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Inhalt:
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Nur an wenigen Stellen hat Ostafrika seine eigene Art völlig unberührt
von fremden Einflüssen bis heute bewahren können. Auf tausend
offenen und versteckten Wegen strömt europäisches Wesen unablässig
von der Küste her landeinwärts; die Wandlung ist in den letzten
Spuren auch zutiefst im Landesinnern schon fühlbar. Und glaubt man
in einem entlegenen Eingeborenendorf noch ganz unberührtes ursprüngliches
Volkstum anzutreffen, so wird die Illusion oft schon nach den ersten Schritten
gestört; da steht man auf einmal vor der ärmlichen Duka eines
indischen Kleinhändlers, der hier als Sendung und letzter Vorposten
einer fremden Lebenshaltung und eines fremden Wirtschaftsgeistes allerhand
europäischen und japanischen Kram verkauft. Vor einem Menschenalter
noch marschierte der Europäer an der Spitze von Trägerkolonnen
durch das Land; oder er zog mit Hunderten von neu angeworbenen Arbeitern
aus dem Landesinnern in vielmonatelangem Fussmarsch durch die Steppe zu
den Arbeitsplätzen an der Küste. Die Abende am Lagerfeuer in
der Steppeneinsamkeit, das muntere Schwatzen und Lachen der Neger nach
den Anstrengungen des heissen Tages, Hunderte von geheimnisvollen Stimmen
der afrikanischen Nacht, das Zeit unter dem Mondlicht und dem Sternenhimmel
- daraus erwuchs jene rauhe Romantik, die in der nüchtern gewordenen
Gegenwart die Erinnerung der alten Afrikaner verklärt. Heute kommt
man auf vielen afrikanischen Wegen mit dem Motocar rasch vorwärts,
und die Trägerkolonnen sind auf denselben Strecken durch Lastautos
ersetzt, mit einem Inder oder Neger als Wagenführer, wenn nicht der
Europäer selbst den Transport besorgt. Die Ursprünglichkeit von
Land und Menschen, die herbe Poesie des Lebens im wilden "Pori" und der
Märsche durch die flimmernde Glut der Steppe verblassen allmählich.
Alle Lebensformen sind in einer Umwandlung begriffen, die an der Küste
bereits weit fortgeschritten ist, in den meerfernen Zonen im entlegensten
Landesinnern sich mindestens in den ersten Spuren schon ankündigt.
Dieser Übergang von einem urtümlichen zu einem europäisch
umgeprägten Afrika ist uns, in den verschiedensten Stadien der Umgestaltung,
auf einer Reise durch Tanganjika eindringlich zum Bewusstsein gekommen.
(1)* Als ein Erdraum, der in seinem Eigenwesen noch wenig von fremden Einflüssen
berührt worden ist, übte die Umgebung des Rukwasees im Zauber
ihrer ursprünglichen Natur eine besondere Lockung aus. Es ist ein
Land von seltsam schlichter Grösse seines Baustils, mit überraschend
klaren Zügen klimatischer Schwankungen in kurzen und erdgeschichtlich
langen Zeiträumen, anziehend durch eine ungewöhnlich reiche Tierwelt
und von hohem Interesse nach den Lebensformen und -äusserungen der
hier wirtschaftenden Eingebornen. Dem Rukwasee und seiner Umgebung galt
ein besonderer Abschnitt unserer Studienreise.
Bau und Bild der Landschaft.
Das Innere Ostafrikas wird, in den grossen Linien gesehen, von den
Wesenszügen der Rumpflandschaft beherrscht. Wo im Altertum der Erde
Gebirge aufragten, da hat die Abtragung in endlos langen Zeiträumen
Korn um Korn weggenagt und entfernt und das alte Relief
* Anmerkungen im Anhang.
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fast völlig ausgelöscht. Vom einstigen Gebirgsbau ist nur
der Sockel geblieben, eine fast ebene Rumpffläche mit den weitgespannten
Horizontalen oder den fast unmerklich an- und absteigenden Erhebungswellen,
die bis an den tiefliegenden Horizont dem ostafrikanischen Lande die Weite
und feierliche Grösse verleihen. Nicht selten vernimmt man den Einwand,
das weithin gleichförmige Plateau müsste doch wohl auf langer
Wanderung eintönig und durch die Endlosigkeit bedrückend wirken.
Erlebt man aber in der Vorstellung die erdgeschichtlichen Wandlungen seit
Anbeginn der Zeiten mit, den unablässigen Angriff der zerstörenden
Kräfte auf den Felskörper der Gebirge und das allmähliche
Werden der Rumpfebene im Kampf der Naturvorgänge, so liegt eine Grösse
und ein Zauber über der monotonen Landschaft, die eindringlich zur
Seele des Menschen sprechen. Der Rumpf Innerafrikas wird von einem Bündel
von Bruchlinien vorwiegend in NS-Richtung durchsetzt; aus den Verwerfungen
sind die bekannten "Gräben" und Bruchstufenlandschaften hervorgegangen.
Schon auf der Fahrt durch das Rote Meer tritt man in die Zone der Grabenbrüche
ein, die von der Senke zwischen Libanon und Antilibanon und vom Jordantale
an fündundeinhalbtausend Kilometer weit nach Süden, bis an das
Ende des Njassasees, das beherrschende Motiv im Bild der Erdoberfläche
bleibt. Die Landschaft am Rukwasee liegt in einem solchen Grabeneinbruch
eingebettet, im NE der Landbreite zwischen dem Tanganjika- und Njassasee.
(2) Wie die Lageskizze es andeutet, setzt die Rukwadepression die des Njassasees
nach NW fort. Aus den Brüchen sind im N des Njassa mächtige vulkanische
Massen emporgequollen, der Rungwe und die Lavaergüsse im Kondeland,
wie eine Barriere quer durch das Senkungsfeld aufgebaut. Der Rukwaeinbruch
geht mit wechselnder Breite nordwestwärts an die 300 km weit bis nahe
an den mittlern Tanganjikasee heran. Im Westen stösst der Grabenboden
an die bis 1500 m hohe Bruchstufe des Ufipaplateaus, eines Horstes, einer
stehengebliebenen Scholle der alten Rumpftafel zwischen den beiden anliegenden
Einbruchzonen. Im Osten steigt die Grabenwand (Abb. 2) um 100-200 m an,
ist aber von ungewöhnlicher Schärfe, wie eine Mauer an den Rand
des Beckens hingesetzt. Oben stehen wir auf dem hügeligen und welligen
Ukimbuplateau. Es geht nach N Hunderte von Kilometern weit in die einförmige
zentrale Hochfläche rings um Tabora über. Nach Süden verschmälert
sich das Plateau keilförmig, weil an seiner SE-Flanke der Graben des
Ruaha in den Rukwa-Njassaeinbruch einmündet. Der Sporn des Horstes
über der Konvergenzstelle überragt als weithin sichtbare Landmarke
die Senkungsfelder an seinem Fuss. Es ist der Mbeyaberg, nahe an 2900 m
hoch. Seine Entstehung ist nicht völlig sichergestellt; aber alles
spricht dafür, dass er dem Wesen nach einen riesigen Granitblock darstellt,
der durch das Pressen und Zerren beim Einbruch des Ruaha- und Rukwagrabens
am Horstende abgequetscht und als ungeschlachter Klotz steil über
die Umgebung emporgepresst wurde. Abwitterung und Abspülung haben
ihr ausgleichendes Werk schon getan; der Gipfel ist zur Kuppe gerundet.
Von den Höhen des Mt. Mbeya umfasst ein wundervoller Rundblick die
Ruahadepression, die Berglandschaft Ngosi-Poroto-Rungwe im Süden und
den Rukwagraben nach Nordwesten hin; in dunstiger Ferne erscheinen blassblaue
Bergzüge; es ist die Bruchstufe des Ufipaplateaus, die am jenseitigen
Grabenrand hinzieht. Zum zentralen Plateau hingewendet, sieht man über
das Gewirr der sommerdürren Bach- und Flusstäler am Lupa hinweg
noch einen Schimmer von der Endlosigkeit des welligen Tafellandes. Man
erkennt, dass das Plateau leicht nach W einsinkt; aus dieser Schrägstellung
der alten Rumpffläche wird es verständlich, dass die verzweigten
Flussläufe des Lupa und Sira und die Wasserrinnen weiter im N zum
Rukwasee hin gerichtet sind. Zwischen den mauerartig steilen Seitenwänden
breitet sich die Grabensohle fast unabsehbar weit als völlig ebene
Fläche aus. Der Rukwasee bedeckt heute davon nur eine verhältnismässig
kleine Partie in der Südhälfte; einst war das Becken in seiner
ganzen Ausdehnung und hoch an die Bruchstufe hinauf mit Wasser erfüllt.
Der See von heute ist bei seiner Grösse doch nur ein bescheidener
Schrumpfungsrest.
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Mbeya; Utengule.
