Neujahrsblatt der NGZH  Nr. 140 auf das Jahr 1938 40S. mit 39.Abb. (Format des Hefts: 21 x 29 cm)
Der Schweizerföhn
von Emil Walter
Neujahrsblatt

herausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
auf das Jahr 1938.
140. Stück.

DER SCHWEIZERFÖHN

VON

EMIL WALTER (Zürich)

mit 39 Abbildungen im Text.
 
 

Gebr. Fretz A.G., Zürich

 

German only

 

Inhalt: 
1. Kapitel: Eigenschaften und Wirkungen des Föhnwindes 3
2. Kapitel: Aus der Geschichte der Föhntheorie 7
3. Kapitel: Föhnlagen im ersten Halbjahr 1937 12
4. Kapitel: Der Alpentalföhn vom 9./10. November 1934. 19
5. Kapitel: Der Föhnsturm vom 20./21. Mai 1937 22
6. Kapitel: Saharastaub über der Schweiz 27
7. Kapitel: Nochmals Geschichte der Föhntheorie  30
8. Kapitel: Die Föhnströmung 36
 

Aus dem Inhalt die Seiten 7 bis 12

... Brand von Glarus
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fluchtet haben, oder in die stillem  Höfe alter Bürgerhäuser, wo man zitternd um Koffern und Truhen steht und mit Eimern versucht, dem Unglück zu wehren. Umsonst...
« Grosser Gott! Welch ein Anblick ! » schreibt ein Augenzeuge. « Der ganze Ort ein Feuerkessel, aus dem Lohen emporschlagen, sprühen, prasseln, mitten drin die braunrote Flamme des Turms und seines eichenen Balkenwerks Wie die Wogen des Meeres ergreift der Sturm das Feuer und lässt fliegenden Staub als rotes Gestöber hinunterstürzen. Auf den Alpen hüben und drüben glitzert der Glust des Feuers in den Fenstern der Berghütten, mehr als taghell erleuchtet stehen die Berge da, ungeheuer gross, der Schilt in weisser Glut, der Glärnisch wie eine Pyramide aus glühenden Wänden und Pfeilern».
Neue Hilfe kommt. Von Weesen, von Uznach, von Sargans, von Ragaz, spät noch von Chur und den obern Rheintaldörfern. Mit glühenden Kesseln wagt der Führer des Rapperswiler Hilfszuges eine Fahrt auf Leben und Tod...
Unbarmherzig riss das Feuer alles mit sich, was in der Süd-Nordrichtung lag... Fünfhundert Häuser lagen ,in Schutt und Asche. Mit ihnen beinahe alles, was seit Jahrhunderten fleissige Hände an Kunst und Wissenschaft gewirkt und gesammelt hatten; was dem Rechte und der Geschichte heilig war, Pergamente, Briefe, Bücher, dazu die alten Panner aus siegreichen Schlachten, die « goldene Trucke » mit den Reliquien des heiligen Fridolin; aber auch Vieh und Ross und Wagen...
Dreitausend Menschen sind in dieser Nacht obdachlos geworden. Ihrer fünf sind selbst zu Opfern geworden...
Wie die Sonne aufging, schwelten über dem zerstampften Kirchhof die hölzernen Kreuze der Generationen, die seit alten Zeiten die eben untergegangene Welt gründen halfen. Flackernde Kerzen einer schauerlichen Totenmesse ».

2. KAPITEL
Aus der Geschichte der Föhntheorie
Von einer besonderen Föhntheorie kann erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gesprochen werden. Zwar hat schon J. J. Scheuchzer angenommen, der warme Föhnwind stamme aus der Türkei, aus Arabien, Persien und Indien. Die grosse Gewalt der Föhnstürme versuchte Scheuchzer durch den gebirgigen Charakter der Schweiz zu erklären9. In Fluss kam aber die Föhndiskussion erst, als nach dem gesicherten Nachweis der Eiszeit Escher v. d. Linth und O. Heer10 die Meinung verfochten, der Föhn habe als Saharawind gegen Ende der Eiszeit eine so grosse Schmelze der Gletscher herbeigeführt, dass sich diese aus dem schweizerischen Mittelland in die Alpentäler zurückgezogen hätten. Dieser Ansicht schloss sich nach einer Expedition mit Martins und Escher v. d. Linth in die Sahara vom Jahre 1863 (wobei weit verbreitete fossile Reste von Muscheln, die jetzt noch im Mittelmeer vorkommen, gefunden wurden), nicht nur der Neuenburger Forscher Desor11 an, sondern auch der Engländer Ch. Lyell pflichtete den Schweizern bei.
Dagegen glaubte der Berliner Meteorologe Dove12, zufolge der Erddrehung müsste ein nordostwärts stürmender Saharawind nach Kleinasien abgelenkt werden, weshalb es sich bei den Föhnwinden um warmfeuchte, maritime Luft aus Westindien handeln müsse. Dove wies nach, dass die Föhnwinde auf der Süd- und Westseite der Alpen oft starke Regen- oder Schneefälle mit sich brachten, es sich also keineswegs um trockene Wüstenluft handeln könne. Dove scheint schon 185213 die Möglichkeit angedeutet zu haben, ein feuchter Wind könne beim Übergang über ein Gebirge warm und trocken werden. Diesen entscheidenden Grundgedanken sprach



