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Inhalt:
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Verordnung zum Schutze des Edelweisses besitzt, folgendes: «Vor
wenigen Wochen nahm sich ein Mitglied des Schweizerischen Alpenklubs die
Mühe, die vom Glärnisch heimkehrenden Sonntagstouristen nach
ihrer Ausbeute zu fragen. Er begegnete an zwei Tagen 51 Touristen, die
zusammen nicht weniger als 11,730 Stück Edelweiss zu Tal trugen. Von
diesen 51 Edelweissmardern erklärten 14, mehr als. 400 Stück
im Rucksack zu haben». Kein Wunder, dass der Verfasser, ein gelehrter
Botaniker schweizerischer Herkunft, an der Möglichkeit verzweifelt,
dass durch die wohlgemeinten Massnahmen von Behörden und das Einschreiten
Privater gegen die Vernichtung heimischer Natur Abhilfe geschaffen werden
könne, und dass er zum Schluss kommt, es gebe nur ein Mittel, der
allmählichen Zerstörung wirksam entgegenzutreten, «die
Schaffung grösserer Naturparke, in denen alles, was ursprünglich
einheimisch war, ein dauerndes Asyl bekommt».
Der erste und riesenhafteste Nationalpark ist der Yellowstonepark in
den V e r e i n i g t e n S t a a t e n v o n N o r d
a m e r i k a, 8671 qkm umfassend, halb so gross als das Grossherzogtum
Baden. Er ist im Jahre 1872 gegründet worden, als der Schrecken über
die drohende Ausrottung des Bison, der wenige Jahre vorher noch in 4½
Millionen Individuen auf den nordamerikanischen Prärien gelebt hatte.
den besten Teil der Amerikaner erfasste. Der Park steht unter dem Jagd-
und Fischereiverbot und wird von Kavallerieabteilungen bewacht, ist aber
den Schaulustigen in der liberalsten Weise geöffnet und bietet mit
seinen siedenden Quellen und Geysern und seiner Fauna einen Hauptanziehungspunkt
für Einheimische und Fremde. Ausser diesem Park besitzt Amerika noch
acht Reservationen, die hauptsächlich zum Schutze besonderer Naturwunder
und Naturdenkmäler bestimmt sind und f ü r d i e
d e r S t a a t jährlich zwölf Millionen Franken
aufwendet.
In den europäischen Staaten steckt der Gedanke der Naturparke
noch in den Anfängen. Preussen, Bayern, Württemberg und Oesterreich
haben staatliche Stellen für Naturpflege und Naturschutz, aber nur
kleine Reservationen für engbegrenzte Zwecke, die Erhaltung bestimmter
Tier- oder Pflanzenformen. Die grösste in Deutschland bestehende Reservation
umfasst ein Stück der Lüneburger Heide und stellt in der glücklichsten
Weise die eigenartige Schönheit des norddeutschen Tieflandes dar.
Es hat der Plan bestanden, zwei grosse Reservationen im Hochgebirge und
im deutschen Mittelgebirge zu errichten, die eine in Steiermark, die andere
im Böhmerwald.
Die schweizerischen Bestrebungen für Naturschutz und Nationalpark
sind auf das engste mit dein Namen unseres berühmten Forschungsreisenden
Dr. Paul Sarasin verknüpft. Als Präsident der von der Schweizerischen
Naturforschenden Gesellschaft eingesetzten Kommission zur Erhaltung von
Naturdenkmälern und prähistorischen Stätten hatte er sich
zuerst mit der Reservationsfrage beschäftigt. Er bildete die Naturschutzkommission
und den schweizerischen Bund für Naturschutz auf der denkbar breitesten
demokratischen Basis. Er nahm, als der Bundesrat, d. h. die Departemente
der Eisenbahnen und des Innern, einen von der Naturforschenden Gesellschaft
im Jahre 1906 brieflich hingeworfenen Gedanken günstig aufnahmen,
mit dem grössten Eifer die Sache in die Hand und führte sie mit
rastloser Energie durch, indem er die in Kraft bestehenden Pachtverträge
mit den Gemeinden Zernez, Scanfs und Schuls abschloss. Unterstützt
hat den vortrefflichen Mann bei allen diesen Schritten mit jugendlicher
Begeisterung unser Oberforstinspektor COAZ, der sich Ende dieses Monats,
93 Jahre alt, an Körper und Geist ein Jüngling, aus dem Amte,
nicht aus dem Dienste der Wissenschaft und des Vaterlandes zurückzieht.