Die natürliche Eingangsstelle zur Rukwalandschaft liegt im Korridor
von Mbeya, zwischen dem Poroto-Gebirge und dem Sporn des Mt. Mbeya. Tektonisch
ist es die wichtige Vereinigungsstelle des Ruaha- und des Rukwagrabens;
nahe im Süden setzt der Einbruch des Njassasees an. Wie die Sektoren
eines grossen Kreises treffen am Durchgang von Mbeya eine Anzahl von Grosslandschaften,
verschieden nach Naturausstattung und wirtschaftlichem Charakter, zusammen,
und von allen Richtungen münden die Überlandwege hier gleich
den radialen Fäden eines Spinnennetzes ein: Durch die Ruahasenke zieht
von Dodoma-Iringa her die bekannte main-road Kairo-Kap. Auf dieser Strecke
sieht sie, mit afrikanischem Maßstabe gemessen, gut aus, weiter im
Norden aber, z. B. zwischen Arusha und Nairobi, stellenweise so, dass die
Bezeichnung als "road" einem geradezu als revoltierender Euphemismus erscheint.
Südwärts bringt der Weg über die Porotohöhen (Igalipass)
das üppige, volksreiche Kondeland, vom Rungwe an den Njassasee, in
eine engere Bindung mit dem zentralen Verkehrsknoten. Für das ganze
ausgedehnte Goldfeld am Lupa ist Mbeya die massgebende Gerichts- und Verwaltungsstelle,
Erholungs- und Vergnügungsstätte, ungeachtet der Lage des Ortes
weit abseits vom Lupa selber. Hier öffnet sich der Zugang zu den Plantagen
von Mbosi und nach Rhodesien hinein; hier auch setzt der Abstieg an zu
der Senke des Rukwasees. In den grossen tektonischen Zügen, in der
Anordnung der Grabenbrüche und Horstschollen liegt es vorgezeichnet,
dass heute, und viel mehr noch in der Zukunft, der Verkehr aus ganz Süd-Tanganjika
und Nord-Rhodesien zur Schwelle von Mbeya hin gravitiert. Da liegt der
natürliche Korridor aus Ostafrika quer durch die Seenreihe in den
Süden des Kontinents. Die künftige überragende Bedeutung
des Ortes steht nicht in den Sternen, um so sicherer aber in der Struktur
des Bodens geschrieben.
Die Ebene von Mbeya, eine offene Grassteppe in 1700 m Meereshöhe,
hat die allgemeine Absenkung der Grabensohlen in geringerem Masse mitgemacht
und steht heute als eine Landbrücke über und zwischen den Depressionen
des Ruaha und des Rukwa. Vulkanische Ergüsse haben sich von beiden
Grabenrändern her über die Schwelle gebreitet, Lage auf Lage
geschichtet und den Boden beträchtlich erhöht. Die Landschaft
ist mit Spratzkegeln (Hornitos) durchsetzt, von Parasitenkratern und Lavakuppen
umrahmt. Hier auf der Scheitelfläche der hohen Landschwelle liegt
der Flugplatz der transkontinentalen Linie Kap-Kairo-Brindisi (Imperal-Airways).
Die Natur hat dem Flugzeug eine bequeme Plattform im laugen Trakt der Grabenversenkungen
geschaffen; Landung und Start erfolgen hier in grosser Meereshöhe.
Dank dieser Station legt das Flugzeug die Strecke von Dodoma an der Mittellandbahn
bis tief nach Rhodesien und Südafrika hinein zurück, ohne dass
es in die Grabenlandschaften hinuntertauchen und nachher wieder die Höhe
gewinnen muss. Unangenehm empfindet man auf dem Flugplatz nur den Wind,
der fast Tag um Tag vom Ruaha oder vom Poroto her durch den Korridor von
Mbeya bläst. Gerade damals, als wir in der Nachbarschaft das Zeltlager
aufgeschlagen hatten, waren Scharen von schwarzen Arbeitern am Werk, den
Flugplatz zu vergrössern und eine lange Start- und Auslaufszone in
der Grassteppe sorgfältig zu verebnen. An anderen Flugplätzen,
wie Dodoma und Iringa, ist man solcher Nivellierungsarbeiten enthoben.
Dort benutzt man jene ideal glatten und ebenen Böden, die in der vollkommen
gleichmässigen Verschwemmung von Sand und Schlamm durch die Schichtfluten
der Tropenregen zustande kommen. Gleiten die Räder über eine
der kilometerweiten trockenen Schichtflutebenen, so ist der Eindruck nicht
anders, als ob man sich auf einem Parkettboden bewegte. - Auf einer Bodenkuppe
nahe dem Flugplatz steht die Funkstation der Luftlinie mit den beiden Antennentürmen,
und nebenan eine strohgedeckte Baracke: das Postamt. So karg der Raum -
für einen weiten Umkreis steht er im Blickpunkt aller Siedler. Von
dieser kleinen Hütte aus spannt sich die Postverbindung hinüber
zur weitzerstreuten Goldgräberkolonie am Lupa, in das Becken des Rukwasees,
in die Hügel und Berge der Kaffeeregion von Mbosi und über den
Igalipass
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zu den Pflanzungen und den Bananendörfern des Kondelandes am Rungwe.
Die Ausstrahlungen ordnen sich zu einem weitgeöffneten Riesenfächer
an, in jeder Richtung mit einer Reichweite von mehr als 150 km. Für
alle die Landschaften verkörpert jener bescheidene Arbeitsraum unter
dem Grasdach den Anschluss an die Welt.
Der Ort Mbeya selbst, am Fuss des Berge und am Rande des flimmernden
gelben Grasmeeres, verheisst dem ersten Blick aus weiter Entfernung als
eine Gruppe niedriger Bauten mit den gleissenden Blechdächern eine
recht stattliche koloniale Neugründung. In der Nähe gesehen,
verliert das Bild den Glanz. Ein paar einfache Gebäude der Bezirksverwaltung
sind wohl da. Aber zur Hauptsache besteht der Ort aus einem grossen quadratischen
Platz, umstanden von einigen Kaufläden und jenen offenen Baracken,
wo Scharen von müssigen Negern als dicke dunkle Klumpen von Menschenleibern
den Trödelkram indischer Kleinhändler umdrängen. Ein harscher
Wind fegt dichte Schwaden von Sand und Staub über die blosse Erde
des "Market Square" in die Kramläden hinein. Alles sieht vorläufig
recht unfertig und improvisiert aus, ein Negerbazar von niederdrückender
Öde und Trostlosigkeit. So primitiv Mbeya heute noch aussieht - für
die Goldsucher drüben in den einsamen Tälern des Lupa ist es
wie das Land der Verheissung, eine Stätte, an deren Namen sich in
dunklen Stunden die Phantasie entzündet. Nach langen entbehrungsreichen
Monaten und Jahren atmet hier der europäische Prospektor wieder die
Luft einer kulturnähern Welt und fühlt wieder die Verbundenheit
mit einer Lebensgemeinschaft, die ihm im Busch schon unerreichbar weit
entrückt schien.
Vom Passplateau von Mbeya wenden wir uns unserem Ziel, der Rukwalandschaft
zu. Der Fussregion des Porotogebirges sind breite Lavaströme entquollen,
die nun wie Decken über den Plateauabfall herunterhangen. Die Lavastirn
schaut als schwarze blockbesäte Stufe aus dem fahlen Grasüberzug
zu Tat, und am Fuss der Stufe geht der Weg wieder auf ein Stück ebenen
Steppenboden hinaus, der von den letzten Grasbränden her mit russigen
Brandflächen durchsetzt ist. Am Westfuss des Granitstockes vom Mt.
Mbeya ist die Pflanzung und die protestantische Mission von Utengule installiert,
beide in Verbindung mit Pflanzung und Mission Rungwe. Die jungen Kaffeekulturen
der beiden Plantagenbezirke fordern den Besucher unwillkürlich zu
einem Vergleich heraus. Von Haus aus geben wir uns leicht mit der Annahme
zufrieden, dass vulkanischer Boden - Lava und vulkanische Asche - immer
und überall hervorragend fruchtbar sein müssten. Auf den Kaffeepflanzungen
am Rungwe hat die Erfahrung bestätigt, wie ungleich der Chemismus
und damit der Ertrag der Vulkanerde sein kann. Jeden Morgen bringen die
Frauen aus den Negerdörfern Körbe voll Pflanzenasche auf die
Plantage zum Verkauf. Der Aschenzusatz ist dem Boden notwendig; denn der
ursprüngliche Gehalt ist zu einseitig und lässt die Kaffeebäumchen
nicht recht zum kraftvollen Wachstum kommen. Der Vulkanismus allein tut's
nicht. Drüben in Utengule stehen die Kaffeepflanzungen auf abgeschwemmtem
Verwitterungsboden von den Granitflanken des Gebirges. Künstliche
Bewässerung und der Schutz durch Schattensträucher tun ein Übriges
für das Gedeihen der Kaffeebäumchen. Die Ernte ist hier nach
Menge und Qualität ganz hervorragend; der UtenguleKaffee gehört
zu den besten Sorten der Welt. Wir haben als den Besitzer und Leiter der
Pflanzung einen Landsmann, einen Berner, kennengelernt. Wollte nun aber
jemand annehmen, das Lob sei vor allem dieses Umstandes wegen so hoch gestimmt,
so kann auf die Notierungen in London hingewiesen werden, die diese Sorte
unter die höchststehenden Qualitäten einreihen. Auch in andern
Produkten bewähren sich Boden und Klima von Utengule aufs beste. Nirgends
sonst in Tanganjika haben wir die bekannte wohlschmeckende Frucht der Papaya
in so üppigem Wachstum und in solcher Grösse gesehen wie da.
