Rebenbestände bieten, so muss jedenfalls mit Nachdruck verlangt werden, dass die verschütteten Pfropfstellen regelmässig wieder frei gelegt und etwa entstandene Edelreiswurzeln sorgfältig weggeschnitten werden. Erst dann ist es möglich, dass in unserm Weinbaugebiet die Neubepflanzung vermittelst entsprechend ausgewählter Unterlagssorten nicht bloss ein Ausfüllen entstandener Lücken im Rebenbestande, sondern gleichzeitig ein neues Vernichtungsverfahren gegen die Reblaus bedeutet. Findet der Schädling an den gepfropften Reben keine Existenzbedingungen mehr vor, so ist damit das Haupthindernis für den energischen Wiederaufbau der zerstörten Rebberge, wie ihn jetzt die Rebbaukommissariate der Kantone Zürich und Aargau erfreulicherweise an die Hand genommen haben, beseitigt.  Damit werden auch die Wartezeiten bis zur Wiederanpflanzung überflüssig.
 
Nachtrag:
Verschiedene wissenschaftliche Namen der Reblaus:
Gattung\Artvitifoliaepervastatrixvastatrixvitifoliivitisana
ViteusHeute (Planchon)  
DactylosphaeraFitch (Shimer) (Planchon)  
PemphigusFitch    
Peritymbia(Planchon) FitchFitch 1854Westwood
Phylloxera(Fitch)Börner >1906Planchon 1868(Fitch) 
Rhizaphis  (Planchon)  
Der momentane (2005) Sieger, d.h. der am häufigsten verwendete Artname ist: Daktulosphaira vitifoliae, Fitch.
Über die lateinische Schreibweise griechischer Namen, lässt's sich trefflich streiten. Die Beschreibung/Erfindung der Gattung Viteus stammt offenbar von Shimer 1867.
Die Namen-Liste ist unvollständig. Es gibt aus Europa noch mehr "Erst"-beschreibungen.

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