Welches auch der Ausgang der heutigen Beratung sei, die Kommission fühlt
sich gedrungen, den beiden genannten Herren für die hervorragende
Arbeit, die sie im Dienste einer unter allen Umständen schönen
und edlen Sache geleistet haben, den wärmsten Dank auszusprechen.
Aus der Enquete, welche die Naturschutzkommission und die kantonalen
Subkomitees über die Frage veranstalteten, welches Gebiet wohl für
einen Nationalpark das geeignetste wäre, ist der Beschluss entsprungen,
das Ofengebiet auszuwählen. Auf dem Kärtchen, das der ersten
Botschaft des Bundesrates vom Dezember 1909 beigegeben ist, finden Sie
die Grenzen der Reservation eingezeichnet. Sie umfasst etwa 200 km2 im
ganzen. Der vom Inn knieförmig umströmte Gebirgsdistrikt liegt
an der Grenze des Ober- und Unterengadins und umschliesst das Einzugsgebiet
der sämtlichen rechtsseitigen Zuflüsse von Scanfs bis Schuls,
vor allem dasjenige des Spöl mit dem Ofenbach und der Clemgia (Scarltal).
Durch den Mangel an grösseren Gletschern und Firnfeldern, sagt HEGI,
durch die schroffen, wildzerrissenen und kahlen Bergspitzen und Gräte
bekundet der Distrikt die Zugehörigkeit zu den Ostalpen; klimatisch
schliesst er sich eng dem Engadin an; er hat wie dieses ein extrem kontinentales
Klima mit heissem, trockenem Sommer und überaus strengen Wintertemperaturen.
Die untere Grenze des ewigen Schnees und die Waldgrenze sind sehr weit
nach oben verschoben, so weit wie nirgends sonst im Schweizerland. Das
Gebirge ist Dolomit, am Eingang des Gebietes bei Zernez Urgebirge. Die
Pflanzenwelt ist reich und mannigfaltig; sie enthält eine grosse Zahl
charakteristischer Arten. Der beherrschende Baum ist die Bergföhre,
die auf weite Strecken buschartig als sogenannte Legföhre gewachsen
ist; daneben sind fast sämtliche Nadelhölzer der Schweiz vertreten:
Fichte, Lärche, Tanne, Wacholder. Prof. SCHRÖTER schliesst
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das Gutachten über den botanischen Wert der Reservation mit folgenden
Worten: <Der schweizerische Nationalpark, schon in seinem jetzigen Umfang,
noch mehr aber in seiner zukünftigen Totalität, erfüllt
alle Bedingungen, um das völlige Gelingen des grossartigen Unternehmens,
der unberührten Erhaltung einer natürlichen Lebensgemeinschaft
mit zahlreichen seltenen Pflanzen, zu garantieren und wird dadurch der
Wissenschaft grosse Dienste leisten.> Fast noch günstiger lautet das
zoologische Gutachten des Herrn Prof. ZSCHOKKE in Basel, der sogar der
Hoffnung Ausdruck gibt, dass Tierarten, die in historischer Zeit in unserm
Land ausgestorben, in das totale Schongebiet wieder einwandern werden,
wie es in den grossen amerikanischen Reservationen geschehen ,sei.