Das gelbe Fruchtfleisch erinnert in Farbe und Geschmack sehr an die Melonen;
der Baum heisst denn auch in der botanischen Literatur, neben dem einheimischen
Namen, "Melonenbaum". Er stammt aus Westindien und ist weithin über
die warme Zone verpflanzt worden. Der Stamm trägt einen Busch langgestielter,
handteiliger Blätter und zu oberst in einem gedrängten Klumpen
die schweren, mächtigen Früchte. Weit über die Tropen hin
ist auch der Mangobaum verbreitet. Seine dicht-
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belaubte Krone und die Wucht des gedrungenen Baues erinnern, nur als
Silhouette gesehen, an die Gestalt der Eiche. Die Frucht, Mango oder Embe,
ist eine der köstlichsten Gaben der warmen Zone; sie hat die Grösse
eines Apfels, gelbes aromatisches Fruchtfleisch mit leichtem Terpentingeschmack.
In einem Überblick von den Höhen ob Tabora sieht man hunderttausende
dieser Mangobäume als feine dunkle Tupfen in das fahle Gelb der Steppe
hingestreut. Jahr um Jahr bringt die Natur in einer unerschöpflichen
Gebelaune ungeheure Mengen der herrlichen Früchte hervor; grösstenteils
gehen sie ungenutzt zugrunde; und die Landschaft von Tabora ist nur ein
kleiner Ausschnitt aus Ostafrika! Weder bei der Papaya, noch bei der Mangofrucht,
die beide sehr wenig haltbar sind, kann man mit Rücksicht auf die
lange Reise an den Transport nach Europa denken; und, so nahe der Gedanke
auch läge, nirgends in Tanganjika schien man sich mit der Absicht
zu tragen, im grossen Maßstab und für den Export Fruchtkonserven
herzustellen. Die gleiche Lässigkeit zeigt sich gegenüber den
Chancen, die Anbau und Verwertung der Ananas bieten müssten. Am Kilimandjaro
wächst sie zu ausnehmend schönen Exemplaren von unvergleichlichem
Wohlgeschmack heran. Der Neger gibt sie zu billigem Preise dem Europäer
ab, 5 cts. = 4 Rp. für ein Stück, das in den Esswarengeschäften
unseres Landes gut und gern 5-6 Fr. kostet. Aber an einen Wettbewerb mit
den Ananas-Konserven aus Hawaii oder Kalifornien denkt man hier nicht.
Der Früchtetransport kann wohl nur für die küsten- oder
eisenbahnnahen Landstriche in Frage kommen. Für alle die Landschaften
im Umkreis des Rukwa aber sind die Distanzen zur Mittellandbahn bei Tabora
oder Dodoma zu gross (3); die Früchte (wie z.B. auch die Bananen zwischen
Rungwe und Njassasee) würden von den hohen Frachtkosten zu stark belastet.
Abb. 3. Zerschneidung einer Tafel nach Art der Landschaft Songwe-Galula.
Galula.
Auf der Fahrt zum Rukwasee umfängt uns nach der Missionsstation
Utengule von neuem die Wildnis der lichten Waldsteppe. Da bekommt der Begriff
der Wildnis für uns einen besonders rauhen Sinn. Der Weg führt
über trümmergespickte Lavaströme, braunrot, zu einem schwer
passierbaren Chaos zerhackt. Es sind Ergüsse, die aus der Bruchzone
am Bergfuss stammen und nun wie Decken aufeinander lagern. Immer, wenn
der Weg auf die Stirnseite eines Lavastromes hinauskommt, vollzieht er
über die Randstufe einen höchst holperigen Abstieg, mühsam
vor allem für die schwere Last unseres Reisegutes. Wir kennen schon
aus einiger Erfahrung jene afrikanischen Wege, die unter den Tropenregen
zu einem Labyrinth von tiefen Schründen und Gräben aufgerissen
sind - "not surveyed" notiert beschwichtigend die Karte, so Überhaupt
ein Weg eingetragen ist; hier aber ist uns eine Wegstrecke begegnet, die
an Ungastlichkeit eine Sonderklasse darstellt. Es ist der alte Weg, auf
dem sich bis zum Bau der neuen direkten Strasse alle die Gütertransporte
von Mbeya aus zum Lupagoldfeld durchquälen
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mussten. Jetzt haben wir die Stufe der äussersten Lavafront passiert
und stehen auf der Ebene eines alten Seebodens; glatt und gleichmässig
wie auf einer unendlichen Tischfläche geht der Weg auf dem weichen
Grund weiter. Gleich ändert auch das Vegetationsbild. Der lichte Steppenwald
(Miombo), der zwischen den brandroten und schwarzen Lavatrümmern stand,
bleibt hinter uns zurück; die offene gelbe Grasflur mit vereinzelten
Büschen und weitausgreifenden Schirmakazien nimmt uns auf. Auf der
ganzen Strecke haben wir zur rechten Hand immer die steile Abbruchwand
vom Mbeyagebirge zur Niederung des Rukwagrabens. Zahllose Erosionsfurchen
ziehen über die Wand herunter; aber sie greifen nicht tief in den
Bergkörper
hinein. Alles sieht noch aus wie in den Anfängen. Die Bergflanke hier
und die niedrige Bruchstufe über dem Rukwasee bezeugen es, dass das
Absinken der Grabensohle und das Emporpressen der Mbeyabergmasse erst in
erdgeschichtlich jüngster Zeit eingetreten ist. Die gewaltigen tektonischen
Vorgänge haben erst den Block bereitgestellt, an dem spätere
Jahrmillionen ihre tiefer einschneidenden Skulpturformen anbringen werden.
Alles ist heute noch ein ungeschlachtes Gigantenwerk. Grosse einheitliche
Flächen und Konturen, nicht die Filigranornamentik einer lange wirksamen
Zernagungsarbeit bestimmen hier den Charakter der hochgetürmten Schollenlandschaft.
Stundenlang geht der Pfad auf der völlig ebenen Plateaufläche
zwischen Akazien, Baobabs und zerstreuten Büschen durch das fahle
Gelb der Grasflur. Da und dort eine Gruppe von Negerhütten. Hier und
näher am Rukwasee muss es auch einem flüchtigen Besucher auffallen,
wie solid und dicht die Umzäunungen der Viehplätze gebaut sind.
Auch die Hütten selbst sind mit hohem Dornenverhau oder mit Sparrenwerk
umschlossen; für die Bewohner ist es ein mühsames Hineinkriechen
durch den fast versteckten Eingang. Das bedeutet den Schutz gegen die Räuber
unter den Tieren; Löwen und Leoparden und in ihrem Gefolge die Hyänen
machen das Land unsicher. Am Weg zum See hinaus trafen wir einen Buren.
Er sass auf einem Museumsstück von Motocar mit einigem Hausrat darauf,
der kaum eine schüchterne Ähnlichkeit mit europäischer Einrichtung
erkennen liess. Der Mann erzählte uns seinen Jammer. Er wollte eine
Herde von Rindern ins Goldfeld am Lupa treiben und sie dort als Schlachtvieh
verkaufen. In der Nacht standen die Tiere in einem flüchtig befestigten
Kral Löwengebrüll in der Nähe schreckte sie; sie brachen
aus und brannten durch. Einige Rinder fing man am Morgen bei der Mission
Galula ein; die andern waren von den Löwen im Busch zerrissen worden.
Soweit hatte es, wie uns die Patres von Galula später bestätigten,
seine Richtigkeit. Als uns aber der Bur des weitern schilderte, wie er
nächtlicherweise aus dem Zelte dem Massaker zugesehen und dabei nicht
weniger als einundzwanzig Löwen gezählt hätte, da wussten
wir
Bescheid: Tartarin am Rukwasee! ein kleiner Ausschnitt aus den üppig
wuchernden Tier- und Jagdgeschichten in Ostafrika.
Auf einmal fällt das Plateau mit einer deutlichen Stufe zum tieferliegenden
Steppenboden ab, der nun bis zum fernen Seeufer tischeben weitergeht. Aus
dem Plateauland tritt in tiefem Taleinschnitt der Fluss Songwe in die Ebene
hinaus; dort draussen empfängt er noch das Wasser des Sira und Lupa
aus dem Goldland vom östlichen Grabenrande her. Die Stufe vom obern
zum untern Boden (Abb. 3) würde anderswo als Unterschneidung durch
den seitlich ausbiegenden Fluss, als Rand einer Erosionsterrasse gelten.
