Neujahrsblatt 1990, 192. Stück, 52 Seiten,12 Tab., 6 Bilder
Nahrung, Chemie und Gesundheit
Hans Neukom
Umschlag Schlussfolgerungen
Die Nahrungsmittel stellen als Naturprodukte komplizierte Mischungen einer Vielzahl von chemischen Verbindungen dar. Die Chemie hat daher in der Erforschung der Zusammensetzung der Nahrung, der Identifizierung und Strukturaufklärung der Nährstoffe und übrigen Inhaltsstoffe immer eine zentrale Rolle gespielt. Auch die Veränderungen in der Zusammensetzung und Qualität der Nahrung als Folge der Verarbeitung im Betrieb und der Zubereitung in der Küche können nur mit Hilfe der Chemie und ihrer Methoden erfasst werden. Unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse über Nahrung und Ernährung hätten also ohne die Fortschritte in den chemischen Disziplinen nicht erzielt werden können.
Auf der anderen Seite hat die steigende Umweltbelastung durch eine Vielzahl chemischer Stoffe sowie der Einsatz von Hilfsstoffen zur Sicherung und Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion die Gefahr der Rückstandbildung von toxischen Stoffen in Lebensmitteln stark erhöht. Auch die Verwendung von Zusatzstoffen in Lebensmitteln hat in zunehmendem Masse für negative Schlagzeilen gesorgt und die Chemie pauschal in Misskredit gebracht. Die Chemie wurde dadurch aber auch vor neue Herausforderungen gestellt, bei der Lösung der entstandenen Probleme aktiv mitzuarbeiten. Einmal mussten neue, hochempfindliche Analysenmethoden zum Nachweis dieser Stoffe in Nahrungsmitteln ausgearbeitet werden (Rückstandanalytik), zum andern mussten tolerierbare Höchstgrenzen für diese Stoffe ermittelt werden, damit die amtliche Kontrolltätigkeit auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden konnte.
Die ständige Verfolgung und Überwachung der Rückstandsituation durch die staatlichen Kontrollorgane und die Industrie haben einen deutlichen Rückgang auch der Belastung der Nahrung aufgezeigt. Die getroffenen Massnahmen, wie teilweise Verbote von toxischen Stoffen (z. B. PCB) und Restriktionen in der Anwendung (z. B. von Pestiziden), haben demnach zum Erfolg geführt, so dass die Rückstandsituation weitgehend unter Kontrolle ist. Die gesundheitlichen Risiken der Nahrung liegen also nicht bei den Rückständen und Zusatzstoffen, sondern nach wie vor bei mikrobiologisch verursachten Lebensmittelvergiftungen als Folge von mangelnder Hygiene. Die grössten Gefahren für die Gesundheit liegen aber in einer falschen oder einseitigen Ernährung, welche vor allem für Langzeitschäden verantwortlich ist. Die Aufklärung des Konsumenten sollte sich daher vielmehr auf eine gesunde Ernährungsweise und die hygienische Sicherheit der Nahrung konzentrieren.
Bei zukünftigen .Forschungsprojekten über Nahrung und Gesundheit sollte vermehrt auf bisher weniger beachtete gesundheitsfördernde Faktoren in der Nahrung und physiologische Aspekte geachtet werden. Als Beispiele sollen die Berichte über Omega-3-Fettsäuren in fischölhaltigen Produkten (insbesondere Eicosapentaensäure, 20:5) erwähnt werden, wonach diese Fettsäuren (via Prostaglandinbildung) vor Herzkrankheiten, Rheumatismus usw. schützen sollen (J. E. Kinsella 1988). Auch die Beeinflussung des Blutcholesterinspiegels durch das mit der Nahrung aufgenommene Cholesterin sowie die cholesterinsenkende Wirkung der Phytosterine und gewisser Ballaststoffe lassen noch manche Fragen offen. Interessante Ansatzpunkte geben sich auch bei bioaktiven Peptiden, die bei der Proteinverdauung entstehen können, z. B. Phosphopeptide und ?-Casomorphine, die beim enzymatischen Abbau von Casein gebildet werden und neue Aspekte eröffnen. Auf der anderen Seite gibt es Nahrungsfaktoren, die zwar nicht gesundheitsgefährdend sind, aber doch unser Wohlbefinden negativ beeinflussen: als Beispiel seien die nicht verwertbaren niedermolekularen Kohlenhydrate erwähnt (Raffinose, Sorbit usw.), die im Dickdarm vergoren werden und zu unangenehmen Blähungen führen. Diese Beispiele liessen sich beliebig vermehren und zeigen, dass die Chemie und Physiologie der Nahrung noch sehr viele interessante Probleme bereit hält.
Zum Schluss soll an die Empfehlungen der Ernährungslehre zur Reduktion der gesundheitlichen Risiken durch die Nahrung und Ernährung erinnert werden (vgl. z.B. HHS 1988):
1. Möglichst wenig konsumieren von möglichst vielen verschiedenen Produkten. 2. Reduktion des Fettkonsums (speziell der gesättigten Fette) durch vermehrte Berücksichtigung fettarmer Produkte. 3. Gewichtskontrolle durch Abstimmung von Energiezufuhr (in kcal) und Energiebedarf. 4. Vermehrte Berücksichtigung ballaststoffreicher Produkte (Gemüse, Früchte, Vollkornprodukte). 5. Reduktion der Kochsalzzufuhr und Mässigung im Alkoholkonsum.

Inhaltsverzeichnis
1  Einleitung
2  Physiologische Aspekte der Nährstoffe
  2.1  Einführung
  2.2  Der Nährstoffbedarf
  2.3  Die Nährstoffe
  2.31  Energieliefernde Nährstoffe
  2.32  Proteine
  2.33  Mineralstoffe und Spurenelemente
  2.34  Vitamine
  2.35  Wasser
3  Inhaltsstoffe und Qualität der Nahrung
  3.1  Einführung
  3.2  Geruchs- und Geschmacksstoffe
  3.21  Allgemeine Bemerkungen
  3.22  Geruchsstoffe
  3.23  Geschmacksstoffe
  3.3  Farbstoffe
  3.31  Allgemeine Bemerkungen
  3.32  Carotinoide
  3.33  Porphyrine
  3.34  Anthocyane
  3.35  Melanoidine
  3.4  Textur
4  Nahrung und Gesundheit
4.1  Einführung
4.2  Kontamination durch Mikroorganismen
4.3  Kontamination durch toxische Stoffe aus der Umwelt
4.31  Rückstände von Pflanzenschutzmitteln
4.32  Rückstände von Tierarzneimitteln und Futterzusätzen
4.33  Toxische Schwermetalle
4.34  Polychlorierte Biphenyle
4.4  Natürlich vorkommende gesundheitsgefährdende Substanzen  . .
4.5  Durch Verarbeitung erzeugte gesundheitsgefährdende  Substanzen
4.6  Lebensmittelzusatzstoffe
5  Schlussfolgerungen
6  Literatur

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