Neujahrsblatt der NGZH Nr. 139 auf das Jahr 1937; 24S. mit 12 Fig.und einer Falt-Tafel (Format des Hefts: 21 x 29 cm)
Tafel der Sonnen- und Mondfinsternisse, der Neu- und Vollmonde von 1265 v. Chr. bis 2345 n. Chr. mit erläuterndem Text
von A. Steinbrüchel (Zürich)

Neujahrsblatt

herausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
auf das Jahr 1937.
139. Stück.

Tafel der Sonnen- und Mondfinsternisse,
der Neu- und Vollmonde von 1265 v.Chr. bis 2345 n.Chr., mit erläuterndem Text

von 

A. Steinbrüchel (Zürich)
VON

mit 12 Figuren im Text und 1 mehrfarbigen  Tafel.
 
 

Gebr. Fretz A.G., Zürich

 

German only

Inhalt: 
Vorwort
1. Allgemeines über die Sonnen- und Mondfinsternisse
2. Bedingungen für den Eintritt von Mondfinsternissen
3. Bedingungen für den Eintritt von Sonnenfinsternissen
4. Finsternis-Perioden
5. Erläuterung der Finsternistafel
6. Über die Grösse einer Finsternis
7. Vergleich der Tafel mit überlieferten Finsternissen und den astronomischen Jahrbüchern der Gegenwart
8. Die Genauigkeit der Finsternistafel
9. Weitere Anwendungen der Finsternistafel
  a) Die Voraussage der Finsternisse für einen bestimmten Ort
  b) Statistik der Finsternisse
  c) Bestimmung des Datums von Ostern
10. Berechnung des Eintrittes der mittleren und wahren Neu- und Vollmonde
11. Kurze Gebrauchsanweisung zur praktischen Benützung der Tafel mit Beispielen.
 

Vorwort
Vor Jahren kam mir zufällig ein unscheinbares, vergilbtes Büchlein in die Hände: J. H. Lambert, Ekliptische Tafel, Berlin 1765. Es war eine Tafel der Sonnen- und Mondfinsternisse. Die graphische Darstellung war ziemlich primitiv und auch die Genauigkeit liess zu wünschen übrig, aber die Idee war gut. Das veranlasste mich, eine solche Finsternistafel unter Benützung der heutigen astronomischen Tafeln und Jahrbücher vollständig neu zu berechnen und zu konstruieren.
Ich bin überzeugt, dass eine Finsternis- und Mondphasentafel manchem Freunde der Astronomie willkommen sein wird, dass sie ferner auch im Unterricht an höheren Schulen und Volkshochschulen gute Dienste leisten kann. Vielleicht wird sie hie und da auch von Historikern und Chronologen zur Kontrolle oder näheren Bestimmung eines geschichtlichen Datums zu Rate gezogen werden.
Der Hauptvorzug der Tafel dürfte in ihrer Anschaulichkeit, Übersichtlichkeit und leichten Handhabung liegen. Auf einen Blick überschaut man sozusagen den Mondkalender von drei Dezennien, mit allen Neu- und Vollmonden und allen Finsternissen. Mühelos kann man aber auch jedes beliebige Jahr längst vergangener Zeitepochen aufsuchen. Dabei ist die Genauigkeit der Tafel für die entlegensten Zeiten nicht geringer wie für die Gegenwart. Das hat seinen Grund darin, dass die astronomischen Erscheinungen mit einer wunderbaren Gesetzmässigkeit ablaufen. Wenn dem nicht so wäre, könnten die Astronomen eine Sonnenfinsternis nicht auf Hunderte von Jahren vorausberechnen oder das geschichtliche Datum einer solchen des griechischen oder römischen Altertums bis auf die Minute genau festlegen.
Die als «Fehler» bezeichneten Abweichungen der Tafel von der Wirklichkeit sind eigentlich nur gesetzmässig bedingte Schwankungen um die angenommenen Mittelwerte. Über die Grösse, welche diese Abweichungen erreichen können, habe ich genaue Angaben gemacht.
Die Erläuterungen und Berechnungen sind für jedermann, der mit der Elementarmathematik vertraut ist, verständlich. Wer sich für dieselben aber nicht interessiert, kann sie einfach überschlagen und nur die am Schlusse gegebene Gebrauchsanweisung benützen.
Unmögliches kann man von der Tafel natürlich nicht verlangen. Es ist z. B. aus ihr nicht ersichtlich, zu welcher Tageszeit die Finsternisse eintreten, ob sie also für einen bestimmten Ort der Erde sichtbar sind oder nicht, ob eine Sonnenfinsternis total oder ringförmig ist usw. Über alle diese Fragen können nur Spezialwerke Auskunft geben, die aber für viele Zwecke zu umständlich sind und manchmal noch Rechenarbeit erfordern.
Wenn somit die Genauigkeit der Tafel auch nur eine beschränkte ist und die Finsternisse und Mondphasen nur in erster Annäherung richtig wiedergegeben werden, so muss man sich darüber nicht wundern, sondern bedenken, dass die Tafel diese äusserst komplizierten Erscheinungen immerhin sehr anschaulich und mit einer für viele Zwecke genügenden Genauigkeit zur bildlichen Darstellung bringt.
Gegenüber der oben erwähnten Lambert'schen Tafel, die noch auf Keplers Rudolphinischen Tafeln basiert, unterscheidet sich die vorliegende durch eine grössere Genauigkeit, eine wesentlich bessere graphische Ausführung und Brauchbarkeit für das ganze Altertum von 1265 vor Chr. bis zum Jahre 2345 nach Chr.
Die Daten über die Finsternisse des Altertums und des Mittelalters habe ich dem bekannten Werke von F. K. Ginzel, Spezieller Kanon der Sonnen- und Mondfinsternisse, und verschiedenen populär-astronomischen Werken entnommen, die im Textteil erwähnt sind, da es über den Rahmen dieser Publikation hinausging, das umfangreiche klassische Werk von Oppolzer zu benützen. Zürich, Frühjahr 1936. A. Steinbrüchel