Hier fällt eine solche Annahme dahin. Das abflusslose Seebecken hätte
ja dann den Schutttransport vom abgenagten Plateau aufnehmen müssen.
Eine andere Erklärung drängt sich angesichts der heutigen Landformen
auf. So wie die ganze Sohle des Rukwagrabens zwischen den Bruchwänden
abgesunken ist, so wurde der Grabenboden später selber noch in Teilfeldern
verworfen; die zentrale Partie kam dabei am tiefsten zu liegen. Die beiden
Niveaus von Galula - das Plateau und die Ebene des Songwe - bildeten einst
den alten einheitlichen Seeboden. Im leichten Abfall vom Galulaplateau
zur Songweebene müssen wir wohl eine Bruchstufe sehen, wenn auch die
Bruchlinien selbst nirgends erkennbar zu Tage treten. Die Verwerfung muss
ganz jungen Datums sein, da doch der Sedimentboden eines grössern
Sees aus der Pluvialzeit (unserer Eiszeit entspre-
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chend) nachträglich zerbrochen wurde. Die Jugendlichkeit der Stufe
kann auch aus dem Formenbild des Songwetales erschlossen werden. Mit dem
Absinken der Erosionsbasis hat der Fluss einen Cañon in den rückwärtigen
niedrigen Horst eingetieft. Kleine Flankengerinne schaffen an jenem Fiederwerk
von Grabenverzweigungen, das schliesslich weite Flächen des Plateaus
vollständig zerschneiden wird. Heute steht diese Wucherung von verästelten
Seitengräben erst in den Anfängen (Tafel 1). Der Songwe-Canon
ist schmal, seine Wände sind steil; auch das ist jugendlicher Habitus.
Es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die häufigen und heftigen
Erdbeben im Rukwagraben auf ein fortgesetztes Absacken der tiefsten Beckenpartie
hindeuten. Auch Lupa und Sira haben beim Austritt aus der Grabenwand den
hohen alten Seeboden zerschnitten. Weite Tafelfelder, scharfe, wie mit
Lineal gezogene Kanten und horizontal gebänderte Steilwände über
den Flußsohlen sind dort nur Varianten dessen, was am Plateau von
Galula über dem Songwe sichtbar wird. Alle die niedrigen Tafeln fügen
sich dem einheitlichen Niveau des alten Seebodens ein.
Über dem Ausgang des Songwe-Cañons, oben auf dem Rande
der Terrasse, steht die Mission der Weissen Väter, Galula, ein breit
hingelagertes Wohngebäude aus Stein und eine stattliche Backsteinkirche
(4). Die Lage an der Plateaukante oben vermeidet die ungesunde Fluss- und
Sumpfniederung und die unerwünscht nahe Nachbarschaft der Eingeborenenhütten
unten am Fluss. Kirche und Missionsgebäude beherrschen weithin die
Landschaft; der Ort ist vorzüglich gewählt für eine Institution,
die sich den Blick in die Weite, zu fernen Horizonten frei halten will.
An einem aber fehlt es da oben auf dem Plateau. Es gibt hier weder Quellen
noch Wasserstellen. Der lockere Sedimentboden lässt das Regenwasser
in die Tiefe verschwinden Für die Mission muss das Wasser vom Fluss
heraufgetragen und zum Gebrauch filtriert werden. wie ja überhaupt
in ganz Ostafrika, ausgenommen etwa an den Bergstationen des Kilimandjaro,
das Trinkwasser der Typhusgefahr wegen nur gekocht oder filtriert zu verwenden
ist. Mit Trockenzeit und Regenzeit schwanken die Wasserstände des
Songwe beträchtlich. In den ersten Monaten des Jahres fallen in den
Bergen seines Einzugsgebietes enorm ergiebige Regen; hohe gelbbraune Fluten
wälzen sich dann an Galula vorüber. In der Trockenzeit versiegt
der Songwe nie völlig, dank der Restbestände an Wald in den Quelltälern;
bei extrem langer Dürre kann er aber zu einem unbedeutenden Gerinne
einschrumpfen. Auf einer Flussterrasse, vor dem Hochwasser geschützt,
stehen die Rundhütten der Neger, gepolstert und bedacht mit dem langen
harten Gras, das in der Flussniederung im Überfluss wächst; die
Gruppe der Hütten ist, wie hierzulande üblich, mit einem gemeinsamen
hohen Dornenverhau umschlossen, die Viehstelle mit mächtigem und sorgfältig
verklammertem Sparrenwerk zum Kraal umzäunt.
Wir stehen noch einmal oben bei der Mission; am Rande des Plateaus
liegt der kleine, grün umhegte Friedhof. Hier schlafen die Weissen
Väter, die früher da waren, den ewigen Schlaf. Leben und Tod,
fern von der Heimat, war eine einzige Opfergabe an die Idee, in der ihr
ganzes Dasein aufging. Von dieser einsamen Ruhestätte aus bietet sich
dem Auge eine Rundschau von unvergleichlicher Stimmungsgewalt. Unten vom
Fuss der Halde an dehnt sich in schier endlose Weiten ein Meer von Schirmakazien
und Dumpalmen. Nirgends aber ist es ein geschlossener Wald. Auch in einem
Ausblick, der schräg über alle diese fernen Schirmdächer
hingleitet, sieht man jede Baumkrone und jeden Stamm gesondert und überall
dazwischen die gelben Flächen und Streifen des dürren Steppengrases.
Bis zum See, auf etwa 30 km Entfernung, und bis zum Grabenrand im Osten
gleicht das Land einem einzigen, riesigen Park. Im Spiel der aufsteigenden
Luftwirbel in der Mittagshitze wachsen die Staubtürme über die
Baumkronen hinaus zu fast unwahrscheinlichen Höhen; dann sinken sie
müde in sich zusammen und verlieren sich, vom Winde verweht, in einem
feinen Staubschleier. Oder zu Zeiten steht weit draussen über den
Schirmkronen in langer Front und fast unbeweglich die Rauchwand eines Grasbrandes.
Langsam entquellen dem Boden die dunklen Rauchballen, weiten sich in der
Höhe wie zu einem Vorhang und zerfliessen endlich in bläulichen
Duft.
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Eine Höhenwanderung von der Mission aus am Plateaurand taleinwärts
führt mitten in das Gewirr der eben neu entstehenden Seitengerinne;
es ist, als ob das Plateau sich einen Fransensaum schaffte. Folgt man der
ein- und ausspringenden Kante, um den Tiefblick auf die Steilwände
des Songwetales nicht zu verlieren, so gerät man häufig auf halbinselartig
abgesonderte Teilfelder; oder ein schmaler Isthmus leitet auf eine Tafel
hinüber, die von den Erosionsrissen schon nahezu umstrickt ist: ein
weiteres Vorrücken der Grabenendigungen, und es wird eine Inselfläche
aus diesem Fiederornament von Schluchten herausgelöst sein. Tiefer
in der Hochebene drinnen, unter den plumpen Baobabs der lichten Baumsteppe,
sieht man es noch nicht, dass bedrohend nahe die Wucherung der verzweigten
Gräben vom Cañon her im Plateau weiter um sich greift. Die
Furchen sind mit grösster Schärfe eingerissen, wie mit einem
Messer in die jetzt zur Trockenzeit brettharte Erde eingeschnitten. Im
Filigranwerk von Rippen und Rillen (Tafel 1) liegt der Charakter der bad
lands, wie überall in den halbariden Gebieten der Erde. Da schützt
nicht die dichte und einheitliche Pflanzenbedeckung feuchter Landstriche
den Boden. So schaffen denn die Gerinne der Regenzeit jene schmalen scharfen
Furchen und Lamellen, die unter der grellen Sonne im Spiel von Licht und
Schatten eine Formenwelt eigener Art und von verwirrender Pracht gestalten.
Wir haben diese zerscharteten Böden in Ostafrika immer wieder getroffen,
am schönsten wohl in Mittel-Tanganjika bei Kondoa-Irangi. Im blendenden
Tageslicht sind sie eine verzauberte Welt, mit den grellweissen Gratschneiden
und den dunkeln Schattenfurchen eine wuchernde Fülle von einem unerhörtem
Reichtum der Gestalten (Tafel II). Dem nüchtern urteilenden Volkswirtschafter
will das Bild nicht so reizvoll und anmutig vorkommen. Er sieht darin vor
allem den Vorgang einer. fortschreitenden Bodenzerstörung, die ihn
mit schwerer Sorge für die Zukunft des Landes belastet. Hier am Tal
des Songwe hat die Wucherung der Wasserfurchen noch keine grosse Ausdehnung
gewonnen. Sie umkränzen erst als schmaler Fransensaum das Steilbord
und die Seitenschluchten. Was heute noch ein zierliches Spiel von Formen
ist, wird aber um sich greifen und in eine unheilbare Zerschartung des
gesamten kulturfähigen Bodens ausmünden.
