NGZ-Neujahrsblatt 1970, 55S., 4Fig.
Das heliozentrische System in der griechischen, persischen und indischen Astronomie
B.L. van der Waerden
Kopernicus, De revolutionibus
Umschlagbild:
Aus der Handschrift des Werkes «De Revolutionibus Orbium Coelestium», geschrieben von Nicolaus Copernicus in den Jahren 1539-1540. cf. Nikolaus Kopernikus, Gesamtausgabe, Band 1, Folio 9v Verlag R. Oldenbourg, München-Berlin 1944.
German only
Inhalt:
Einleitung 
Kapitel 1: Das heliozentrische System in der griechischen Astronomie
  A. Aristarchos von Samos
  B. Seleukos von Seleukia
  C. Teukros der Babylonier
Kapitel II: Das Grosse Jahr und die ewige Wiederkehr
  A. Übersicht
  B. Die Wiederkehr aller Dinge bei den Pythagoreern und Platon
  C. Hippasos und Herakleitos
  D. Die spätgriechischen Zeugnisse
  E. Die babylonischen Quellen 
  F. Iranische Einflüsse 
  G. Zervanismus und Astralfatalismus 
  H. Das indische Yuga-System 
Kapitel III: Persische und indische Astronomie
  A. Aryabhata
  B. Die Tafeln des Shah
  C. AI-Khwarizmi
  D. Die ältere Fassung der Tafeln des Shah
  E. Das Weltjahr der Perser
Kapitel IV: Die Konjunktion des Jahres - 3101
  A. Beobachtung oder Rechnung?
  B. Die Vorgänger des Aryabhata
  C. Das Alter des persischen Systems
  D. Die Entdeckung der Konjunktion
  E. Zusammenfassung
Zusatz bei der Korrektur 
Literatur
5

10
10
11
12
15
15
15
17
18
21
22
24
26
29
29
35
36
40
41
46
46
47
48
49
51
52
54
Einleitung:
Dreimal in der Geschichte sind Astronomen aufgetreten mit der These, dass die Erde sich täglich um ihre eigene Achse und jährlich um die Sonne dreht.
Der erste, der diese These vertrat, war Aristarchos von Samos um 280 vor Chr. Er ist der Urheber der heliozentrischen Hypothese.
Der zweite, der von dieser Hypothese ausgehend ein astronomisches System aufstellte, war Aryabhata von Kusumapura in Nordindien um 500 nach Chr. Zwar hat er in seiner astronomischen Abhandlung Aryabhatiya [1] nicht ausdrücklich gesagt, dass die Erde sich um die Sonne dreht, sondern nur, dass sie sich täglich um ihre eigene Achse dreht, aber ausser der Achsendrehung hat sein System andere Züge mit dem heliozentrischen System gemeinsam, so dass man mit ziemlicher Sicherheit den Schluss ziehen kann, dass das System des Aryabhata letzten Endes auf der heliozentrischen Hypothese beruht.
Der dritte Astronom war, wie wir alle wissen, Copernicus, dessen grosses Werk «De revolutionibus orbium coelestium» 1543 erschien.
Die ersten zwei, Aristarchos und Aryabhata, haben ihre Zeitgenossen nicht davon überzeugen können, dass die Erde sich bewegt. In der Tat hatten sie keine überzeugenden Argumente anzuführen und es gab, wie wir noch sehen werden, schwerwiegende Gegengründe.
Der dritte, Copernicus, hatte zwar auch keine besseren Argumente, aber nach ihm kamen Galilei und Kepler und ihnen gelang es, die fachkundigen Astronomen von der Richtigkeit der heliozentrischen Hypothese zu überzeugen.
Sind die drei Astronomen unabhängig voneinander auf die Erdbewegung gekommen? Copernicus jedenfalls nicht. Er hatte von Aristarchos gehört und dessen Namen im ersten, handschriftlich überlieferten Entwurf der Einleitung seines Hauptwerkes erwähnt.
Wurde Aryabhata über irgendwelche Zwischenglieder von Aristarchos beeinflusst? Diese Frage zu untersuchen, ist das Ziel des vorliegenden Neujahrsblattes.
Eine sehr nützliche Arbeitshypothese in der Geschichte der Wissenschaften kann so formuliert werden: Jede grosse Entdeckung wurde nur einmal gemacht. Es gibt allerdings Fälle, in denen das nicht zutrifft, aber sie sind selten. Die ganz grossen, umwälzenden Ideen stammen meistens von je einem Menschen.
Die eben erwähnte Arbeitshypothese ist nützlich, weil sie uns anregt, nach Zusammenhängen und Zwischengliedern zu suchen. .....

Vorgeschlagener Stammbaum:
-280 Aristarchos
 
 
|
   
 
|
-200 Apollonius
 
¯
 
¯
 
Seleukos von Seleukia
 
¯
   
 
Hellenistische Tafeln?
 
¯
   
  Ältere "Tafeln des Shah"
 
¯
 
|
+500 Aryabhata
|
 
¯
 
¯
 
Tafeln des Khosro

Home  Liste der Neujahrsblätter