NGZ-Neujahrsblatt 1951, 153.Stück, 46S., 14
Abb., 4 Tafeln
Elektronen Mikroskopie
A. Frey-Wyssling
Bild aus einer Tafel
Spitzenwachstum eines Spirogyra.Fadens
Pfeil: Wachstumsrichtung Bild von A.Vogel, Diplomarbeit ETHZ 1950
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Das Elektronenmikroskop
1. Bauprinzip
2. Elektronenquelle
3. Elektronenlinsen
4. Vakuumpumpen, Schleuse und Kreuztisch
5. Aufnahmekammer
II. Elektronenoptik
6. Wellenlänge der Elektronenstrahlen
7. Bilderzeugung
8. Tiefenschärfe und genaue Einstellung
9. Vergrösserung
10. Auflösungsvermögen
III. Präparationsmethoden
11. Objektträger
12. Schattenbilder
13. Metallbeschattung
14. Oberflächenabdrucke
15. Mikrotomie
IV. Untersuchungsergebnisse
16. Feinbau der Gele
17. Fasertexturen
18. Schleime
19. Membranen
20. Wachstum
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
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Einleitung
Die Schranke, die der Mikroskopie bis 1930 durch das
Auflösungsvermögen des Lichtmikroskops bei etwa 0,3 µ gesetzt
war, ist durch die Elektronenmikroskopie durchbrochen worden. Ein gewaltiges
Untersuchungsgebiet, das vorher der direkten Beobachtung entzogen war,
ist zugänglich geworden. Das Auflösungsvermögen wurde auf
30 Ä vorgeschoben und hat somit auf einen Schlag eine 100fache Verbesserung
erfahren! Die Abbildungsmöglichkeit umfasst heute den gesamten Bereich
der kolloiden Abmessungen, so dass «die Welt der vernachlässigten
Dimensionen» der unmittelbaren morphologischen Untersuchung unterworfen
werden kann.
Dieser plötzliche Erfolg ist um so erstaunlicher,
wenn man bedenkt, wie die bescheidene Steigerung des Auflösungsvermögens
des Lichtmikroskops von 0,5 µ (Trockensysteme, wie sie etwa 1840
zur Verfügung standen) über 0,3 µ (Immersionsobjektive,
Abbé 1879) auf 0,1 µ (Ultraviolettmikroskop, KÖHLER 1904)
über ein halbes Jahrhundert in Anspruch nahm. Da das Auflösungsvermögen
der Wellenlänge der verwendeten Strahlung proportional ist, versuchte
man anschliessend, die kurzwelligen Röntgenstrahlen der Mikroskopie
dienstbar zu machen; dies erwies sich jedoch als unmöglich, da es
für g-Strahlen keine Linsen gibt. Mit dem
Nachweis der Wellennatur der Korpuskularstrahlen eröffneten sich neue
Möglichkeiten. Es zeigte sich, dass den b-
oder Elektronenstrahlen besonders kurze Wellenlängen zugeordnet sind
(de BROGLIE 1924), und dass man sie dank ihrer elektrischen Eigenschaften
mit magnetischen Feldern sammeln kann (BUSCH 1926). Damit waren die theoretischen
Voraussetzungen für den Bau hochauflösender Elektronenmikroskope
gegeben, und sie wurden denn auch in erstaunlich kurzer Zeit technisch
verwirklicht.
Das Schrifttum über Elektronenmikroskopie (Ardenne
1940, Zworykin 1945, Wyckoff 1949) und die Erfolge der Elektronenmikroskopie
haben sich seit Abschluss des Zweiten Weltkrieges in einer Weise vermehrt,
dass es unmöglich geworden ist, das gesamte Gebiet in einem Neujahrsblatt
erschöpfend zu skizzieren. Die allgemeinen Probleme sollen daher diskutiert
werden an Hand einer Schilderung des Aufbaus des Elektronenmikroskops der
Firma Trüb, Täuber & Co., Zürich, und der Ergebnisse,
die vom Laboratorium für Elektronenmikroskopie am Pflanzenphysiologischen
Institut der Eidg. Techn. Hochschule Zürich damit erreicht worden
sind. Dadurch stellt die vorliegende Schrift einen Bericht dar über
die «Elektronenmikroskopie in Zürich».
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10. Auflösungsvermögen
Der Fortschritt, den die Elektronenmikroskopie gebracht
hat, ist ihrem gesteigerten Auflösungsvermögen zu verdanken.
Das Auflösungsvermögen ist definiert als der kleinstmögliche
Abstand d von zwei Punkten, die ein optisches Instrument eben noch getrennt
abzubilden vermag. Es ist von der Wellenlänge der verwendeten Strahlung
und von der Apertur des Objektivs (sin u) abhängig nach der einfachen
Beziehung d=Lambda/sin u
Da beim Lichtmikroskop der Öffnungswinkel des Objektivs bis gegen
90° gesteigert werden kann, besitzt sein Auflösungsvermögen
die Grössenordnung der Wellenlängen des sichtbaren und im UV-Mikroskop
des ultravioletten Lichtes, d. h. es variiert zwischen 0,5 und 0,1 µ.
Entsprechend der Wellenlänge der Elektronenstrahlen von nur 0,05 Ä,
sollte man nach dieser Faustregel ein unvorstellbar gutes Auflösungsvermögen
erwarten, das z. B. die Gitterpunkte eines Kristallgitters spielend trennen
sollte. Es ist jedoch dafür gesorgt, dass die Bäume nicht in
den Himmel wachsen. Als beschränkende Grösse tritt beim Elektronenmikroskop
die kleine Apertur auf, die wegen den unvollkommenen Linsen unbedingt notwendig
und für die Erzielung kontrastreicher Bilder vorteilhaft ist. Sie
beträgt bei unserem Mikroskop 0,0024 (d.h. ca. 8 Bogenminuten); daraus
errechnet sich für das Auflösungsvermögen: d= 0.05 Å/0.0024
= 21 Å
Dieser theoretische Wert wird praktisch allerdings nicht
erreicht, denn empirisch ist das Auflösungsvermögen bei den verschiedenen
Mikroskopen meist zu 50-30 Å und nur in ganz seltenen Fällen
zu 20 Å gefunden worden (KINSINGER, HILLIER, PICARD und ZIELER 1946).
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Aus der Schlussbetrachtung:
Wir erleben erneut die Entdeckerfreuden eines Leeuwenhoek.
Die submikroskopische Organisation der Zellbestandteile (Zellwand, Plastiden,
Kerne usw.) ist ebenso wunderbar wie der lichtmikroskopische Aufbau eines
Gewebes. Aus gleichartigen Bausteinen (z. B. Zellulosemikrofibrillen) werden
die verschiedensten Texturen aufgebaut, wobei das Zytoplasma selbsttätig
schöpferisch vorgeht. Die Morphogenese solcher Texturen ist ähnlich
faszinierend wie die Differenzierung eines Gewebes.
Die Physiologie der Zellen ist an ihre submikroskopischen
Strukturen gebunden, die uns nun zugänglich geworden sind. Erst wenn
sie richtig aufgeklärt sein werden, wird uns die Harmonie der Zellphysiologie
mit ihrem Nebeneinander von Stoffauf- und -abbau verständlich sein.
Ähnlich wie die Histologie die Grundlage der klassischen Physiologie
gebildet und deren grossartigen Aufschwung ermöglicht hat, so wird
die submikroskopische Zellmorphologie, die nun durch das Elektronenmikroskop
erschlossen wird, die Wegbereiterin der Zytophysiologie sein.
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