Neujahrsblatt der NGZH  Nr. 141 auf das Jahr 1939 19S. mit 4 Tafeln und einer zweifarbigen Karte. (Format des Hefts: 21 x 29 cm)
Grand Canaria
von M. Wehrli-Frey
(und Photos von Leo Wehrli)

Neujahrsblatt

herausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft in Zürich
auf das Jahr 1939.
141. Stück.

GRAN CANARIA

VON  

M. WEHRLI-FREY

mit 4 Tafeln und einer zweifarbigen Karte.
 
 

Gebr. Fretz A.G., Zürich
 
 

German only

 
 

Inhalt: 
Hinreise im April 1934
Las Palmas
Bananen
Streifzüge durch die Insel
Allerlei Sonntag in der Hauptstadt
Im Norden der Insel
Canarische Altertümer im Museo
Letzte Tagesfahrt

S.13 (im Norden der Insel)
...
Hinter Arucas konnten wir eine Cochenilleplantage sehen. Das sind grosse Felder niedriger Opuntien, deren dickfleischige Stammscheiben, jede einzeln, bis fast zum ovalen Ende mit Papier oder Tuchlappen umbunden sind. Es sieht ganz komisch aus, so ein « Zahnweh »-Feld. Die Cochenilleläuse sind etwas grösser als Blutläuse und werden jedes Frühjahr auf frische Opuntien ausgesetzt und diese zugebunden, damit die Tierchen nicht abfallen bei Wind oder Regen. So vermehren sie sich rasch und ungestört zu Kolonien, die bald das ganze « Blatt »bedecken, dessen saftige Fleischmasse ihnen als Nahrung dient. Im Herbst wird der Verband sorgfältig gelöst, der Erdboden mit Tüchern belegt (was gut geht, weil die Pflanzen so weit auseinander stehen wie unsere Reben) und mit besonderen Bürsten die Cochenilleläuse zwischen den Dornen der Opuntien herausgefegt. Die zerfressenen « Blätter » müssen abgeschnitten und den Strünken muss ein Jahr Zeit gelassen werden zum Nachwachsen. Man braucht also Wechselfelder. Die kräftigsten Läusemütter pflegt man unter Dach bis zum Frühjahr und setzt sie wieder auf frische Opuntientriebe aus. Den grössten Teil der abgeernteten Tiere schüttet man aber in Rösttrommeln, wo sie in heissem Dampf sterben und sich entfilzen und nachher als glänzende dunkle Kügelchen in Säcke gefüllt werden zum Export für die Gewinnung des roten Farbstoffes (Karmin). Man nannte uns phantastische Preise aus guten Zeiten.
Opuntien mit Cochenille (Coccus Cacti)
Cochenille-Kultur auf Opuntien bei Arucas
...
Das Inselmassiv reicht auf seiner Nordseite mit Felsen bis zum Meer hinab. Wohl ein Dutzend parallel laufende Bäche haben sich tiefe schmale Talschluchten hineingefressen und werden als Barrancos bezeichnet. Unsere Strasse läuft auf der 300-m-Kurve in diese Barrancos hinein und hinaus, und oft brauchen wir mit dem Auto für zwei Kilometer Luftlinie eine halbe Stunde Zeit. In der Tiefe des Taleinschnittes geht die Strasse à niveau oder mit einer Brücke über den Bach. Oft ist diese in Reparatur oder noch beschädigt vom letzten Hochwasser. Weiter oben in den Tälern, an den Quellbächen, sind kleine Badekurorte installiert. Auch eine gute Mineralquelle sahen wir, die sauber gefasst in Flaschen abgefüllt als Mineraltafelwasser in die Städte geschickt wird.
In einem besonders kahlen, steilen Barranco, wo die Fahrstrasse kühn in den Fels gehauen ist, finden sich noch Reste von primitiven Höhlenwohnungen der alten Guanchen. Das waren die Ureinwohner der Insel. Ein Volk, das sich tapfer und zäh gegen fremde Eroberer wehren konnte, bis es vor etwa 400 Jahren doch von den Spaniern besiegt und total ausgerottet wurde. Wie Bienenwaben sehen jetzt von weitem die Wohnlöcher in der Felswand aus. Wir hielten in der Nähe an und kletterten auf schmalem Pfad hinauf in das System geräumiger Behausungen. Droben erkannten wir, wie gut der Platz gewählt war zu Versteck und Verteidigung, denn man sah aufs Meer hinaus und überblickte zugleich die Zugänge ins Tal von der Landseite her. Die hier gefundenen Überreste an menschlichen Knochen und kleinen Götterfiguren werden in Las Palmas im Museum aufbewahrt und als Beweise dafür gedeutet, dass hier ein Kinder- und Mädchen-« Kloster » zu Kultzwecken bestanden habe.
...
Home  Liste der Neujahrsblätter