Von der allergrössten Bedeutung für die Wahl des Ofengebietes
waren praktische Gründe: die Tatsache, dass die Täler zum grössten
Teil ganz unbewohnt sind und dass die Weid- und Holznutzung
- die letztere wegen der schlechten Verbindungen - unbedeutend und
leicht abzulösen sei. Diesem Umstand und demjenigen, dass sich gerade
an dieser Stelle wie kaum an einer andern ein verhältnismässig
grosses, zusammenhängendes Reservationsgebiet herstellen lässt,
massen die Urheber des Projektes eine Bedeutung bei, welche die unangenehm
empfundene peripherische Lage des Parkes übersehen lasse. Die Naturschutzkommission
nahm also von der Gemeinde Zernez Val Cluoza, das einstweilige Zentrum
des Nationalparkes, Val Tantermozza, das Herr Dr. COAZ in der Kommission
als das wildeste Tal der Schweiz, ja vielleicht Europas bezeichnet hat,
ferner die Distrikte Praspöl, La Schera, Fuorn und Stavelchod, und
sie hat dafür jährlich an Pachtzins 18,200 Franken zu bezahlen.
Der Pachtvertrag war zunächst auf 25 Jahre abgeschlossen. Es war der
verstorbene Herr Bundesrat SCHOBINGER, der als Departementsvorsteher des
Innern eine solche Befristung als durchaus unzulänglich erklärte
und verlangte, dass alle Pachtverträge auf 99 Jahre abgeschlossen
werden müssten, eine Forderung, auf die einzig die Gemeinde Zernez
eingegangen ist, während Schuls und Scanfs auf 25 Jahren beharren.
Die Naturschutzkommission errichtete im Val Cluoza ein Blockhaus und bestellte
einen Parkwächter, der mit seiner Familie im Sommer dort wohnt, während
er im Winter nach Zernez hinunterzieht. Ausserdem dient das Haus in bescheidenem
Masse zur Beherbergung fremder Besucher. Die Naturschutzkommission ist
bisher allein für die Pachtzinse, die Bau- und Unterhaltungskosten
aufgekommen. Jene kamen mit Einschluss der Reservationen im Schulser
und Scanfser Gebiet auf 25,600 Fr. zu stehen. Für die Ueberwachung
der Parkgebiete hat sie die Ausgaben für den Parkwächter in Cluoza
und zwei weitere Parkwächter im Scarltal 3) zu bezahlen. Es
ist leicht einzusehen, dass solche Ausgaben für die Schultern einer
Privatgesellschaft zu schwer sind. Durch Eingabe vom 1. Februar 1911 richtet
daher die Naturschutzkommission an den Bundesrat das Gesuch, er möge
ihr ,einen jährlichen Beitrag von 30,000 Fr. an die Kosten des zum
Teil bereits bestehenden Nationalparkes gewähren. Mit Botschaft vom
9. Dezember 1912 beantragt der Bundesrat, diesem Gesuche zu entsprechen,
in dem Sinne, dass der Bund zunächst nur die der Gemeinde Zernez zu
leistende Pachtsumme von 18,200 Fr. übernehme, dass er aber bereit
sei, seinen Beitrag auf 30,000 Fr. zu steigern, wenn es der Naturschutzkommission
gelinge, mit den Gemeinden Schuls, Scanfs, Cierfs und Tarasp Pachtverträge
auf 99 Jahre abzuschliessen. In diesem Stadium gelangte die Angelegenheit
an Ihre Kommission.
Nun aber die Tätigkeit der Kommission. Ihre Frucht liegt Ihnen
in den abgeänderten Verträgen und der Nachtragsbotschaft vor.
