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Inhalt:
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Vorwort
Vor Jahren kam mir zufällig ein unscheinbares, vergilbtes Büchlein
in die Hände: J. H. Lambert, Ekliptische Tafel, Berlin 1765. Es war
eine Tafel der Sonnen- und Mondfinsternisse. Die graphische Darstellung
war ziemlich primitiv und auch die Genauigkeit liess zu wünschen übrig,
aber die Idee war gut. Das veranlasste mich, eine solche Finsternistafel
unter Benützung der heutigen astronomischen Tafeln und Jahrbücher
vollständig neu zu berechnen und zu konstruieren.
Ich bin überzeugt, dass eine Finsternis- und Mondphasentafel manchem
Freunde der Astronomie willkommen sein wird, dass sie ferner auch im Unterricht
an höheren Schulen und Volkshochschulen gute Dienste leisten kann.
Vielleicht wird sie hie und da auch von Historikern und Chronologen zur
Kontrolle oder näheren Bestimmung eines geschichtlichen Datums zu
Rate gezogen werden.
Der Hauptvorzug der Tafel dürfte in ihrer Anschaulichkeit, Übersichtlichkeit
und leichten Handhabung liegen. Auf einen Blick überschaut man sozusagen
den Mondkalender von drei Dezennien, mit allen Neu- und Vollmonden und
allen Finsternissen. Mühelos kann man aber auch jedes beliebige Jahr
längst vergangener Zeitepochen aufsuchen. Dabei ist die Genauigkeit
der Tafel für die entlegensten Zeiten nicht geringer wie für
die Gegenwart. Das hat seinen Grund darin, dass die astronomischen Erscheinungen
mit einer wunderbaren Gesetzmässigkeit ablaufen. Wenn dem nicht so
wäre, könnten die Astronomen eine Sonnenfinsternis nicht auf
Hunderte von Jahren vorausberechnen oder das geschichtliche Datum einer
solchen des griechischen oder römischen Altertums bis auf die Minute
genau festlegen.
Die als «Fehler» bezeichneten Abweichungen der Tafel von
der Wirklichkeit sind eigentlich nur gesetzmässig bedingte Schwankungen
um die angenommenen Mittelwerte. Über die Grösse, welche diese
Abweichungen erreichen können, habe ich genaue Angaben gemacht.
Die Erläuterungen und Berechnungen sind für jedermann, der
mit der Elementarmathematik vertraut ist, verständlich. Wer sich für
dieselben aber nicht interessiert, kann sie einfach überschlagen und
nur die am Schlusse gegebene Gebrauchsanweisung benützen.
Unmögliches kann man von der Tafel natürlich nicht verlangen.
Es ist z. B. aus ihr nicht ersichtlich, zu welcher Tageszeit die Finsternisse
eintreten, ob sie also für einen bestimmten Ort der Erde sichtbar
sind oder nicht, ob eine Sonnenfinsternis total oder ringförmig ist
usw. Über alle diese Fragen können nur Spezialwerke Auskunft
geben, die aber für viele Zwecke zu umständlich sind und manchmal
noch Rechenarbeit erfordern.
Wenn somit die Genauigkeit der Tafel auch nur eine beschränkte
ist und die Finsternisse und Mondphasen nur in erster Annäherung richtig
wiedergegeben werden, so muss man sich darüber nicht wundern, sondern
bedenken, dass die Tafel diese äusserst komplizierten Erscheinungen
immerhin sehr anschaulich und mit einer für viele Zwecke genügenden
Genauigkeit zur bildlichen Darstellung bringt.
Gegenüber der oben erwähnten Lambert'schen Tafel, die noch
auf Keplers Rudolphinischen Tafeln basiert, unterscheidet sich die vorliegende
durch eine grössere Genauigkeit, eine wesentlich bessere graphische
Ausführung und Brauchbarkeit für das ganze Altertum von 1265
vor Chr. bis zum Jahre 2345 nach Chr.
Die Daten über die Finsternisse des Altertums und des Mittelalters
habe ich dem bekannten Werke von F. K. Ginzel, Spezieller Kanon der Sonnen-
und Mondfinsternisse, und verschiedenen populär-astronomischen Werken
entnommen, die im Textteil erwähnt sind, da es über den Rahmen
dieser Publikation hinausging, das umfangreiche klassische Werk von Oppolzer
zu benützen. Zürich, Frühjahr 1936. A. Steinbrüchel
1. Allgemeines über die Sonnen und Mondfinsternisse
Zu den auffälligsten und interessantesten Himmelserscheinungen
zählen unstreitig die astronomischen Finsternisse. Zu allen Zeiten
haben sie auf die Menschen starken Eindruck gemacht, bei den primitiven
Völkern sogar Furcht und Schrecken hervorgerufen. Für den modernen
Menschen haben sie alles Wunderbare und Rätselhafte verloren, denn
er weiss, dass sie mit absoluter Gewissheit eintreffen, wenn die Bedingungen
dazu erfüllt sind. In jedem Kalender sind heute die Finsternisse des
Jahres aufgeführt, auf die Minute genau vorausberechnet, und noch
nie ist es vorgekommen, dass eine Finsternis nicht eingetroffen ist. Wenn
man die Finsternisverzeichnisse verschiedener Kalenderjahrgänge miteinander
vergleicht, bemerkt man, dass es Jahre gibt mit zwei, andere mit vier und
noch mehr Finsternissen und man könnte wohl auf den Gedanken kommen,
dass sie ziemlich regellos aufeinander folgen. Unsere Untersuchungen werden
aber ergeben, dass im Ablauf dieser Himmelserscheinungen im Gegenteil eine
grosse Gesetzmässigkeit herrscht.
