Neujahrsblatt der NGZH Nr. 135 auf das Jahr 1933; 31S. mit 21 Fig. und 2 Tafeln (Format des Hefts: 21 x 29 cm)
Aus der neueren Astronomie
von W. Brunner (Zürich).

Neujahrsblatt

herausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
auf das Jahr 1933.
135. Stück.

Aus der neueren Astronomie
Drei Aufsätze
von 

W. Brunner (Zürich).
 

mit zwei Tafeln und 21 Textfiguren
 

Gebr. Fretz A.G. Zürich

 

German only
Inhalt: 
Inhaltsverzeichnis:
  Seite
I. Vom neuen Planeten Pluto . 5
II. Vom Siriusbegleiter 12
1.  Die Entdeckung des Siriusbegleiters 13
2. Die Bahn des Siriusbegleiters und die Dimensionen des Siriussystems   14
3. Die Masse von Sirius und seinem Begleiter . 16
4. Der Gegensatz der grossen Masse und der geringen Leuchtkraft       16
5. Die Prüfung der grossen Dichte durch die Rotverschiebung der Spektrallinien 19
6. Überprüfung der Erfahrungsdaten. Eine neue Helligkeitsbestimmung. 20
7. Physikalische Möglichkeit der grossen mittleren Dichte. Milne's Versuch der Einordnung der weissen Zwergsterne in die Gesamtheit der Sternsonnen . 22

III. Das Spektrohelioskop, ein neuer Apparat für die Sonnenforschung  24
1. Der Spektroheliograph und das Spektrohelioskop 26
2. Der Linienschieber und seine Benützung zur Bestimmung von Niveau-
 und Bewegungseffekten in der Chromosphäre der Sonne 28
3. Aufgabe und Zweck des Spektrohelioskopes 29
     Beispiele von Beobachtungsergebnissen.
 

Seiten 5-7:
1. Vom neuen Planeten Pluto.
Seit vierhundert Jahren, seit Kopernikus, kennen wir die Ordnung der Weltkörper in unserem näheren Weltwinkel. Wir wissen, dass die Sonne, die Erde mit ihrem Mond und die Planeten mit ihren Trabanten ein Weltkörpersystem für sich bilden im grossen All. Die Sonne ist der mächtige Zentralkörper in diesem grossen Weltkugelspiel, das wir als unser Sonnen- oder unser Planetensystem bezeichnen. Bis vor 150 Jahren waren nur sechs die Sonne umkreisende Planeten bekannt: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter und Saturn. Merkur der sonnennächste Planet umläuft sie in einem Vierteljahr und Saturn in 29½ Jahren. Die halbe grosse Achse der Merkurbahn ist 0,4 astronomische Einheiten, diejenige der Saturnbahn 9,5. Unter der astronomischen Einheit versteht man die mittlere Entfernung Erde-Sonne = 149800000 km. Im Jahre 1781 entdeckte Herschel  einen siebenten Planeten, Uranus, der ausserhalb der Saturnbahn in der Entfernung von 19 astronomischen Einheiten in 84 Jahren einmal um die Sonne läuft. Uranus ist ein Planet, der an Hand guter Sternkarten mit Leichtigkeit schon mit einem Feldstecher gefunden werden kann. Es scheint fast erstaunlich, dass er nicht viel früher entdeckt wurde. Sicher wäre es auch geschehen, wenn man schon im 17. und 18. Jahrhundert gute vollständige Sternverzeichnisse und Sternkarten gehabt hätte. Gut 60 Jahre später, im Jahre 1846, wurden die Grenzen unseres Sonnensystems noch einmal erweitert durch die Entdeckung des grossen Planeten Neptun, der in der Entfernung von 30 Sonnenweiten in 165 Jahren die Sonne umläuft.
Abb. 1. Der berechnete u. der von Galle beobachtete Neptunort.
Diese Entdeckung gehört zu den glänzendsten Leistungen der Weltallforschung. Neptun wurde durch Berechnung gefunden, bevor ihn ein menschliches Auge entdeckte. Beobachtete Störungen in der Bewegung des Uranus liessen vermuten, dass ausserhalb der Uranusbahn ein weiterer grösserer Weltkörper laufen müsse, dessen Anziehung auf Uranus die Störungen hervorbringe. Der junge Leverrier und ein Engländer, Adams, berechneten fast gleichzeitig und ohne von einander etwas zu wissen aus den Störungen die Lage, die Form, die Grösse der Bahn, die Umlaufzeit des vermuteten Planeten und auch seinen Ort am Sternenhimmel. Galle in Berlin fand den Planeten nur etwa einen Grad vom vorausberechneten Ort entfernt (Abb. 1).
Schon Leverrier glaubte, dass es nach 30 -40jähriger Verfolgung der Bewegung von Neptun möglich sein müsse, aus den Abweichungen der beobachteten von den berechneten Neptunorten einen allfälligen transneptunischen Planeten zu errechnen. In der Tat setzten schon in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts die ersten dahingehenden Versuche ein, zum grössten Teil auf dem von Adams und Leverrier vorgezeichneten Weg, zum Teil aber auch auf einer ganz anderen Grundlage. Die Vergleichung der Kometenbahnen ergab eine besondere Anordnung der Bahnen einer grossen Zahl von Kometen in bezug auf die Bahnen der äusseren grossen Planeten unseres Sonnensystems. Etwa drei Dutzend bilden die sogenannte Kometenfamilie von Jupiter. Die äusseren Teile ihrer Bahnen, die den sonnenfernsten Punkt derselben, das Aphelium, enthalten, liegen alle in der Nähe der Jupiterbahn. In ähnlicher Beziehung stehen einige wenige Kometenbahnen zur