Die Kommission war einhellig für das Eintreten; nur ein Mitglied äusserte
Bedenken, die sich, wie ich vernehme, bis heute zu einem Antrag auf Nichteintreten
verdichtet haben. Damals, unter dem frischen Eindruck der unter so ungünstigen
Umständen unternommenen Begehung, äusserten sich einzelne Mitglieder
mit wahrer Begeisterung über die Grossartigkeit der Szenerie und des
Gedankens selbst. Ein schöneres Geschenk könne sich die Eidgenossenschaft
nicht machen als mit der Schaffung oder Uebernahme des Nationalparks. Dass
eine bessere Lage nicht gefunden werden könne als diese menschenleeren
Täler und grimmigen Schluchten, die abwechseln mit vereinzelten wunderschönen
Alpen, war die übereinstimmende Meinung namentlich der bei weitem
stärkeren Gruppe, welche die grosse Tour mitgemacht hatte.
Die Kritik richtete sich in erster Linie gegen die juristische Form
der mit Zernez einerseits, mit der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft
und der Schweizerischen Naturschutzkommission anderseits abgeschlossenen
Verträge. Man fand, die rechtlichen Verhältnisse der beiden letztem
Körperschaften seien zu unsicher und zu wenig abgeklärt, als
dass mit einiger Sicherheit mit ihnen Rechtsgeschäfte abgeschlossen
werden könnten. Sodann rief ein auf bestimmte Zeit abgeschlossener
Pachtvertrag schwere Bedenken wach. Wenn der Vertrag abgelaufen sei, nach
hundert Jahren, hätten die Gegenkontrahenten der Naturschutzkommission,
indirekt des Bundes, das Recht, das Land samt allen darauf erstellten Weganlagen
und Installationen einfach an sich zu ziehen, und es lasse sich voraus
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sehen, dass sie dann an den doch beabsichtigten und durchaus wünschenswerten,
ja unerlässlichen Weiterbestand des Parkes oneröse Forderungen
finanzieller Natur knüpfen würden. Herr Oberst BÜHLMANN,
unser Mitglied, das sich dieser ganzen Sache mit unermüdlichem Eifer
angenommen hat, entwickelte ganz besonders diese Gesichtspunkte und empfahl
dringend, das Pachtverhältnis durch einen dinglichen Dienstbarkeitsvertrag
zu ersetzen. Von anderer Seite wurden Bedenken über die finanziellen
Konsequenzen für den Bund geäussert. Wer bürge dafür,
dass der Bund für Naturschutz stets die nötigen Mittel besitze,
um seiner schweren Bewachungs- und Unterhaltungspflicht zu genügen?
Sei er einmal nicht mehr leistungsfähig, so müsse die Eidgenossenschaft
entweder das ganze kostspielige Unternehmen fallen lassen oder als Selbstzahler
in die Lücke treten und ausser den Pachtzinsen auch noch die Unterhaltungs-
und Bewachungskosten übernehmen, zu denen eventuell noch grosse W
i 1 d s c h a d e n v e r g ü t u n g e n hinzukämen. Die Höhe
der Pachtzinse stehe ohnehin in keinem richtigen Verhältnis zu dem
Werte der durch sie zu entschädigenden Nutzungen.
Als diese Bedenken dem Bundesrate zur Kenntnis gebracht wurden, trat
er sofort nach allen Seiten in neue Unterhandlungen ein, um den ganzen
Komplex der Fragen gründlich abzuklären. Unter wirksamer Mithilfe
des Herrn BÜHLMANN wurde der Vertrag mit der Gemeinde Zernez aus einem
Pachtvertrag in einen Dienstbarkeitsvertrag umgewandelt. Die Gemeinde Zernez
verzichtete auf ihr Kündigungsrecht und gab sich mit der Zusicherung
zufrieden, wenn in hundert Jahren der Bund vom Vertrag nicht zurücktrete,
so solle die jährliche Entschädigungssumme nach den dannzumal
bestehenden Verhältnissen neu vereinbart, eventuell vom Bundesgericht
festgesetzt werden. Damit ist volle Garantie gegeben, dass die Fortdauer
des Nationalparks allein vom Ermessen der Eidgenossenschaft abhängt.