An den Steilwänden des Songwetales kann man die Sedimentbänke
des alten Rukwasees weithin in ungestörter Lage verfolgen. Die hellfarben
bunten Streifen der Schichtstufen und -gesimse, die Pfeiler, Türme
und Erosionskessel zeichnen eine Architektur der Landschaft, wie man sie
in sehr viel grösserem Maßstabe vom Grossen Cañon am
Colorado kennt. Hier am Songwe leben die kühnen Gestalten im mürben
Boden ein recht vergängliches Dasein. Abbrüche an der Steilwand
boten jetzt in der trockenen Zeit ein packendes Schauspiel. Die Trümmermassen
zerfielen im Sturze in Sand und Staub. Eine weisse Wolke quoll aus dem
Tal herauf, verhüllte die Wand und den Abbruch und wurde erst allmählich
vom Winde seitwärts verweht. Noch lange flossen die abgelösten
Massen wie ein Wasserfall von Stufe zu Stufe; es war ein Bild, wie man
es im Hochgebirge sieht, wenn nach dem Absturz der Staublawinen lange noch
eine Kaskade von Pulverschnee durch die Runse zur Tiefe strömt.
Eine Kletterei am Schichtenprofil der Steilwand ergab, dass alle Horizonte
einen erstaunlichen Reichtum von Muscheln enthalten. Stellenweise bestehen
die Sedimente aus kompakten Muschelbänken. In allen Schichten sieht
man auch klar die feine Blätterung, wie sie einst aus dem sukzessiven
Absatz von Schlamm auf dem Seegrund entstanden ist.
Der Gesamteindruck des Songwetales spricht für die Jugendlichkeit
des Einschnittes; das Absinken des Beckenbodens an der Stufe von Galula,
das erst diesen Flusscañon überhaupt entstehen liess, gehört
zu den jüngsten Ereignissen in der Rukwadepression. Vom Songwetal
her hat die Zerfransung des Plateaurandes eingesetzt. Sie wird verzögert
durch den Umstand, dass in den Trockenmonaten die Erosion ruht. Anderseits
bietet der mürbe Boden nur geringen Widerstand, und jede Regenzeit
treibt die Enden der Wasserfurchen ein merkliches Stück landeinwärts.
Weil der Block den Skulpturvorgängen nur geringen Widerstand leistet,
wird in relativ kurzer Zeit die Plateaufläche tief zerschnitten sein,
während doch, in absoluter Zeitrechnung beurteilt, die Landschaft
noch ganz jung ist. Hätte sich der Einschnitt
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des Songwe bei Galula in widerständigem Untergrund, z. B. in anstehendem
kristallinem Fels, vollziehen müssen, so stünde noch alles in
den Anfängen; der Block wäre noch kaum gekerbt. In den wenig
verfestigten Sedimenten, den alten Sand-, Schlamm- und Muschelbänken
aber arbeitet die Tiefenerosion unvergleichlich rascher als drüben
an der Bruchstufe des Rukwagrabens in den alten Gneisen. Und doch ist ja
die Steilwand am Grabenrand älter als die Steilwand im Songwe-Canon:
Zuerst sank der Graben ein. Der grosse Rukwasee der Pluvialzeit erfüllte
die Depression. Es bildeten sich in langer Zeit der Sedimentation die horizontalen
Bänke, die heute im Flusstal sichtbar sind. Dann sank ein Teil des
Beckenbodens und liess die kleine Stufe von Galula zurück; unterdessen
war auch der See zum heutigen Stand ein-' geschrumpft. Der Songwe schnitt
den Cañon im selben Zeitraum in das Galula-Plateau ein, wie am Ausgang
des Tales die zentrale Ebene in die Tiefe ging. So reich seine Steilwände
und die Plateauränder schon umgestaltet wurden: im weiten Umkreis
sind sie die jüngst entstandenen Formen. Es ist ganz aufschlussreich,
die bis heute geleistete Skulpturarbeit am Plateau von Galula mit der viel
geringeren an der Bruchstufe im Fels des Grabenrandes zu vergleichen. An
den beiden Plateaurändern bestätigt sich wieder die elementare
Einsicht, dass das morphologische Entwicklungsstadium einer Landschaft
(Jugend - Reife - Alter) nicht einfach Funktion des absoluten Alters ist.
Das Plateau von Galula und sein feingegliederter Rand geben ausgezeichnete
Einblicke in die Dynamik der Erosionsvorgänge. Wie in einer besonders
betriebsamen Werkstätte der Natur glaubt man der Ausgestaltung mit
den Blicken folgen zu können. Zum besonderen Genusse müsste es
werden, wenn man den Songweeinschnitt und seine Flankenornamentik vom Flugzeug
aus überschauen könnte, aus niedriger Höhe und bei schräg
einfallendem Sonnenlicht, im lebendigen Spiel von Licht und Schatten. Solche
Aufnahmen im selben Stil der Formen mit dem wie Filigran anmutenden Reichtum
in der Terrassenzergliederung vom Hauptflusse her schufen zum erstenmal
die Erkundungsflüge des Weltkrieges im Jordantal und in den Tälern
des Sinai (5). Hier aber am Rukwasee gibt es solche, morphologische Prunkstücke
von Luftbildaufnahmen heute noch nicht. Wohl zieht jede Woche das Kursflugzeug
Kap-Kairo 50 km im Osten, über Mbeya, vorbei; für Aufnahmen so
weit abseits von seinem Kurs kann es natürlich nicht wohl eingesetzt
werden. Wenn man bedenkt, wie schön und instruktiv zugleich die Einblicke
in Tektonik und Skulptur des Rukwagrabens aus der Höhe sein müssten,
so erwachen die Wünsche nach hundert weitern landschaftlichen Motiven
Ostafrikas in Luftbildaufnahmen:
Die Stufen der Gräben und der Staffelverwerfungen, die erst in
einem Überblick aus der Luft die ganze Grösse der Zertrümmerung
in der Erdkruste offenbaren; die Landschaft der Riesenkrater im Norden,
vom Oldeani und Ngorongoro zum Oldonio l'Engai; die Vulkanregion des Hanang
mit der Mondlandschaft der kleinen Krater in seiner Umgebung; Meru und
Kilimandjaro; die schmalen, vielgewundenen Bänder der Galeriewälder
und die punktartig zerstreuten Siedelungen inmitten der endlosen Steppe;
die Inselberglandschaften der ostafrikanischen Rumpffläche; das Ineinandergreifen
von Wasser und Land an der Buchtenküste im Südteil des Viktoriasees,
und hundert andere, unerschöpflich reiche Motive. Klare Bilder werden
in der langen Schönwetterperiode immer eine Ausnahme bleiben; dann
ist die Luft von Dunst, Staub und dem Rauch der Grasbrände getrübt.
Die Aufnahmen müssten in der Regenzeit erfolgen, in den kurzen Aufhellungen,
wenn die Luft vom letzten Guss rein gewaschen ist und eine fast grenzenlose
Fernsicht bietet.
...
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Wild und Wildschutz.
Kurze Zeit nach dem Aufenthalt am Rukwasee erfuhr ich, dass der reichen
Tierwelt jener Landschaft Heil widerfahren ist. Der Gouverneur des Mandatgebietes
Tanganjika bestimmte am Anfang des Jahres 1933 den See und seine Umgebung
zum Wildreservat; in einem 5 Meilen breiten Uferstreifen ist nun jede Art
von Jagd und ist auch das Photographieren von wild-lebenden Tieren untersagt;
ausnahmsweise kann die Behörde zu besonderen Zwecken einen Abschuss
bewilligen (17). Wer einmal jenes Tierparadies sah, freut sich über
die Kunde von der Schaffung des Rukwa-Reservates; sie bedeutet eine grosse
Beruhigung und Genugtuung. Was immer drohend, früher oder später
einmal fast unabwendbar vor Augen stand, eine Massenschlächterei in
diesem friedlichen Tiergarten, ist jetzt glücklich abgewendet. Die
sympathische Verfügung des Gouverneurs lenkt den Blick auf den ostafrikanischen
Wildschutz und seine Vorkehren überhaupt.
Von der freien Jagd, wie sie einst in den endlosen Weiten Ostafrikas
selbstverständlich war, kann heute nicht mehr die Rede sein. Der Staat
hat sich ihrer angenommen, und auf jeden Fall ist eine "licence" erforderlich.
Das ist eine fiskalische Massnahme; aber voran steht ohne Zweifel der Gedanke
des Wildschutzes. Für jede Kategorie von Jagdbewilligung (grosser
oder kleiner Schein; für Ansässige oder für fremde Besucher)
ist die Art und Zahl der Tiere, die der Inhaber schiessen darf, festgesetzt.
Die Bestimmungen darüber ändern häufig und sind auch von
Provinz zu Provinz manchmal verschieden. Sie richten sich im allgemeinen
danach, ob eine Wildart in grosser Zahl auftritt, oder ob sie seltener
geworden ist und den Schutz durch einschränkende Vorschriften erheischt.