9 « Hiervon ist leicht zu erfassen, wenn unser vorhabende Föhn vielleicht in ihrem Zug über das Mittelländ. Meer und ebnere Länder Italiens gemach einher gefahren, hat aber in unseren zwischen hohen Bergen eingeschlossenen Helvetischen Thälern diejenige Gewalt bekommen, welche die vorhanden gewesenen Dünste in Regen verwandelt, die Dächer abgedeckt, Häuser, Ställe und Bäume umgeworfen und anderen Schaden zugefüget. » (« Helv. Hist. Nat.,» S.216.>
10  O. Heer und A. Escher v. d. Linth: « Zwei geolog. Vorträge. » 1852.
« Die Beziehungen des Föhns zur afrikanischen Wüste. » 1865. 12 « Ueber den Föhn. » Vierteljahrsschrift N. G. Zürich 1865.
13 H.W. Dove, « Ueber den Föhn ». (Aus einem durch A. Escher der Naturforschenden Gesellschaft vorgelegten Briefe von Dove an Desor vom 2. Jan. 1865. Vierteljahresschrift der Nat. Ges. Zürich 1865. S.8.) H. W. Dove, « Ueber Eiszeit, Föhn und Scirocco ». Berlin 1867.

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Abb. 3 Altere Fohntheorien.
Grün: Richtung der Föhnwinde nach J. J. Scheuchzer.
Blau: Richtung der Föhnwinde nach der Saharatheorie.
Rot:  Richtung der Föhnwinde  nach Dove.

aber in aller Klarheit unter den Meteorologen erstmals J. Hann1,4 im Jahre 1866 in einer in der «Zeitschrift der österr. Gesellschaft für Meteorologie» erschienenen Arbeit «Zur Frage über den Ursprung des Föhns » aus. Hann hebt hervor, auch Grönland habe seinen Föhn. In Westgrönland könne aber der aus Osten oder Südosten wehende warme, den Schnee schnell schmelzende Wind nicht auf einen warmen Kontinent als Ursprungsland zurückgeführt werden. In der Note « Mousson über den Ursprung des Föhns » schreibt   Hann: « . .. im Winter ist die Sahara eben kein Wärmezentrum... Die Äquatorial Luft besitzt in der luftverdünnten Höhe keineswegs schon die hohe Temperatur, die sie später an der Erdoberfläche zeigt, und beim Herabsteigen in die Tiefe, wo sie unter einen höheren Druck kommt, tritt nach bekannten physikalischen Gesetzen durch Volumenverkleinerung Erwärmung ein... Übrigens muss der
feuchte Südwest auch beim Übersteigen der Alpen an deren Südhängen einen grossen Teil seines Wasserdampfes durch Niederschläge verlieren. Es ist daher recht wohl möglich, dass der Südwest als Föhn bald trocken, bald wieder feucht erscheint ... »15
Im folgenden Jahre weist Hann auf das Auftreten föhnartiger Winde « am Steilabsturz des Elbrusgebirges zur kaspischen Depression » und in den österreichischen Alpen hin 16 In Bludenz weht der Föhnwind nach den Beobachtungen Hann's der Talrichtung entsprechend von Südosten nach Nordwesten bei gleichzeitigem Wolkenzug aus Süden oder Südwesten. An aus-gesprochenen Föhntagen (z.B. 16. Feb. 1867) mit Windstärke 5-6 stieg die Temperatur auf 11,6° über das Monatsmittel, sank die relative Feuchtigkeit auf 24,5 % (37,2 % unter dem Mittel). Hann stellt fest, auf der Südseite der Alpen fehle der warme trockene Wind. Dort herrsche aber hoher Luftdruck. « Die relative Trockenheit und übermässig hohe Wärme des Luftstromes ist ein locales Phänomen, im Gebirge erzeugt... So wie ein warmer feuchter Wind über ein hohes Gebirge hinüberweht, muss er alle Feuchtigkeit einbüssen, die über den Sättigungspunkt bei seiner grössten Temperaturerniedrigung in der Höhe hinausgeht. Wenn er nun jenseits ins Thal sinkt, steigt zwar wieder seine Temperatur, aber zugleich damit seine relative Trockenheit. »
A. Mühry zeigte zur gleichen Zeit17 durch Zusammenstellung der Messungen der relativen Feuchtigkeit der neu errichteten schweizerischen meteorologischen Stationen, dass der Föhn ein sehr trockener Wind ist. Er prägte den Begriff des «Windfalles » 18 eine nicht ganz geschickte Vorwegnahme des heute gebräuchlicheren Ausdruckes « Fallwind ».
Der Rektor der Berner Universität, H. Wild, stellte sich in seinen im Jahre 1868 erschienenen Schriften19 auf den Standpunkt der Hann'schen Föhntheorie und lehnte Dove's Theorie ab, was zu einer hitzigen und nicht immer erfreulichen Diskussion20 mit Dove führte. Dove vermutete auf Grund seiner Theorie, die schweizerischen Wetterbeobachter stellten nur irrtümlicherweise eine besonders hohe relative Trockenheit während Föhnstürmen fest.
Nach und nach setzte sich aber doch die von Hann in seinem 1885 veröffentlichten zusam-