Um auch die letzte Besorgnis zu zerstreuen, dass der Bund sich für
eine allzulange Dauer binde, während niemand voraussehen könne,
wie schon die kommende Generation über die Sache urteile, will die
Kommission durch einen Zusatz zu Art. 3 des Bundesbeschlusses den Bundesrat
beauftragen, den Vertrag mit Zernez nur unter der Bedingung endgültig
abzuschliessen, dass dem Bunde das Recht eingeräumt werde, nach 25
Jahren einseitig von der Abmachung zurückzutreten. Nichterfüllung
der vom Naturschutzbund übernommenen Verpflichtungen soll zudem den
Bund zu sofortigem Rücktritt vom Vertrag auf Jahresschluss berechtigen.
Diese letztere Bestimmung scheint fast übertrieben, nachdem sowohl
die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft als der Naturschutzbund
das Menschenmögliche getan haben, um den Wünschen der Eidgenossenschaft
entgegenzukommen. Der Naturschutzbund hat sich als Verein konstituiert
und sich so die gewünschte rechtliche Grundlage gegeben. Er willigt
darein, dass die Aufsicht über den Nationalpark einer besonderen Kommission
übertragen werde, in die der Bundesrat zwei von fünf Mitgliedern
delegiert. Ausserdem steht ihm die Wahl des Präsidenten zu, und es
ist ihm weiter übergeben die Oberaufsicht über den Nationalpark
und der endgültige Entscheid über alle ihn betreffenden Angelegenheiten.
Also kann der Bundesrat gegen die Beschlüsse der Nationalparkkommission
jederzeit sein Veto einlegen. Der Naturschutzbund übernimmt die Sorge
für die Bewachung und für die Erstellung von Fusswegen und Unterkunftsräumen,
die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft die wissenschaftliche Verwertung
ihrer Ergebnisse. Durch ein Schreiben vom 6. März an das eidgenössische
Departement des Innern erklärt der Naturschutzbund über die finanzielle
Frage ausdrücklich, nach den Vertragsbestimmungen habe die Eidgenossenschaft
einzig und allein die jährliche Entschädigung an die Gemeinden
im Betrage von Fr. 30,000.- zu tragen; alle andern Unkosten für den
Nationalpark seien dagegen ohne Ausnahme vom Schweizerischen Bund für
Naturschutz zu tragen. In demselben Schreiben ist die verbindliche Erklärung
enthalten, dass der Bund für Naturschutz auch für allfällige
Wildschadenvergütungen, die mit dem Bestehen des Nationalparkes in
Verbindung gebracht werden, an Stelle der Eidgenossenschaft aufzukommen
hat, sofern hiefür überhaupt eine gesetzliche Verpflichtung besteht
(was der Naturschutzbund, gestützt auf seine Kenntnisse der bündnerischen
Gesetzgebung, bestreitet). Um seine finanzielle Leistungsfähigkeit
darzutun, beruft sich der Naturschutzbund übrigens darauf, dass er
25,000 Mitglieder zähle, die jährlich an Beiträgen Fr. 27,000.-
aufbringen. Ausserdem besitzt die Gesellschaft einen Kapitalfonds von Fr.
47,500. Sie hegt die Zuversicht, dass dieser Fonds in 10-20 Jahren
einen Beitrag erreicht haben wird, dessen Zinse hinreichen, um sämtliche
Kosten für den Nationalpark zu decken. Nach § 10 seiner Statuten
darf der Verein sich nicht auflösen, solange der Nationalpark besteht;
nach § 7 müssen seine sämtlichen finanziellen Mittel in
erster Linie zur Deckung der Kosten des Nationalparks im Engadin verwendet
werden. Wir glauben, das dürfte genügen, um das besorgteste Gemüt
zu beruhigen.
Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass der Kanton
Graubünden durch die zuständigen Behörden, den Grossen und
den Kleinen Rat, im letzten November das ganze Nationalparkgebiet mit einem
absoluten Jagd- und Fischereiverbot belegt hat für so lange als die
Reservation besteht. Die Höhe
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des an Zernez zu entrichtenden Pachtzinses hat der Bundesrat durch
zwei Experten, unser gegenwärtiges Mitglied Herrn LIECHTI und unsern
frühern Kollegen Herrn Regierungsrat SCHMID von Luzern, prüfen
lassen. Sie finden das Ergebnis ihrer Schätzung auf Seite 3 der Nachtragsbotschaft.
Das Gutachten läuft darauf hinaus, dass die Entschädigung gut
bemessen sei, aber mit Rücksicht auf möglicherweise kommende
Veränderungen, Einführung der Revierjagd, Bau der Ofenbergbahn,
nicht zu hoch genannt werden könne.
So erscheint nach der formellen Seite hin heute die Seite wohl geordnet
und die Frage, die Sie zu entscheiden haben werden, ist lediglich eine
solche grundsätzlicher Natur: Wollen wir für Tiere und Pflanzen
eine solche Freistätte schaffen, aus der jeder menschliche Einfluss
soweit immer möglich ausgeschlossen ist, ein Revier, in dem auf 100
Jahre jede wirtschaftliche Benutzung, Holzbetrieb, Weidgang, Jagd, aufhört,
in dem keine Axt und kein Schuss mehr erklingt, kein Haustier mehr weiden
darf? Viele erklären den Gedanken für utopisch, andere malen
sich die fürchterlichsten Konsequenzen aus, als ob der gesunde Menschenverstand
plötzlich aufhören würde, wirksam zu sein, als ob er zuallererst
unserm Bundesrat ausgehen würde, in dessen Belieben die Verträge
die Oberaufsicht über den Park und die endgültigen Entscheidungen
gelegt haben. Da sagt uns einer: «Gebt nur acht, wenn erst einmal
Meister Petz euer Asyl ausgeschnobert hat, und er kommt über die Grenze
und lässt sich mit Kind und Kegel im Parke häuslich nieder! Und
wenn seiner Sippe immer mehr werden, und sie torkeln im Gefühl ihrer
Sicherheit über die Parkgrenze hinaus und fallen in die Ziegen- und
Schafställe der Engadinerdörfer ein, dann sollt ihr hören,
was die Bauern und was das Schweizervolk von eurem Parke sagen.»
Du lieber Gott, wenn die Parkbären, ich bekenne mich zu dem ruchlosen
Wunsche, dass einmal etliche sich im Val Tantermozza häuslich niederlassen
- so unvorsichtig sind, in die Dörfer und auf die Alpen zu Visite
zu gehen, so waren die Engadiner Jäger auch nie als faul verschrien.
Wer den kürzeren gezogen hat, der Bündner Jägersmann oder
der alte Meister Braun, das weiss man. Und sollte einmal die Sicherheit
vorsichtiger Parkbesucher durch grosse Raubtiere gefährdet sein, nun
gut, so wird die Parkkommission oder es wird der Bundesrat einen Abschuss
veranstalten. Man soll die Haut des Bären nicht verkaufen, ehe er
erlegt ist, man soll aber den Bären auch nicht totschiessen, ehe einer
gesehen worden.
Nach den Erzählungen des Parkwächters haben die Gemsen im
Val Cluoza sich seit der Gründung der Reservation stark vermehrt.
Rehe kommen bis dicht zum Blockhaus, das schöne Federwild nistet ruhig
im Frieden der Reservation. Wenn erst der Steinadler und seine königlichen
Verwandten die richtige Witterung bekommen - die Herren Jäger mögen
lachen, wenn der Ausdruck nicht weidmännisch ist -. so werden ihre
Horste im Schutzgebiete nicht ausbleiben und die Vögel sind dann sicher
vor der tolldreisten Kühnheit und Ueberlegungslosigkeit der Jungburschen,
die ihnen fast überall, wo sie sich zeigen, heutzutage die Jungen
wegrauben.
