Neujahrsblatt der NGZH Nr. 126 auf das Jahr 1924; 31S. mit 18 Textbildern.(Format des Hefts: 22.5 x 29.2 cm)
Bausteine der Atome.
von
Prof. Dr. H. Greinacher.

Neujahrsblatt

herausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
auf das Jahr 1924.
126. Stück.

Bausteine der Atome.
von 

Prof. Dr. H. Greinacher.
 

mit 18 Textbildern
 
 

Beer & Cie. in Zürich

 

German only

 

Inhalt:
1. Materie und Eletrizität 3
2. Die Ionen 4
3. Die Isolierung und Analyse des Elektrons 6
4. Die Elektronenröhren 9
5. Eigenschaften der Elektronen 13
6. Energie und Masse 15
7. Die Alfa-Strahlen 18
8. Die Alfa-Teilchen und der Atomkern 20
9. Das Alfa-Teilchen als Baustein des Atomkerns 22
10. Das positive Elektron 25
11. Der Atombau 27
 

Für das Internet wurden die Teile der Kapitel 3 und 4, sowie das hochspekulative Kap. 10  ausgewählt.

Warnung: der Artikel entspricht dem Stand des Wissens von 1923!  Die Schrödinger-Gleichungen wurden 1924 publiziert.

3. Die Isolierung und Analyse des Elektrons.
Dass wir bei der Ionisierung in Luft gemeinhin die Bausteine nicht in Freiheit finden, liegt an der Elektronenaffinität des Sauerstoffs. Um diese zu vermeiden, gibt es aber ausser der Verwendung von Edelgasen noch ein sehr einfaches Mittel: Man schliesst nach Möglichkeit jedes Gas aus! Eine eigentliche Ionisierung durch Radium- und Röntgenstrahlen ist dann zwar nicht möglich; aber durch Licht und Hitze können wir leicht im Vakuum Elektronen auslösen. Wahrscheinlich ist der verehrte Leser selbst in der Lage, nach Belieben Elektronen zu erzeugen. Man braucht ja nur seine elektrische Studierlampe anzudrehen, und schon hat man in der evakuierten Glühbirne die schönste Elektronenproduktion.  Diese gehen von den leuchtenden Fäden zu Myriaden aus! Aber wie lässt sich das plausibel machen, wird man mit Recht fragen?  Nun wir wollen ein sehr einfaches Experiment ausführen, das uns wenigstens beweist, dass Elektrizität vom Glühdraht ins Vakuum übertritt und zwar fast ausschliesslich nur negative. Wir schneiden uns ein Bändchen Schokoladenstanniol von einigen Zentimetern Breite und binden den Streifen mit einem Drähtchen um den Bauch unserer Glühlampe 1) (Fig:2). Das eine Ende des Drahtes verbinden wir dann mit unserem oben schon vielfach benützten Elektroskop. Die Lampe soll vorerst nicht brennen. Nun laden wir das Elektroskop mitsamt dem Stanniolring positiv auf. Das geschieht direkt mit einer geriebenen Glasstange oder mit dem Hartgummi indirekt durch Influenz.
Jetzt drehen wir das Licht an. Im selben Moment fallen die Elektroskopblättchen zusammen! Was ist passiert? Die negativ geladenen Elektronen, die aus dem Glühdraht kommen, sind gegen den positiv geladenen Stanniolring gestürzt, allerdings aufgehalten durch die innere Glaswand der Glühbirne. Diese hat sich negativ aufgeladen und hat durch Influenz fast die ganze positive Elektrizität auf dem Stanniolring gebunden. Die freie Ladung des Elektroskops selbst ist daher fast ganz verschwunden. Man kann auch so sagen: Im Anfang bildet der Stanniolring mit dem Glühfaden einen elektrischen Kondensator von sehr kleiner Kapazität. Diese steigt nun beim Einschalten der Lampe gewaltig an, da jetzt die Glaswand innen zur zweiten Belegung wird. Da aber anderseits die Ladung auf dem Elektroskop unverändert bleibt, so muss das Potential sinken. Das Elektroskop geht daher auf einen kleineren Ausschlag zurück.

