NGZ-Neujahrsblatt 1963,  85 S., mit 27 Abb. und 19 Tab.
Cytogenetik transplantabler tierischer und menschlicher Tumoren
Alfred Rutishauser, Cytologisches Laboratorium des Institutes für allgemeine Botanik, Universität Zürich
unter Mitarbeit von
Gisela Haemmerli und Peter Sträuli, Experimentelle Abteilung des Pathologischen Institutes Zürich
Cells of a Ehrlich-Ascites-Carcinom
Umschlagbild:Zellen eines Ehrlich-Ascites-Carcinoms (German only)
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
A. Material und Methodik
B. Karyotypen normaler tierischer und menschlicher Gewebe
  1. Chromosomenzahl
  2. Chromosomenmorphologie
C. Karyotypen transplantabler tierischer Tumorzellen
  1. Karyotypen von Maustumoren
     a) Hyperdiploide Ehrlich-Ascites-Carcinonie
     b) Hypertriploide und tetraploide Ehrlich-Ascites-Carcinome
     c) Andere Maus-Ascites-Tumoren
  2. Karyotypen von Rattentumoren
D. Karyotypen transplantabler menschlicher Tumorzellen
E. Mechanismen der numerischen und strukturellen Variation der Chromosomengarnitur transplantabler tierischer und menschlicher Tumoren
F. Beeinflussung des cytogenetischen Variationsmusters transplantabler tierischer und menschlicher Tumoren
  1. Die selektive Wirkung des Colchicins
  2. Homologe und heterologe Transplantationen
  3. Einzell-Inokulationen
G. Mischinokulationen
H. Diskussion der Ergebnisse und Zusammenfassung
  1. Die intraindividuelle Variabilität der Tumorzellen
  2. Die Veränderlichkeit des chromosomalen Variationsmusters transplantabler Tumoren
I. Literaturverzeichnis
Einleitung:
Cytologische Untersuchungen transplantabler menschlicher und tierischer Tumoren haben gezeigt, dass sich Tumorzellen in bezug auf Chromosomenzahl und -form von normalen Gewebszellen oft wesentlich unterscheiden. Die überwiegende Mehrzahl aller transplantablen Tumoren führt nicht die diploide Chromosomenzahl der Art, aus der sie hervorgegangen ist. Ihre Zellen können hypo- oder hyperdiploid, ½ triploid oder ½ tetraploid sein. Dort, wo die diploide Chromosomenzahl beibehalten wird (aber auch bei heteroploiden Tumoren), kommen häufig strukturelle Abweichungen vor. Die Tumorzellen sind daher meist nicht diploid im strengen Sinn. Sie sind heteroploid oder pseudodiploid.
Die Zellen transplantabler Tumoren sind ferner häufig ausgezeichnet durch eine numerische und strukturelle Variabilität. Obwohl ihre Chromosomenzahlen meist um einen bestimmten Wert (stemline-number oder s-Zahl) pendeln und die Chromosomengarnituren oft charakteristische Strukturen aufweisen, scheinen die Gesetzmässigkeiten der Zahl- und Formkonstanz der Chromosomen weitgehend ausgeschaltet oder wenigstens abgeschwächt zu sein.
Die Bedeutung dieser Abweichungen für die Tumorentstehung und Tumorprogression wurde schon von BOVERI (1912) und WINGF (1930) diskutiert, ist aber heute noch umstritten. Ob numerische oder strukturelle Abweichungen charakteristisch sind für alle Tumoren oder gar Voraussetzung dafür, kann noch nicht entschieden werden (vgl. dazu BAYREUTHER, 1960, und HAUSCHKA, 1961).
Ebenfalls ungenügend bekannt sind die genetischen und physiologischen Konsequenzen, die aus der grossen cytologischen Variabilität der Tumorzellen resultieren sollten. In einem Ascites-Tumor werden chromosomale Abweichungen toleriert, die wesentlich grösser sind als das, was innerhalb eines gesunden Gewebes oder gar eines Organismus tragbar ist. Der cytogenetischen Variabilität der Tumorzellen stehen aber nur relativ geringe phänotypische, anatomische und physiologische Differenzen gegenüber. Es fragt sich daher, ob der Erbmasse beim neoplastischen Wachstum dieselbe Bedeutung zukommt wie im normalen Organismus.
Die vorliegende Arbeit ist vor allem in der Absicht begonnen worden, neue Aufschlüsse zu gewinnen über die Beziehungen zwischen Genomstruktur transplantabler Tumorzellen und ihren physiologischen Eigenschaften, ihre Reaktion gegenüber Milieueinflüssen sowie ihre Konkurrenzfähigkeit. Aus diesem Grund wurden einige der in unseren Instituten gehaltenen transplantablen Tumoren, die cytogenetisch nicht genügend bekannt waren, einer eingehenden chromosomalen Analyse unterzogen. Der erste Teil dieser Arbeit ist der detaillierten Beschreibung dieser Chromosomengarnituren gewidmet. Um die Übersicht zu erleichtern, wurde den Kapiteln, in welchen über diese Analysen berichtet wird, jeweils eine Zusammenfassung beigegeben. Da die Ergebnisse unserer cytologischen Untersuchungen menschlicher und tierischer Tumoren nur im Vergleich mit den Verhältnissen am normalen Gewebe verstanden werden können, schicken wir ferner eine kurze Betrachtung des Chromosomensatzes des Menschen, der Maus und der Ratte voraus.