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Bahn von Saturn, zu der des Uranus und etwa 6, worunter die Bahn des berühmten Halleyschen Kometen, zur Bahn des Neptuns. Aus anderen Kometenfamilien, deren Glieder nahe übereinstimmende Apheldistanzen zeigen, glaubten Forbes, Pickering und andere auf ferne transneptunische Planeten schliessen zu können. Sehr viel Vertrauen wurde allerdings diesem Vorgehen nicht entgegengebracht.
Auch blieb der Erfolg, die wirkliche visuelle Entdeckung eines neuen Planeten auf Grund einer Voraussage aus.
Im Jahre 1915 erschien die Arbeit von Pergivall Lowell, «Memoir on a Transneptunian Planet», die heute als mathematische Entdeckung des Pluto gewertet wird, allerdings nicht unbestritten und nicht so entschieden wie die Arbeiten Adams und Leverrier für die Entdeckung des Neptuns. Lowell versucht die Bahnelemente und den Ort eines transneptunischen Planeten zu berechnen aus den Abweichungen der beobachteten Uranusörter von den unter Berücksichtigung der Störungen aller grossen Planeten berechneten Örtern. Er benutzt dabei die Ergebnisse einer von Gaillot in den Publikationen der Pariser Sternwarte kurz vorher veröffentlichten Neubearbeitung der klassischen Theorie der Uranusbewegung von Leverrier. Wenn vorausgesetzt werden dürfte, dass die normale Bahn von Neptun genügend genau bekannt wäre, könnte natürlich ein Transneptun aus Neptunörtern genauer berechnet werden, da die Störungswirkungen auf Neptun grösser sein müssen als auf Uranus. Der von Neptun seit seiner Entdeckung zurückgelegte Bogen ist aber zu kurz, um eine Trennung der Störungen durch einen Transneptun von den immer noch nötigen Elemente Verbesserungen zu gestatten. Lowell verzichtete deswegen zum vornherein auf die Benutzung von Neptunörtern. Die Astronomen stellten sich unausgesprochen eher skeptisch zur Arbeit Lowell's, obwohl diese wegen der strengen sorgfältigen Durchführung des Problems der Vorausberechnung eines transneptunischen Planeten angenehm abstach gegen einige andere ähnliche Versuche. Diese Skepsis wird begreiflich, wenn man bedenkt, dass Leverrier zur Errechnung von Neptun Restfehler von 133" zur Verfügung hatte, während Lowell die Bahnelemente des neuen Planeten aus 30-40 mal kleineren Restfehlern der Uranusörter herauszuholen versuchte. Lowell gab auch die Helligkeit seines errechneten Planeten zu gross an, 12. bis 13. Grösse in der astronomischen Helligkeitsskala, in der ein Stern 6. Grösse von blossem Auge gerade noch sichtbar ist. Viele Astronomen glaubten wohl, dass ein Planet dieser Helligkeit bei den vielen photographischen Durchmusterungen besonders auch der Tierkreisgegend, wo die Planeten laufen, schon hätte gefunden werden müssen. Auch die Tatsache, dass die vielen früheren Nachforschungen auf Grund anderer Vorausrechnungen zu keinem Erfolg führten, trug wohl zu dieser Skepsis bei.
Lowell's Rechnungen geben zwei mögliche Positionen für den unbekannten, die Uranusbahn störenden Planeten, nämlich für das Jahr 1915 den Winkelabstand 84° 0 oder 262°. 8 vom Frühlingspunkt aus im Tierkreis in der Richtung der Bewegung der Sonne gemessen. Die zugehörigen Entfernungen von der Sonne waren 43.0 und 44.7 astronomische Einheiten. Die Umlaufszeiten ergeben sich daraus nach dem dritten Kepler'schen Gesetz zu 282 oder 299 Jahren. Der erste Wert entspricht einer mittleren täglichen Bewegung von 1° 29. Damit rechnet man für 1930 einen Längenabstand vom Frühlingspunkt von 103° aus. Dieser Abstand führt auf die Gegend des Sternes Delta im Sternbild der Zwillinge. In dieser Gegend, etwa 6° vom theoretischen Ort entfernt, entdeckte am 21. Januar 1930 ein Assistent an der Lowell-Sternwarte ein winziges Objekt von 15. Grösse in der astronomischen Helligkeitsskala, das nahe in Opposition zur Sonne stand und wie es ein Planet in dieser Stellung tun muss, eine scheinbare rückläufige

