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S.40
Der Zürichsee besitzt nun ein Plankton, und zwar in erster Linie
Pflanzenplankton, das ganz besonders was die dominierenden Arten anbetrifft,
gegenüber dem Plankton der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, auf welche
Zeit die ersten Planktonforschungen zurückreichen, ein in hohem Masse
anderes ist. Diese Umstellung im Planktonbestand lässt sich nach zwei Richtungen
charakterisieren. In erster Linie ist sie gekennzeichnet durch das Massenauftreten
neuer Formen oder doch von Formen, die in älteren Planktonlisten nur gelegentlich
und nebenbei aufgeführt sind. In zweiter Linie das Verschwinden bzw.
Zurückdrängen ursprünglich regelmässig gefundener Organismen. Zwar sind
viele Plankter in ihrem Auftreten launisch. Sie können spontan erscheinen,
um dann wieder, mitunter viele Jahre, zu verschwinden. Mit solchen Erscheinungen haben
wir es aber hier nicht zu tun.
Das Plankton des Zürichsees ist zwar nicht in allen Teilen gleichmässig
untersucht. So ist das Nannoplankton so gut wie nicht bekannt. Zur Zeit
allerdings, als die wichtigsten Invasionen beim Zürichsee schon vollendete Tatsachen
waren, wusste man überhaupt vom Nannoplankton und seinem grossen Anteil
an der Biozönose noch sehr wenig oder nichts, weil diese kleinen Organismen
die Maschen der gebräuchlichen Planktonnetze, die ältesten Einrichtungen,
die zum Planktonfang Verwendung finden, fast restlos durchschlüpfen. Unsere
Beschreibung der auffälligsten Umbildungen im Planktoncharakter muss
sich demnach notgedrungen auf die grösseren Formen, die Organismen des Mikroplanktons
(«Netzplanktons») beschränken. Ob und was für Wandlungen
auch das Nannoplankton durchgemacht hat, wissen wir nicht.
Nach den ältesten Untersuchungen, d.h. ab etwa 1881 muss das Pflanzenplankton
des Zürichsees vorwiegend ein Diatomaceen-Dinoflagellaten-Flagellatenplankton gewesen sein. Unter
den Diatomeen werden vor allem Asterionella, Fragillaria und Synedra aufgeführt;
von Dinoflagellaten oft Ceratium in starker Entfaltung, ferner Peridinium
und unter den Flagellaten Dinobryon in 3-4 Arten. Das sind allerdings Formen,
die auch heute noch wichtige Planktonorganismen unseres Sees sind.
Ein erstes Anzeichen dafür, dass in der Planktonwelt des Sees
etwas nicht Gewöhnliches vorging, haben die später zu besprechenden
Sedimentuntersuchungen von NIPKOW dargetan. Dieser Forscher fand, dass wenige Jahre vor 1896
die Schlammabsätze auffallen durch deutlich reicheres Auftreten der
dem See eigenen Kieselalgen: Cyclotella, Fragillaria crotonensis, Asterionella
gracillima.
Im Jahre 1896 erfolgte dann spontan ein erster wichtiger Schub im Sinne
einer Neugestaltung der Planktonbiozönose. In diesem Jahre schritt
die Alge Tabellaria fenestrata (Lyngb.) Kg. zu einer ungeheuren Massenentwicklung.
Es ist dies eine Kieselalge, deren Einzelzellen sich zu sternförmigen
Kolonien oder zickzackförmigen Verbänden vereinigen; in beiden Fällen
werden die Zellen durch Gallerttropfen verbunden (Abb. 5). Über das
Auftreten von Tabellaria fenestrata schreibt SCHRÖTER, der diese Erscheinung näher
verfolgte (Neujahrsblatt 1897, S.34): «Im Zürichsee trat sie,
soweit die Erfahrungen Prof. HEUSCHER's (seit 1886) und meine eigenen reichen, erst im Jahre 1896
auf, dann aber gleich in exorbitanter Menge, das ganze Jahr hindurch weitaus
dominierend und gewaltige Planktonmengen erzeugend. In den Planktonproben
vom Jahr 1895 (aus den Monaten März, Juni und Oktober) finde ich keine
Spur dieser Alge; und Prof. HEUSCHER, der seit 1886 das Plankton des
Zürichsees, allerdings mehr vom zoologischen Standpunkt aus verfolgt,
versichert, diese Alge nie gesehen zu haben. Am 21. Januar 1896 tritt sie neben
der anno 1895 dominierend gewesenen, und auch hier noch dominierenden Fragillaria
capucina in geringerer Menge auf; aber schon im März bildet sie
den Hauptbestandteil bis Anfang Dezember, wo sie gegenüber Fragillaria
crotonensis zurückzutreten beginnt: also eine explosionsartige, plötzliche
Massenentwicklung, eine invasionsartig hereinbrechende Epidemie eines Plankters,
über deren Ursache wir nicht einmal Vermutungen aussprechen können.»