1) Am besten nimmt man eine noch wenig gebrauchte, d.h. nicht geschwärzte Glühlampe. Hält sich der Elektroskopausschlag infolge schlechter Isolation nicht, so ist die Glühbirne etwas mit Spiritus abzuwaschen.

free electrons in incandescent lamp
Fig. 2 Freie Elektronen in Glühlampen.
Demonstration of free electrons in an incandescent lamp, detected with an electroscope.

Nun wollen wir gleich noch feststellen, ob der Glühfaden auch positive Ionen abgibt. Wir wiederholen das Experiment, mit dem einzigen Unterschied, dass wir das Elektroskop - aufladen. Wir finden zu unserer Überraschung, dass beim Einschalten der Glühlampe das Elektroskop nicht muckt! Vielleicht, dass eine sehr langsame Entladung einsetzt, da infolge unvermeidlicher Gasreste in der Glühlampe noch eine schwache positive Thermionisierung vorhanden ist. Diese positive Ionisierung in der Luft ist uns ja durch ein früheres Experiment bekannt. Wir sehen also den Satz illustriert, dass auch bei der Thermionisierung die Ablösung von Elektronen das Primäre ist.
Ähnlich ist es beim lichtelektrischen Effekt, der sich im übrigen. nicht nur auf die Bestrahlung mit eigentlichem Licht beschränkt. Er besteht ganz allgemein darin, dass elektromagnetische Wellen Elektronen aus dem Atom befreien können. Wir haben schon gesehen, dass die kurzwelligen Strahlen (ultraviolett) besonders wirksam sind. Ganz ebenso erzeugen die noch viel kürzeren Wellen der Röntgen- und g-Strahlen des Radiums einen intensiven lichtelektrischen Effekt, hier bekannt unter der Bezeichnung: Sekundäre Elektronenstrahlung. Also auch hier ist das Primäre stets die Ablösung von Elektronen. Ihre Austrittsgeschwindigkeit kann eine ganz beträchtliche sein. Die kinetische Energie der Elektronen ist nebenbei bemerkt nach dem Einsteinschen Gesetz einfach der reziproken Wellenlänge des erregenden Lichtes proportional. Relativ kleiner sind die Austrittsgeschwindigkeiten beim Thermioneneffekt.
Doch wird man vielleicht mit Recht fragen, woher kennt man überhaupt die Geschwindigkeiten, und wie erkennt man die elektronische Natur der Partikeln? Wir haben ein einfaches Mittel, um frei bewegte Ionen zu untersuchen. Erstens sind sie durch elektrische Kräfte beeinflussbar, zweitens aber ebensosehr durch magnetische. Denn bewegte Ionen repräsentieren fliessende Elektrizität, und auf solche übt ein Magnet eine mechanische Kraft aus (Biot-Savartsches Gesetz). Am besten zeigen wir das an einem Kathodenstrahlrohr, das wir in der Braun-Wehneltschen Ausführung in Fig. 3 sehen. Wir erzeugen eine elektrische Entladung, indem wir an die Metallplatte K und den Zylinder A die Spannung eines kleinen Induktoriums anlegen. Die Luft im Rohr sei soweit verdünnt, dass die von der Platte K ausgehenden Ionen durch die Luftreste nur wenig gebremst und daher im elektrischen Felde zwischen K und A stark beschleunigt werden. Sie erlangen dann eine solche Geschwindigkeit, dass sie durch das zentrale Loch in A hindurchfliegen und schliesslich auf die Glaswand auftreffen. Den Ionenstrahl sehen wir durch das Leuchten der von ihm durchsetzten Gasreste; und beim Aufprallen auf die Glaswand beobachten wir einen intensiv grünen Fluoreszenzfleck. Einen lebhaft blauen Aufstosspunkt erhält man, wenn vor das Glas ein Fluoreszenzschirm aus Calciumwolframat gesetzt wird (Fig. 3). Der Strahl besteht, wie aus der Wahl der Polarität von K zu erwarten ist, aus  negativen Ionen. Man kann dies aber auch leicht feststellen. Ladet man die eingeschmolzenen Kondensatorplättchen PP' auf eine Spannungsdifferenz von einigen hundert Volt auf, so biegt sich der Strahl nach dem positiv geladenen Plättchen hin.
cathode ray tube Braun-Wehnelt
Fig. 3 Kathodenstrahlenröhre nach Braun-Wehnelt.
cathode ray tube
K: cathode; A: ring anode; at the right end a CaWolframate-fluorescent-screen
(with only one deflection pair P P' in vertical direction, the horizontal deflection was done with a rotating mirror)