Abb. 2. Die Lichtspur des Pluto auf Platten der Lowell- Sternwarte am 2. und 5. März 1930. Man beachte die Ortsveränderung in den drei Zwischentagen. Der helle Stern mit den Strahlen ist Delta Geminorum.

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Eigenbewegung zeigte. Der Betrag der Bewegung entsprach etwa der Entfernung von 45-50 astronomischen Einheiten, d.h. ungefähr der von Lowell für seinen Transneptun berechneten Distanz. Weitere photographische Aufnahmen auf der Lowell-Sternwarte in den auf die Entdeckung folgenden Wochen bestätigten, dass das Objekt ein Planet sein müsse, der ausserhalb der Neptunbahn um die Sonne läuft (Abb. 2). Am 13. März 1930 wurde die Entdeckung des neuen Gliedes unseres Planetensystems durch die Harvard-Sternwarte, welche die amerikanische Zentrale für die telegraphische Verbreitung von wichtigen astronomischen Entdeckungen ist, durch folgendes Telegramm an astronomische Institute und an die Zentralstelle der astronomischen Gesellschaft bekanntgegeben:
«Lowell Observatory telegraphs systematic search begun years ago supplementing Lowell's «investigation of Trans-Neptunian planet has revealed object which for seven weeks has in rate «of motion and path consistently conformed to Trans-Neptunian body and approximate distance «he assigned 15th magnitude, Position March 12th 3h GMT was 7" west from Delta Geminorum, «agreeing with Lowell's predicted longitude».
Rasch setzten nun ausgedehnte Beobachtungsreihen ein und eifrige Bahnrechner waren schnell bereit, aus wenigen beobachteten Örtern erste Bahnelemente herzuleiten. Aus einem kurzen Stück einer krummen Bahnkurve ist es aber nicht möglich, mit genügender Sicherheit die Form, Grösse und Lage der ganzen Bahn zu bestimmen. Für eine gute Bahnbestimmung war es nötig, beobachtete Örter aus möglichst weit zurückliegenden Jahren zu haben. Es werden jede helle Nacht soviele Aufnahmen der verschiedensten Himmelsgegenden gemacht, dass sicher anzunehmen war, dass der ferne Planet schon lange irgendwo auf der einen oder anderen photographischen Platte als Dokument seines Daseins eine feine Schwärzungsspur gezogen hatte, die zunächst nicht beachtet wurde. Gestützt auf die Beobachtungen vom 21. Januar bis Ende Mai 1930 wurden von verschiedenen Seiten erste Bahnelemente und genäherte Örter des Planeten am Himmel gerechnet, auch für frühere Jahre.  Auf Grund derselben gelang bald die Auffindung des Planeten auf einer Platte Delporte's auf der Sternwarte in Uccle aus dem Jahre 1927. Eine auf diese Position und auf zwei Normalorte des Entdeckungsfrühlings aufgebaute Bahnberechnung ergab für alle anderen Beobachtungen des Entdeckungsjahres nur geringe Restfehler, so dass die Identität des Uccler Objektes mit dem neuen Planeten bewiesen war. Neue verbesserte Aufsuchungsortsverzeichnisse führten zur Entdeckung mehrerer Aufnahmen des Planeten aus dem Jahre 1919 auf Platten der Mount-Wilson-Sternwarte und aus den Jahren 1921 und 1927 auf Platten des Yerkes-Observatoriums. Diese älteren Beobachtungen zusammen mit den vielen neuen ermöglichten eine wesentlich bessere Bahnbestimmung.
