NGZ-Neujahrsblatt 1976, 57S., 20Abb.
Prinzipien der elektrischen Reizung
Oscar A.M. Wyss
Nerven,Muskeln,Stimulator,1925,1975
German only
Umschlagbild unten:
1925: Vor fünfzig Jahren vom Verfasser selber aufgebauter Röhrenoszillator (Tonsender), bestimmt für Nervenreizung mit niederfrequentem Wechselstrom (max. 200 Hz). Man beachte die Philips-« E »-Röhren vom alten Typ! Eingesetzt: Stromkurve, aufgenommen mit Saitengalvanometer; zeigt ferromagnetische sowie übersteuerungsbedingte Verzerrung (Wyss, 1925). - Photo: Max Oscar Wyss senior, 1925.
Umschlagbild oben:
1975: Prototyp eines Mittelfrequenz-Impulsgerätes für stufenlos variable Trägerfrequenzen zwischen 1000 und 3000 Hz, für Impulssequenzen zwischen 0,5 und 80 pro Sekunde und Impulsdauern zwischen 5 und 15 Millisekunden. Bestimmt für die Untersuchung der Reizwirkung im Übergangsbereich zwischen Nieder- und Mittelfrequenz an Nerven und Muskeln. Kathodenstrahl-Oszillogramme von Mittelfrequenz-Impulsen verschiedener Trägerfrequenz. - Konstruktion: Jean Monti, Grand-Lancy (Genève). Photomontage: Martin Wyss, Atelier Photo, Vevey.

«Ich gebe zu, dass dies nur eine Wortfrage ist, aber in der Wissenschaft haben auch Worte ihren
Werth.» J. BURDON SANDERSON (1899)

Kritische Einleitung
Überblickt man die Literatur zum Thema der elektrischen Reizung, so stellt man eine ausgesprochene Diskrepanz fest zwischen ungezählten äusserst interessanten Beobachtungen und der spärlichen und ungenügenden Berücksichtigung dieser zahlreichen Befunde in gelegentlichen zusammenfassenden Darstellungen. Es wäre Sache einer besonderen historischen Abhandlung, dieser Frage bis auf den heutigen Tag nachzugehen, viel Versäumtes nachzuholen und manches Ungeklärte und Fehl-gedeutete zu klären und richtigzustellen. Doch hätte dies andernorts zu geschehen.
Dort würde der Leser auch das finden, was er in der vorliegenden Schrift vermissen mag: die mathematische Behandlung der elektrischen Reizung, die nur in gewissen Fällen die Erkenntnis gefördert, in vielen dagegen in geradezu unverantwortlicher Weise auf Irrwege geführt hat. Von den vielen «Reizgesetzen», die rückblickend betrachtet meistens nur noch der Autorennamen wegen erwähnt werden, wird also im folgenden nicht die Rede sein. Auch die Reizphysiologie ist, wie jede Art Biologie, nicht lediglich angewandte Physik und Chemie, insbesondere etwa Elektrizitätslehre, angewandt auf lebendes erregbares Substrat. Man denke nur an NERNST (1899), dessen Quadratwurzelgesetz bei den höheren Frequenzen, wo es noch zu gelten schien, heute eindeutig nicht stimmt, bei den niedrigen, wo es a priori nicht anwendbar war, zum Ausweg über eine (als «chemisch» vermutete) biologische Reaktion führte und damit allerdings zum Begriff der «Akkommodation» (NERNST, 1908), wenn auch nicht zu deren Deutung Anlass gab. Dies nur als eines der typischen Beispiele. Es gibt wohl Prinzipien (vielleicht Gesetzmässigkeiten) der elektrischen Reizung; sie in die Zwangsjacke mathematisch formulierter Gesetze einschliessen zu wollen, wäre heute ebenso unzeitgemäss wie unsachgemäss.

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