1. Allgemeines über die Sonnen und Mondfinsternisse
Zu den auffälligsten und interessantesten Himmelserscheinungen zählen unstreitig die astronomischen Finsternisse. Zu allen Zeiten haben sie auf die Menschen starken Eindruck gemacht, bei den primitiven Völkern sogar Furcht und Schrecken hervorgerufen. Für den modernen Menschen haben sie alles Wunderbare und Rätselhafte verloren, denn er weiss, dass sie mit absoluter Gewissheit eintreffen, wenn die Bedingungen dazu erfüllt sind. In jedem Kalender sind heute die Finsternisse des Jahres aufgeführt, auf die Minute genau vorausberechnet, und noch nie ist es vorgekommen, dass eine Finsternis nicht eingetroffen ist. Wenn man die Finsternisverzeichnisse verschiedener Kalenderjahrgänge miteinander vergleicht, bemerkt man, dass es Jahre gibt mit zwei, andere mit vier und noch mehr Finsternissen und man könnte wohl auf den Gedanken kommen, dass sie ziemlich regellos aufeinander folgen. Unsere Untersuchungen werden aber ergeben, dass im Ablauf dieser Himmelserscheinungen im Gegenteil eine grosse Gesetzmässigkeit herrscht.
Allgemein bekannt ist, dass eine Sonnenfinsternis nur bei Neumond eintreten kann, wenn der Mond zwischen Sonne und Erde steht und für uns unsichtbar wird, eine Mondfinsternis nur bei Vollmond, wenn sich die Erde zwischen Sonne und Mond befindet und uns dieser seine voll beleuchtete Scheibe zuwendet.
Wenn sich der Mond in der Ebene der Erdbahn, der Ekliptik, bewegen würde, müsste bei jedem Neumond eine Sonnenfinsternis und bei jedem Vollmond eine Mondfinsternis eintreten. Weil aber die Bahnebene des Mondes gegen die Ekliptik um einen Winkel von 5°9' geneigt ist, geht der Neumond zumeist über oder unter der Sonne vorbei, ohne sie zu bedecken, und der Vollmond taucht im allgemeinen nicht in den Schattenkegel ein, den die Erde hinter sich wirft, sondern beschreibt seine Bahn über oder unter demselben.
Für das Eintreten einer Finsternis muss also noch die weitere Bedingung erfüllt sein, dass sich der Mond zur Zeit eines Neu- oder Vollmondes in der Nähe der Ekliptik befindet. Zweimal im Laufe eines Monats steht der Mond in der Ebene der Ekliptik; man nennt die beiden Schnittpunkte seiner Bahn mit der Ekliptik die Knoten und ihre Verbindungslinie die Knotenlinie. Diese ist also die Schnittlinie der beiden Bahnebenen. Befindet sich der Mond südlich (unterhalb) der Ekliptik und tritt auf die Nordseite über, durchläuft er seinen aufsteigenden Knoten ; einen halben Monat später geht er von der Nordseite der Ekliptik auf die Südseite über und passiert den absteigenden Knoten.
Man kann die beiden Bedingungen auch so ausdrücken: Für das Zustandekommen einer Sonnen- oder einer Mondfinsternis muss zur Zeit des Neu- bezw. Vollmondes die Knotenlinie der Mondbahn nach der Sonne gerichtet sein.
Für die Berechnung der Finsternisse sind nun zwei Perioden von grösster Bedeutung, nämlich:
1. Der synodische Monat, das ist die Zeit zwischen zwei aufeinander folgenden Neumonden (Konjunktionen) oder Vollmonden (Oppositionen). Die Dauer dieses Monats beträgt 29,530588 Tage.
2. Der drakonitische oder Drachenmonat, das ist die Zeit zwischen zwei aufeinander folgenden Durchgängen des Mondes durch den auf- oder absteigenden Knoten. Die Dauer dieses Umlaufes beträgt 27,212219 Tage.
 