Die Ablenkung, die der Leuchtfleck auf dem Fluoreszenzschirm erfährt, lässt sich zahlenmässig angeben, wenn man die Rohrdimensionen und die Potentialdifferenz an den Plättchen P P’. kennt, unter der Voraussetzung, dass jedem Ion eine Ladung e, eine Masse m und eine Geschwindigkeit v zukomme. Ganz ebenso bekommen wir eine Ablenkung des Strahles, wenn wir einen Hufeisenmagneten heranbringen. Befindet sich etwa der Nordpol unten, der Südpol oben, so würde der Strahl vorne aus der Zeichnungsebene heraustreten. Man kann bei definierten Verhältnissen wiederum eine Beziehung angeben, in der neben den Rohrdimensionen und der Stärke des Magnetfeldes auch die Grössen e, m und v vorkommen. Diese Grössen aus zwei Beziehungen zu berechnen, ist natürlich nicht möglich. Indessen treten in den Formeln e und m nur in der Verbindung e/m auf. Man hat also eigentlich nur zwei unbekannte Grössen: e/m und v, und diese lassen sich infolgedessen nach der klassischen Methode der elektrischen und magnetischen Ablenkung bestimmen. e/m ist die Ladung pro Masseneinheit oder die spezifische Ionenladung. Sofern man nun annehmen darf, dass die Ladung e bei allen Ionen die gleiche sei, kann man die Masse verschiedener Ionen einfach dadurch miteinander vergleichen, dass man e/m für beide Ionenarten bestimmt. Man kann z. B. im Prinzip an der gleichen Röhre m (Fig. 3) die Masse positiver und negativer Ionen miteinander vergleichen. Verbindet man nämlich K mit dem + - und A mit dem - -Pol des Induktors, so treten aus dem Diaphragma positive Ionenstrahlen, sog. Kanalstrahlen, aus. Für diese Strahlen hat man gefunden, dass höchstens den Wert 9650 elektromagnetischer Einheiten pro Gramm haben kann. Dies ist der Wert, der für das Wasserstoff-Ion der Elektrolyse gilt. Das positive Ion hat daher stets mindestens eine Masse, die gleich dem des leichtesten Atoms ist, es sind also Massestrahlen; meist Atome, die ein Elektron verloren haben. Bei den Kathodenstrahlen aber hat sich ergeben, dass  e/m den hohen Wert 1.77E7 hat. Die negativen Teilchen besitzen daher eine Masse, die im Verhältnis zum Wasserstoffatom beträgt: 9650/1.77E7 = 1/1830. Dadurch wird es uns aber zur Gewissheit, dass die Elektronen wirklich subatomaren Charakter haben.
Die Methode der elektrischen und magnetischen Ablenkung lässt sich auch für lichtelektrische und Thermionen anwenden. In allen Fällen hat sich gezeigt: elektrische Ladung im Vakuum besteht aus Elektronen. Ob man Elektronen oder Masse-Ionen vor sich hat, lässt sich meist schon ohne quantitative Bestimmung entscheiden. Da für Elektronen die spezifische Ladung e/m sehr gross ist, so ist die Ablenkung bereits durch kleine magnetische Kräfte ausführbar, im Gegensatz zu den Massestrahlen, die stets schwer ablenkbar sind.  …
 