Für den Laien ist es nicht leicht, sich im Dickicht der gerade gültigen
Bestimmungen und der Ausnahmen zurechtzufinden. Um eine Idee von dem Inhalt
solcher Massnahmen zu gewinnen, sei beliebig ein Erlass aus neuester Zeit
aus dem ganzen Vorrat ausgewählt: Es besagt z. B. eine Abänderung
der Jagdverordnung durch den Gouverneur vom Februar 1934 unter anderem,
dass in der Zentral-, der Iringa-, der Seen-, der Nord- und der Tangaprovinz
erlegt werden dürfen: auf den grossen Jagdschein bis 6 Löwen,
4 Leoparden, 2 Geparde; auf den kleinen Jagdschein bis 2 Löwen, 2
Leoparden, 1 Gepard. Der Jagdschein gilt für die Dauer eines Jahres.
Die Gebühren sind recht ansehnlich; kommen dazu die Auslagen für
eine besondere Jagdexpedition, so wird daraus eine kostspielige Angelegenheit.
In der weiten Wildnis draussen kommt der Jäger im Eifer leicht in
Versuchung, dass er sich nicht so genau an die Einschränkungen seines
Jagdscheines hält, vor allem dann, wenn er auf einen reichen Wildbestand
stösst. Aber häufig ist eine geheime Kontrolle am Werk. Die schwarzen
Boys, die Gehilfen des Weissen, wissen recht gut Bescheid um das, was in
der "licence" steht Trübt sich einmal während der Jagd ihr Verhältnis
zum weissen Bwana, so findet nachher die Kunde von einer Übertretung
der Vorschriften leicht den Weg zu einer amtlichen Stelle. Für die
grossen Jagdtiere, wie Elefant, Nashorn, wird die im Jagdschein zugestandene
Zahl wohl meistens innegehalten; nicht so gewiss ist das für das kleine
Wild. Aber
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Massenschlächtereien, wie sie noch vor dem grossen Kriege durch
einzelne Jagdpartien inszeniert wurden, können heute bei der scharfen
Kontrolle als fast ausgeschlossen gelten. Zwar sind nach dem Kriege vereinzelt
fremde Jagdgesellschaften sogar mit Maschinengewehren angerückt. Zum
Glück war die Regierung anderer Ansicht über Jagdmethoden und
setzte die Gäste prompt vor die Türe. Verboten ist
heute durchweg, das Wild vom Auto aus zu schiessen. Weidende Antilopen
und Gnus z. B., die nahe am Wege stehen, lassen sich oft durch den vorbeifahrenden
Wagen kaum beunruhigen; hält er an, so äugen sie neugierig herüber;
erst wenn jemand aussteigt, so wenden sie sich zur Flucht. Es bedeutet
wieder einen Schutz für das Wild, wenn der Abschuss aus dem Wagen
geahndet wird; er gilt als unsportlich, unanständig und hat mit Jagd,
der Methode nach, ja auch nichts zu tun.
In den oben genannten Bestimmungen für das neue Rukwa-Reservat
mag es vorerst auffallen, dass auch das Photographieren von Wild verboten
wird. Es ist das eine Schutzmassnahme, die in allen Reservaten gilt: sie
ist aus der Erfahrung heraus entstanden. Wenn ein Jäger in friedlicher
Absicht mit der Kamera an einen Elefanten oder an ein Nashorn heranschlich,
so kam es vor, dass die Tiere ihn missverstanden und zum Angriff übergingen.
Schoss er dann, so geschah es eben in Notwehr. Um nun jedem Vorwand für
den Gebrauch der Waffe vorzubeugen, wurde das Photographieren im Reservat
verboten. Die Berufung auf die Zwangslage und die Notwehr im Falle eines
Angriffs durch bösartige Tiere findet jetzt nicht mehr Gehör.
Die Administration stellt sich auf den Standpunkt: Niemand hat den Weissen
ins Reservat gerufen; kommt er doch, so tut er es auf eigene Gefahr. Der
erfahrene Afrikaner rät dem Neuling im Reservat eindringlich von jedem
Gebrauch einer Schusswaffe ab; nach einer vielleicht etwas pessimistischen
Ansicht soll der Angriff eines wütend gewordenen Tieres immer noch
den Unannehmlichkeiten der Untersuchung nach einem verbotenen Abschuss
vorzuziehen sein. - Besucher des Landes müssen bei der Abreise den
Zollbehörden mitgeführte Jagdtrophäen vorweisen. Neuerdings
unterstehen auch im Lande gefilmte Kinoaufnahmen einer Kontrolle und Beurteilung,
bevor sie den Zoll passieren können. Es ist im besondern von amerikanischen
Filmgesellschaften mit fast unbeschränkten Geldmitteln so viel Unfug
mit exotischen Menschen- und Tierszenen produziert worden, dass die Verwaltung
des Landes solch unerwünschten Export zu überwachen begann. Man
will mit dieser Aufsicht verhindern, dass die Wildherden ohne Not beunruhigt
werden; und es sollen Leben und Landschaft von Ostafrika nicht mehr dem
ständigen Missbrauch für einen manchmal recht einfältigen
Kitsch ausgeliefert sein. Wie ernsthaft man für die wildlebenden Tiere
besorgt ist, kann man zuweilen auch aus einfachen Zeitungsmeldungen über
neue Massnahmen ersehen; so liest man, dass seit Januar 1933 die Einfuhr
aller Arten aus Metall bestehender Fallen, die dem Fangen oder Töten
jagdbaren Wildes dienen, in das Mandatgebiet Tanganjika verboten ist. So
bunt auch der Aspekt all dieser Massnahmen erscheinen mag, sie bezeugen
den entschiedenen Willen, das Wild des Landes zu schützen.
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In Afrika geht der Gedanke des Wildschutzes in den ersten Anfängen
schon auf das 17. Jahrhundert zurück. Damals trafen die Holländer
in der Kapkolonie die ersten Vorkehren, um beispielsweise die Flusspferde
vor der rücksichtslosen Jagd und vor der Vernichtung zu sichern. Anderseits
waren damals die Löwen im Kapland für die Herden eine so grosse
Gefahr, dass am Ende jenes Jahrhunderts auf sie eine hohe Abschussprämie
gesetzt wurde. Seit jener Fürsorge für die Flusspferde hat der
Gedanke des Wildschutzes bis zur Gegenwart immer wieder zu neuen Vorkehren
Anlass gegeben, wenn auch bei den Schwierigkeiten der Überwachung
der Erfolg meist stark hinter den guten Absichten zurückblieb.
Die Reservate sind häufig in den endlosen Steppen im Terrain nicht
genau abgegrenzt. So kann es geschehen, dass man schon tief in ein Reservat
eingedrungen ist, ohne darüber sicher Bescheid zu wissen. Ich erinnere
mich aus der langen Reise in Tanganjika nur an zwei Stellen, da am Weg
der Beginn eines Schonbezirkes markiert war. Im übrigen bleibt alles
der Aufmerksamkeit des Besuchers überlassen. Einige der Reservate
bieten allen Tieren Schutz; sie gleichen einem riesigen Tierpark, wo der
Weisse mit dem Gewehr keinen Zutritt haben soll. Zwischen dem Viktoriasee
und dem Kilimandjaro steht in der Vulkanlandschaft des Oldeani der Riesenkrater
Ngorongoro, wohl der grösste der Welt, hat doch der runde Kraterboden
einen Durchmesser von rund 22 km. Er ist zum Schutzgebiet erklärt.
Vom Kraterrand aus, 4-500 m über der Ebene des Kraterbodens, sieht
man in prachtvollem Überblick in einen einzigartigen Tiergarten, ein
eigentliches Wildparadies hinab. Der Raum ist so gross, dass man die fernstehenden
Wildherden nur mit dem Feldstecher beobachten kann. Da weiden Scharen von
Gnus, von weitem anzusehen wie eine Ansammlung dunkler Punkte auf der hellen
Grasfläche, friedlich neben den Rinderherden der Massais. Ein Rudel
von Zebras taucht auf; als Kavalkade fegen sie in langem, schwungvollem
Galopp über die Steppe dahin und ziehen eine mächtige Staubwolke
hinter sich her; lange noch bleibt sie unbeweglich in der Luft stehen,
wenn die Tiere schon verschwunden sind. Da und dort eine Gruppe von Antilopen.
Ihre Farbe stimmt fast völlig mit der des dürren Weidebodens
überein, und man hat zuerst auch mit dem Fernglas Mühe, sie aufzufinden;
sobald sie sich bewegen, sieht man sie mit Leichtigkeit, dann besonders,
wenn sie vom Raubwild aufgescheucht davonstieben. Bevor wir in das Land
der Riesenkrater kamen, hatten wir uns auf dem Bezirksamt Mbulu um die
Erlaubnis zum Betreten der Reservation umgetan. In Abwesenheit des Distriktoffiziers
gab der Stellvertreter einstweilen mündlich die Zustimmung mit der
üblichen Reihe von Einschränkungen: Der Aufenthalt wird nur auf
dem Rand des Kraters, nicht im Kraterboden, dem Tummelplatz des Wildes,
erlaubt (- obgleich er rund 300 km² umfasst -); das Photographieren
von Wild ist untersagt; nur Landschaftsphotographien sind zulässig;
selbstverständlich bleibt der Gebrauch der Gewehre verboten. Einige
Tage nach dem Besuch auf dem Bezirksamt erreichte uns am Fusse des Ngorongoro
ein Askan. Er war die 80 km Entfernung durchmarschiert, um uns nachträglich
noch die schriftliche Bewilligung des Beamten zu überreichen, im Wortlaut:
"Permission is hereby granted to ... , to take photographs of Ngorongoro
Crater for geological purposes from the crater rim." Neben den Totalreservaten
gibt es Bezirke, wo nur eine besondere Tierart offiziellen Schutz geniesst.
