NGZ-Neujahrsblatt 1960, 46 S., mit 19 Abb.
Raumfahrt
Jakob Ackeret
Institut für Aerodynamik ETH Zürich
Moon, backside, USSR 1959
Auf dem Umschlag:
Erste Aufnahme der Mondrückseite, Oktober 1959
Akademie der Wissenschaften der USSR
German only

 
 

Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Die Anwendung des Raketenprinzips für die Raumfahrt .
  1. Das Raketenprinzip
  2. Das Stufenprinzip
II. Erzeugung hoher Auspuffgeschwindigkeiten in der Raketendüse 
  1. Chemische Antriebe 
  2. Nichtchemische Antriebe 
      a) Verwendung der Kernenergie: thermische Beschleunigung. 
      b) Elektrische Beschleunigung 
III. Himmelsmechanische Grundlagen der Raumfahrt
  1. Das Anziehungsgesetz 
  2. Mond- und Planetenfahrten 
IV. Die Raumreise
  1. Der Start 
  2. Der Überflug 
  3. Die Steuerung 
  4. Die Landung 
V. Die wissenschaftliche Bedeutung der Raumfahrt 
VI. Schluss
Literatur 
 

Einleitung
Die Raumfahrt, das heisst die Ortsveränderung im planetarischen Raum, bisher nur ein Traum der Menschheit, ist heute auf dem Wege zur Verwirklichung. Wenn auch noch grosse Schwierigkeiten zu überwinden sind, so lässt sich doch mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten, dass noch vor Ablauf unseres Jahrhunderts grössere interplanetarische Reisen unternommen werden. Freilich darf man sich, mindestens für den Anfang, eine solche Fahrt nicht allzu gemütlich vorstellen; die physische und wohl auch psychische Beanspruchung der unter sehr veränderten Bedingungen lebenden Insassen des Raumschiffes dürfte so gross sein, dass der «Raumarzt» nicht weniger nötig sein wird als etwa der Navigator.
Nun braucht man glücklicherweise nicht zu warten, bis alle diese Probleme gelöst sind. Solange nämlich die wissenschaftlichen Ziele im Vordergrund stehen, können auch unbemannte Raumfahrzeuge sehr wertvolle Ergebnisse liefern; teilweise liegen solche heute schon vor. Man hat raffinierte Apparaturen ersonnen und ausgeführt, die automatisch Registrierungen machen und zur Erde übermitteln, und der Tag ist vielleicht nicht mehr fern, wo der Anblick der Erde aus dem Weltraum, die noch unbekannte Rückseite des Mondes und anderes bequem auf den irdischen Fernsehschirmen beobachtet und verfolgt werden können. Bemannte Raumschiffe sollen aber folgen. Auch sie können wissenschaftlich eingesetzt werden: etwa, wenn es gilt, die Mond- oder Marsoberfläche mineralogisch und biologisch zu untersuchen oder dort feste astronomische Observatorien einzurichten. Daneben gibt es allerdings auch Ziele, die weniger klar formuliert werden: Ziele politischer oder militärischer Art, Prestigeüberlegungen oder auch nur Abenteuerlust. Hier kann man nur dringend wünschen, dass noch zur rechten Zeit internationale Abkommen entstehen, die einen Missbrauch der neuen technischen Möglichkeiten verhindern.
Die Entwicklung der Raumschiffahrt-Technik ist zurzeit in vollem Fluss. Gar manches, was heute als letzte Errungenschaft gilt, wird morgen überholt sein. Nicht so die ehernen Gesetze der Himmelsmechanik, deren Anwendung auf technische Probleme etwas ergibt, was den Ingenieuren bisher noch nie vorkam: eine völlig reibungslose Bewegung, die mit der sprichwörtlichen «astronomischen Genauigkeit» berechnet und verfolgt werden kann.

VI. Schluss
Vergessen wir nicht, dass erst zwei Jahre seit dem Auftauchen des ersten künstlichen Satelliten verstrichen sind (4. Oktober 1957). Überraschend viel ist erreicht worden, viel mehr aber ist in Vorbereitung für die nächsten Jahre.
Nach unseren gegenwärtigen Kenntnissen ist das Planetensystem der Sonne mit Ausnahme unserer Erde eine fürchterliche Wüstenei. Es ist für den Menschen zu heiss (Merkur, Venus) oder zu kalt (Mars). Die Atmosphären, soweit überhaupt vorhanden, sind zu dünn (Mars), erstickend (Venus, CO2) oder giftig (Jupiter, NH3, CH4). Nur für den Mars scheinen gewisse Bedingungen für ein sehr primitives pflanzliches Leben vorhanden sein. - Werden die ersten Raumfahrten uns zu Korrekturen dieser Ansichten nötigen? Etwa so, dass das Leben ins Innere einiger Planeten und Monde sich verkriecht, um gegen die vernichtende Kälte und Strahlung geschützt zu sein? Wird man Spuren von erst entstehendem oder aber längst vergangenem Leben finden? Oder sind wir hier auf der Erde wirklich allein - durch unermessliche Distanzen vom «nächsten» Planetensystem getrennt? Ein neues, grossartiges Forschungsmittel ist uns mit der Raumfahrt in die Hände gegeben. Es muss die Sorge der dazu Berufenen sein, dafür zu sorgen, dass es seinem einzig vernünftigen Zweck: der Förderung der Wissenschaft in Zukunft nicht entfremdet wird. - Gewiss wird auch da und dort der persönliche Ehrgeiz mitspielen - aber wer möchte es einem jungen Menschen verargen, zu hoffen, dass gerade er der neue Kolumbus sein wird, der seinen Fuss zuerst auf den Mond oder den Mars setzt?

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