14 J Hann erwähnte 1868 (Zeitschr. d. österr. Ges. f. Met., S.293), dass schon 1865 unabhängig von ihm H. Helmholtz (« Ueber Eis und Gletscher ») und der englische Physiker Tyndall eine physikalische Theorie des Föhns aufgestellt haben, die mit der Hann'schen Theorie übereinstimmt. Helmholtz sagte u. a.: « Derselbe Luftstrom, der in den Ebenen diesseits und jenseits der Gebirge warm ist, ist schneidend kalt auf der Höhe und kann dort Schnee absetzen, während wir ihn in der Ebene unerträglich heiss finden. »
15 Zeitschr. d. österr. Ges. f. Met., 1866, S.261/62.
16 Zeitschr. d. österr. Ges. f. Met., 1867. « Mousson über den Ursprung des Föhns», S.158. «Föhn in den österr. Alpen », S.433.
17 Zeitschr. d. österr. Ges. f. Met., 1867. « Ueber den Föhnwind », S.385. Ebenda 1868 « Kartenskizze eines Föhnwindes », S.363.
18 « Der Föhn ist ein Windfall . . . ähnlich einem Wasserfall, welcher dann in den . . . Windschatten zurückgezogen wird. . . » (l. c. S.386).
19 H. Wild, « Ueber Föhn und Eiszeit » (Rektoratsrede 15. Nov. 1867, veröffentlicht in der Zeitschrift für schweizerische Statistik. Bern 1868).
20 H. W. Dove, «Der Schweizer Fön. Nachtrag zu Eiszeit, Fön und Scirocco<>. 1868. H. Wild, « Der Schweizer Föhn». Entgegnung auf Dove's gleichnamige Schrift und Nachtrag zu « Föhn und Eiszeit». Zeitschr. f. schweiz. Stat., Bern 1868. Dove versuchte gegenüber Hann Prioritätsansprüche zu erheben, die aber von den Fachgenossen nicht anerkannt wurden. Hann betont in seinem Referatbericht: « Dass Dove's ganz unphysikalische Theorien lange Zeit hindurch den Fortschritt der Meteorologie aufgehalten haben, dürfte kaum bestritten werden können.» (l. c. S.396.)

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Abb. 4. Hygrogramm des Kollegiums Altdorf vom 12.-19. November 1934. 
Während einer Woche bricht die Föhnströmung vier mal in Altdorf ein, einige Male nur für wenige Stunden.