4. Die Elektronenröhren.
Bevor wir uns weiter mit dem Begriff der Elektronen beschäftigen, wollen wir der Anschaulichkeit halber erst an einigen Beispielen zeigen, wie man sich die Eigenschaften der freien Elektronen zunutze gemacht hat. Eine erste Anwendung erlaubt die oben schon beschriebene BRAUN-WEHNELTsche Kathodenstrahlröhre. Sie dient zur Untersuchung des zeitlichen Verlaufs von elektrischen Strömen und Spannungen. Die Ablenkung des Fluoreszenzflecks erfolgt ja in jedem Moment proportional den ablenkenden elektrischen bezw. magnetischen Kräften. Sofern diese also zeitlich variieren, wird der Leuchtpunkt gewisse Kurven beschreiben. Da die Bewegung sozusagen trägheitsfrei erfolgt, können so selbst die raschen Schwingungen der drahtlosen Telegraphie ohne Schwierigkeit aufgelöst und analysiert werden. Wir wollen in Fig. 5 ein Bild für die Spannungsänderung an einem Kondensator wiedergeben, wenn dieser durch  eine Gleichrichteranordnung mittels Wechselstrom aufgeladen wird.
Die Klemmen des Kondensators wurden bei dem Versuch einfach mit den Metallplättchen PP' der Braunschen Röhre (Fig.3) verbunden. Man sieht in Fig. 5a, wie der Leuchtpunkt sich ruckweise aus der Stellung A in die Stellung B bewegt hat. Wäre er gleichmässig gewandert, so hätte sich eine leuchtende Linie abbilden müssen. Noch besser sieht man die Bewegung, wenn man sie im rotierenden Spiegel betrachtet. Man erhält dann das Bild Fig. 5b. Der Spannungsanstieg erfolgt treppenförmig vom Wert A zum Wert B, und die Spannung bleibt dann auf der Höhe von B. Die Reihe von Lichtpunkten unten markieren die Zeitmarken im Abstand von je  1/100 Sekunde und lassen erkennen, dass die Kondensatorspannung alle  1/50 Sekunde ruckweise angestiegen ist. …voltage analysis with cathode ray tube
Fig. 5  Spannungsanalyse mittels der Kathodenstrahlenröhre.

Analysis of voltage of a capacitor with a cathode ray tube.
a: ordinary picture
b: picture in a rotating mirror
 