Soweit Prof. SCHRÖTER. Nach anderen Angaben scheint aber doch T. fenestrata
schon 1891 im Zürichsee vereinzelt gefunden worden zu sein, was übrigens
nebensächlich ist: die Bedingungen zur Massenentwicklung sind das
Ausschlaggebende, und diese fand Tabellaria erst 1896. Seither ist T. fenestrata eine Charakterpflanze
des Zürichseeplanktons geblieben, die sozusagen immer gefunden wird,
auch im Winter, und oft in sehr bedeutenden Mengen auftritt.
Nach neuer Auffassung tritt Tabellaria fenestrata in oligotrophen Seen als Litoralplankton auf. Diese spezifisch schwere Alge bildet Oel als Reservestoffe und kann im Pelagial erst überleben, wenn sie genügend Oel-Auftriebskörper bilden kann. Für die Bildung dieser Vesikel sind Phospholipide nötig. Dies ist vermutlich erst ab einer bestimmten P-Grenzkonzentration möglich. Weitere Spekulationen betreffen den Einfluss des gesteigerten Nährwerts auf die ganze Nahrungskette.
Schon zwei Jahre später, im Jahre 1898, erschien ein neuer Pflanzenplankter, der von da ab dem Phytoplankton des Zürichsees recht eigentlich das besondere Gepräge verliehen hat Es ist die damals in der Schweiz nur aus dem Murtensee bekannt gewesene Oscillatoria rubescens D.C., die «Burgunderblutalge». Diesen Trivialnamen trägt sie, weil sie im Murtensee oft rote Wasserblüten bildete (ob heute noch, ist mir nicht bekannt) und deshalb zu der Sage Anlass gab, das Blut der im See anlässlich der Schlacht bei Murten (Burgunderkriege, 1476) ertränkten Burgunder kehre wieder. Diese Blaualge bildet ein straff gestrecktes Fädchen von etwa 5 µm Dicke und Zellenlängen von 2-4 µm (Abb. 6 und 7). Das Phycocyan ist durch einen roten Farbstoff überlagert, weshalb die Alge im mikroskopischen Bild rötlich und beim Massenauftreten makroskopisch braunrot aussieht. Der rote Farbstoff kann durch geeignete Behandlung extrahiert werden, wonach die Alge blau erscheint.
(In diese Zeit fällt die Arbeit von Otto Jaag, welcher erkannte, dass die ursprünglichen Trichombreiten von O. rubescens in Genfer Linien beschrieben waren, was irrtümlicherweise in der Literatur als Pariser-Linien rapportiert wurde.) Der Lebenszyklus von Planktothrix rubescens (ehem. O.rubescens) wurde später bearbeitet.
Sediment:
...
Ein einzelner Jahresabsatz hat eine Mächtigkeit von durchschnittlich
5 mm. Von 1896 bis 1942 ist demnach, die allochthonen Zwischenlagen nicht
berücksichtigt, ein Sediment von 23 cm Mächtigkeit gebildet
worden. Das beweist, dass die Eutrophierung die Tiefe des Sees viel rascher
verringert und damit
das Tempo seines Vergehens beschleunigt.
Das Entstehen geschichteten Faulschlammes rundet also unsere Vorstellung
über die Eutrophie des Zürichsees nach der entwicklungsgeschichtlichen
Seite in überzeugender Weise ab. Zunächst ist wichtig, dass das Entstehen
geschichteter Sedimente in ganz erster Linie eine Folge der biogenen Entkalkung
ist.
Planktogene Winterschichten werden durch Kalklagen des Frühjahrs
und Sommers getrennt. Die biogene Entkalkung in der heutigen Intensität
ist demnach ebenfalls eine für den Zürichsee neue Erscheinung; sie ist
erstmals 1896 bzw. kurz vorher nachgewiesen. Dies stimmt auch gut mit Untersuchungen
von W. WEITH überein. WEITH hat im Jahre 1879, also lange vor den offensichtlichen
Umbildungserscheinungen, neben anderen Seen auch im Zürichsee mehrfach
Karbonathärtebestimmungen ausgeführt, ohne dass seine Zahlen
etwas von einer deutlichen biogenen Entkalkung erkennen liessen. WEITH
kam zu der Schlussfolgerung: «Die Zusammensetzung des Wassers der grösseren
Schweizerseen ist eine konstante; sie ist im grossen und ganzen unabhängig
von Zeit und Ort.» Die biogene Entkalkung hatte aber einerseits das Verschwinden
der Kohlensäure im Epilimnion zur Voraussetzung, was anderseits mit
einer Übersättigung im Sauerstoffgehalt verbunden war. Wir finden
hierin einen weiteren Beweis, dass die eutrophe Sauerstofflinie in den
neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts sich herangebildet haben muss.