menfassenden Referat21 als « physikalische Föhntheorie »  bezeichnete Lehre durch22. (Desor nannte die Theorie Hann's aber noch 10 Jahre nach Erscheinen der ersten Arbeiten Hann's eine Schultheorie.) Wild gebührt das Verdienst, auf den Nordföhn der südlichen Alpentäler aufmerksam gemacht zu haben. Die Entdeckung des Nordföhns stellte die « allgemeine Natur der Föhnerscheinungen» sicher und zeigte, dass sie «ihre Entstehung in den Gebirgen selbst haben müssen »23 Wild glaubte allerdings, das Fallen der Föhnwinde durch eine Art Saugwirkung24 der über den Alpenkamm streichenden Südstürme erklären zu müssen.
Hann griff noch im gleichen Jahre wie Wild den Gedanken des Nordföhns25 auf. Er konnte zeigen, dass bei Nordföhn auf der Südseite der Alpen die Temperaturzunahme manchmal fast 10 pro 100 m Abstieg beträgt, während sich auf der Nordseite, wo die feuchte Luft aufsteigt, die Temperaturabnahme pro 100 m Aufstieg nur auf etwa ½° beläuft und dass sich bei Südföhn auf der Nordseite das Verhältnis gerade umkehrt. 1882 beschäftigte sich Hann mit der Frage26, weshalb nördlich der Alpen der Föhn oft schon auch dann auftrete, bevor auf der Südseite die Niederschläge eingesetzt haben. Die Erklärung fand Hann in der Temperaturschichtung der Atmosphäre vor dem Ausbruch des Föhns: die oberen Luftschichten sind in diesen Fällen als Folge früherer Kondensationsvorgänge relativ wärmer. «Werden später bei Fortdauer des Föhns die weiter zurückliegenden Luftmassen auch in die Bewegung mit hineingezogen, dann beginnt der Niederschlag auf der Südseite... » 27
Drei Jahre später durfte J. Hann in seinem zusammenfassenden Referat28 die allgemeine Anerkennung der « physikalischen Föhntheorie » durch die Fachgenossen feststellen. Die grundlegenden Züge der Föhntheorie lagen fest. Hann schloss seinen Referat-Aufsatz mit dem nachstehenden, auch heute noch Geltung besitzenden Hinweis28:
« Aus dem Angeführten dürfte hervorgehen, dass es bei der Aufstellung der Föhntheorie ganz ähnlich zu-



21 J Hann, «Einige Bemerkungen zur Entwicklungsgeschichte der Ansichten über den Ursprung des Föhns »
(Deutsche Meteorolog. Zeitschrift, 1885). In diesem Aufsatz macht Hann übrigens darauf aufmerksam, dass der amerikanische Meteorologe James P. Espy 1857 und sogar schon 1841 (« Philosophy of storms ») die Grundgedanken der physikalischen Föhntheorie, wenn auch nicht dem Namen, so doch der Sache nach entwickelt habe:  The theory, also, Would indicate Ihat during the great rains that take place north of the head of the Golf of Venice, and south of the Carnic Alps, there would be felt on the north shore of these Alps a very hot, dry wind, such as the sirocco is described to be». Nach J.Hann war «übrigens der schweizerische Naturforscher Enel zu Anfang dieses Jahrhunderts selbst schon auf der richtigen Fährte zu der wahren Föhntheorie ».
22 Die schöne Arbeit des Lausanner Professors M. L. Duroun: «Recherches sur le Foehn du 23 Septembre 1866 en Suisse » (Bull. soc. vaud. scienc. nat., Lausanne 1868) steht auf dem Boden der Hann-Wild'schen Theorie und gibt eine treffliche Schilderung eines Föhnsturmes in der Westschweiz.
23 J Hann, « Einige Bemerkungen zur Entwicklungsgeschichte der Ansichten über den Ursprung des Föhns »,
1885,1. c. S.398.
24 In einem oben offen, sonst aber geschlossenen Raum werde « die Luft jedesmal verdünnt, wenn ein kräftiger Luftstrom über den Rand der Oeffnung » hinwegstreiche. Dies geschehe auch mit der « in unsern inneren Alpentälern stets mehr oder minder abgeschlossenen Luft, wenn ein heftiger Luftstrom über die einschliessenden Gebirge » hinbrause. « Die Folge davon ist aber, dass dieser Luftstrom in den durch die entgegenstehende Gebirgswand vor ihm geschützten Raum hinein aspiriert wird und nach und nach in das Tal hinuntersteigt. » «Ueber Föhn und Eiszeit », S.28.
25 J Hann, Zeitschr. d. österr Ges. f. Met., 1868, III. Bd. « Der Scirocco der Südalpen. »
~ J. Hann, « Der Föhn in Bludenz ». Sitzungsberichte der Wiener Akademie, 1882.
27 « Einige Bemerkungen usf. »,l. c. S.398.
28 l.c. S.399.