Allgemein bekannt ist, dass eine Sonnenfinsternis nur bei Neumond eintreten
kann, wenn der Mond zwischen Sonne und Erde steht und für uns unsichtbar
wird, eine Mondfinsternis nur bei Vollmond, wenn sich die Erde zwischen
Sonne und Mond befindet und uns dieser seine voll beleuchtete Scheibe zuwendet.
Wenn sich der Mond in der Ebene der Erdbahn, der Ekliptik, bewegen
würde, müsste bei jedem Neumond eine Sonnenfinsternis und bei
jedem Vollmond eine Mondfinsternis eintreten. Weil aber die Bahnebene des
Mondes gegen die Ekliptik um einen Winkel von 5°9' geneigt ist, geht
der Neumond zumeist über oder unter der Sonne vorbei, ohne sie zu
bedecken, und der Vollmond taucht im allgemeinen nicht in den Schattenkegel
ein, den die Erde hinter sich wirft, sondern beschreibt seine Bahn über
oder unter demselben.
Für das Eintreten einer Finsternis muss also noch die weitere
Bedingung erfüllt sein, dass sich der Mond zur Zeit eines Neu- oder
Vollmondes in der Nähe der Ekliptik befindet. Zweimal im Laufe eines
Monats steht der Mond in der Ebene der Ekliptik; man nennt die beiden Schnittpunkte
seiner Bahn mit der Ekliptik die Knoten und ihre Verbindungslinie die Knotenlinie.
Diese ist also die Schnittlinie der beiden Bahnebenen. Befindet sich der
Mond südlich (unterhalb) der Ekliptik und tritt auf die Nordseite
über, durchläuft er seinen aufsteigenden Knoten ; einen halben
Monat später geht er von der Nordseite der Ekliptik auf die Südseite
über und passiert den absteigenden Knoten.
Man kann die beiden Bedingungen auch so ausdrücken: Für das
Zustandekommen einer Sonnen- oder einer Mondfinsternis muss zur Zeit des
Neu- bezw. Vollmondes die Knotenlinie der Mondbahn nach der Sonne gerichtet
sein.
Für die Berechnung der Finsternisse sind nun zwei Perioden von
grösster Bedeutung, nämlich:
1. Der synodische Monat, das ist die Zeit zwischen zwei aufeinander
folgenden Neumonden (Konjunktionen) oder Vollmonden (Oppositionen). Die
Dauer dieses Monats beträgt 29,530588 Tage.
2. Der drakonitische oder Drachenmonat, das ist die Zeit zwischen zwei
aufeinander folgenden Durchgängen des Mondes durch den auf- oder absteigenden
Knoten. Die Dauer dieses Umlaufes beträgt 27,212219 Tage.
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Der tropische Monat, die Umlaufszeit des Mondes in bezug
auf den Frühlingspunkt (V), zählt 27,32158 Tage; er spielt hier
keine Rolle und wird nur zum besseren Verständnis der ungleichen Dauer
der verschiedenen Monate erwähnt. In Fig. 1 stellt E1 E2 ein Stück
der Erdbahn dar, das von der Erde gerade in einem synodischen Monat zurückgelegt
wird. SE1 V ist die Richtung nach dem Frühlingspunkt. Der Mond befinde
sich, wenn die Erde in E1 steht, in M1; es ist also Neumond. Beim Eintritt
des nächsten Neumondes in M2 hat der Mond mehr als einen vollen Umlauf
zurückgelegt, bereits in M' hat er in bezug auf die Richtung nach
dem unendlich fern zu denkenden Frühlingspunkt V wieder dieselbe Stellung
erreicht, denn die Richtung M'E2 V ist parallel mit M1 E1 V. Der Mond muss
bis zum Eintritt des Neumondes noch einen Winkel von ca. 290 zurücklegen,
wozu er noch rund 2,2 Tage benötigt, da er sich täglich um ca.
13°,2 vorwärts bewegt. Das ist der Grund, weshalb der synodische
Monat um ca. 2,2 Tage länger ist als der tropische. Die Knotenlinie der Mondbahn ändert infolge von Gravitationswirkungen langsam ihre Richtung, täglich um 0°,053, so dass sie in etwa 18,6 Jahren einen ganzen Umlauf am Himmel vollführt und zwar von Osten nach Westen, also der Bewegung des Mondes entgegengesetzt. Der drakonitische Monat ist deshalb etwas kürzer als der tropische. |