* * *
Damit ist unser Überblick über die biologische Alterung des
Zürichsees, die einige Jahrzehnte beanspruchte, abgeschlossen. Dem
Leser wird nicht entgangen sein, dass alle die geschilderten Umbildungserscheinungen miteinander
in engster kausaler Verbundenheit sind. Aus didaktischen Gründen mussten
wir sie gesondert beschreiben: die Wandlungen im Planktoncharakter, im Chemismus
und in den Sedimenten des tieferen Profundals. Doch habe ich mich bemüht,
die Zusammenhänge nicht zu verlieren, indem immer wieder Brücken
geschlagen wurden, die den einen Erscheinungskomplex mit dem anderen verbinden.
Mit einigen Sätzen mögen nun nochmals die logischen Bedingtheiten
der Erscheinungen in der zeitlich gegebenen Reihenfolge dargelegt werden.
Die Umbildung hat ihre Wurzeln in Änderungen des Lebensraumes,
und hier ist das Verhältnis der beiden Minimumstoffe, Nitrate und
Phosphate, ausschlaggebend. Besonders das bei oligotrophen Verhältnissen
im absoluten Minimum liegende Phosphat erfuhr durch Entwässerung der
grossen Siedelungen
in den See eine enorme Steigerung. Diese schleichend, langsame Anreicherung
des Wassers mit Pflanzennährstoffen beantwortete das Phytoplankton
mit einer zuerst zaghaften Zunahme, dann spontan innerhalb zwei Jahren (1896
und 1898) mit bleibenden ungeheuren Massenproduktionen. Das Phosphat erwies
sich jetzt nicht mehr als Minimumfaktor, es hat seine begrenzende Rolle
an das verhältnismässig in bescheidenen Mengen vorhandene Nitrat
abgegeben. Durch diese Vorgänge, 1896-1898, war die Umbildung des Zürichsees
eigentlich schon vollendete Tatsache. An der stürmischen Planktonentfaltung
war zuerst Tabellaria fenestrata, nachher noch Oscillatoria rubescens beteiligt.
Die erstgenannte dieser Algen war aller Wahrscheinlichkeit nach ganz spärlich
früher schon dem See eigen, Oscillatoria ist sicher neu eingewandert. Das reiche
Plankton hat dann seinerseits auf den Lebensraum zurückgewirkt; im
Epilimnion durch Sauerstoff-Übersättigungen, während die absinkenden
zersetzlichen Planktonreste zusammen mit dem offenbar hinsichtlich der
Menge nicht zurückgebliebenen
Zooplankton an den Sauerstoffvorräten der Tiefe, der tropholytischen
Region, zehrten. Es entstanden die eutrophen Sauerstoffverhältnisse
bei Sommerstagnation. Der Gegenspieler des Sauerstoffs, die freie Kohlensäure,
erlitt dieselben Abweichungen, nur in entgegengesetztem Sinne. Im Epilimnion
schwand sie bis auf Null und leitete die biogene Entkalkung ein. Der
absinkende Kalk, z. T. im Wechsel mit den Planktonresten, formte in grosser
Tiefe ganz neuartige Sedimente, den geschichteten Faulschlamm. Spätere Jahrzehnte
führten dann noch zur Ausbildung eines Tiefenplanktons aus Manganbakterien
(nach 1920) und verstärkter Eutrophie (ab 1930). Die Entwicklung des
Sees vom oligotrophen zum eutrophen Typus ist keine natürliche, sondern
eine kulturbedingte; sie ist der natürlichen Reifung vorangeeilt. Im
Zusammenhang damit sind einige oligotrophe Merkmale erhalten geblieben:
die Beckengestalt, die im ganzen auch ursprünglich relativ geringe litorale Pflanzenproduktion,
die oft winterlich hohen Sichttiefen und der meist relativ hohe Sauerstoffgehalt
in mittleren Tiefen an der Stelle der grössten Seetiefe.