Für die wissenschaftliche Bedeutung des Parkes habe ich das Gutachten
Dr. SCHRÖTERS zitiert. Es sei mir gestattet, noch zwei Sätze
aus dem zoologischen Gutachten des Herrn Prof. Dr. ZSCHOKKE anzuführen:
«Bei den tiefgreifenden Veränderungen, die unsere Fauna unausgesetzt
durch die verschiedenartigsten Eingriffe des Menschen erfährt, ist
es für die Faunistik und ganz besonders für die ,auf ihr sich
aufbauende Tiergeographie von der allergrössten Wichtigkeit, dass
ein Stück der Tierwelt so erhalten bleibe, wie es sich seit der grossen
diluvialen Vergletscherung unter dem Einflusse der natürlichen äussern
Bedingungen, besonders klimatischer und geologischer Art, herausgebildet
hat. Nur anhand eines solchen Materials werden wir imstande sein, die Geschichte
der schweizerischen Tierwelt bis zu dem Moment rückwärts zu verfolgen,
da die mächtigen, das tierische Leben fast ganz vernichtenden Gletscher
endlich den Rückzug antraten. Ein solches unverändertes Bild
der postglazial entstandenen Fauna kann uns ein gegen menschliche Tätigkeit
vollständig geschützter Nationalpark bieten.» Herr ZSCHOKKE
führt sodann im weiteren aus, welchen Gewinn die schweizerischen Zoologen
für die Erforschung der Alpenfauna und ihre Systematik, für die
Tiergeographie und Morphologie der Tiere ziehen würden. Doch wer wollte
hieran zweifeln, der den Bienenfleiss unserer Naturgelehrten und ihre in
der neuem Zeit so erfreulich entwickelte Kunst der Darstellung auch
nur von ferne kennt?
höher als die wissenschaftliche steht mir die pädagogisch-ethische
S e i t e d e r n e u e n E i n r i c h t u n g. Schon
der Gedanke erfüllt mich mit Freude, dass einmal Vater, Mutter und
Kind auf einer stundenlangen Exkursion sich enthalten, Blumen abzureissen
und wegzuwerfen, dass das Edelweiss auf der Alp Murtèr und im Cluoza
aufgehen, blühen und welken kann, ohne dass ein Tourist von der Art
des geschilderten Glärnischjünglings seinen Rucksack mit dem
reinen Gewächs vollstopfen kann. Und dann, wer wollte den armen Tieren
nicht die Freistatt gönnen. Man braucht kein Feind der Jägerei
und noch weniger der Jäger zu sein und mag aus persönlicher Erfahrung
und Bekanntschaft ganz wohl wissen, dass es gerade unter den Jägern
die feinsten Tierkenner, aber auch herzensgute Tierfreunde gibt, und trotzdem
tut einem der Gedanke in der Seele wohl, dass auf irgendeinem Fleck des
Vaterlandes der Flintenschuss des Jägers das Wild nicht aufscheucht.
Wem drängte nicht der Gedanke an die Schaffung eines Tierasyls im
höchsten Hochgebirge die Schillerschen Verse auf die Zunge:
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Plötzlich aus der Felsenspalte
Tritt der Geist, der bergesalte,
Und mit seinen Götterhänden
Schützt er das gequälte Tier:
,,Musst du Tod und Jammer senden,“
Ruft er, „bis hinauf zu mir?