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Abb. 5. Föhnsturm am 20. Mai 1937. Am Nachmittag des 20. Mai regnete es im Tessin, während in Altdorf ausgesprochener Föhnsturm wütete.

gegangen ist, wie bei der Auffindung der wahren Ursachen der meisten Naturerscheinungen. Die richtigen Ideen waren lange schon vorhanden bei verschiedenen Naturforschern, sie konnten aber nicht zur allgemeinen Geltung und Anerkennung gelangen, bis nicht der allgemeine Fortschritt der betreffenden Disciplin so weit gediehen war, dass diese Ideen einen fruchtbaren Boden zur Weiterentwicklung finden konnten, und bis nicht die Kenntnisse der Thatsachen selbst, d. i. die auf das Phänomen bezüglichen Beobachtungen, zahlreich und gründlich genug waren, um die Theorie aus denselben so eingehend zu prüfen, dass alle anderen Hypothesen ausgeschlossen werden konnten, und die als Ausfluss der Theorie vorhergesagten Erscheinungen in der That an der bestimmten Örtlichkeit und in der angezeigten Weise vorgefunden waren.»
Um unsere Darstellung der Geschichte der Föhntheorie nicht unnötigerweise mit Einzelheiten zu belasten, beschränken wir uns auch im folgenden bloss auf die wichtigsten Daten. Im übrigen verweisen wir auf die bemerkenswerte Studie von Prof. O. Leemann in der «Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft Zürich » 1937 über das gleiche Thema, die in vielen Punkten unsere knappen Hinweise wertvoll ergänzt, allerdings nur bis zum Jahre 1913 reicht, weshalb wir in diesem und im 7. Kapitel auch noch die föhntheoretischen Arbeiten der letzten Jahre berücksichtigen werden.
Als grundlegendes Ergebnis der Diskussion der physikalischen Föhntheorie steht um das Jahr 1890 fest: Der Föhnwind erhält seine auffallenden Eigenschaften der relativ hohen Wärme und Trockenheit durch das Niedersinken von Luftmassen ins Tal, welche früher beim Aufstieg den grössten Teil ihres Wasserdampfes verloren haben. Mit anderen Worten, die beim Niedersinken als Wärme freiwerdende Energie, die sogenannte Kompressionswärrne ist gleich gross wie die beim Aufstieg durch Expansion verbrauchte Arbeit, aber die spezifische Wärme von trockener Luft ist geringer als jene von feuchter Luft, wodurch sich zwanglos die höhere Temperatur der herabgesunkenen Luft und ihre hohe relative Trockenheit29 ergeben.
Seit der Formulierung der physikalischen Föhntheorie durch J. Hann ist die meteorologische Beobachtung immer wieder auf neue Föhngebiete aufmerksam geworden, d.h. « Jeder Gebirgszug, zu dessen beiden Seiten sich zeitweise erhebliche Luftdruckdifferenzen ausbilden, weist Föhnerscheinungen auf 30»

Übersicht der wichtigsten Föhngebiete.
In der Schweiz hat man zwei Hauptföhngebiete zu unterscheiden, das Gebiet des Südföhns nördlich der Alpenkette und das südlich des Alpenkammes gelegene Gebiet des Nordföhns. Am häufigsten wird der Föhn im Gebiet der Zentralalpen beobachtet, seltener tritt er in den Ostalpen auf, keine entsprechenden Beobachtungen liegen aus dem Gebiet der Westalpen vor. Die Temperatursteigerung ist beim Südföhn wesentlich grösser als beim Nordföhn31, zum Teil wohl deshalb, weil auf der Südseite der Alpen im allgemeinen die Temperatur höher ist, zum Teil weil die Wetterlage, welche Nordföhn zur Folge hat, kalte polare oder maritime Luftmassen über den Alpenkamm hinüberführt. Dann stauen sich am Nordrand der Alpen kalte Luftmassen, weshalb nach Peppler32 der klimatische Einfluss auch des Südföhns auf die mittlere Temperatur geringer ist, als zunächst erwartet werden könnte.