Mondknoten, Frühlingspunkt Der tropische Monat, die Umlaufszeit des Mondes in bezug auf den Frühlingspunkt (V), zählt 27,32158 Tage; er spielt hier keine Rolle und wird nur zum besseren Verständnis der ungleichen Dauer der verschiedenen Monate erwähnt. In Fig. 1 stellt E1 E2 ein Stück der Erdbahn dar, das von der Erde gerade in einem synodischen Monat zurückgelegt wird. SE1 V ist die Richtung nach dem Frühlingspunkt. Der Mond befinde sich, wenn die Erde in E1 steht, in M1; es ist also Neumond. Beim Eintritt des nächsten Neumondes in M2 hat der Mond mehr als einen vollen Umlauf zurückgelegt, bereits in M' hat er in bezug auf die Richtung nach dem unendlich fern zu denkenden Frühlingspunkt V wieder dieselbe Stellung erreicht, denn die Richtung M'E2 V ist parallel mit M1 E1 V. Der Mond muss bis zum Eintritt des Neumondes noch einen Winkel von ca. 290 zurücklegen, wozu er noch rund 2,2 Tage benötigt, da er sich täglich um ca. 13°,2 vorwärts bewegt. Das ist der Grund, weshalb der synodische Monat um ca. 2,2 Tage länger ist als der tropische. 
Die Knotenlinie der Mondbahn ändert infolge von Gravitationswirkungen langsam ihre Richtung, täglich um 0°,053, so dass sie in etwa 18,6 Jahren einen ganzen Umlauf am Himmel vollführt und zwar von Osten nach Westen, also der Bewegung des Mondes entgegengesetzt. Der drakonitische Monat ist deshalb etwas kürzer als der tropische. 
Um nun zu erfahren, in welchen Monaten Finsternisse eintreten können, müssen wir die Lage der Sonne in bezug auf die Mondknoten untersuchen. Auf ihrem jährlichen, von Westen nach Osten gerichteten scheinbaren Lauf in der Ekliptik kommt die Sonne zweimal in die Knoten der Mondbahn, nämlich einmal in den aufsteigenden und etwa ein halbes Jahr später in den absteigenden. Da sie sich nur langsam vorwärts bewegt, nur um ca. 1° täglich, so verweilt sie beidemal etwa einen Monat lang in der Nähe der Knoten. Dasselbe gilt natürlich auch von dem Schattenkegel der Erde, der dann nach dem andern Knoten gerichtet ist. Tritt nun zu diesen Zeiten Neu- oder Vollmond ein, so ist das Eintreffen von Finsternissen nicht nur möglich, sondern unter Umständen sogar gewiss, je nach dem Abstand des Neu- oder Vollmondes vom Knoten. Diese beiden Zeiten nennt man deshalb die jährlichen Finsternistermine; sie betragen für die Sonnenfinsternisse 32 und für die Mondfinsternisse 21 Tage.
Die Umlaufszeit der Sonne in bezug auf den aufsteigenden Knoten, die wir später benötigen, ergibt sich wie folgt:
tägliche Bewegung der Sonne               0°,985647
tägliche Bewegung des Knotens          -0°,052954
tägliche Bewegung der Sonne in bezug auf
den aufsteigenden Knoten des Monds 1°,038601
Dauer des Umlaufes = 360/1,0386 = 346,620 Tage.
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