10. Das positive Elektron.
Doch kehren wir wieder zu unserem Kernproblem zurück. Wir wissen bereits, der Atomkern ist nicht einfacher Natur. Er ist zum mindesten bei den radioaktiven Substanzen zusammengesetzt und enthält, wie die radioaktiven Zerfallsreihen zeigen, eine ganze Anzahl Heliumteilchen. Es erhebt sich sofort die Frage, lassen sich alle Atomkerne etwa als Aggregate von Heliumkernen auffassen? Ein Blick auf die Atomgewichte lehrt uns, dass dies nicht möglich ist. Die Atomgewichte sind nur zum kleinsten Teil Multiple von vier. Wir müssen also schon noch nach anderen Bausteinen der Atomkerne suchen. Die nächstliegende Annahme ist die Beteiligung von Wasserstoffkernen beim Kernaufbau. Jedenfalls lässt sich dann jedes Atomgewicht als Summe einer Anzahl von Helium und von Wasserstoffkernen darstellen. Hierbei ist allerdings vorausgesetzt, dass sämtliche Atomgewichte ganzzahlig sind. Durch die neueren Forschungen des Engländers ASTON über die Isotopenanalyse dürfen wir dies aber tatsächlich als richtig annehmen. Zum Glück müssen wir uns aber heute nicht mehr mit der blossen logischen Möglichkeit vom Wasserstoffaufbau der Kerne begnügen. Durch die Aufsehen erregenden Untersuchungen von RUTHERFORD dürfen wir es als Tatsache ansehen, dass Atomkerne Wasserstoff enthalten. Zunächst gelang der Nachweis, dass das Stickstoffatom Wasserstoff enthält. Nicht etwa, dass es bis heute gelungen wäre, die Bildung von Wasserstoff aus Stickstoff chemisch zu erweisen, wohl aber konnte man den Wasserstoff in Form der oben schon genannten H-Strahlen feststellen. Wir erinnern daran, dass a-Teilchen beim Aufprall auf H-Kerne H-Strahlen von einer Reichweite von 29 Zentimetern erzeugen, während die a-Teilchen von Radium C selbst nur 7 Zentimeter weit zu fliegen vermögen. Beim Auftreffen auf schwerere Atomkerne entstehen andererseits Sekundärstrahlen, die eine viel kleinere Reichweite als die erzeugenden a-Strahlen haben. Man beachte etwa die kurzen Zacken der Gabelungen in den WILSONschen Nebelbildern (Fig. 12)!
Immer also, wenn die von den a-Strahlen gestossenen Partikel eine abnorm grosse Reichweite aufweisen kann man auf die Existenz von H-Strahlen schliessen. RUTHERFORD beobachtete nun, dass in reinem Stickstoff Korpuskularstrahlen von 40 Zentimeter Reichweite erzeugt werden und schloss hieraus, dass aus den Stickstoffkernen H-Kerne herausgeschossen würden. Im einzelnen wurde dann die Natur der H-Strahlen auch noch durch deren magnetische und elektrische Ablenkung als solche erkannt. Es konnte daher kaum noch daran gezweifelt werden, dass die ungeheure Energiekonzentration der a-Teilchen imstande ist, Atomkerne zu zertrümmern. Dass durch eine ungeheure Zahl von a-Teilchen nur sehr wenige H-Strahlen gebildet werden (Verhältnis 1010:1), hängt damit zusammen, dass die Stickstoffkerne bei ihrer geringen Ausdehnung (Radius =10-12 Zentimeter) nur selten zentral getroffen werden. Dies stimmt zwar aufs beste mit den theoretischen Voraussetzungen, lässt es aber als fast hoffnungslos erscheinen, dass man den künstlichen atomistischen Zerfall wird chemisch nachweisen können.