29 Die relative Feuchtigkeit ist eine Verhältniszahl, nämlich das Verhältnis der überhaupt in der Luft vorhandenen Feuchtigkeit (absolute Feuchtigkeit) zur überhaupt bei der betreffenden Temperatur möglichen Feuchtigkeit (Sättigungsmenge). Die Sättigungsmenge nimmt als Funktion mit der Temperatur zu, weshalb bei gleichbleibender absoluter Feuchtigkeit und steigender Temperatur die relative Feuchtigkeit abnehmen muss
(relative Feuchtigkeit = absolute Feuchtigkeit / Sättigungsmenge)
30 Rob. Billwiller jun., « Der Bergeller Nordföhn », 1904, S.1.
31 l. c. S.5 ff. Siehe auch Perntner's Studien über den Insbrucker Föhn. Ebenso erwähnt Klein, dass in Tragöss der Nordföhn oft boraartigen Charakter habe.
32 Met. Zeitschr., 1926, S.375. « Zum Einfluss des Föhns auf die Mitteltemperatur im Alpenvorland. » « Föhn in

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Zu den ausgesprochenen Föhngebieten nördlich des Alpenkammes gehören das Val d'Entremont bis Martigny, das Rhonetal bis Bex, die Täler der Visp, der Kander, der Simme, der Saane, das Lütschinental, das Haslital bis Brienz, das Engelbergertal, das Reusstal, das Sernftal und das Linttal bis zum Walensee einerseits und bis zum obern Zürichsee andererseits, das untere Toggenburg, das Rheintal vom Hinterrhein und Medels bis zum Bodensee, nebst dem Tal von Bludenz und den Ausläufern des Alpsteingebirges. In den Ostalpen sind als Föhnorte ausser Bludenz vor allem Innsbruck und Salzburg bekannt geworden33. Nordföhn beobachtet man im Tessin, im Misox, im Bergell, im Puschlav, im Tal der Etsch, aber auch in einer Reihe anderer Orte des Ostalpengebietes34. Sogar im Gebiet des Jura sind föhnartige Erscheinungen nicht selten: Nach Angaben von W. Strub in Basel tritt im Winter bei Nordwestwind auf der südöstlichen Seite des Jura helles Wetter auf, « sobald die Nullgradgrenze genügend tief herabgegangen ist, so dass die Nebeldecke des elsässischen Rheintales, die bei Nordwestwind auftritt, sich am Jura staut »35. Zweifellos dürften solche als Juraföhn zu bezeichnende Erscheinungen auch am Ostrand des Kettenjura bei Biel und Neuenburg zu beobachten sein. Doch sind uns aus der Durchsicht der Literatur keine diesbezüglichen Bemerkungen bekannt geworden. Der Vogesenföhn ist nach Peppler durch Hergesell und Schultheiss nachgewiesen worden.
In Deutschland sind föhnartige Winde u. a. im Harz und im Thüringerwald, am Nordhang der Sudeten, im Riesengebirge, wie auch in der Eifel36 beobachtet worden. In Pau wurde der seltene Pyrenäenwind schon 1874 festgestellt37. Espy führte bereits 1841 in « Philosophy of Storms » die auf der Ostseite der Rocky Mountains im Nordwesten Canadas wehenden « Chinookwinde » als besondere Windart an. Hann hat - wie schon erwähnt - auf föhnartige Winde im Kaukasus am Elbrus und in Grönland38 hingewiesen. Hebert machte auf Föhnwinde des Alleghanygebirges (U.S.A.) aufmerksam. Interessant ist die Beobachtung von Landwinden mit föhnartigem Charakter auf den Kanarischen Inseln39, sowie der Nachweis von Föhnwinden in Japan und Korea40, in Australien und Neuseeland. Auch in den polnischen Karpaten und in Siebenbürgen beim Rothenturmpass sind Föhnerscheinungen beobachtet worden, ebenso im Rhodopegebirge in Bulgarien41. In den südlichen Teilen Norwegens und Schwedens herrscht, wenn es an der Westküste Norwegens regnet, meist heiteres und helles Wetter. Zweifellos werden sich in der Zukunft durch genaue Untersuchungen noch zahlreiche andere Föhngebiete nachweisen lassen42.



