NGZ-Neujahrsblatt 1962,  72 S., mit 40 Abb.
Die Tierwelt im Lichte der Pharmakologie
Hans Fischer
flagella Pseudotrichonympha
Umschlagbild:
Flagellen eines Geisseltieres
German only
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Die Rolle des Acetylcholins im Tierreich
Stammesgeschichte der Tiere im Lichte der Pharmakologie
1. Acetylcholin als Hormon und als neuro-humoraler Überträgerstoff in der Tierreihe
  Protozoa. Einzellige Tiere
  Metazoa. Mehrzellige Tiere
  Mollusca, Weichtiere
  Annelida, Ringelwürmer 
  Arthropoda, Gliederfüssler 
  Insecta, Insekten
  Das Elektrokardiogramm der myogenen und neurogenen Herzen
  Echinodermata, Stachelhäuter 
  Tunicata, Manteltiere 
  Vertebrata, Wirbeltiere
2. Adrenalin und Noradrenalin 
  Die Wirkung von Adrenalin/Noradrenalin bei Avertebraten (Wirbellosen)
  Mollusca, Weichtiere
  Annelida, Ringelwürmer
  Crustacea, Krebstiere
  Insecta, Insekten
  Vertebrata, Wirbeltiere
3. 5-Hydroxytryptamin, Serotonin, Enteramin 
  Coelenterata, Pflanzentiere
  Mollusca, Weichtiere
  Annelida, Ringelwürmer
  Crustacea, Krebstiere 
  Serotoninantagonisten 
4. Thyroxin
  Reptilia, Kriechtiere
  Aves, Vögel
  Mammalia, Säugetiere
  Phylogenetische Pharmakologie
Vorwort
Wir stehen der ungeheuren Mannigfaltigkeit der lebenden Tierarten gegenüber, unter denen man heute etwa 900 000, darunter 660 000 Insekten, zählt. Dazu kommt die grosse Zahl ausgestorbener, nur paläontologisch vertretener Tiere. Dieser fast unerschöpfliche Reichtum an tierischen Lebewesen, welche die Erde heute bevölkern oder in früheren erdgeschichtlichen Zeiten sie bewohnt haben, gibt uns beim Versuch ihrer Einordnung in ein natürliches System noch sehr viele Rätsel auf. Da wir heute nicht mehr von der Konstanz der Arten ausgehen, sondern die Tierwelt als im Prozess einer unaufhörlichen Evolution stehend betrachten, werden wir ihre Formenmannigfaltigkeit und ihre funktionellen Leistungen als geschichtlich Gewordene zu begreifen versuchen.
Hat die vergleichende Morphologie, unterstützt durch die vergleichende Embryologie, grösste Aussicht, zu einem brauchbaren und nicht allzu phantasievoll aufgebauten natürlichen System der Tiere zu gelangen, so haben es vergleichende Physiologie, Biochemie und Pharmakologie in dieser Beziehung viel schwerer, als sie auf paläontologische Befunde als «Beweismaterial» für den systematischen Zusammenhang bestimmter Tiere und Tiergruppen weitgehend verzichten müssen. Das evolutionistische Werden einer Muschel und ihre Ausbreitung kann ich durch viele geologische Horizonte verfolgen. Aber ich kann sie nicht danach fragen, ob beispielsweise ihre wichtigsten Bewegungsorgane, Herz und Körpermuskel, um richtig funktionieren zu können, des Acetylcholins, Adrenalins oder Serotonins bedürfen, wie das bei vielen jetzt lebenden Tieren der Fall ist. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies auch schon bei früher lebenden Tieren der Fall war, bietet uns nur der morphologisch-physiologische Vergleich der ausgestorbenen mit rezenten Formen.
Wenn wir im folgenden versucht haben, tiersystematische Zusammenhänge auf Grund biochemisch-pharmakologischer Feststellungen zu postulieren, dürfte bei vorsichtiger Bewertung der Ergebnisse doch einiges zutage gefördert worden sein, was eine umfassendere Verfolgung des in dieser kleinen Schrift behandelten Fragenkomplexes rechtfertigt. Eine solche Publikation steht in Vorbereitung. Der in vorliegender Schrift vertretene Standpunkt entspricht der Auffassung, nur durch Dynamisierung der Morphologie, durch die funktionelle Interpretation von Form und Gestalt eines Tieres und durch Erfassung des Funktionswandels, der in der Stammesgeschichte der Tiere bei vielen Gelegenheiten festzustellen ist, sei eine natürliche, aus dem Leben der Tiere selbst gewonnene Systematik aufzubauen. Dieser Gedanke liegt auch dem Versuch einer vergleichenden Pharmakologie in der aufsteigenden Tierreihe zugrunde, der den Inhalt dieser Schrift bildet.
Zollikon, im September 1961.            Hans Fischer
 

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Zum Titelbild:
Elektronenoptischer Querschnitt durch eine Anzahl Geisseln (Flagellen) eines Geisseltieres (Pseudotrichonympha). Jede Geissel ist von einer Flagellarmembran umgeben und enthält, kreisförmig angeordnet, neun, in der Mitte zwei Doppelgeisseln. Dieselbe zahlenmässige Anordnung im Verhältnis 9 : 2 findet sich auch bei den Wimperhaaren der Ciliaten (Paramamaecium) und lässt sich als konstantes Muster durch das ganze Tierreich bis zu den Wimperhaaren der Rachenschleimhaut des Frosches und der Luftröhrenschleimhaut des Menschen verfolgen. So gross ist die morphologische Konstanz dieses funktionell zu optimaler Leistung
von Anfang an entwickelten kleinen Organells der Zelle. - Vergrösserung: 140 000.
 I. R. Gibbons and A. V. Grimtone: On flagellar structure in certain flagellates. J. Biophys. and Biochem. Cytology, 7, p. 697-715 (1960).