Der obere Zürichsee ist zwischen etwa 1910 und 1930 auch eutroph
geworden, indes hat seine Entwicklung ganz andere Wege eingeschlagen. Die
Phytoplanktonentfaltung, die beim unteren See den Anstoss und Ausschlag
gab, spielt hier keine oder doch nur eine untergeordnete Rolle. Allochthone
Verunreinigungen führten direkt, d. h. über heterotrophe
Vorgänge, zu eutrophen Sauerstoffverhältnissen, weshalb der See
ebenso reich ist an Pflanzennährstoffen wie der untere See, weil sie durch das spärliche
Pflanzenplankton nicht in merkbarer Weise angetastet werden. Als begrenzenden
Faktor für diese Erscheinungen habe ich die häufigen Trübungen
durch feinste mineralische Geschiebestoffe hingestellt.
Vieles über die Entwicklung unseres Sees ist bekannt; manches
vielleicht ebenso Interessantes ist uns verborgen geblieben. Indessen haben
die am Zürichsee festgestellten Erscheinungen die Limnologie, die Seetypenlehre im besonderen,
in hohen Masse bereichert, weil eine Entwicklung, die normalerweise lange
Zeiträume beansprucht, vor unseren Augen gewissermassen sich abspielte.
Es ist kein anderer grosser See bekannt, der eine ähnlich stürmische
Entwicklung durchgemacht hätte. Der Zürichsee ist in dieser Hinsicht
das klassische Beispiel der Seetypenlehre geworden.
Als weiteres klassisches Beispiel erwies sich Lake Washington.
III. Die Eutrophierung des Sees als hygienischer und wirtschaftlicher
Faktor
Rücksichtslose Eingriffe in den natürlichen Kreislauf des
Wassers haben bisweilen mehr oder weniger schwere Nachteile zur Folge.
Das gilt für Quellen,
Grundwasser und Oberflächengewässer. Einer dieser Eingriffe
ist die willkürliche Belastung durch Schmutzstoffe. Wir haben gesehen,
dass diese Form der Nutzung dem Zürichsee einen neuen Typencharakter aufgezwungen
hat, bestehend in einer Verschiebung des ursprünglichen biologischen
Gleichgewichtes. Dadurch sind nun Nachteile in ästhetischer, hygienischer und wirtschaftlicher
Hinsicht entstanden, die allerdings manchmal übertrieben werden. Gewiss
unterscheidet sich der See schon in seinem äusseren Gewande, seinem
im Sommer und Herbst durch das Plankton und die biogene Entkalkung trüben
und nicht selten missfarbenen Wasser, den Algenansammlungen an der Oberfläche
(Wasserblüten von Oscillatoria) erheblich von den anderen grossen
Seen. Aber nur allzuleicht werden diese Erscheinungen, die lediglich eine Folge
sind, für die Verunreinigung selber genommen. Die wichtigeren und
eigentlichen Folgen bleiben zur Hauptsache verborgen; das heisst, nur der sachverständigen
Untersuchung und richtigen Interpretation der Ergebnisse zugänglich.
In dieser Beziehung waren gewisse Untersuchungen und deren Veröffentlichung
in den letzten Jahren wenig erfreulich. Nichts kann in solchen Dingen verhängnisvoller
sein als der wissenschaftlich sich gebärdende Dilettantismus.
Und wenn schliesslich noch die Presse aller Schattierungen veranlasst wird,
Unsachgemässes in weite Kreise zu tragen, muss man sich nicht wundern, wenn viel Ungereimtes
über die «Verschmutzung» des Zürichsees Platz gegriffen
hat. Übereilte, d.h. zu wenig durchdachte Sanierungsvorschläge, ersetzen dann allzuleicht
die sachliche Abklärung.
In ästhetischer, in badehygienischer Hinsicht sind die Wasserverhältnisse
des Zürichsees heute allerdings nicht sonderlich einladend. Die beiden
wirtschaftlich wichtigsten Zweige indes, die der biologisch umgebildete See mehr oder
weniger beeinflusst, sind die Trinkwasserversorgung und die Fischerei.
...
Tatsächlich wird denn auch der früher verbreitete Rötel
beispielsweise im Zürichsee schon seit Jahrzehnten nur noch vereinzelt
gefangen. ...
Diese Arbeit ist auch heute für Limnologen lesenswert. Es steht Einiges drin, was wieder als Ergebnis neuester Forschung publiziert wird. Minder zeigt schlüssig, dass nicht nur natürlich eutrophe Gewässer existieren, sondern dass die Alterung eines Sees beschleunigt werden kann. Minder's Wunsch nach Beschränkung von hauptsächlich der Stickstoffzufuhr hätte fatale Folgen haben können. Potentiell toxische Cyanophyten lieben solche Verhältnisse.