den Ostalpen », Met. Zeitschr., 1913, S. 196. « Der Föhn in Salzburg » von Dr. O. Pollak. Referiert Met. Zeitschr., 1911, S.93.
33 Föhnstürme im Salzkammergut und in Ischl siehe z. B. Met. Zeitschr., 1917, S.267 und 1919, S. 233.
34 z.B. « Der Nordföhn zu Tragöss » (in Obersteiermark) von Dr. Rob. Klein, 1900, Zeitschrift des deutschen und österr. Alpenvereins. Nordwestföhn in Graz nach Czermak. Met. Zeitschr., 1903, S.35.
35 Briefliche Mitteilung vom S. VII. 1937.
36 Assmann 1885 in « Wetter »: Thüringerwald, Harz. Assmann ebendort 1886: Sudeten. Kremer 1890, 1896, 1899, 1900, Abhandl. des preuss. Meteorol. Institutes: Riesengebirge. Kassner « Das Wetter», 1895: « Föhn im Riesengebirge ». Treitsche 1892 (Thüringerwald). Dr. K. Joestes « Das Wetter », 1906: « Die Föhnerscheinungen im Riesengebirge». Met. Zeitschr., 1900, S.282: Eitel und Hoher Venn.
37 Piche, « Le coup de Scirocco du 1er sept. 1874 », Pau 1876. Ebenso Zeitschr. d. österr. Ges. f. Met., 1876, S.304 und M. F. F. Hébert: « Etude sur les grands mouvements de I'atmosphère et sur les lois de formation et de translations des tourbillons ». Compte rendu 1878. F. M. Exner. Met Zeitschr., 1905, S.372.
88 Siehe auch « Klima und Föhn der Dänemark-Insel Scoresby-Sund ». Woeikof, Met. Zeitschr., 1901, S.5. Helge Petersen über « Extrem hohe Temperaturen und Föhn in Grönland », Met. Zeitschr., 1934, S.289. Im Februar 1895 stieg in Upernisik die Temperatur bis auf über 15°. M. Herrmann beschreibt, Met. Zeitschr., 1933, S.472, die Ausbildung einer Föhnlücke an der Westküste der Bäreninsel mit einer fast das Meeresniveau erreichenden « Föhnmauer ».
39 H. Hergesell, Met. Zeitschr., 1908, S.556. Die Temperatur sprang am 6. August 1904 zeitweise von 24 auf 42 Grad, die relative Feuchtigkeit sank von 67 auf 12 %.
40 T. Okoda, Met. Zeitschr., 1902, S.340; Met. Zeitschr., 1908, S.88.
41 C. Kassner, Met. Zeitschr., 1912, S.478.
42 Siehe z. B. Met. Zeitschr., 1932, S.254; Met Zeitschr., 1921, S.121 (Föhnwinde in Mexiko); Met Zeitschr.,
1932, S.201 (Almwind des Tatragebirges); Met. Zeitschr., 1926, S.33 (Krimföhn mit bloss 8 % relativer Feuchtigkeit); Dr. W. Schmidt, « Föhnerscheinungen und Föhngebiete », Innsbruck 1930.

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1899 prägte R. Billwiller43 sen. den Begriff des Antizyklonalföhns. Bei diesem strömt aus einem über dem Alpenkamm liegenden Hochdruckrücken langsam Luft nach beiden Seiten des Alpenwalles in die Tiefe, wobei sie sich erwärmt und zugleich relativ trocken (z. B. Antizyklonalföhn vom 14. April 1898) wird. Im Jahre 1903 lehnte R. Billwiller sen. den Vorschlag von H. Wild44 zur Beschränkung des Begriffes « Föhn » auf den Fall der ausgesprochenen Talföhne unter allgemeiner Zustimmung der Meteorologen ab. Zwar sei das Wort Föhn zunächst nur in der Schweiz gebraucht worden, aber gerade die Föhnforschung habe dazu geführt, den Geltungsbereich des Begriffes zu erweitern.
Jeder Klassifikation und der damit zusammenhängenden Terminologie haftet stets etwas Willkürliches45 an, da eine Klassifikation nur nach gegensätzlich sich ausschliessenden Merkmalen durchgeführt werden kann. Streiff-Becker hat auf Grund seiner « Injektortheorie » versucht, die Klassifikation der Föhnwinde46 durch Zuordnung zur Windstärke des über die Alpen streichenden Südsturmes vorzunehmen. Trotzdem wir seine « Injektortheorie » (siehe 7. Kapitel) ablehnen müssen, glauben wir doch den bodenständigen Begriff des Dimmerföhns übernehmen zu dürfen.
Wir gelangen so zu nachstehender Übersicht der Föhn lagen in den Schweizer Alpen, die oft genug durch unmerkliche Übergänge zu mehr oder minder ausgesprochenen Mischformen führen:

1. Zyklonalföhn (durch die Ausbildung und Wanderung eines Tiefdruckgebietes nördlich oder südlich der Alpen wird zwischen Nord- und Südrand der Alpen ein Luftdruckgradient erzeugt).
A. Nordföhn (Der Luftdruck ist nördlich der Alpen höher als südlich der Alpen).
B. Südföhn (Der Luftdruck ist südlich der Alpen höher als nördlich vom Alpenkamm).
Je nach der Grösse des Luftdruckgradienten kann man unterscheiden:
a) Sehr schwache Luftdruckdifferenzen. = föhniges Wetter, föhnige Aufhellungen.
b) Mittlere bis grosse Luftdruckdifferenzen. = Alpentalföhn (wilder Föhn).
g) Grosse, rasch sich ändernde Luftdruckdifferenzen.   Dimmerföhn im Alpental, Alpenvorlandföhn im Mittelland.
II. Antizyklonalföhn. (Über dem Alpengebiet liegt ein Hochdruckrücken. Die Wetterlage ist im allgemeinen nur föhnig. Im Winter bleibt im Mittelland oft unter einer Hochnebeldecke ein « Kältesee » liegen. Übergang zu stärkerer Windbewegung relativ selten.)

3. KAPITEL
Föhnlagen im ersten Halbjahr 1937
Entscheidende Bedingung für das Auftreten von Föhn- und föhnartigen Winden ist - wie wir gesehen haben   die Ausbildung einer Luftdruckdifferenz zwischen dem Nord- und Süd-



43 R. Billwiller, « Über verschiedene Erscheinungsarten und Erscheinungsformen des Föhns ». Met. Zeitschr.
16. Jahrg., S.209.
44 H. Wild, « Ueber den Föhn und Vorschlag zur Beschränkung seines Begriffes ». Denkschriften der Schweiz. Naturforschenden Gesellschaft, XXXVIII 1901. R. Billwiller sen., « Ueber den Vorschlag Wild's zur Einschränkung des Begriffes „Föhn” ». Met. Zeitschr., 1903, S.241/247. Billwiller betrachtet den Föhn vom 18. Dezember 1902, sowie den mit Staubfällen verbundenen Wind vom 20.-23. Februar 1903 als charakteristische Beispiele von Antizyklonalföhnen. « In Zürich trat z. B. in der Nacht vom 21./22. und vom Abend des 22. an auch während der folgenden Nacht ein solcher WSW-Wind stossweise mit entschiedenem Föhncharakter auf. Der Thermograph, der am 21. auf 6° stand, zeigte um Mitternacht, sowie am Spätabend des 22. mehrmals Temperatursprünge bis auf über 15°, wobei ... die relative Feuchtigkeit bis auf 30 % und darunter zurückging. Diese Föhnwirkung kam durchaus ohne das Gebirge zustande; die sog. typischen Föhnstationen in den Alpentälern (Altdorf, Glarus etc.) hatten in diesem Falle keine Föhnerscheinungen; es wurden die Talsohlen von dem herabsteigenden Luftstrom quer überweht.» Für Billwiller ist die thermodynamische Erklärung der Föhneigenschaften entscheidend.
45 Über klassifikatorische, topologische und metrische Begriffsbildung siehe C. G. Hempel und T. Oppenheim. Der Typusbegriff im Lichte der neuen Logik», 1936. Leiden.
46 Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft Zürich, 1933, S.66.
...

Abb. 21: Barogramm, Hygrogramm und Thermogramm des Kollegiums Altdorf
vom 8-11. November 1934 (umgezeichnet)


Abb. 25: Föhnsturm bei Vitznau am 20.Mai 1937. Im Hintergrund der Bürgenstock, 
auf dem See Wasserhosen, im Vordergrund abgerissene Zweige
 

Soweit, so gut. Im 7. Kapitel geht's dann zur "gegenwärtigen" Theorie. Da sich der adiabatische Aufstieg auf feuchte Luft bezieht und dieser Temperaturverlust wesentlich kleiner ist, als der Temperaturgewinn durch den adiabatischen Abstieg der trockenen Luft, entsteht die Temperaturdifferenz. (Dies unter Zuhilfenahme von einigen Differentialgleichungen der Thermodynamik - Gewidmet ist die ganze Arbeit den Walter'schen Kindern als leichtfasslich.)
- hmmm - dabei geht die latente Wärme des Phasenübergangs Wasserdampf/Regen vergessen. Dieser Wärmegewinn beträgt überschlagsmässig 12°: gesättigte Luft von 11°, abkühlen auf 0° durch Transport in die Höhe, dabei ausregnen lassen und zurück auf die alte Höhe bringen. Ich glaube nicht an die grosse Wirksamkeit des 1.2%igen Wasseranteils auf den Unterschied in den cad. , dies dürften Peanuts sein. Oder anders herum: die Prozesse beim Transport in die Höhe sind nicht adiabatisch. Oder hat Walter die adiabatische Expansion neu definiert?
 

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