So ist der kleine Basotosee in Mittel-Tanganjika, westlich vom Hanang,
ein Flusspferdreservat. In Abweichung vom offiziellen Namen, wie ihn auch
die Karte führt, heisst es darum durchweg "Hippo Lake". Der tropische
Regenwald am Abhang des Meru ist speziell als Schutzgebiet für das
Nashorn bestimmt. Gegenüber am Kilimandjaro dient die Waldzone rund
um die tiefern Partien der Berggruppe den Elefanten als Refugium. In beiden
Regionen hat der offizielle Schutz einer bemerkenswerten Dreistigkeit und
Unbekümmertheit der Tiere Vorschub geleistet. Wenn es die Elefanten
in den Bananenhainen und Kaffeegärten der Wadschagga am Kilimandjaro
zu arg treiben und die Eingebornen Klage führen, so wird etwa einmal
durch die Regierung ein Beamter delegiert, der eines oder einige, der Tiere
im besondern Auftrag erlegen muss. Im Gegensatz zu diesen Schutzbezirken
für besondere Tierarten ist das Land am Rukwasee zum Totalreservat
bestimmt worden. Alle Schutzbezirke in Tangan-
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jika werden durch Erlass der Mandatsregierung geschaffen; heute sind
es 11. Sie haben einen recht wandelbaren Charakter, da sie erweitert, verlegt,
in ihrer Begrenzung neu umschrieben und auch wieder aufgehoben werden können.
Nach den wechselnden Wildverhältnissen und den augenblicklichen Notwendigkeiten
ist mit Verschiebungen immer zu rechnen. Es ist demnach wohl verständlich,
dass ein Bezirkschef bisweilen nur mit Mühe über Ausdehnung und
besondere Bestimmungen der Reservate in entfernten Teilen des Mandatgebietes
zuverlässige Auskünfte erteilen kann.
Anders liegen die Verhältnisse bei einem Nationalpark. Er wird
durch einen Akt des englischen Parlaments geschaffen und zwar als d au
er n der Schonbezirk für die Tiere und für die Landschaft. Als
Musterbeispiele auf afrikanischem Boden gelten der Krüger-National-park
in Transvaal und der Albert-Nationalpark in Nordost-Kongo.
Heute geht man mit dem Plan um, in Tanganjika allein drei solcher Parks
zu schaffen. Für den einen ist die Serengehsteppe ausersehen östlich
des Viktoriasees, ein berühmtes Wildparadies. Heute schon ist die
Serengeti ein Reservat, wenn auch mit ungenügenden Schutzbestimmungen.
Entsteht einmal daraus der Nationalpark, so soll ihm der Wildschutzbezirk
des Ngorongorokraters angeschlossen werden. Dieser künftige, nach
dem Wildbestand wohl grossartigste Nationalpark der Welt, kann von Arusha,
dem Endpunkt der Tangabahn, oder auch von der Nordbahn Mombasa-Viktoriasee
leicht erreicht werden. An Gnus und Antilopen, aber auch an Löwen
und Leoparden ist die Serengeti ungemein reich, am ehesten wohl mit dem
Rukwaland zu vergleichen. Die vielen Filmszenen aus unseren Tagen mit dem
Motiv des Tierlebens in der offenen afrikanischen Steppe sind vorzugsweise
in der Serengeti aufgenommen worden.
Zwischen dem Ruaha und dem Rufiji in Tanganjika ist ein zweiter, kleinerer
Nationalpark geplant. Er wird den dort zahlreichen Elefanten ein umso besseres
und friedliches Refugium bieten, als diese Gegend nicht so leicht zugänglich
ist wie die Serengetisteppe. Für die Bezeichnung als einem "kleinen"
Schongebiet holt man besser nicht Schweizer Maßstäbe heran.
Denn gegenüber unserem Nationalpark am Ofenberg wird der am Ruaha
immerhin der Grösse von ganz Graubünden gleichkommen. Als dritter
Nationalpark ist die Hochregion des Kilimandjaro ausersehen. Der gewaltige
vulkanische Aufbau steigt gleich einer Insel aus der Steppen-ebene empor,
mit einer ungefähr elliptischen Basis von 90 auf 60 km. Die Fussregion
und der erste Anstieg im Südosten sind dicht bewohnt und von Pflanzungen
der Weissen und der Eingebornen besetzt. Diese Kulturlandschaft kann natürlich
nicht in das Schutzgebiet einbezogen werden. Es würden der Gürtel
des Urwaldes, bisher schon Elefanten-Reservat, die Hochsteppen zum Sattelplateau
hinauf und die Gipfel Mawenzi und Kibo mit dem höchsten Punkt Afrikas
zum neuen Nationalpark gehören. Im sichern Schutz des Waldgürtels
liegt übrigens auch eine Garantie für eine dauernde Wasserspeicherung,
und diese kommt wieder den Bewässerungsanlagen am Bergfuss, von den
Wadschaggas als "bisses" in Walliser Art erbaut, zugute. So geht der Segen
vom Berg noch weit in die Steppe hinaus; der Schutz des Urwaldes in einem
Nationalpark wird gerade für die Kulturzone am Bergfuss von hoher
wirtschaftlicher Bedeutung sein. Anderseits ist es von der Idee des Naturschutzes
aus eine glückliche Fügung, wenn noch recht frühzeitig die
Hochgebirgspracht des Kilimandjaro einer sonst unvermeidlichen Industrialisierung
entzogen werden kann, und wenn die unbeschreibliche Grösse und feierliche
Ruhe des Kibo und des Mawensi frei von Verunstaltungen noch spätesten
Zeiten erhalten bleibt. In solchem Gefühl des Dankes wenden wir uns
in der Erinnerung zurück zum Rukwasee, und es steht vor uns die Frage,
ob nicht gerade hier zum dauernden Schutz des seltsamen Landschaftsbildes
und der reichen Tierwelt ein Nationalpark geschaffen werden müsste.
Im grossen Grabeneinbruch, in den Sturzbächen, die in der Regenzeit
über die Grabenwand zur Tiefe schäumen, und im schrumpfenden
See als Dokument einer erdgeschichtlich weit gespannten Klimaveränderung
haben wir ein kostbares Schaustück der eigenartigen, afrikanischen
Landschaftsgestaltung. Und doch würde hier die Gründung eines
Nationalparkes
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ernsthaften Schwierigkeiten begegnen und mit unerwünschten Konzessionen
behaftet sein. Im Osten des Sees, gerade über der Grabenwand, stehen
goldhaltige Quarzgänge an, die der Ausbeute harren; wir stehen hier
am Rande des Lupagoldfeldes. Am Fusse der Grabenwand ist in den Deltaböden
und in den Schwemmkegeln Alluvialgold vermutlich in einer Anreicherung
vorhanden, die eine lohnende Ausbeute verspricht. Die fieberhafte Unruhe
und der Lärm moderner Goldgewinnungsanlagen werden vielleicht schon
bald am Ostufer des Rukwa ihren Einzug halten. Diese Landschaft müsste
aus einem Nationalpark von vorneherein ausscheiden. Verhindern lässt
sich eine künftige Goldausbeute am Grabenrand zugunsten von anders
lautenden Wünschen natürlich auf keinen Fall; niemand denkt übrigens
an eine solche Lösung; Gold war immer noch stärker als ethische
Regungen.
Der Wildschutz in Reservaten bedeutet in Ostafrika keineswegs nur eine
Organisation, die wie in einer Desperadostimmung geschaffen wurde, um die
letzten Vertreter fast ausgerotteter Tierarten zu retten. Es ist nicht
ein Experiment in elfter Stunde, das die Frage in der Schwebe lässt,
ob es glückt oder nicht. Dank den Schonmassnahmen, die im Mandatsgebiet
einst unter deutscher Verwaltung und seit dem Kriegsende von den Engländern
durchgeführt worden sind, darf man die Gewissheit haben, dass die
heute noch reichen Bestände an Wild erhalten bleiben.