Raum für alle hat die Erde,
Was verfolgst du meine Herde?“
Wir wissen wohl, man wird uns mit dem Hinweis darauf antworten, dass
ja in dieser unbeaufsichtigten und allen ungezügelten tierischen Instinkten
vollständig preisgegebenen Natur der Kampf der Individuen nur um so
erbarmungsloser und grausamer geführt werde, und dass der sichere
Schuss des Weidmanns dem Wild ein sanfteres Ende verbürge als das
Gebiss oder die Kralle eines Raubtieres. Aber dann ist wenigstens der Mensch,
der grosse Schlächter, nicht dabei, und Tatsache bleibt es ja doch,
dass erst sein Erscheinen die Tierwelt dezimiert und ganze Arten zum Aussterben
gebracht hat. Der edle Weidmann aber, der mit kundigem Auge dereinst die
Waldungen des Nationalparks durchforscht, wird sich zuerst des frohen,
freien und reichen Tierlebens freuen, das, wie wir erwarten, hier sich
entwickelt. Und nun noch ein letztes Wort. Der Naturschutz ist eine Abzweigung
der Heimatschutzvereinigung und er ist bis jetzt in inniger Verbindung
mit dem Stamme geblieben, der ihn als Schoss getrieben hat. Möge es
so bleiben, möge das Bild, das uns der Nationalpark verspricht, wenn
unsere Erfahrungen uns nicht trügen, einen neuen Zug beifügen
zu dem, was ein welscher Prophet des Heimatschutzes so schön genannt
hat: le visage aimé de la patrie, das geliebte Antlitz des Vaterlandes.
Ich habe geschlossen und empfehle Ihnen Eintreten auf den Bundesbeschluss.»
Mit diesen trefflichen Worten leitete der Präsident der nationalrätlichen
Kommission, Dr. BISSEGGER, am 25. März 1914 im Nationalrat die Debatte
über den zu schaffenden schweizerischen Nationalpark ein. Die eindrucksvolle,
von tiefem Verständnis und echter Begeisterung getragene Rede durfte
um so eher auf Erfolg rechnen, als dem Gedanken des Naturschutzes bereits
in einer unser ganzes Land ehrenden Weise durch Bundesrat Louis FORRER
vorgearbeitet war, der ein halbes Jahr zuvor, im November 1913, die erste
internationale Konferenz für Weltnaturschutz mit grosser Umsicht und
seltenem Geschick leitete. Seinem grossen politischen Einfluss ist es nicht
zuletzt zuzuschreiben, dass sich mancher offene und geheime Widerstand
gegen die Gründung unseres Parkes in der Bundesversammlung legte.
Nach lebhafter Rede und Gegenrede, wobei es selbst an komischen Zwischenfällen
nicht fehlte, kam der folgende denkwürdige B u n d e s b e s c h l
u s s zustande: ...
Fussnoten:
(S.4) Vergl. den Abschnitt über die ausserschweizerischen
alpinen Reservationen. (D. Verf.)
(S.5, 1) Scanfs hat für seinen Anteil im Jahre 1918 einen
Dienstbarkeitsvertrag mit der Eidgenossenschaft auf 99 Jahre abgeschlossen,
Schuls hingegen konnte sich leider bis heute nicht dazu entschliessen.
(S.5, 2) d. h. der Naturschutzbund. (D. Verf.)
(S.5, 3) Für einen Parkwächter in Scarl und einen
in der Abteilung Scanfs.
(S.6, 1) Ende 1926 betrug dieser Garantiefonds, Fr. 330,913.80.
Die Mitgliederbeiträge im gleichen Jahre Fr. 64,663.-.
Kommentar:
Weiter geht es mit Geographie/Geologie, mit Berücksichtigung
der Eiszeit, der Botanik u.a. mit Flüeblüemli,- Fichten, Arven,
Lärchen etc..
Die Aufnahme der Collembolenfauna war 1924 bereits abgeschlossen.
Es wurde zwischen einer Forellenpopulation des Inn und der Spöl unterschieden-
und auf Seite 30 findet sich eine interessante Fussnote:
Die wissenschaftliche Erforschung des Nationalparkes kann einstweilen
nur schrittweise durchgeführt werden, weil die zur Verfügung
stehenden, grösstenteils vom Schweizerischen Bund für Naturschutz
zu liefernden Mittel sparsam verwendet werden müssen. Aus diesem Grund
harrt manche Arbeit schon seit Jahren der Veröffentlichung. ...