NGZ-Neujahrsblatt 1968 35S. +  20Abb.+ 3Farbtafeln
Landkartenkunst, gestern, heute morgen
Eduard Imhof
Eduard Imhof  
Landkartenkunst  gestern
heute
morgen
Jost Murer 1566, Zürichgau
Titelblatt:
Joost Murers Karte des Zürichgaues 1566; ca.1:56 000

Baden mit Lägern
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Einleitung
Die Kartographie als Wissenschaft, als Lehre und als Technik ist überall und nirgends zu Hause. Sie ist eine Spinne, die allerorten die feinsten Netze spannt, um ihre Opfer einzufangen. Sie sitzt mitten im Nest der Topographie, und bezüglich vieler thematischer Karten lebt sie vom Herzblut geographischer und anderer Wissenszweige. Ihr Daseinszweck aber liegt in der Wissensvermittlung durch das graphische Bild, die Karte. Diese dient sowohl der Forschung, der Lehre, als auch dem öffentlichen Leben. Doch wäre die kartographische Spinne kraftlos und machtlos ohne die Farbtöpfe, chemischen Zaubereien und Druckerpressen der Reproduktionstechnik.
In der Kartographie besteht ein enges Zusammenspiel von Topographie, Geographie und anderen Wissenszweigen mit Graphik und Reproduktionstechnik, und manche Akteure und Zuschauer solchen Spieles zanken sich darüber, ob das Herstellen von Karten Wissenschaft sei oder Kunst oder Handwerk.
Was soll ich nun zum Abschied von meiner Lehrtätigkeit an der Eidgenössischen Technischen Hochschule aus solcher Vielfalt der stofflichen Möglichkeiten herausgreifen? Mein Herz drängt mich zurück an den Ursprung meiner Kartographentätigkeit. Ein brennendes Interesse an der Erscheinungswelt der Erdoberfläche, der Zauber landschaftlicher Vielfalt und Schönheit und der Wunsch, das Geschaute möglichst genau und anschaulich im Bilde festzuhalten, haben mich zum Kartographen gemacht. So wähle ich für meine heutigen Ausführungen einen Gegenstand, der mir stets besonders nahe lag, die grundrissliche Reliefdarstellung: denn diese formt mehr als die übrigen Dinge die topographischen Karten aller Massstäbe.
Schon vor mehr als 3000 Jahren erstellte man Landkarten. Dies geschah am Euphrat und am Nil. Man ritzte sie in Tonplatten, und bereits damals zeichnete man Berge in solche figürlichen Gebilde hinein. Doch wollen wir uns hier mit der Primitivkartographie frühester Zeiten nicht befassen. Auch die mittelalterlichen «Mönchskarten», diese seltsamen Bildgefüge religiöser Vorstellungen, seien übergangen. Von Interesse aber für unser Thema mögen die Entwicklungen zu Beginn der Neuzeit sein. Einige starke Impulse, unter sich in engster Beziehung, gaben im 15. und 16. Jahrhundert der Kartographie entscheidenden Auftrieb. Christliche Mönche, im Rückzug vor dem vorrückenden Islam, brachten Abschriften der geographischen und astronomischen Werke des berühmten Alexandriners Claudius Ptolemäus. …

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