Man erinnert sich, wie vor Jahrzehnten der Gedanke des Weltnaturschutzes
seinen stärksten Antrieb aus der Befürchtung erhielt, es müssten
durch den rücksichtslosen Vernichtungswillen des Menschen die wild
lebenden Tiere allmählich aufgerieben und eine Reihe besonders markanter
und bedrohter Gestalten gänzlich ausgerottet werden. Seither ist es
um den all-umfassenden Naturschutz als zwischenstaatliche Organisation
wieder still geworden. ,Aber die Frage bleibt lebendig wie zuvor: Nehmen
die Wildherden in beunruhigender Weise an Zahl ab, und muss in absehbarer
Zeit mit ihrem völligen Verschwinden gerechnet werden? Stehen, nur
der afrikanische Lebensraum berücksichtigt, Löwe, Nashorn, Elefant,
Büffel nahe vor ihrem Untergang? Wer zum erstenmal und ohne Landeskenntnis
die Weiten der innerafrikanischen Steppen durchmisst und gespannt den ersten
Begegnungen mit den Tieren auf freier Wildbahn entgegensieht, wird je nach
Ort und Jahreszeit ganz widersprechende Eindrücke erleben. Weite offene
Landschaften, die man als wahren Wildpark preisen hörte, sind völlig
verlassen, wie ausgestorben. Die Wildherden sind fortgezogen, der grünen
Weide und den Wasserstellen nach, und mit ihnen hat auch das Raubwild die
Wanderung angetreten. Wenn auf den alten Karawanenpfaden erst vor Tagen
noch Vieh aus dem Landesinnern an die Küste getrieben wurde, so ist
sicher längs der ganzen Strecke alles Wild verschwunden; es hat sich
vor dem Getümmel und vor den lärmenden Viehtreibern weit abseits
in den Busch verzogen. Der unerfahrene Besucher kommt dann leicht zur Überzeugung,
mit dem einstigen Wildreichtum sei es in Afrika zu Ende. Und wenig später
steht er in einer Landschaft, wo fast unübersehbare Scharen von Wild
ihn glauben machen könnten, er sei in einen Tiergarten eingetreten.
Alte Afrikaner, die vor einem Menschenalter die noch unberührte
Wildnis durchstreiften, wissen am besten, wie vieles sich hier geändert
hat. In einer Gesamtübersicht betrachtet, ist unbestreitbar der Wildreichtum
stark zurückgegangen; man ist versucht, gegenüber der einstigen
Verbreitung der wildlebenden Tiere in den Herden von heute nur noch Restbestände
zu sehen. Gegenüber jenem Pessimismus aber, der die völlige Vernichtung
der bekanntesten Tierarten Afrikas schon in einer nahen Zukunft befürchtet,
kann an dein Beispiel der Elefanten gezeigt werden, wie grosse Übertreibungen
hier mit im Spiele sind. Wohl sind sie in Südafrika fast ausgerottet.
Aber nördlich des Sambesi tummeln sich noch grosse Scharen, und ihre
Zahl nimmt sichtlich wieder zu. In ganz Ostafrika, am Kongo, Bahr-el-Ghazai
und am Weissen Nil, am Sobat und auch in Abessinien sind sie heute noch
zahlreich. Man hat Schätzungen der Kopfzahl versucht. Im Dickicht
des tropischen Regenwaldes geht das kaum, eher schon in der offenen Gras-
und Baumsteppe. So werden, mit allem Vorbehalt, die heute in Uganda lebenden
Elefanten auf 20,000, die in Tanganjika auf 40,000 Stück geschätzt;
aber beide Pro-
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vinzen sind nur ein kleiner Teil des gesamten Verbreitungsgebietes.
Auf dem Aussterbeetat stehen sie jedenfalls nicht.. In Reservaten wird
ihnen ein besonderer Schutz zuteil; einschränkende Bestimmungen im
Jagdschein, hohe Extragebühren an den Staat für jedes erlegte
Tier und der andauernd niedrige Preis des Elfenbeins in den letzten Jahren
sind überdies geeignet, den Eifer der Elefantenjäger zu mässigen.
- Auch der Löwe kann keineswegs als bedroht gelten. Überall,
wo reiche Wildherden stehen, ist auch er dabei, in der Serengeti, am Ngorongoro,
am Rukwa, in der Steppe zwischen Meru und Kilimandjaro; 1932 nahmen hier
die Löwen so überhand, dass die "Strasse" zwischen den beiden
Hauptstädten des Nordens, Moshi und Arusha, einige Zeit unpassierbar
war und bewegliche Klagen an die Mandatsregierung gerichtet wurden. - Im
Krüger-Nationalpark in Südafrika schätzt man die Zahl der
Löwen auf weit über tausend. Das alles spricht noch nicht für
einen bevorstehenden Untergang.
Wenn ganz allgemein genommen der Wildreichtum längst nicht mehr
derselbe ist, wie noch vor einem Menschenalter, gewisse Landschaften gar
völlig verarmt erscheinen, so liegt der Hauptgrund dafür im Vordringen
des Europäers. Vor seinen Waffen und vor der Unruhe, die sein Wohnen
und Wirtschaften in die unberührte Landschaft hineinträgt, räumen
die Tiere das Feld. So war noch vor einigen Jahrzehnten nordöstlich
vom Viktoriasee das Uasiu GishuPlateau ein Wildparadies und bevorzugtes
Jagdgebiet. Heute wächst dort die Stadt Eldoret heran, und ringsum
ist die Steppe in weiter Streu mit Pflanzungen und Europäersiedlungen
besetzt; das Wild ist aus dieser Gegend fast völlig verschwunden.
Dieses eine Beispiel mag für hundert andere gelten; überall war
und ist es die selbe Entwicklung der Dinge. Von der eingebornen Bevölkerung
geht bei weitem nicht die selbe verhängnisvolle Wirkung aus. Neger
und Wild können sehr wohl nebeneinander bestehen. Beide sind ein Stück
angestammter Natur, und beide verbinden sich im Besitz ihres Bodens zu
einer Bioharmonie, die erst der Weisse gründlich stört. - Soweit
die englische Verwaltung reicht, darf der Neger kein Gewehr benutzen, und
eine scharfe Waffenkontrolle an den Hafenplätzen und im Landesinnern
sorgt dafür, dass dieser Grundsatz nicht bloss auf dem Papier steht.
Im Vergleich zum Europäer ist der Neger erstaunlich geschickt in mannigfachen
Hantierungen, wie auch im Gebrauch seiner selbstgefertigten Waffen. Und
so gelingt es ihm mit grösserem oder geringerem Aufwand von Zeit und
List immer wieder, mit dem Bogen, dem Speer oder mit den Tierfallen eine
Jagdbeute heimzubringen; aber dem Gesamttierbestand kann er damit kaum
gefährlich werden. Vor allem sind seine Waffen nicht zum Massenmord
unter dem Wild geeignet, den so oft die Weissen - und nicht nur auf afrikanischer
Erde - sich haben zuschulden kommen lassen.
Im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts richtete die Rinderpest
unter einem Teil des Wildes gewaltige Verheerungen an. Die Seuche begann
in Nordafrika und zog in zehn Jahren durch den ganzen Erdteil bis ins Kapland.
Sie war ein schwerer Schlag für die viehzüchtenden Massais. Ihr
Reichtum sind die Herden. Man schätzt, dass 90 % der Rinder damals
zugrunde gingen. Unter den wildlebenden Tieren wurden vor allem die Antilopen,
die Büffel und die Giraffen dezimiert; Elen-Antilopen und Kudu waren
für die Ansteckung besonders empfänglich. Augenzeugen aus jener
Zeit berichten, wie in den Flüssen Ostafrikas die Büffelkadaver
in grosser Zahl dahintrieben und die Ufer verpesteten. In einigen Landstrichen
wurden durch die Seuche die Büffelherden fast völlig vernichtet.
Drei Jahrzehnte haben seither die Lücken wieder ausgefüllt. Heute
trifft man die Büffel wieder in Herden von Hunderten an, nicht selten
in solcher Zahl und Zudringlichkeit, dass sich der europäische Siedler
der Verwüstungen in den Plantagen erwehren muss. Und wie die Büffel,
so haben auch andere vom Seuchenzug geschwächte Wildbestände
jenen Zusammenbruch heute spurlos überwunden. Wenn jetzt gegenüber
dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein Rückschritt im Tierreichtum auf
freier Wildbahn unverkennbar ist, so kann die Ursache dafür nicht
in jenem verheerenden Zug der Rinderpest gesucht werden. Im gesamten Naturgeschehen
war sie eben doch nicht mehr als eine Episode. So unerhört heftig
sie auch, gleich einem Keulenschlag, das Leben bedrohte -heute ist die
Wunde im Gesamtorganismus wieder geschlossen. Die Verarmung in den Wild-
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beständen hat der Weisse verschuldet. Im selben Masse, wie Bodennutzung,
Besiedelung und Weganlagen tiefer in den Kontinent hineingreifen, weicht
das Wild aus seinem gewohnten Lebensbereich zurück in jene Wildnis,
die heute noch vom Weissen selten betreten wird. Zum Glück gibt es
immer noch ungeheuer weite Flächen, die vom Weissen nicht bewohnt
und kaum je aufgesucht, den Tieren eine Zuflucht bieten.
Am Rukwasee haben wir die stärksten Eindrücke von Art und
Treiben der wild lebenden Tiere gewonnen. Dort ist uns in einer grossen
und fremden Landschaft in steter Berührung mit dem fast zutraulich
sorglosen Wild eine versunkene, märchenhaft anmutende Welt für
Augenblicke Wirklichkeit geworden.