Von RUTHERFORD sind in der Folge eine ganze Reihe von Elementen untersucht worden, und ist das Auftreten von H-Strahlen noch bei Bor, Fluor, Natrium, Aluminium und Phosphor, alles Elementen vom Atomgewicht kleiner als 32, festgestellt worden. Die Reichweite der H-Strahlen war sehr verschieden Sie betrug bei Aluminium sogar 90 Zentimeter! Daraus geht hervor, dass die Energie der H-Strahlen teilweise aus dem Atomkern selbst stammt und überdies, je nach dem Element, einen verschiedenen Betrag hat. Durch die a-Teilchen wird also eine inneratomistische exotherme Reaktion eingeleitet. Würde jedes a-Teilchen bezw. jedes erzeugte H-Teilchen zum gänzlichen Zerfall führen, so könnten wir die gesamte Atomenergie nutzbar machen. Ein einziges a-Teilchen würde genügen, um die Atomenergie auszulösen, die Masse würde wie angezündetes Thermitpulver abbrennen! Selbst wenn die Katastrophe nur unsere leichteren Elemente beträfe, was würde dann aus uns und unserer Erde? Das Resultat wäre Wasserstoff und Helium. Denn, wir müssen annehmen, dass nicht nur die radioaktiven Elemente, sondern auch die leichten Atomkerne teilweise aus Helium aufgebaut sind. Ja, die RUTHERFORDschen Versuche führen sogar zum Schluss, dass die Elemente nur durch 4 teilbarem Atomgewicht ausschliesslich aus Helium bestehen. Konnten doch weder bei Kohlenstoff (12), noch bei Sauerstoff (16), noch bei Schwefel (32) H-Strahlen beobachtet werden. Nun liegt die Annahme nahe, dass auch bei den anderen Elementen der grösste Teil aus Heliumkernen aufgebaut ist und nur der Rest, soweit das Atomgewicht nicht durch 4 teilbar ist, aus H-Kernen besteht.
Unsere Kernanalyse führt also zunächst zu zwei Urstoffen. Es liegt nun die Frage nahe, können wir nicht mit PROUT annehmen, dass alle Atomkerne letzten Endes aus einem einzigen Stoff aufgebaut und dass die Heliumkerne also bereits zusammengesetzter Natur sind? Den Heliumkern als einen Verband von 4 Wasserstoffkernen anzusehen, dem steht nichts entgegen. Wohl aber wäre dann eine Erklärung erwünscht, warum trotz der ungeheuren Heftigkeit des radioaktiven Zerfalls nicht H-Kerne sondern He-Kerne ausgeschleudert werden. Dies kann nur dann möglich sein, wenn der Heliumkern einen Verband von sehr hoher Stabilität darstellt. Dass dies tatsächlich der Fall ist, lässt sich ohne genaue Kenntnis des Heliumkerns natürlich nicht ausrechnen. Es ist aber wiederum der EINSTEIN’sche Energiesatz, der uns auch ohne diese Kenntnis den Beweis in elegantester Weise zu erbringen erlaubt. Das Atomgewicht des Wasserstoffs ist genau 1,0077, das des Heliums 4,000. Wenn wir uns also Wasserstoffkerne zu Heliumkernen verarbeitet denken, so entsteht immer aus 1,0077 Gramm Wasserstoff 1 Gramm Helium. Es tritt dabei also ein Gewichtsverlust von 0,0077 Gramm auf. Dies entspricht aber dem Freiwerden einer Verbindungsenergie von 0,0077 * c2 Erg. Bilden wir statt 1 Gramm Helium nur ein einziges Atom vom Gewicht m Gramm, so wäre die entsprechende atomare Bildungsenergie 0,0077* c2 *m Erg. Das wäre nun aber auch die Energie, die man zur völligen Zertrümmerung eines Heliumkernes aufwenden müsste. Nun wollen wir sehen, wie gross dagegen die kinetische Energie eines a-Teilchens ist. Diese schreiben wir statt m/2*v2 in der Form m/2*( v/c)2 * c2. Da z. B. für Radium C v/c= 1/15 ist, so erhält man für die gesuchte Energie m/2*(1/15) 2 * c2  = 0,0022 *c2*m Erg. Dies ist aber mehr als dreimal zu wenig, um einen Heliumkern zu sprengen; denn es ist 0,0022/0,0077 = 0,29. Wir verstehen daher, dass die a-Partikel mit ihrer grossen Geschwindigkeit aus dem Atomverband herausgeschleudert werden können, ohne dass sie dabei in die einzelnen H-Kerne auseinanderfliegen.