Die Untersuchungen über die Cytologie menschlicher und tierischer Tumoren
sind im Frühjahr 1960 auf Anregung von Dr. P. STRÄULI begonnen worden und stellen den cytologischen Beitrag zu einer Gemeinschaftsarbeit dar. Sämtliche Transplantationen, die Überführung des Walker-Karzinoms aus der soliden in die Ascitesform sowie die Vorbehandlungen der Tiere für die zytologische Untersuchung der transplantablen Tumoren sind in der Experimentellen Abteilung des Pathologischen Instituts der Universität Zürich durchgeführt worden.
Unsere Arbeit wurde in grosszügiger Weise unterstützt von der Schweiz. Nationalliga für Krebsbekämpfung und Krebsforschung, der Kantonal-Zürcher Liga für Krebsbekämpfung, ferner von den Firmen Hoffmann-La Roche & Cie. AG., Basel, und Ciba AG., Basel. Für die Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel sei auch an dieser Stelle herzlich gedankt. Dank schulden wir ferner den Laborantinnen, Frl. J. BOTTA, Frl. E. HOFSTETTER und Frl. D. GUT, für aufopfernde Mitarbeit sowie Frl. K. RUTISHAUSFR für die Herstellung der Mikrophotographien.
mitosis of a tumorcell of Ehrlich-Ascites-Carcinom
Rückseite des Umschlags:
Mitose einer Tumorzelle des Ehrlich-Ascites-Carcinoms
A. Material und Methodik
Wir verwendeten für unsere Untersuchungen fünf transplantable Tumoren: Drei Linien (A, B und C) des Ehrlich-Ascites-Carcinoms (EAC) der Maus, das WalkerCarcinosarkom 256 der Ratte in Ascitesform und ein solides, menschliches, heterolog transplantables Sarkom, HS-l.
Der Ursprung der drei Ehrlich-Linien liess sich zum Teil nicht genau festlegen. Der in Zürich gehaltene Stamm A wurde jahrelang im Strahlenbiologischen Labor gehalten, seit 1960 auch in der Experimentellen Abteilung des Pathologischen Instituts der Universität. Stamm B wurde von der Firma Hoffmann-La Roche, Basel, zur Verfügung gestellt, Stamm C von der Ciba, Basel. Da sich bei diesen Stämmen die Herkunft nicht genau feststellen liess, ist ihre Bezeichnung als Ehrlich-AscitesCarcinom (EAC) mit Reserve aufzunehmen.
Das an der Experimentellen Abteilung des Pathologischen Instituts gehaltene Walker-Carcinosarkom 256 wurde im Mai 1961 von G. Haemmerli in die Ascitesform überführt und seither in Serientransplantation auf CFN-Ratten weitergeführt.
Bei dem menschlichen Tumor HS-l handelt es sich um ein Sarkom unbekannter Herkunft, das 1954 von H. W. TOOLAN auf konditionierten Laboratoriumstieren heterolog transplantabel gemacht wurde. Der Tumor befindet sich heute in verschiedenen Laboratorien, in denen er sowohl durch Transplantation als auch durch Gewebezüchtung propagiert wird. Er bildet Material für immunologische und biochemische Arbeiten sowie zur Prüfung chemotherapeutischer Substanzen. Der Beweis, dass HS-l trotz vieler Tierpassagen ein menschlicher Tumor geblieben ist, wurde zuerst von LEVAN (1956b) durch chromosomenanalytische Untersuchungen geliefert.
Die Tiere, welche für die Herstellung zytologischer Präparate verwendet wurden, erhielten je nach Gewicht verschieden grosse Dosen in dest. Wasser gelöstes Colchicin intraperitoneal injiziert: 30 g schwere Mäuse 0,024 mg, 45 g schwere Ratten 0,04 mg und erwachsene Ratten 0,06 mg. Die Einwirkungsdauer betrug zwischen 4 und 21 ½ Stunden. Wie wir weiter unten zeigen werden, hängt das Ergebnis der Auszählungen in hohem Masse von der Länge der Einwirkungsdauer des Colchicins ab und muss daher für jeden Versuch gesondert angegeben werden.
Die cytologischen Untersuchungen wurden an Feulgen- oder Orcein-Präparaten durchgeführt. Punktierte Ascites-Flüssigkeit, bzw. die zerkleinerten soliden Tumor-stücke wurden während 30 60 Min. mit einer hypotonischen Lösung von 1,12/0 Natriumcitrat behandelt. Die für die Herstellung von Feulgen-Präparaten bestimmten Proben wurden zentrifugiert, die überstehende Flüssigkeit dekantiert und dem Zentrifugat im Überschuss Carnoys Fixierflüssigkeit zugegeben. Die Fixierdauer betrug 1 Std., die Zeit für die Hydrolyse in n-HCl 8 Min., die Färbedauer 30 Min. Für die Herstellung von Orcein-Präparaten wurden der mit Natriumcitrat versetzten Ascites-Flüssigkeit 3 ml 2 ½~ ige Orcein-Essigsäure zugegeben und die Flüssigkeit über der Spiritusfiamme dreimal kurz auf ca. 60 °C erwärmt. Nach einer Färbedauer von 10 Min. wurde mit der Präparation begonnen. Die Untersuchung der Präparate erfolgte mit Phasenkontrast.

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