Um ohne grosse und mühsame Störungsrechnungen rasch eine vorläufige gute Bahn zu bekommen, ist Zagar einen besonders einfachen, interessanten Weg gegangen. Er sagte sich, dass die Hauptstörungen Plutos von Uranus und Neptun herrühren, während die Störungen der Planeten von Merkur bis Saturn wegen der grösseren Entfernung klein sind und sich auch mehr oder weniger aufheben wegen der verschiedenen Lagen dieser Planeten in ihrer Bahn gegenüber Pluto. Zagar bestimmte deshalb zuerst die Kepler'sche, d.h. die ungestörte elliptische Bahn für den Schwerpunkt des Systems der Sonne und den sechs alten Planeten, ohne Uranus und Neptun. Die den neuen Planeten in seine Bahn zwingende zentrale Anziehungskraft geht also in diesem Fall vom Schwerpunkt des erwähnten Systems aus und von einer Masse gleich der Summe aus den Massen der Sonne und der sechs alten Planeten. Die auf Grund dieser Bahn berechneten Örter am Himmel können mit den auch auf den Schwerpunkt des Systems bezogenen und von den Uranus-Neptunstörungen befreiten Beobachtungen verglichen werden. Die Abweichungen schwanken zwischen (-2.8") und (+3.7"). Wie hinreichend dieses einfache Verfahren ist, zeigt die Tatsache, dass eine während der Ausführung der Rechnungen bekannt gewordene ältere Beobachtung von Wolf in Heidelberg aus dem Jahre 1914 für die beiden Winkelkoordinaten nur Reste von der Ordnung einer Bogensekunde gibt. Bower und Whipple wenden eine ähnliche rasch zum Ziel führende Methode an, während Nicholson und Mayall von der Mount-Wilson-Sternwarte den mühsamen, klassischen Weg der speziellen Störungen gehen. Ich stelle die Ergebnisse der drei genannten wichtigsten Bahnbestimmungen zusammen durch Angabe der Bahnelemente, die die Lage, die Gestalt und die Dimensionen der Bahn bestimmen.
Zum Vergleich füge ich auch die von Lowel vorausberechneten Zahlenwerte an. Elemente der Bahn von Pluto (Epoche 1930)
 Bower & Whipple Zagar Nicholson & Mayall Lowell dtv 2000
Halbe gr.Achse AE 39.597 39.579 39.600 43 od. 44.7 39.529
Exzentrizität  .254 .247 .246  .202 od. .195  .248
Neigung zur Erdbahn 17° 8' 17° 7' 17° 7' ca. 10° 17° 9.0'
Länge des Perihels 222° 30' 222° 30' 222°24' 203.8° od. 19°.6 
Länge des Knotens  109° 22'  109° 22'  109° 22'  -
Umlaufzeit  249.17 a 248.86 a   249.22 a   247.7 a
Mittlere tägl. Bewegung  14.256"  14.258"  14.238"  
Durchgang durch das Perihel  27/02/1989 -  2/10/1989
Schätzung des Durchmessers: optisch <6000 - 8000 km; Helligkeit 4500 - 6800 km
Wert 1994 (Hubble Telekop) Durchmesser Pluto 2320 km, Charon 1270 km

Auf S.12 steht die Vermutung, dass Pluto zu einem zweiten Ring von Planetoiden gehöre.

Siriusbegleiter = Weisser Zwerg (Radius 0.03 Sonnenradien und Dichte 52000kg/l) Moderner sind Werte von 0.01 und die Dichte entsprechend höher.
 
Sun in Hydrogenium line Fig.4: Die Sonne bei visueller Beobachtung im Spektrohelioskop im Lichte der roten Wasserstofflinie (Ha) mit hellen und dunklen Wasserstoffflocken und Rand-Protuberanzen.
(Die hellen Flocken konnten wohl im Kontrast, aber nicht in der Farbe ganz richtig wiedergegeben werden. Sie sind intensiver rot.)
 

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