In analoger Weise können wir nun auch versuchen, die Abweichungen der Atomgewichte von der Ganzzahligkeit zu erklären. Denn sie können in sehr einfacher Weise zu der Bildungsenergie der Atome in Beziehung gesetzt werden. Die Kleinheit der Abweichungen besagt dabei, dass die im Kern aufgespeicherte Energie, also u. a. die gewaltige radioaktive Energie, noch klein ist im Verhältnis zur Energie der konstituierenden H-Kerne selbst. Wichtig ist der Umstand, dass die Ganzzahligkeit der Atomgewichte nur dann herauskommt, wenn man sie auf Sauerstoff 16, d.h. eben auf Helium 4 bezieht. Das würde dann die Anschauung bestätigen, dass die Atome zum grössten Teil aus Heliumkernen aufgebaut sind, und dass die Energie, die beim Zusammenschluss dieser Heliumkerne und allfälliger H-Kerne zum Atomkern noch frei wird, relativ klein ist! Wenn nun die eventuell verfügbare Atomenergie, die bei radioaktiver Umwandlung gewonnen werden kann, so klein zu bemessen ist, wie geringfügig muss da erst die chemische Energie erscheinen. Dass da Versuche eines LANDOLT um Massenänderungen bei chemischen Reaktionen nachzuweisen, negativ ausfallen mussten, scheint uns in diesem Lichte ganz natürlich. Die Energieumsätze des täglichen Lebens sind eben Bagatellen im Hinblick auf die ungeheuerlichen in der Masse schlummernden Arbeitskräfte.
Fragen wir nun nach den Dimensionen der H-Kerne, so gelangen wir zu einem Ergebnis, das uns durch seine Kleinheit überrascht.  Es hindert uns nichts, für diese Teilchen dieselbe Konstitution wie für das Elektron anzunehmen. Wir hätten dann kleine Kügelchen vor uns, auf deren Oberfläche je eine positive Elementarladung verteilt wäre. Denn, da ein H-Kern und ein Elektron, zu einem neutralen H-Atom zusammentreten, so kann es sich ja nur um die Einheitsladung handeln. Nun können wir wieder dieselbe Beziehung (4) wie früher anwenden. Wir beachten, dass, sowohl für den H-Kern als das Elektron das Produkt m a denselben Wert geben muss. Da aber m' für den Wasserstoffkern 1830 mal grösser ist als für das Elektron, so heisst das, sein Radius a muss 1830 mal kleiner sein als dort. D.h. der H-Kern hat einen Radius von 1,88. 10-13:1830 = 1,03.10-16 Zentimeter. Er repräsentiert daher einerseits die grösste uns bekannte Energiekonzentration und andererseits das kleinste Teilchen. Mit seiner Kleinheit zusammen hängt es auch, dass Berechnungen der auf dem positiven Elektron herrschenden Spannung und der Dichte der Teilchen noch zu weit extremeren Werten als beim Elektron führen müssen (siehe S.15). Im übrigen aber unterscheidet sich der H-Kern vom Elektron nur durch das positive Vorzeichen der Ladung. Man kann daher von positiven Elektronen reden; und mit Rücksicht darauf, dass diese zugleich die Urmasse repräsentieren, kann man auch die Bezeichnung Protonen gelten lassen. Doch das sind Worte. Tatsache ist, dass wir für den Aufbau der Atome nur zweierlei Bausteine anzunehmen haben: das positive und das negative Elektron. Unsere Auffassung von der Elektrizität und damit auch von der Materie ist also eine dualistische, darin begründet, dass wir die Vorgänge im Atom als das Wechselspiel anziehender und abstossender Kräfte ansehen müssen.

Bemerkung: Schon bei der Beschreibung des Elektrons wird darauf hingewiesen, dass die Betrachtung nur dann richtig sei, wenn man sich das Elementarteilchen aus unendlich vielen, noch kleineren Teilchen zusammengesetzt vorstelle, und wenn die Gesetze der klassischen Physik anwendbar seien. In dieser Beschreibung werden Neutronen als "positive Elektronen"=Protonen aufgefasst, welche ein "Kern-Elektron" enthalten.
Das heutige Standardmodell sieht etwas anders aus.

Die Arbeit enthält auch Bauanleitungen von einem Ultragalvanometer, einer Wilsonschen-Nebelkammer, einem knackenden Geigerzähler und einem Apparat für den Nachweis kurzlebiger Isotope (Halbwertzeit < Minuten).

Der Ausblick auf Seite 31 beschäftigt sich mit der Kernspaltung mit Hilfe von Alfa-Teilchen, dem Ruf nach Beschleunigern und der Kernfusion.

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